Beiträge von Sciurus

    Ohne sich recht um seine Passagiere zu kümmern, pflügte das Schiff durch die Wellen, ließ das Land weit und weiter hinter sich, obgleich nie aus der Sicht. Ein günstiger Wind blähte die vergilbten Segel auf und trieb die kleine Schaluppe unermüdlich dem fernen Hispania entgegen, während sich tief im Süden graue Wolken über den Horizont schoben. Vier Tage, vielleicht Fünf, ohne Tun, ohne Aufgabe, verschwendet bis auf die ersten Stunden, die Aussicht gereichte Sciurus nicht unbedingt zum Gefallen, gegenteilig erfreute ihn, dass er auf Hannibal wohl kaum würde achten müssen. "Du wärst erstaunt, was ich alles kann, Hannibal. Was ich tat, tue und tun werde, erfüllte schon immer seinen Zweck. Dass du diesen nicht erkennen kannst, erstaunt mich nicht. Ebensowenig, dass du augenscheinlich nur das beurteilst, was du sehen kannst und dazu neigst, deine Umgebung zu unterschätzen."
    Sciurus blickte noch einmal auf die dunklen Wolken im Süden. Der Regen würde sie kaum erreichen, würde er doch eher ins Innere Italias ziehen als aufs offene Meer hinaus, von wo er kam. Als der Sklave an Hannibal vorbei trat, blieb er für einen kurzen Moment hinter diesem stehen. "Bleib hier hinten, richte deinen Blick nicht nach unten, sondern auf die Horizontlinie, und hör auf, deinen Kopf gegen das Meer zu stemmen, denn es ist nicht dein Körper, der dies tut. Du bist jetzt ein Teil der See, finde dich damit ab." Obgleich es ihm gleich war, wie Hannibal sich in den nächsten Tagen fühlen würde, so hatte Sciurus keine Lust, in Hispania angekommen auf ihn Rücksicht zu nehmen, doch war er sich ebenso dessen bewusst, dass er ihn nirgendwo konnte zurück lassen, denn als Leibsklave war Hannibal wie er selbst ein kostbares Gut.


    Ohne auf den Wellengang zu achten zog sich Sciurus in eine Ecke an Deck zurück, bezog Quartier auf einer Kiste vorn, nahe des Bug, verließ diesen Platz nur, um sich am Abend seine Essensration zu holen oder um sich zu erleichtern. Bis zum Abend schoben sich die Wolken doch aus dem Süden herauf und überzogen den Himmel, doch auch als es nach der Dämmerung anfing, leicht zu nieseln, rührte sich Sciurus nicht, blickte starr auf das Meer hinaus und hing seinen ganz eigenen, leeren Gedanken nach, bis er sich schließlich neben der Kiste zusammenrollte und einschlief, zugedeckt von Wind und Regen, in den Schlaf gesungen vom Pfeifen des Windes und dem Rauschen der See.


    Wenigen Stunden später nur tauchte der blonde Schopf bereits wieder hinter der Kiste auf, suchte mit forschenden Augen den Horizont ab. Die Regenwolken hatten sich verzogen, nur vereinzelt hingen noch Fetzen am Horizont. Sciurus kletterte auf die Kiste, setzte sich darauf und wartete geduldig. Er zitterte, als sich im fernen Osten ein heller, rotfarbener Streifen über das Meer schob, sein Körper spannte sich an, der Atem beschleunigte sich und seine Pupillen weiteten sich vor Aufregung. Längst hatten sich die Wolken über dem Schiff verzogen, vielleicht war auch die Schaluppe nur ihnen entwischt, und der Himmel bot den Anschein, als würde ihnen ein Tag voll Sonnenschein bevorstehen. Es war nicht das erste mal, dass Sciurus an Bord eines Schiffes war, doch zuvor hatte er immer einen Herrn begleitet, war vor diesem aufgestanden, um für dessen morgendliches Erwachen alles zu bereiten, und war so nie in den Genuss eines Sonnenaufganges auf dem Meer gekommen, wie er ohnehin ob seiner Aufgaben so selten in Genuss dieses Augenblickes kam.


    Langsam fing der Himmel an zu bluten, wurde in tiefes, flammendes Rotorange getaucht, durchbrochen nur von dem kleinen gelbfarbenen Ball, der sich gemächlich über die Horizontlinie schob. Schon auf dem Festland fraß der Sonnenball den Himmel mit seinen roten Strahlen auf, doch hier inmitten des Wassers schien es, als wolle die Sonne nicht nur an das Firmament emporsteigen, sondern gleichsam die Welt unter sich verschlingen. Doch gleichsam, da keine Wolke dort am Horizont ihr Emporsteigen störte, hatte es gar ebenfalls den Anschein, als komme die Sonne nicht hinter dem Wasser hervor, sondern mitten aus den Reichen der Meeresgötter hinaus. Was mussten das für gewaltige Götter sein, welche den glühenden Ball Tag um Tag aus ihrem Schlund spien! Je weiter sich der Kreis aus der See erhob, desto mehr glühte auch das Meer unter ihm in rotfarbenem Schein, desto weiter leckte das Feuer der Sonne über die Oberfläche des Wassers und entzündete sie. Der Himmel stand in Flammen. Die See stand in Flammen. Nie in seinem Leben hatte Sciurus etwas schöneres gesehen.
    Viel zu kurz währte der Augenblick, dann war der Kampf vorbei und ein schmaler Streifen schob sich zwischen Sonnenball und Wassermasse. Obgleich das Meer noch eine Weile brannte, so verschluckte das Wasser schließlich die Feuersbrunst, erloschen die Flammen, je weiter sich die Sonne an den Himmel empor hob. Voller Entzücken schloss Sicurus die Augen, betrachtete das flammende Meer. Sein Vermögen war um einen unglaublichen Schatz bereichert worden.

