Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    "Die Aufstockung der Kohorten könnte in ein größeres Gesamtkonzept eingebettet werden, welches nicht einzig sich auf den Aspekt der Kriminalität bezieht. Dem ein wenig ver..ständigen Römer sollte durchaus einleuchten, dass ein enormes Wachstum der Stadt ein ebensolches Maß an Wachstum der Infrastruktur bedingt, unter welche auch die Stadtkohorten fallen. Das von dir geplante Aquädukt kann als Teil dieses Konzeptes herangezogen werden, allfällig könnten einige Straßen ausgebaut, oder insbesondere in den Randbezirken öffentliche Latrinen oder gar einige Mietsinsulae errichtet werden, um diese aus dem Status der Marginalsiedlungen zu erheben."

    Zumindest die Aufträge für Insulae würde der Staat nicht einmal finanzieren, sondern nur vergeben müssen.

    "Im Zuge dessen ist es nur natürlich, auch die Anzahl der Einheiten zu erhöhen, die für die Si'herheit der Bürger in allen Stadtteilen Sorge tragen. Dass die neuen Kohorten sich nicht homogen über die Stadt verteilen, sondern vorwiegend dort eingesetzt werden, wo sie benötigt werden, wird dabei wohl kaum auffallen."

    Der Flavier machte eine kurze Pause, ehedem er fortfuhr.

    "Alternativ könnte die Forderung nach neuen Kohorten nicht aus dieser - doch sehr militärisch geprägten und damit vorwerfbar in Eigeninteresse handelnden Runde entstehen. Eine höhere Militärpräsenz wird allfällig nicht nur im Pöbel mit Anspannung betrachtet werden. Mit der Aufgabe zur Lösungsfindung betraut würde indes auch der Senat oder eine ihn repräsentierende senatorische Gruppe zu keiner anderen Einschätzung kommen können als den Augustus letztlich um mehr Einheiten für die Wahrung der Sicherheit zu bitten, allein schon ob des bereits er..wähnten nicht zu leugnenden Wachstums der Stadt."

    Manipulative Staatsführung war durchaus ein Spezialgebiet des Cultus Deorum, ob dessen auch Gracchus darin bewandert war, gleichwohl dies nicht zu seinen favorisierten Taktiken gehörte. Insbesondere da es in diesem Falle ohnehin eine Farce würde sein - der Augustus war nun einmal der Augustus und konnte frei über die Anzahl seiner Einheiten entscheiden. Andererseits konnte der Flavier wiederum nachvollziehen, weshalb dem Kaiser daran gelegen war, den Schein zu wahren, denn letztendlich bewahrte auch der Titel des Augustus einen Mann nicht davor von um das Wohle Roms besorgten Männern beseitigt zu werden - niemand in diesem Raum wusste dies wohl besser als Flavius Gracchus.

    Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen als Ravilla über die Verbindung zwischen der Größe Roms, seiner Familie und seiner eigenen Person sprach. Selbstredend mochte ein Sohn ein wenig anders mit seinem Vater sprechen, doch Gracchus konnte sich nicht entsinnen, dass Minor je mit solcher Überzeugungskraft über seine Pflichterfüllung als Flavier mit ihm hatte gesprochen. Allfällig würde er ein Auge darauf werfen müssen, dass Minor mit seiner zeitweisen Lethargie den jungen Seius in seinem Tirocinium nicht würde verderben.

    "In Hinblick auf die persönli'hen Virtutes sind es Dignitas, Firmitas, Gravitas, Pietas und Veritas, welche uns vorwiegend leiten."

    In seinem bereits einige Jahrzehnte währenden Leben hatte Gracchus durchaus einige Tiefpunkte in Hinblick auf diese Tugenden durchlebt, insbesondere als Gravitas und Firmitas, sein Verantwortungsgefühl für das große Ganze und sein Wille die eigenen Ideale hochzuhalten, das Reich in einen Bürgerkrieg hatte gestürzt, was ihn hernach wiederum dazu hatte gezwungen, der Wahrheit in einigen Bereichen zu entsagen. Die Erkenntnis jedoch, dass ein Leben streng den Tugenden folgend augenscheinlich weitaus diffiziler war als es dem jungen Gracchus einst erschien, war nichts, das er mit der Jugend mochte teilen, mochte er ihnen doch nicht die Chance nehmen, gegenteiliges zu durchleben.

