Ohne sich recht um seine Passagiere zu kümmern, pflügte das Schiff durch die Wellen, ließ das Land weit und weiter hinter sich, obgleich nie aus der Sicht. Ein günstiger Wind blähte die vergilbten Segel auf und trieb die kleine Schaluppe unermüdlich dem fernen Hispania entgegen, während sich tief im Süden graue Wolken über den Horizont schoben. Vier Tage, vielleicht Fünf, ohne Tun, ohne Aufgabe, verschwendet bis auf die ersten Stunden, die Aussicht gereichte Sciurus nicht unbedingt zum Gefallen, gegenteilig erfreute ihn, dass er auf Hannibal wohl kaum würde achten müssen. "Du wärst erstaunt, was ich alles kann, Hannibal. Was ich tat, tue und tun werde, erfüllte schon immer seinen Zweck. Dass du diesen nicht erkennen kannst, erstaunt mich nicht. Ebensowenig, dass du augenscheinlich nur das beurteilst, was du sehen kannst und dazu neigst, deine Umgebung zu unterschätzen."
Sciurus blickte noch einmal auf die dunklen Wolken im Süden. Der Regen würde sie kaum erreichen, würde er doch eher ins Innere Italias ziehen als aufs offene Meer hinaus, von wo er kam. Als der Sklave an Hannibal vorbei trat, blieb er für einen kurzen Moment hinter diesem stehen. "Bleib hier hinten, richte deinen Blick nicht nach unten, sondern auf die Horizontlinie, und hör auf, deinen Kopf gegen das Meer zu stemmen, denn es ist nicht dein Körper, der dies tut. Du bist jetzt ein Teil der See, finde dich damit ab." Obgleich es ihm gleich war, wie Hannibal sich in den nächsten Tagen fühlen würde, so hatte Sciurus keine Lust, in Hispania angekommen auf ihn Rücksicht zu nehmen, doch war er sich ebenso dessen bewusst, dass er ihn nirgendwo konnte zurück lassen, denn als Leibsklave war Hannibal wie er selbst ein kostbares Gut.
Ohne auf den Wellengang zu achten zog sich Sciurus in eine Ecke an Deck zurück, bezog Quartier auf einer Kiste vorn, nahe des Bug, verließ diesen Platz nur, um sich am Abend seine Essensration zu holen oder um sich zu erleichtern. Bis zum Abend schoben sich die Wolken doch aus dem Süden herauf und überzogen den Himmel, doch auch als es nach der Dämmerung anfing, leicht zu nieseln, rührte sich Sciurus nicht, blickte starr auf das Meer hinaus und hing seinen ganz eigenen, leeren Gedanken nach, bis er sich schließlich neben der Kiste zusammenrollte und einschlief, zugedeckt von Wind und Regen, in den Schlaf gesungen vom Pfeifen des Windes und dem Rauschen der See.
Wenigen Stunden später nur tauchte der blonde Schopf bereits wieder hinter der Kiste auf, suchte mit forschenden Augen den Horizont ab. Die Regenwolken hatten sich verzogen, nur vereinzelt hingen noch Fetzen am Horizont. Sciurus kletterte auf die Kiste, setzte sich darauf und wartete geduldig. Er zitterte, als sich im fernen Osten ein heller, rotfarbener Streifen über das Meer schob, sein Körper spannte sich an, der Atem beschleunigte sich und seine Pupillen weiteten sich vor Aufregung. Längst hatten sich die Wolken über dem Schiff verzogen, vielleicht war auch die Schaluppe nur ihnen entwischt, und der Himmel bot den Anschein, als würde ihnen ein Tag voll Sonnenschein bevorstehen. Es war nicht das erste mal, dass Sciurus an Bord eines Schiffes war, doch zuvor hatte er immer einen Herrn begleitet, war vor diesem aufgestanden, um für dessen morgendliches Erwachen alles zu bereiten, und war so nie in den Genuss eines Sonnenaufganges auf dem Meer gekommen, wie er ohnehin ob seiner Aufgaben so selten in Genuss dieses Augenblickes kam.
Langsam fing der Himmel an zu bluten, wurde in tiefes, flammendes Rotorange getaucht, durchbrochen nur von dem kleinen gelbfarbenen Ball, der sich gemächlich über die Horizontlinie schob. Schon auf dem Festland fraß der Sonnenball den Himmel mit seinen roten Strahlen auf, doch hier inmitten des Wassers schien es, als wolle die Sonne nicht nur an das Firmament emporsteigen, sondern gleichsam die Welt unter sich verschlingen. Doch gleichsam, da keine Wolke dort am Horizont ihr Emporsteigen störte, hatte es gar ebenfalls den Anschein, als komme die Sonne nicht hinter dem Wasser hervor, sondern mitten aus den Reichen der Meeresgötter hinaus. Was mussten das für gewaltige Götter sein, welche den glühenden Ball Tag um Tag aus ihrem Schlund spien! Je weiter sich der Kreis aus der See erhob, desto mehr glühte auch das Meer unter ihm in rotfarbenem Schein, desto weiter leckte das Feuer der Sonne über die Oberfläche des Wassers und entzündete sie. Der Himmel stand in Flammen. Die See stand in Flammen. Nie in seinem Leben hatte Sciurus etwas schöneres gesehen.
Viel zu kurz währte der Augenblick, dann war der Kampf vorbei und ein schmaler Streifen schob sich zwischen Sonnenball und Wassermasse. Obgleich das Meer noch eine Weile brannte, so verschluckte das Wasser schließlich die Feuersbrunst, erloschen die Flammen, je weiter sich die Sonne an den Himmel empor hob. Voller Entzücken schloss Sicurus die Augen, betrachtete das flammende Meer. Sein Vermögen war um einen unglaublichen Schatz bereichert worden.