    Auf Hannibals dilettantische Versuche hin, ihn mit seinen Worten zu sekieren, konnte Sciurus nur müde lächeln. Seit jenem Tage, an welchem der Sklave über und über vom fäkaliendurchwachsenen Unrat der Cloaca Maxima besudelt war, konnte Sciurus ihn nicht mehr gänzlich ernst nehmen, obgleich er nicht den Fehler beging, Hannibal zu unterschätzen. Belustigt und mit festem Schritt folgte er ihm die Planke hinauf und zog sich mit den anderen unter Deck des Schiffes zurück.


    Während das Schiff den belebten Hafen verließ und auf das aufschäumende Meer hin auslief, saß Sciurus schweigsam auf einer hölzernen Kiste und säuberte akribisch sein Messer vom Staub der Zeit ohne noch auf Hannibal oder die drei anderen Sklaven der Villa Flavia zu achten. Das leichte Schaukeln, das Knarzen des Mastes, wenn das Segel sich blähte, das beständige Rollen eines kleinen Fasses, welches vom Wogen des Meeres wieder und wieder von einer zur anderen Seite des Schiffes kullerte, ohne dass sich irgendwer daran störte, die grollenden Rufe des Kapitäns und seiner Mannschaft, dies alles tangierte Sciurus nicht im geringsten, einzig seine Wahrnehmung entzog er all dem nicht ganz.


    Nachdem Hannibal seinen Platz unter Deck verlassen hatte, taxierte Sciurus die flavischen Sklaven. Einer schlief auf einem Haufen Stoffballen, ein anderer ließ gelangweilt ein Paar Würfel auf einem Fass rollen und der Dritte brach eben mit blassem Gesicht auf, Hannibal nach oben zu folgen. Auch Sciurus erhob sich langsam, steckte sein Messer in den Gürtel und stieg die dünnen Stufen nach oben an Deck. Er kam gerade rechtzeitig, um Hannibals Opfer an die Seegötter nicht zu verpassen.


    Laut und hämisch lachend stellte sich Sciurus neben das Speiloch. "Hahaha! Deswegen kam Hannibal über die Alpen mit seinen Elefanten! Weil er nicht seetauglich war!" Der Sklave amüsierte sich tatsächlich prächtig, konnte nicht an sich halten und hob sich bald den Bauch vor Lachen über Hannibals Misere. Schon lange hatte er nicht mehr so tief aus seinem Inneren heraus gelacht, doch der Anblick Aristides' Sklave war einfach zu köstlich. "Nur gut, dass der Proviant aus Grütze mit grünem Kohl besteht. Wenn dir das wieder hochkommt, kannst du es in die Schüssel zurück spucken und für den folgenden Tag aufheben - der Anblick wird der gleiche sein!"


    Auch Sciurus hatte Respekt vor dem Meer, obgleich ihm die Fahrt darüber noch nie Sorge bereitet hatte, doch verlor ein Mann erst die Planken unter den Füßen gab es in dieser gewaltigen Wasserschüssel kaum noch Hoffnung aufs Überleben. Sciurus verabscheute das Meer, nicht zuletzt, da seine Mutter von der Seefahrt ihres Volkes geschwärmt hatte, doch vor Aristides' Lakei würde er seine Abscheu nicht zeigen. "Siehst du diesen Sturm aufziehen, frana? Wenn dir das Schaukeln jetzt schon das Kotzen bringt, dann warte, bis du nichts anders mehr siehst, als Wasser - das Meer unter und den Regen über dir." Er stellte sich ein Stück weit neben Hannibal, lehnte sich an die Reling und betrachtete die wogenden Wellen, den schäumenden Schaum und die fließenden Fluten, dann begann er mit ernster, düsterer Stimme zu rezitieren.
    "Ein Boot aus Fleisch treibt auf dem Meer, aus blanken Knochen ist der Mast gemacht.
    Im Rippengitter unter Deck, da schlägt ein Herz mit einem Leck im Takt der Wellen Tag und Nacht.
    Wohin soll denn die Reise gehn? Aufs nächste Riff, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!
    Das Knochenschiff treibt auf dem Meer, sein Ruder brach schon auf der Jungfernfahrt.
    Hat sich die Segel tätowiert, der Kiel ist mit Metall verziert
    und von den Stürmen wird die Haut so hart.
    Wohin soll denn die Reise gehn, oh Hannibal? Aufs nächste Riff, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!
    So manche Narbe ziert den Bauch und offne Wunden sind dort auch.
    Das Schiff sehnt sich nach einem Riff so sehr.
    Wohin? Wohin soll denn die Reise gehn? Oh, Hannibal, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!"*
    Lachend wandte sich der Sklave vom Meer ab. Es stand jedem von ihnen eine Essensration zu und Sciurus hatte nicht vor, diese ausfallen zu lassen, denn obgleich er Tage ohne Essen auskommen konnte, so wusste er, dass er für diese Reise bei Kräften bleiben musste.