    "In der Öffentlichkeit gebietet unser Stand für alle Tugenden einzustehen, indes lasse ich persönlich die größte Aufmerksamkeit wohl Fides, Iustitia, Nobilitas, Pietas und Virtus zukommen."

    Aufmerksam musterte er die braunfarbenen Augen Ravillas, welche durch die dunklen Wimpern darum herum überaus ansehnlich umrahmt wurden und ihn ein wenig wehmütig an Caius Aquilius' erinnerten, was er zu diesem Zeitpunkt sich indes nicht mochte erlauben.

    "Welches sind die Tugenden, die dich in deinem bisherigen Leben ange..trieben haben und in welcher Weise?"

    Durch den Zusatz erhoffte sich Gracchus, dass Seius nun nicht schlichtweg jene Tugenden aufzählte, die er selbst gerade hatte genannt, sondern durch den Bezug auf sein Leben zumindest ein wenig gezwungen war, der Wahrheit zu folgen.

    An der Amtsausführung des Annaeus Florus gab es zweifelsohne nichts auszusetzen, gegenteilig schien er überaus tüchtig gewesen zu sein. Als Claudius Menecrates das Wort ergriff und den Annaer für eine Auszeichnung vorschlug, stimmte der Flavier indes nicht direkt ein, sondern reflektierte einige Augenblicke in Gedanken die Umstände. Annaeus Florus hatte gegenüber anderen Kandidaten den Vorteil gehabt, ein bereits passabel laufendes Amtsjahr und die Vorarbeit seines Vorgängers zu übernehmen, hatte somit seinen Elan nicht über die gesamte Amtszeit aufrecht erhalten müssen, sondern konnte all seine Energie in einige Monate konzentrieren. Wäre dieser Elan ebenso übermäßig ausgefallen, hätte er sich über die volle Amtszeit erstreckt? Indes waren diese Überlegungen ein wenig müßig, gleichwohl Florus' Amtsausführung auch - oder gerade - in Hinblick auf die kurze Zeit überdurchschnittlich schien, und nicht zuletzt dem Flavier die Einschätzung des Augustus - von welchem man hörte, dass er sehr zufrieden war - und Claudius Menecrates' - welcher bekannt dafür war, höchste Ansprüche an Pflichterfüllung zu stellen -, durchaus genügend Indikation war, dass auch er dem konnte zustimmen. Allfällig würde dies auch zu erhöhter Motivation führen, so dass von Anneus' Aedilat ebenfalls Großes zu erwarten war.

    "Ich kann Senator Claudius nur beipfli'hten, Anneus Florus sollte für die überdurchschnittliche Ausfüllung seiner Amtszeit eine Auszeichnung erhalten."

    "Ah, Valerius Flaccus"

    , freute der Flavier sich. Auch wenn der Valerier zumeist recht reserviert auftrat - oder gerade deswegen -, schätzte er ihn überaus, nicht zuletzt seiner ausgezeichneten rhetorischen und iuristischen Fähigkeiten wegen. Es war deplorablel, dass Aurelius Lupus ihn nicht mehr konnte fördern - wie das Dahinscheiden Lupus' ohnehin mehr als deplorablel war!

    "Nun gut. Die Details des Tirociniums hast du bereits mit meinem Sohn erörtert, die Details in Hinblick auf ein Patronats-Klientel-Ver..hältnis obliegen hingegen mir."

    Selbstredend hätte Gracchus als Inhaber der patria potestas über seinen Sohn auch das Tirocinium unterbinden können, doch war der Vater froh, dass Minor endlich über die bloße Amtserfüllung hinaus sich auch den gesellschaftspolitischen Pflichten eines Staatsmannes annahm.

    "Die Flavia Graccha ist eine Familie mit langem Stammbaum und Tradition, unser Ansehen gründet sich auf zahllose Verdienste unserer Gens, nicht zuletzt eine entfernte Verwandschaft mit den vergöttlichten flavischen Kaisern. Es ist mir nicht daran gelegen neurei'hen, prätentiösen homines novi similär Klienten um mich zu akkumulieren, um durch deren saldierte Präsenz die Höhe meines Vermögens zur Schau zu stellen. Von meinen Klienten erwarte ich, dass sie den römischen Tugenden zustreben, die Maximen unserer Gens - die Familie, Rom und die Wahrheit - achten und durch ihre Taten ehren. Sowie selbstredend ihre Pfli'hten als Klienten erfüllen."

