Um Brutus war es nicht besonders schade, befand Sciurus nebenbei, während seine Aufmerksamkeit Tullius galt, doch vermutlich würde es nicht einfach werden, das Verschwinden des Sklaven im Haushalt zu erklären. Ohne sich über die Schlichtheit des Mobiliars Gedanken zu machen, Sciurus hatte in seinem Leben bereits auf weit schlimmeren Sitzgelegenheiten Platz genommen, setzte er sich, wie der Mann, der seinem Herrn so verwirrend ähnlich sah, es von ihm verlangte, fast ein wenig schon allein deswegen, weil er jener befehlenden Stimme niemals zuvor nicht gehorcht hatte. In der Ruhe des Raumes nun wurde sich der Sklave gänzlich gewiss, dass dies nicht einfach nur ein Bastard des Vaters seines Herrn sein konnte, denn das Abbild war beinahe gänzlich perfekt und wie auch immer die Erklärung dessen lauten mochte, dass sein Herr nichts davon wusste, doch dieser Mann war zur gleichen Zeit dem Leibe seiner Mutter entsprungen, wie er. Sciurus bedauerte, vor der Tür nicht den Inhalt der zuvor gesprochenen Worte vernommen zu haben, denn es wäre wissenswert gewesen, ob Quintus Tullius davon gewusst hatte, doch der Anblick seines Erstaunens an der Tür im Angesicht des Doppels ließ wohl eher darauf schließen, dass er ebenso unwissend gewesen war.
Der Dolch indes, samt des toten Brutus, bestätigte Sciurus anderweitige Vermutungen hinsichtlich der Person des Tullius, so galt es denn weiterhin äußerst vorsichtig und bedacht vorzugehen. Er mochte aussehen, wie sein Herr, doch dieser Mann war von gänzlich anderem Schlag und während Flavius Gracchus niemals in der Lage gewesen wäre, auch nur daran zu denken, einen wenn auch ihm unbekannten Bruder tatsächlich in den Tod zu schicken, so würde Quintus Tullius keinen Augenblick zögern, wenn es notwendig wurde, dies stand nur all zu deutlich in seinen Augen. "Er mag Angst vor dem Sterben haben, nicht jedoch aus Furcht vor dem Tod, wie ich meine, sondern viel mehr aus Furcht darüber, dass der Zweig seiner Familie aussterben könnte." Der Sklave ließ seinen Blick über die friedlichen Gesichtszüge seines Herrn gleiten, der flach atmend, doch augenscheinlich völlig sorglos in Tullius Händen lag. "Doch in diesem Augenblick, glaube mir, könnte es für ihn nur eine Erleichterung sein, in Unwissenheit zu sterben, in die Gefilde der dunklen Götter überzugehen und im nächsten Gedanken dort drüben schon erkennen zu dürfen, dass all dies Geschehen und Sorgen dieser Welt völlig nichtig ist." Er rollte den Draht in seinen Händen langsam zusammen, völlig ruhig, als würde all dies weder sein eigenes Leben, noch das seines Herrn tangieren. Vermutlich hatte sein Herr die Beherrschung verloren, weshalb er da am Boden lag, darum musste Sciurus nun um so mehr auf der Hut sein.
"Doch so einfach, wie du dir diese Wahl vorstellst, ist sie nicht. Was soll ich den Sklaven sagen? Dass wir einige Tage in der Subura verbringen werden?" Er lachte kurz in einem trockenen, humorlosen Laut auf. "Kein Mensch würde das glauben. Du magst ihn nicht kennen, doch glaube mir, Flavius Gracchus ist kein Mensch, der sich in den Regionen Roms, in der eine Sänfte nicht rechts und links zwei Fuß Abstand zur nächsten Mauer hat, länger als notwendig aufhält. Natürlich kann ich den Sklaven befehlen, dass sie nichts sagen, dass sie schweigen sollen, doch auch das würde in der Villa Flavia auffallen, genau so wie sein Ausbleiben. Niemand kann in dieser Villa lange ausbleiben, ohne dass gleich der halbe Hausstaat in Sorge aufgeht. Die Flavia sind eine sehr familiäre Gens, spätestens nach einem Tag würde man ihn beim Mahl vermissen und keiner der Verwandten würde ruhen, bis er nicht wüsste wo und warum und wann und wieso der Herr nicht anwesend ist, insbesondere seine Gemahlin." Sciurus log, als wäre dies das Natürlichste der Welt. Niemand würde das Verschwinden von Flavius Gracchus bemerken, geschweige denn sich darüber Gedanken machen, nicht seine Geschwister, nicht seine Vettern, und am aller wenigsten seine Gattin. Der einzige, welcher den Herrn vermissen würde, wäre vermutlich der als Barbier tätige Sklave, denn er schätzte es sehr, wie Gracchus seine Gründlichkeit schätzte. "Von seinen magistratischen Pflichten ganz abgesehen, denn auch hier würde sein Fehlen bemerkbar werden. Kein Mann verschwindet in Rom, ohne dass das unbemerkt bleiben würde, kein Magistrat, und schon gar nicht ein Flavier."
Beiläufig nickte Sciurus zur Tür. "Ich werde sie fort schicken, doch ob wir mehrere Tage deine Gäste sein können, dies solltest du dir gut überlegen. Denn die Flavia haben ebenso schnell eine Peitsche in der Hand, und einer von ihnen wird früher oder später sagen, wo wir sind."