    Sim-Off:

    ausgeliehen von Subway to Sally

    Während sich Hannibal um die Überfahrt zu kümmern hatte, ging Sciurus ganz eigenen Geschäften fern ihres Auftrages am Hafen von Ostia nach und drückte das flavische Familiensiegel in eine weiche Wachstafel. Sollte der listige Lurch sich ruhig alleine mit der Planung herumschlagen, denn beim Anheuern eines Schiffes konnte er immerhin wenig falsch machen. Sciurus hatte es ihm ebenso überlassen, die Männer für die Reise auszuwählen, er vertraute ohnehin keinem in der Villa Flavia außer Sica vielleicht - doch jenem auch nur so weit, wie dessen Klinge reichte - und verließ sich auf den durch Furcht erworbenen Respekt der Männer. Natürlich würde dies bei Hannibal nicht der Fall sein, doch der Sklave des Aristides war ohnehin der einzige und größte Störfaktor an dieser Reise. Vielleicht ließ sich jedoch auch in dieser Hinsicht die Reise gewinnbringend nutzen, schon manch unvorsichtiger Seemann war auf der langen Überfahrt über das gewaltige Meer inmitten des römischen Reiches von den Fängen der See erfasst und tief in sie hinab gezogen worden, und ein verlorener Sklave würde zwar bedauerlich sein, der Verlust sich jedoch in Grenzen halten.


    Als sich Hannibal suchend nach Sciurus umdrehte, war dieser nur noch wenige Schritt von ihm entfernt. Das Zusammenzucken des sklavischen Körpers entging dem blonden Sklaven in keiner Sekunde, war sein Auge doch geschult darauf, diese Art von Reaktion wahrzunehmen. Ein marginales diabolisches Grinsen überzog Sciurus' Lippen. "Hast du ein Schiff? Die Seeleute prophezeihen einen Sturm für den Abend, wir sollten uns dann besser schon auf See befinden, als gerade erst auslaufen. Auf dem offenen Meer wird ein Schiff nur hin und her geworfen, in Hafen- oder Küstennähe kann es leicht zerschellen." Ohne die Antwort abzuwarten drehte sich Sciurus weg und pfiff durch die Zähne, ehe er sich wieder Hannibal zuwandte. "Der Proviant wird dir gefallen. Weizenmehlgrütze mit Kohl, das stinkt wie der Inhalt der Cloaca Maxima, und den verleibst du dir doch sehr gerne ein, nicht wahr?"

    Acanthus


    "Das werde ich, Herr," sprach der Ianitor und wartet, ob der Mann noch einen weiteren Wunsch haben würde.

    Acanthus


    Der Sklave blickte mit reservierter Miene aus dem Türrahmen hinaus. "Der Herr Milo befindet sich nicht in Rom. Er weilt schon seit einigen Wochen auf den Landgütern des Senators Flavius auf Sardinia."



    Sim-Off:

    Der Spieler ist leider seit Monaten inaktiv.


    Obgleich Acanthus, der Ianitor der Villa Flavia ein gutes Personengedächtnis hatte, so reichte es nicht aus, um die Gesichter irgendwelcher Besucher in Erinnerung zu behalten, die sich monatelang nicht in der Villa blicken ließen. Darum erkannte er weder Sergius, noch konnte er den Klient einem der Herren zuordnen.
    "Salve," sprach er daher nur, nachdem er die Türe geöffnet hatte, und wartete erst einmal ab.

    Obgleich sein Herr dem Ende der Amtszeit bereits mit Freude entgegen sah, konnte sich dem Sciurus nicht anschließen. Nie zuvor, nicht einmal während Gracchus' Amtszeit als Quaestor Principis, war der Sklave so einfach in die Archive des Reiches eingelassen worden und nie zuvor hatte er so ungestört darin wildern können. Nicht nur, dass man ihn in den Archiven mit den Listen der Verstorbenen, den Stammbäumen und Bürgerlisten hatte unbeaufsichtigt gewähren lassen, er hatte von dort aus auch in durchaus interessantere Bereiche vordringen und dort gar unbehelligt Informationen kopieren und mit hinaus nehmen können, welche sich in den Reichen unter der Stadt Rom mehr als bezahlt gemacht hatten. Zwar fand er neben seinen Aufgaben nicht allzu viel Zeit, im dunklen Reich ein und aus zu gehen, doch dafür konnte er bei seinen wenigen Besuchen dort um so bessere Geschäfte tätigen. Einzig, dass ihm ob dieser Tatsache die Informationen der Villa Flavia nicht mehr ganz so geläufig waren, störte ihn an all dem. Gerade erst hatte er nicht nur die Ankunft seines Herrn, sondern augenscheinlich auch noch dessen Korrespondenz verpasst, wie von dem Sklaven zu erfahren war, der Sciurus aus Gracchus' Arbeitszimmer holte, wo er eben die Tabulae mit den neuesten Sterbefällen abgeladen und mit deren Sortierung begonnen hatte.