    Die flavischen Klienten inkludierten durchaus auch einige Männer, welche den hehren Tugenden nicht gar so treu folgten - vorwiegend Klienten, welche Gracchus geerbt hatte, einige Veteranen etwa, die mit seinem Vetter Aristides hatten gedient -, doch jenen Männern, welchen er politisch den Weg sollte ebnen, mochte der Flavier durchaus ein wenig mehr abverlangen.

    "Im Gegenzug werde ich deinen politischen Weg unterstützen und dafür Sorge tragen, dass dir zu gegebener Zeit alle notwendigen Voraus..setzungen gegeben sind. Do ut des wird das Prinzip dieses Kontraktes sein, so du dem zustimmst."

    Ein leichtes Schmunzeln kräuselte Gracchus' Lippen bei dem Gedanken daran, dass ein flavischer Pontifex und Consular sich durch eine Patronatsanfrage unter Druck könnte gesetzt fühlen. Annaeus Vindex hatte in Rom zweifelsohne noch viel zu lernen.

    "Nun, dann bin ich gespannt auf dein Wirken und wünsche dir dabei viel Erfolg."

    Das Gespräch war damit beendet, Gracchus verabschiedete den jungen Annaeus, welcher sodann von einem Sklaven wieder zurück zum Ausgang wurde geleitet.

    "Ich schließe es zumindest nicht aus"

    , bestätigte Gracchus die Annahme des Annaeus. Ein unbekannter Niemand, der gerade erst sich hatte aufgemacht, eine Aufgabe in Rom zu übernehmen, gehörte nicht unbedingt zu des Flaviers präferiertem Klientel. Doch die Worte des jungen Mannes - eine umfassende Bildung, ausreichend Mittel für ausgedehnte Reisen durch das Imperium und der Antrieb, eine Provinz zu gestalten - sprachen nicht nur für eine passable Herkunft, sondern ebenso für eine Verve, welche Gracchus gefiel.

    "Bis zum Proconsul Asias ist es ein weiter und zweifelsohne auch nicht einfa'her Weg, indes ist es eine hehre Ambition."

    Gracchus lehnte sich zurück und blickte in die blauen Augen Vindex'.

    "Ich möchte dir einen Vorschlag machen. Ich werde im Collegium Pontificum dafür Sorge tragen, dass du als Aedituus in den Cultus Deorum auf..genommen und dem Tempel des Aesculapius auf der Tiberinsel zugewiesen wirst. Du wirst diese Aufgabe ausfüllen und dir derweil einige Zeit nehmen, Rom kennenzulernen und dich nach einem geeigneten Patron umzuhören. Wie bereits erwähnt, du solltest mit dessen politischen und gesellschaftlichen Behufen und Überzeugungen konform gehen. Ich bin nicht unbekannt in Rom, es sollte dir also ein lei'htes sein herauszufinden, ob ich dieser Patron für dich sein kann oder ob es einen anderen Mann gibt, welcher diese Rolle besser wird ausfüllen."

    In ersterem Falle würde der Flavier sich selbstredend vorbehalten auch den Annaeus noch einmal einer Prüfung zu unterziehen, doch zumindest wäre er sodann gewiss, dass dieser seine Grundeinstellungen teilte.

    Der ältere Flavius Gracchus kam wie üblich nicht zu spät, ebensowenig zu früh, sondern traf genau dann ein, wann er dies beabsichtigte. Er trug eine smaragdgrünfarbene Tunika, darüber eine olivgrünfarbene Synthesis, beide verbrämt mit goldfarbenen Stickereien. Er grüßte mit einem pauschalen

    "Salvete"

    , in die Runde, nickte Minor und Philonica zu, ehedem er Lucretius Carus ansprach.

    "Senator Lucretius, meinen Glückwunsch zu deiner Wahl. Ich könnte mir keinen besseren Amtskollegen für meinen Sohn vor..stellen."

    Früher einmal hatte er den Jungen mit seinem Cognomen angesprochen als Minor und sein Freund noch im Atrium über ihre Rhetorikaufgaben hatten diskutiert. Nun jedoch mochte Gracchus ihm den Respekt zollen, welcher einem Staatsmanne gebührte - insbesondere in dieser nicht gänzlich vertrauten Runde. Was ihn zum nächsten Staatsmanne führte.

    "Auch dir meinen Glückwunsch, Octavius."

    Gleichwohl der junge Mann sich vor dem Senat recht passabel hatte präsentiert, wusste der Flavier noch immer nicht recht, was er von ihm sollte halten. Dass sein Sohn ausgerechnet den Spross des Octavius Victor hatte eingeladen, zeigte ihm indes, dass er alfällig einer der Gestrigen war. Dieser Eindruck wurde weiterhin bestätigt durch die Anwesenheit des ebenso jungen Seius Ravilla, welchen Gracchus mit einem

    "Salve, Seius"

    , grüßte und nicht umhin kam, dessen überaus ansprechendes Äußeres zu ästimieren und einen Herzschlag lang in Gedanken in Gefilde abzurutschen, welche dem Anlassse nicht angemessen waren.

    Der Flavier lauschte den Erzählungen über Ravillas Herkunft überaus interessiert, faszinierten ihn die östlichen Provinzen doch seit jeher - gleichwohl er zu seinem Bedauern nie weiter als bis nach Achaia, Eiprus und Creta gekommen war - was seiner Unlust, respektive Aversion zu Reisen geschuldet war. Der Kult der Ma erinnerte ihn an eine Zeit, in welcher er sich auf dem Weg durch den Cultus Deorum mit zahllosen fremdländischen Kulten hatte befasst, ob dessen er die kriegerische Göttin mit Bellona zu identifizieren und die Bedeutsamkeit ihres Kultes in der kappadokischen Provinz einzuordnen wusste, und somit gleichwohl auch die Abstammung des jungen Seius.

    "Und nun also möchtest du Klient der Flavii werden? Was genau hat dich bewogen, gerade an unserer Türe anzuklopfen?"

    "Ich möchte gerne annehmen, dass ich hochmögend, reputabel und ehrenhaft bin. Dies über mich selbst zu urteilen möchte ich mir indes nicht anmaßen, darob wirst du diese Frage anderen stellen müssen."
    Einen gewissen Einfluss immerhin konnte Gracchus nicht leugnen.
    "Darüberhinaus hege ich durchaus ein Interesse an vielverspre'henden Klienten, nicht meinetwegen, sondern um die Zukunft Roms zu gestalten. Welchen Patron ich dir empfehlen kann, oder ob gar unsere gesellschaftspolitischen Ansichten sich ver..einbaren lassen, dies vermag ich indes nur zu beantworten, so du mir deinen Standpunkt darlegst. Was sind diese Ziele, welche du erreichen willst?"


    Für einen kurzen Moment legte Gracchus seinen Kopf an Faustus' Schulter und es schien beinahe als wäre die Welt in Ordnung. Beinahe indes nur, denn die Worte seines Geliebten nagten sich durch sein Bewusstsein wie ein Borkenkäfer durch die morsche Rinde eines alten Baumes. Vielleicht war Sciurus noch am Leben. Vielleicht war er ein Monster aus dem Orcus. Kraftlos nickte der Flavier auf den Vorschlag, sich schützen zu lassen. Er kannte Sciurus zu gut als dass er sich konnte in Sicherheit wiegen.

    "Er ... hat ein kleines Brandmal auf der linken Hüfte, nur Fingernagel groß, ein Omega. Er hat es seit jeher."

    Gleichwohl die Markierung minderwertiger Sklaven auch in der Gens Flavia üblich war, so wurden die Haussklaven nicht derart mit einem Makel versehen, stammten sie doch üblicherweise aus der hauseigenen Zucht und waren darob mehr als verlässlich. Die nächste Frage verwirrte Gracchus sichtlich. Freunde, Verwandte, Liebschaften, Kontakte oder Interessen?

    "Er ist ... nur ein Sklave ..."

    , antwortete der Flavier langsam.