    Als er das Cubiculum seines Herrn betrat, rümpfte Sciurus leicht die Nase, denn im Raum stand Hannibal, der listige Sklave des Aristides, der sich wie ein Lurch durch die Cloaca Maxima gewunden hatte, wie ein listiger Lurch sozusagen. Dass Hannibal nicht auf dem Bett seines Herrn saß - oder auf seiner eigenen Liege - dies zeigte Sciurus, dass er sich trotz dessen Anwesenheit noch keinerlei Sorge zu machen brauchte, obgleich er gegenüber Hannibal immer Vorsicht walten lassen würde. Sciurus trat an dem Sklaven vorbei und stellte sich neben seinen Herrn, den Körper angespannt, wie ein Eichhörnchen bereit zum Sprung von einem Baum auf den nächsten. Vermutlich hatte der Sklave sich etwas zu Schulden kommen lassen und nun war es an seinem Herrn, die Bestrafung dessen zu übernehmen, da Aristides im fernen Mantua weilte, und Sciurus wäre es eine ausgesprochene Freude, diese Bestrafung durchzuführen.

    Ein Händler, welcher regelmäßig zwischen Rom und Mantua verkehrte, beförderte neben seinen Waren auch Brief, nicht selten einige davon zur Legio I Traiana Pia Fidels. Am heutigen Tage überbrachte er eine Botschaft für Centurio Flavius.


    Manius Flavius Gracchus, Rom,
    an Marcus Flavius Aristides, Legio I, Mantua,



    Gruß und Heil, Hüter der römischen Weltordnung und Vetter in der Ferne.


    Die Nachricht ob des Abzuges der Legio I gen Osten kursiert hier im Zentrum der Welt nunmehr seit Tagen, längstens ist aus dem Gerücht bedrückende Wahrheit geworden, doch noch weiß niemand, wann sich die Truppen in Bewegung setzen werden. Ich bitte die Götter darum, dass dies sich noch ein wenig aufschieben wird, denn es hat sich aus freudlosem Anlasse ergeben, dass ich im direkten Anschluss an meine auslaufende Amtszeit einige Tage in Mantua werde verweilen. Der Bruder meiner Gattin ist dortig verschieden und Antonia wird einige Angelegenheiten diesbezüglich regeln müssen, während ich der Hoffnung verfallen bin, die Gelegenheit zu einem Gespräch bezüglich eigener familiärer Angelegenheiten mit dir, werter Vetter, zu erhalten.


    Bevor dies jedoch seine Zeit finden wird, möchte ich dich bereits um eine Gefälligkeit in anderer Hinsicht bitten, die nicht marginal erscheinen mag, doch mir augenscheinlich einen einzig passablen Ausweg bietet. Es ist bereits einige Zeit her, da mich ein Schreiben erreichte, dass meine Schwester Minervina während ihrer Reise in Hispania einer wilden Bande Entführer in die Hände fiel, aus deren Gewalt sie den Göttern sei Dank längstens befreit wurde, doch ob dessen sie nun in Hispania - zuletzt im Lager der praetorianischen Garde vor Corduba - festsitzt. Es drängt mich danach, selbst die Reise anzutreten, um sie nach Hause zu holen, doch werde ich mich, sobald ich Rom nach Beendigung meines Amtes wieder verlassen kann, deplorablerweise erst den Angelegenheiten meiner Gattin widmen und hernach weiter dem Dienst im Cultus Deorum nachgehen müssen, so dass mir kaum Gelegenheit zu einer wochenlangen Reise bleibt. Ich spiele daher mit dem Gedanken, meinen Leibsklaven Sciurus zu entsenden, doch obgleich er mein vollstes Vertrauen genießt, so scheint er mir als einziger jener Gesandtschaft, der eben dieses Vertrauen verdient, zu wenig. Aus dem übrigen Haushalt kann ich weder einen als geeignet benennen, noch ihn mit solcherlei Aufgabe betrauen, einzig womöglich den Vilicus, doch jenen nimmt bereits unser Vetter Milo derart in Beschlag, dass selbst seine eigentlichen Aufgaben bereits darunter leiden. Nun, es ist an diesem Punkt, an welchem du, Marcus, oder genauer gesagt dein Sklave Hannibal, meine Gedanken streifen. Es liegt in meiner Kenntnis, dass dir dein Sklave bereits lange Jahre treu dient, er einem Zweig entsprang, welcher bereits seit Generationen im Besitz der Flavia ist, und er ist mir selbst bereits als durchaus intelligent und fähig aufgefallen, nicht zuletzt hinsichtlich seiner momentanen Aufgabe der Erziehung deines Sohnes. Ich möchte dich darob inständig darum bitten, mir zu gestatten, ihn gemeinsam mit Sciurus auf jene Reise zu entsenden, denn ein jener, welcher dein Vertrauen genießt, genießt auch das meine und ich könnte so ohne Sorge das Wohl meiner Schwester in die Hände dieser Gesandtschaft legen. Für die weiteren Studien deines Sohnes werde ich während dieser Zeit selbstredend Sorge tragen.


    So verbleibe ich in hoffnungsvoller Erwartung deiner Antwort und sehe bereits freudig der Zukunft entgegen, in welcher uns möglicherweise vergönnt ist, uns baldig wiederzusehen.