    "Vor einigen Jahren, fünfzehn oder zwanzig viellei'ht, hat meine Großtante ihn als Beschäler für unsere Zucht verwendet. Sie war recht zufrieden mit dem Ergebnis, ich ... weiß jedoch nicht, wo seine Nachkommen eingesetzt werden. Wenn dies wichtig ist, kann ich ihr einen Boten senden, sie führt akribisch Bu'h über den Einsatz jedes Sklaven auf unseren Gütern."

    Gracchus verstand indes nicht genau, wie diese Information Serapio würde nützen können.

    "Sonstig ... er war immer bei mir, Tag und Nacht, es sei denn er hat für mich Aufträge in der Stadt erledigt."

    In seiner bisweilen sehr naiven patrizischen Weltsicht hatte sich Gracchus nie Gedanken darüber gemacht, wie Sciurus seine Aufgaben erledigt hatte, ob er dazu Kontakte brauchte oder nicht, was genau er tat oder nicht. Der Sklave hatte schlichtweg seine Aufgaben erfüllt. Er seufzte, ehedem er grimmig den Kopf schüttelte.

    "Nein. Nein, er ist gewiss kein Christianer. Er abhorriert sie eben so sehr wie ich."

    Eine Welle der Sentimentalität überflutete ihn und Gracchus presste die Kiefer zusammen im Versuch, eine Melange aus Verzweiflung, Wut, Sehnen, Furcht und Konsternierung zurückzuhalten.

    "Warum ... warum hat er das nur get..an?"

    Mit einem Male durchfuhr ihn ein weiterer Gedanke.

    "Und der Tempel? Was ist mit dem Tempel meiner Ahnen? Wie ... wie groß ist der Schaden?"

    Der Blick der kleinen Prisca wanderte zu Philonica, ihre Augen dabei noch immer groß und erstaunt, dann zurück zu ihrem Bruder, und schlussendlich ein wenig schüchtern zu ihrem Vater. Es gab nur einen Heroen, der die Geschichten über ihren großen Bruder übertraf, und das war ihr Vater, von dem ihre Mutter stets nur in den höchsten Tönen sprach. Er war ein wichtiger Mann, auch wenn Prisca Minor keine Vorstellung davon hatte, was genau dies bedeutete. Quintus indes hatte bereits das Interesse an den Erwachsenen verloren und bediente sich nun am Essen auf dem Tisch. Gracchus setzte sich kurz auf und hob seine Tochter zu sich und seinem Sohn auf die Kline.

    "Sie sprechen noch nicht viel"

    , erklärte er bedauernd zu Minor und seiner Gemahlin.

    "Und wenn, dann verstehe ich die Hälfte nicht."

    Gleichwohl er mit fortgeschrittenem Alter und daraus resultierender Geduld mehr Freude daran fand, seinen Kindern zuzusehen wenn sie etwa im Garten spielten, so konnte Gracchus auch mit den Zwillingen sonstig wenig anfangen - wie mit all seinen Kindern zuvor. Während ihre Mutter Prisca tatsächlich jede ihrer Aufforderungen, Antworten oder Ausrufe zu verstehen schien, so brachte der Vater keine Geduld für ein Gespräch mit Kleinkindern auf, die nicht in der Lage schienen gewisse Buchstaben oder deren Kombinationen klar zu artikulieren und ohnehin erst einen viel zu begrenzten Wortschatz aufwiesen. Den kleinen Quintus ärgerte dieses Unverständnis seines Vaters bisweilen, was ihn zu trotzigen Reaktionen veranlasste, welche wiederum den älteren Flavier enervierten und zu strengen Worten veranlassten. Ein wenig sehnsüchtig wartete Gracchus darob darauf, dass die Kinder endlich älter würden, und er mit Quintus über die Götter und die Welt würde philosophieren können, bisweilen jedoch fürchtete er sich auch davor, dies nicht mehr erleben zu können. Noch war er kein Greis, doch zweifelsohne auch nicht mehr der Jüngste.

    "Du weißt, Minor, sollte ich diese Welt ver..lassen ehedem Quintus seine ersten Reden auf der Rostra hält, wird es dir obliegen, ihn dabei zu unterstützen."

    Die Worte Heius' zeigten zweifellos, dass er nicht die geringste Ahnung über die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und insbesondere Einflüsse von Kult, Kulten und ihrer diversen Ausprägungen hatte, was den Flavier indes nicht weiter verwunderte, letztendlich verstand er ebenso wenig von dessen Welt des Militärs. Was indes ihn unterschied war die Tatsache, dass er sich nicht anmaßte, jene Welt als belanglos abzutun. Darüber hinaus schien ihm der Heier - mit welchem er bisherig glücklicherweise kaum direkten Kontakt gehabt hatte - kein Mann, mit dem er eine Cena würde teilen wollen. Da indes der Augustus durchaus alle Belange des Imperium einzuschätzen wusste, wiewohl auf wen er sich in welchen Belangen konnte verlassen und die Umsetzung des Decretum zusagte, tangierte Gracchus die militärische Ruppigkeit, welche zwischen den anwesenden Einheiten herrschte, nicht weiter.

    "Sehr wohl, Augustus"

    , nickte er nur knapp auf dessen Geheiß für die Umsetzung des Decretum Sorge zu tragen. Hernach war er durchaus versucht, den Vorschlag des Kaisers die Subura niederzubrennen zu sekundieren. Würde man stattdessen ein neues, modernes Viertel dort im Zentrum der Stadt errichten und das Gelichter in die Randgebiete vertreiben, würde dies zweifelsohne innerhalb Roms zu mehr Sicherheit führen, wie auch zu einem Aufschwung für all jene die am Wiederaufbau wären beteiligt.

    Das monotone Knistern der Flammen in einer Feuerschale im Hintergrund hatte Gracchus in einen beinahe meditativen Zustand versetzt, aus welchem er nun wieder auftauchte da Seius Ravilla das Tablinum betrat, in recht selbstsicherer Art aus der Perspektive des Flaviers, welcher indes noch nie gut darin war gewesen, das Sentiment seines Gegenübers einzuschätzen.

    "Salve, Seius Ravilla! Ich danke dir, mein Schlaf war kurz, was indes mehr vom Tage übrig lässt"

    , erwiderte er mit einem feinen Lächeln, das nicht offenbarte, ob er dies begrüßte oder bedauerte.

    "Bitte, nimm Platz"

    , wies er auf einen der Stühle, die um den runden Tisch herum standen, an welchem er bereits saß.

    "Ich hoffe, auch deine Nacht war angenehm. Ich be..daure, dass wir uns nicht bereits gestern begegnet sind, doch meine Pflichten haben mich deplorablerweise von der Cena mit der Familie abgehalten. Mein Sohn hat mir darob auch nur in Kürze berichtet, was ihr bereits bespro'hen habt."

    Gracchus konnte nicht verhindern, dass seine Lippen sich in einem Lächeln kräuselten - nicht spöttisch indes, sondern eher gutmütig.

    "Nun, die Rostra ist nicht unbedingt geeignet, von dort aus einen guten Patron zu finden. In alten Zeiten hättest du ihn allfällig dort oben entdecken können, doch dieser Tage zunehmend weniger."

    Er dachte kurz über die Frage Annaeus' nach, ehedem er fortfuhr.

    "Du solltest similäre gesellschaftspolitische Ansi'hten und Ziele verfolgen wie dein Patron, denn anderenfalls wird er dir kaum bei der Erreichung dieser behilflich sein. Darüber hinaus solltest du nach dem hochmögendsten, reputabelsten und ehrenhaftesten Manne streben, welchen du erreichen kannst. Früher einmal war das Patronats-Klientelverhältnis ein wenig wie unser Verhältnis mit den Göttern - do ut des, ein Bündnis zu gegenseitigem Nutzen. Dieser Tage indes wirst du genügend Männer finden, welche dich als bloße Zierde in den Kreis ihrer Klienten aufnehmen - dir weiterhelfen werden sie im Gegenzug indes wenig. Du solltest dir also einen Patron wählen, welcher ein Interesse an deiner Zukunft hegt - im besten Falle aus altruistischem Antrieb zum Wohle Roms, im schlechtesten Falle aus Eigennutz, um sich zur Blüte deiner Karriere deiner Stimme im Senat zu ver..gewissern."