    Ave atque vale,
    [Blockierte Grafik: http://img180.imageshack.us/img180/8848/maniusunterschriftrj6.jpg]


    In der Dunkelheit der Kanäle war längst Hektik ausgebrochen. Der Weg der Inspektoren war nicht zu ändern gewesen, sie hatten zwangsläufig auf den Leichnam stoßen müssen, doch obgleich die wenigsten der stillen Beobachter etwas damit zu tun hatten, wollte niemand in diesem Augenblick in der Nähe sein, ungeachtet der Tatsache, dass jene Inspektoren ohnehin kaum auf die Idee kommen würden, zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort nach dem Mörder Ausschau zu halten. Schneller, als an der Oberfläche der Stadt eine Botschaft von einem zum anderen Ort hätte gelangen können war die Nachricht über den Fund in den Eingeweiden Roms schon durch allerlei Ohren hinein und Münder wieder hinaus und längst hatte der Mann mit der Maske entschieden, dass die Augen der Dunkelheit sich nicht schließen, doch ein wenig zurückziehen sollten. Die Tote war nur ein unbedeutender Auftrag gewesen, eine Bewohnerin der Gegend des Velabrum, die zu viel gesehen, zu viel gewusst hatte und darüber übermütig geworden war und daher ohne großes Aufhebens schnell hatte verschwinden müssen. Inmitten der Stadt, so nahe am Forum Romanum, war dies immer ein wenig aufwändiger, denn eine Leiche durch die Stadt zu tragen, selbst nur bis zum Tiber, war immer ein Risiko. Ein Gift hatte für Stille gesorgt, verabreicht durch die einzige Sklavin, welchen die Frau besessen hatte, eine Sklavin, die ohnehin bereits im Netz der Macht gefangen und mittlerweile im Haushalt des Auftraggebers beschäftigt war, ein Fehler, wie der Vogelmann glaubte, denn wer einmal seinen Herrn ermordert hatte, der scheute dies auch nicht ein zweites Mal. Doch im Grunde stand sie letztlich unter seiner eigenen Hand was den Fehler weniger bedauerlich machte, zumindest für ihn. Die Tote hatte nur durch eine Seitentüre, über den Hinterhof und durch den Schacht in den Kanal befördert werden müssen. Dort war sie im Wasser verschwunden, um ihre unauffällige Verwesung zu begünstigen. Dass sie mehr oder weniger unter ihrer eigenen Wohnung bestattet worden war, was bei ihrem Auftauchen durchaus ein Risiko darstellte, da jedermann den Leichnam würde identifizieren können, dies war zum Zeitpunkt ihres Todes kein Hinderungsgrund, geschweige denn eine Überlegung gewesen, denn niemand hatte damit rechnen können, dass die überirdischen Stadtbewohner gerade in dieser Zeit ihre Nase in Angelegenheiten und Gewässer stecken würden, welche sie im Grunde nichts angingen. Dennoch änderte es kaum etwas. Selbst wenn ihre Person festzustellen war, ihre Mörder weilten außerhalb der Reichweite der Stadtwachen, so dass letztlich aus dem unerklärten Verschwinden einer Römerin nur ein unerklärter Mord würde werden.

    Mit einem Messer oder Schwert war es ein leichtes, die Seile des Netzes zu durchtrennen, so dass es nicht einmal der Anstrengung bedurfte, die Steine aus dem Wasser zu ziehen und das Netz dadurch zu lösen. Der nackte Körper, der schließlich zum Vorschein kommen würde, hatte einst einer Frau gehört, unmöglich zu erkennen, welchen Alters genau sie gewesen war, doch unzweifelhaft war sie kein Kind mehr gewesen und auch noch kein altes Weib. An den Händen des Leichnahms fehlten bereits einige Finger und auch die Zehen gaben den Anschein, als hätte die ein oder andere Ratte versucht, ihren Hunger daran zu stillen. Andere Wunden, Stiche gar oder starke Verletzungen, waren äußerlich nicht zu sehen, die Augen der Frau waren geschlossen, ihre Haut aufgedunsen, schwammig. Womöglich lag sie bereits zwei oder drei Tage in der Cloaca, womöglich ein paar Tage länger. Der üble Geruch, welcher von dem langsam vor sich hin verwesenden Körper ausging, war in der Cloaca kaum zu vernehmen, denn er passte sich nahtlos in den Odeur des Abwassers sein, wenn er auch sicherlich zu erahnen war.

    Das Licht der Fackeln schimmerte träge auf das trübe Wasser hinab und manches Mal war es nicht verkehrt, dass niemand, der eine Lichtquelle mehr oder minder aufrecht durch diese Gänge tragen würde, das sah, was dort alles im Wasser verborgen lag. Doch manche Menschen schienen das Schicksal geradezu herauszufordern, sie benötigten kein Licht um Verborgenes zu finden, und manches mal fand auch ein blindes Huhn ein Korn. In diesem Falle glich Caecilius Metellus jenem sprichwörtlichen Huhn, denn er war es, welcher mit seinem Fuß beim nächsten Schritt an etwas Weichem hängen blieb. Würde jemand nun seine Fackel hinabsenken, so konnte man dort, nicht weit unter der Oberfläche des Wassers dünne Fäden hin und her schwingen sehen, schwarz oder braun womöglich, die sich in der fortwährenden leichten Strömung tanzend wie Algen im Wasser bewegten. Doch für Algen waren jene Fäden viel zu dünn und strukturlos, ebenso glichen sie nicht Wolle oder Leinenfäden, zumal sie in zu großer Häufung auftraten. Mochte jemand sich dies genauer ansehen, so würde er womöglich entdecken, dass diese in der Strömung treibenden Haare einst aus einem Kopf gewachsen waren, an welchem sie noch immer hingen, von welchem doch in dieser Lage nur der Hals zu sehen war, welcher sich zu bloßen Schultern und einem nackten Rücken verbreiterte. Viel mehr würde im ersten Kreis des Lichtes nicht zu erkennen sein, erst nähere Betrachtung würde neben dem Schmutz der Cloaca einen nackten Körper erkennen lassen, der leicht schräg unter der Wasseroberfläche hing, durch ein an den Seiten mit Steinen beschwertes Netz dort unten gehalten.

    Acanthus


    Ein Nicken und die Tür öffnete sich weiter, ließ den Besucher herein, einige harrschen Worte zu einem Sklavenjungen und dieser führte Tiberius Vitamalacus bis ins Atrium der Villa Flavia, während ein anderer davoneilte, um den Herrn Furianus zu benachrichtigen.


    Obwohl jener Mann, welcher vor der Porta der Villa Flavia stand, eher einem Bettler ähnelte, als einem Patrizier, so zeugte die dunkle, feine Toga doch von Umständen, über welche Acanthus, der Ianitor der Flavia, nicht zu richten hatte. Gegenteilig, dies waren Umstände, mit welchen er nichts zu tun haben wollte, so dass er den Besucher entweder schnell würde an der Tür abfertigen oder noch schneller würde in die Villa hinein weiterleiten. "Salve, Herr. Wen darf ich in welcher Angelegenheit wem melden?"

    Auch Sciurus bekam in seinem gemütlichen Einzelzimmer mit Vollverpflegung am Abend etwas frisches Wasser mit einem Spritzer Wein, eine Schüssel mit einem nicht näher spezifizierbaren Eintopf und ein Stück Fladenbrot. Er war selten so froh um etwas zu Essen gewesen, nicht etwa da er Hunger verspürte, sondern da es ihn eine Zeit lang von seinen Erinnerungen abhielt. Die Untätigkeit schlug sich weiter auf seine Gedanken nieder, obgleich er versuchte, seinen Kopf zu leeren, krochen die Schatten der Vergangenheit stetig aus den Tiefen ihrer Verbannung hinauf und blockierte ihm den Geist. Es war ein sinnloses Unterfangen, nicht nur, dass Vergangenes immer würde vergangen bleiben, ein Sklave brauchte keine Vergangenheit und Sciurus wollte sie zudem nicht, genügte es ihm doch, diese Tage bereits ein mal durchlebt zu haben. Nachdem das karge Mahl viel zu schnell beendet war, stand er auf und lief durch den Raum, auf und ab, wie eine Raubkatze vor ihrem großen Auftritt in der Arena, ebenso bereit jederzeit denjenigen in Fetzen zu reißen, der es wagen würde, die Käfigtür zu öffnen. Doch niemand kam um die Türe zu öffnen, so fand schließlich denn auch der Sklave inmitten der Nacht seine Ruhe im Schlaf.


    Die wahrhaftige Gestalt des Raumes als Unterkunft der oberen Luxusklasse offenbarte sich dem Sklaven erst am folgenden Morgen, als einige Zeit nachdem er erwacht war ein fahles rotorangefarbenes Schimmern durch den Fensterspalt unterhalb der Decke fiel. Aufgeregt, gleichermaßen erregt schob Sciurus eilig den alten Tisch an die Wand, stellte schließlich das halbe Fass obenauf, kletterte die Konstruktion hinauf und hielt mit Leichtigkeit darauf das Gleichgewicht. Sein Herz pochte schnell, viel schneller als er ihm dies für gewöhnlich selbst in Gefahrensituationen erlaubte, nervös blickte er aus dem Fenster hinaus und als er den schimmernden Halbkreis über den Weinhängen in der Ferne erblickte, kostete es ihn Mühe, nicht laut zu jubeln. Ohne Sciurus' Zutun weiteten sich seine Augen, sein Mund öffnete sich leicht und blieb so in Staunen, während um ihn herum die Welt an Bedeutung verlor.


    Bedächtig, wie eine dicke Schnecke, schob sich der rotfarbene Feuerball langsam über den im Westen sicherlich noch tiefdunklen, doch im Osten um den Strahlenring herum bereits hellblaufarbenen morgendlichen Himmel. Das Rot war unvergleichlich, nicht verlgeichbar mit jeglicher Farbe, welche die Welt preisgab, nicht Gold, nicht Purpur, es hatte nichts von tönerner Erde, nichts vom dunklen Farbton des Opferblutes, auch nichts von menschlichem Blut, nicht die Farbe des Weines, nicht die Farbe des Obstes, ob Kirschen, Melonen oder Beeren, nichts von den Blüten der Rosen, und auch nichts von rotem Gemüse wie Zwiebel oder Radischen. Jene Farbe, welche dort den Himmel bedeckte, durchzogen von Gelb und Orange, gemischt im Farbtopf der Sol, des Helios, des Sol invictus, Ra, Schamasch oder wie auch immer es heißen mochte, jene Farbe war vollkommen und einzigartig, würde es immer sein, immer bleiben, und war doch bereits im Augenblick des Anblickes längst vergangen.