    Der Vorteil eines im Hause nächtigenden Gastes, welcher zur Salutatio wollte erscheinen, war zweifelsohne, dass jener vom Frühstück direkt in das Tablinum konnte fallen, während andere Klienten noch auf dem Weg zum flavischen Anwesen sich befanden. Gracchus selbst sparte dieser Tage sich das Frühstück aus, die Geschehnisse der vergangenen Tage - die Schändung des Tempels der vergöttlichten flavischen Ahnen, wiewohl das Auftauchen Sciurus' - raubten ihm den Schlaf und den Appetit. Um so mehr Wert indes legte er auf die allmorgendliche Körperflege, so dass die emotionalen Wirbelstürme, welche in seinem Innersten tobten, hinter einem makellosen Antlitz - einzig wer den Flavier gut kannte, mochte bemerken, dass die feinen Fältchen um seine Augen und auf seiner Stirne ein wenig tiefer schienen als sonst - und einer Fassade aus Gravitas verborgen blieben. Minor hatte ihm ausrichten lassen, dass er einen Tiro hatte aufgenommen, welcher ebenso geeignet war, Klient der Familie zu werden, und welchem darob gleich zu Beginn der Salutatio ein wenig Zeit sollte eingeräumt werden. Den Namen Seius Ravilla hatte der Flavier nie zuvor gehört, selbst die Gens Seia hatte derzeit in Rom keinen Einfluss, ob dessen er um so neugieriger war, was seinen Sohn hatte dazu bewogen, den jungen Mann aufzunehmen.

    Ein wenig besorgt führte Gracchus seinen Freund und Geliebten in sein Arbeitszimmer, war es doch äußerst ungewöhnlich dass jener zu solcher Stunde erschienen, dazu die Salutatio unterbrach. Das Antlitz des sonst so glänzenden Heroen hatte Risse bekommen, Faustus sah übermüdet und ein wenig angespannt aus, gleichwohl bemerkte Gracchus, dass dies seiner Anziehung nicht im Mindesten schadete. Durch die flüchtige Liebkosung ein wenig kalmiert ließ Serapios gute Nachricht sodann eine regelrechte Welle der Euphorie durch seinen Leib fluten, ein Funkeln in seinen Augen entstehen und ein Gefühl triumphalen Erfolges. Er setzte bereits zu einem überschwänglichen Kommentar an, doch Serapio fuhr unumwunden fort, ließ keinen Augenblick des Triumphes entstehen - wohl wissend um dessen Preis.
    "Nein..."
    , keuchte Gracchus auf die Schreckensmeldung über die Schändung des Tempels - nicht irgendeines Tempels, sondern jenen der vergöttlichten Flavier! Alle Farbe wich aus seinem Antlitz, alle Kraft aus seinem Leib, dass er einige Schritte zurücktrat bis er die Kante des großen Schreibtisches hinter sich spürte und daran ein wenig Halt fand. Einiges an Schaden - dies klang nicht nach beschmierten Türen oder Wänden, doch noch ehedem der Flavier mehr über das Ausmaß dieser Schändung konnte ermitteln, fuhr Serapio wiederum fort.
    "Sciurus?"
    , flüsterte Gracchus tonlos, seine Augen weiteten sich in Schrecken, seine Hände unklammerten die Tischplatte hinter sich, dass die Knöchel deutlich hervortraten.
    "Das... das ist nicht mögli'h, Faustus"
    , widersprach er mit zitternder Stimme.
    "Wir ... wir haben ihn ... sterben sehen. Wir ... haben seinen toten Leib ge..sehen."
    Unmöglich konnte aus Gracchus' Perspektive der Sklave den Sturz in den Abgrund überlebt haben, wenn auch der Fluss seinen Leib hatte hinfort gespült, dass Serapio und Gracchus nicht hatten bezeugen können, dass jegliches Leben aus dem Leib des Sklaven war gewichen. Es war unmöglich - es sei denn, das Scheusal war in die Welt der Lebenden zurückgekehrt, um als Widergänger an seinem Herrn Rache zu nehmen.

    "Du ... musst dich geirrt haben"
    , versuchte er schwach und gegen jegliche Überzeugung - denn er vertraute Faustus bedingungslos - seinen Freund zu überzeugen, dass Sciurus tot war.