    Sciurus stand auf dem Fass und beobachtete beglückt die Sonne dabei, wie sie die Nacht verdrängte und den Himmel zurück eroberte, und ein erregtes Funkeln brannte in seinen Augen, fast wie die Spiegelung des Feuerballes selbst. Es war Sciurus' siebter Sonnenaufgang. Sieben war eine gute Zahl und er erinnerte sich noch an jeden der sechs vorherig gesammelten noch sehr genau. Er hatte sie in sich bewahrt, detailgetreu, jede Sekunde, jedes einzelne Bildnis, jeden Strahl der sich in seinen Augen sammelte. Es war das einzige, was seine Mutter ihm außer Zorn und Hass hinterlassen hatte, das einzige, was er je von ihr angenommen hatte. Wieder war es der Tag gewesen, an welchem die Wärter sie geholt hatten, jener unbedeutende Tag im Lauf der Welt, an welchem sie an das Kreuz genagelt worden war. Sie hatte nicht nur gesungen an diesem Tag, sie hatte geweint, immer wieder war sie in Tränen ausgebrochen, und Sciurus Empfinden für sie, Ekel und Abscheu, war gestiegen mit jeder einzelnen Träne. Als die Wärter die Türe aufschlossen war sie jedoch verstummt, jedes Geräuscht hatte sich in dem kargen Raum an den Wänden gestoßen, der Schlüssel, welcher sich im Schloss drehte, das Knarzen der Türe, als sie sich öffnete, die Schritte der Männer, welche gekommen waren, sie zu holen. Mit großen Augen hatte Sciurus die Männer beäugt, hatte das Geschehen aufmerksam verfolgt ohne genau zu wissen, was es genau würde bedeuten, und war sich schließlich des Blickes seiner Mutter bewusst geworden. "Bewahre die Erinnerung, Zorn meines Leibes, denn was immer sie dir auch nehmen, die Erinnerung wird dein sein, dein allein für immer." Zorn meines Leibes, Ultor, so hatte sie ihn gerufen, in der Hoffnung, er würde eines Tages den Tod seines Vaters rächen, vielleicht auch in, letztlich begründeter, Befürchtung, dies würde für sie ebenso notwendig sein. Ihr Sohn hatte bereits nach zwei Sommern aufgehört, auf diesen Namen zu reagieren, doch bis zu ihrem Tod hatte sie dies nicht davon abgehalten, ihn zu verwenden. Der kleine Sciurus hatte beobachtet, wie sie seine Mutter fort brachten, die Männer grinsten stupide, bevor sie die Türe schlossen, den Schlüssel drehten und er allein in jenem Raum zurück geblieben war. Doch die Worte seiner Mutter hatten sich ihm zuvor für immer ins Gedächtnis gebrannt, wenn auch vermutlich nicht ganz in jenem Sinne, welchen sie beabsichtigt hatte.


    Sechs Sonnenaufgänge hatte Sciurus seit diesem Tag in seiner Erinnerung aufbewahrt, dies, in jenem kleinen Kellerraum unter einem Weinberg Italias, war nunmehr der siebte. Er genoss ihn in jeder Einzelheit, sog ihn tief in sich auf, konservierte ihn Stück um Stück. Sciurus mochte Sonnenaufgänge nicht nur, weil ihr Genuss führ ihn eine Seltenheit darstellte, er mochte die Farbe der glühenden Sonne, er mochte die Erhabenheit, Gemächlichkeit und Behäbigkeit, mit welcher sie sich von der Erde löste und an den Himmel empor stieg, unbeeindruckt von jeglichem Weltgeschehen, und es stimmte ihn zufrieden, dass diese Sonne jeden Tag aufs Neue die Dunkelheit aus der Welt vertrieb, denn dies war etwas, auf dass man sich verlassen konnte, selbst wenn alles andere zerbrach. Womöglich waren Sonnenaufänge tatsächlich das einzige, was Sciurus in seinem unbedeutenden Leben überhaupt je gemocht hatte.

    An die Zahl der vierbeinigen Ratten konnten sie kaum heranreichen, doch es waren vermutlich mehr Zweibeiner in den Kanälen unterwegs, als den Wasserbeuftragten im Bewusstsein darum wäre lieb gewesen. Seit sich die Nachricht verbreitet hatte, dass Oberirdische in die Unterwelt eingedrungen waren, waren die Späher des Mannes mit der Vogelmaske ausgerückt, um deren Bewegungen aufs Genaueste zu überwachen und Alarm zu schlagen, sobald sie sich in gefährliche Nähe zu den Lagern begeben würden. Sofern sie sich mit ihren Karten und Zählmethoden nicht verliefen, rechnete niemand mit Schwierigkeiten, waren die Lager nicht umsonst abseits vom Hauptstrom der Cloaca. Beinahe lautlos bewegten sich die dunklen Gestalten in der Finsternis, immer außerhalb der Lichtreichweite der Kanalbegutachter, doch trittsicher über die dünnen Fußwege zur Seite des Abwasserlaufes. Wer die Spuren in den Mauern lesen konnte, der brauchte hier unten kein Licht.

    Acanthus


    Die Verbeugung ließ Acanthus sogleich erkennen, mit welcher Art von Bittsteller er es zu tun hatte, doch natürlich war er angewiesen worden, kommende Bewerber ins Haus zu lassen. Und wer war er schon, dass er darüber entscheiden würde, obgleich er sich für diesen bunten Vogel kaum großartige Chancen ausrechnete. Es würde sicherlich das erste und letzte Mal sein, dass er ihm Einlass gewährte. So schnippte er denn mit den Fingern nach einem der Sklaven und zog die Tür weiter auf.
    "Der Junge wird dich zu Flavius Gracchus bringen."


    Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Türe auch bereits, und schon während sie dies tat, bedauerte Acanthus, der Ianitor der Porta der Villa Flavia, dies. Eine Duftwolke schlug ihm entgegen, gegen die jener Gestank nach ordinärem Blütenwasser der dürren Dara aus dem Badetrakt der Villa wie die Flatulenz einer Fliege verwehen würde. Auf diese Art und Weise bereits vorgewarnt, rümpfte Acanthus die Nase in marginaler Weise nicht erst ob des Äußeren des Besuchers wegen. "Ja, bitte?"

    Die
    Gens Flavia
    sucht einen
    PAEDAGOGUS


    Die Beherrschung der Griechischen Sprache in Wort und Schrift, sowie Philosophie- und Literaturkunde sind Voraussetzung. Interessenten melden sich in der Villa Flavia.



    Zitat

    Original von Quintus Tullius
    Nur ein sehr schmaler Lichtstreifen fiel in einen benachbarten Keller, mit einem ebenso hohen Gewölbe, zwei Öllampen aus grobem Ton gearbeitet.


    Ein ganze Weile nun schon saß Sciurus auf dem Boden des dunklen Kellers, blickte versonnen zur Flamme einer Öllampe hin und sah sich einer Situation gegenüber, der er vollkommen machtlos ausgeliefert war. Nicht etwa der Umstand, dass sein Herr womöglich sich in Gefahr befand, nicht die Tatsache, dass er selbst in diesem Loch gefangen gehalten wurde war es, was ihn über die Maßen verstörte und aus seinem tiefen inneren Gleichgewicht brachte, sondern jenes Faktum, dass ihm nun, da er eine Weile tatenlos verharrt hatte, die Gedanken verließen. Sein Leben lang, zumindest soweit er sich erinnern konnte, hatte sein Leben keinen anderen Zweck gehabt, als seinem Herrn oder seiner Herrin zu Diensten zu sein, seine Gedanken galten forwährend diesem Zweck, ständig war er in das Bemühen vertieft, bereits im Voraus zu erahnen, was der Herr sich wünschen würde, noch bevor er es selbst wusste, beständig war er jederzeit bereit diese Wünsche zu erfüllen, selbst im Schlaf blieb er halb wach und stets parat. Ging er seinen eigenen Geschäften nach, so galt seine Konzentration ganz seiner Aufgabe, doch selbst dann drehten sich seine Gedanken meist um Dinge, welche noch zu erledigen sein würden. Dass er jedoch völlig mit sich alleine, sich selbst und seinem Innersten überlassen war, dass er Zeit hatte über etwas nachzudenken, was nicht der Gegenwart oder Zukunft galt, dies hatte er nicht mehr erlebt, seit er ein Kind gewesen war.


    "Wenn die Nacht den Schleier niedersenkt auf Felder, Wald und Tal, erheben sich die Schatten aus den Gräbern grau und fahl." Er lauschte seiner eigenen, leisen, rauhen Stimme, als er die Worte eines Liedes formte, dessen er sich ob seiner Mutter erinnerte. "Und so zieh ich meine Kreise, ehre die Ahnen auf meine Weise, hebe den Blick und lass ihn schweifen, ihr traurig Schicksal zu begreifen." Es schien ihm nun merkwürdig vertraut, obgleich er nie einen Sinn für die Verganenheit hatte, obleich er keine Ahnen vorweisen konnte. Er versuchte die weiteren Zeilen zu memorieren, doch die Worte verblassten in seinen Ohren, verstummten vor seinen Augen. Es war die Beschaffenheit des Raumes, welche diese Erinnerung in ihm aufkommen, aus den Tiefen seines Bewusstseins hinauf kriechen ließ, denn das Gewölbe, die leichte Feuchtigkeit im Raum, die Tür samt dem kleinen, vergitterten Fenster, dies alles war so ähnlich dem Raum, in welchem seine verhasste Mutter das Lied leise gesungen hatte, während sie auf die Wächter wartete, die sie ans Kreuz nageln sollten. Sie hatte ihren Sohn fest umschlungen gehalten, den Sohn, der schon damals nichts als Kälte und Verachtung für sie empfand. Sciurus war nicht dabei gewesen, als sie sie ans Kreuz nagelten, doch er hatte ihre Schreie, ihr Jammern gehört, über Stunden hinweg, und sich geschämt, ihrem Leib entsprungen zu sein. Zwei Tage lang war sie gestorben, zwei Tage während der Sciurus wieder und wieder zu den Vorratskammern neben dem Stall geschickt worden war, so dass er wieder und wieder an ihr vorbei gehen musste. Am dritten Tag wusste er nicht, ob sie noch am Leben war, denn ihre Augen blickten nur starr auf ihn herab, müde und leer, als er vor dem Kreuz stand und emporblickte. Der Vilicus war über den Hof gelaufen, einige Trauben in der Hand, und hatte ihm lachend davon eine hingehalten. 'Die Guten bekommen Trauben, die Schlechten landen am Kreuz.' Sciurus hatte sich die Traube in den Mund gesteckt und war ihm gefolgt. Am nächsten Tag war das Kreuz fort, der Leichnam seiner Mutter irgendwo verscharrt worden.


    Seitdem hatte er viele Trauben gegessen, doch jene Erinnerung war tief in ihm verschwunden, bis zu diesem heutigen Tag, an dem er sich der Untätigkeit gegenüber sah, an dem nichts Gegenwärtiges oder Zukünftiges zu planen war, nur einzig die Vergangenheit blieb.