Da die Tempel während der Parentalia geschlossen waren, verbrachte Sciurus' Herr viel Zeit in der Villa, und da er sich auf sein bevorstehendes Amt als Vigintivir vorbereitete, brauchte er allerlei Informationen, von welcher es an Sciurus war, jene in den Archiven der Stadt zu beschaffen. Gleichsam bot dies dem Sklaven die Gelegenheit, anderen Geschäften nachzugehen, denn wie lange Informationsbeschaffung dauerte, dies war unmöglich im Vorneherein zu sagen, obwohl es seinem Herrn ohnehin nicht auffiel, wenn er erst unbotmäßig spät am Abend in die Villa zurück kehrte. Die Archive hatten schon geschlossen, da trieb sich Sciurus darum noch immer in den Gassen Roms herum, genauer gesagt in jenen der Subura, holte andere Art von Informationen ein, bevor er an der schmalen Haustür einer schäbigen Insula klopfte und eingelassen wurde. Wortlos führte der hagere Mann hinter der Tür ihn durch eine Werkstatt, in welcher Ton in allerlei verarbeiteter und unverarbeiteter Form lagerte, führte ihn bis in einen kleinen Raum, welcher über und über voll Kisten gestapelt war. Der Hagere schob einen Stapel bei Seite, zog einen schäbigen Sack vom Boden und öffnete die darunter zum Vorschein kommende Luke. Noch immer wortlos drückte er Sciurus eine Fackel in die Hand, entzündete sie mit einer Öllampe und nickte in die Dunkelheit zu seinen Füßen hinab. Es gab wenige Häuser in Rom, welche einen direkten Zugang zu den Kanälen besaßen, der nicht durch das Loch einer Latrine führte, und um so begehrter waren sie bei jenen, welche die Kanäle für ihre eigenen Zwecke nutzten. Die Insula, zu deren Wurzeln Sciurus nun in das Gewirr aus dunklen Gängen trat, lag nicht so weit im Inneren der Subura, als dass sie mit ein wenig Arbeit nicht ein angenehmes Haus hätte sein können, in dessen Erdgeschoss florierende Geschäfte ihren Platz, im ersten Stockwerk durchaus gut betuchte Händler und in den oberen Stockwerken andere Personen eine Wohnung hätten finden können, als das Gesindel, welches dort hauste und zum widerlichsten Bestandteil Roms gehörte. Doch der Mann mit der Maske protegierte jenes Haus und solange er dies tun würde, würde kein Mensch bei Verstand auf die Idee kommen, in jenes Gebäude einen Schritt tun zu wollen, alleine aus Furcht sich schon beim Betreten eine Krankheit zu holen. Die meisten Menschen, die an jenem Haus vorbei liefen taten dies sogar, ohne es eines Blickes zu würdigen, womöglich aus der gleichen Furcht heraus nur bereits auf den Anblick bezogen.
Seine Füße lenkten Sciurus beinahe wie von selbst, er kannte diese Gänge lange genug. Wo der Vogelmann derzeit residierte, dies hatte er bereits an der Oberfläche der Stadt erfahren, so dass er nun nicht erst nach den Zeichen ausschau halten musste. Es blieb ihm erspart, sich der Cloaca Maxima all zu weit zu nähern, denn sein Weg führte ihn nach Norden hin, Richtung der Via Lata. Natürlich war auch hier der Gestank des Abwassers nicht parfümiert, doch nichts hielt dem Vergleich mit dem großen stinkenden Wasser stand, welches den Dreck zum Tiber hin führte. Sciurus nahm einige Abzweigungen, folgte dem Verlauf eines langen Rinnsals, bog noch ein paar Mal ab und klopfte schließlich zwei mal lang und einmal kurz an eine hölzerne Tür, die den Anschein erweckte, als wäre sie in den letzten hundert Jahren nicht geöffnet worden. Er wusste, dass dies mitnichten der Fall war, und es verwunderte den Sklaven immer wieder ein wenig, wie dies möglich war, doch er machte sich wenig Gedanken darüber, sollte man sich doch nicht über allzu viel im Regnum obscurum wundern.
Die Pforte öffnete sich und sogleich fiel Sciurus helles, warmes Licht von unzähligen flackernden Lampen und Fackeln entgegen. Er betrat einen großen Raum, beinahe ein Halle, in der sich eine größere Ansammlung der verschiedensten Gestalten tummelte. Er mochte es nicht, wenn der Mann mit der Maske sich in Gesellschaft befand und in eben jener Gesellschaft seine Geschäfte abschloss, Sciurus trat ihm lieber allein gegenüber. Doch der Vogelmann war genau dann genau dort wann er wo sein wollte, und niemand stellte dies in Frage oder kam auch nur auf den Gedanken, ihn um eine diesbezügliche Änderung zu bitten. Ungeduldig reihte sich Sciurus zu den Wartenden, trug jedoch dafür Sorge, dass er den meisten anderen Bittstellern vorgezogen wurde, denn immerhin stand ihm nicht jene Zeit zur Verfügung, welche die unnützen Maden dieser Gesellschaft für sich gepachtet hatten.
Als er schließlich vor jenem Tisch stand, an dem der Vogelmann seine Geschäfte abwickelte, begrüßte ihn dieser mit einem Nicken und Sciurus glaubte einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme zu vernehmen.
"Sieh an, sieh an. Ich dachte schon, dein Herr würde dich nicht mehr hinaus lassen. Oder war es vielleicht Sica, der dich hinter den dicken Mauern der Villa Flavia hielt?"
"Ich hatte zu tun." Sciurus zog ein Bündel Papyrus aus einem Beutel und warf sie auf den Tisch. "Es ist mehr, als du brauchen wirst, aber was du brauchen wirst, ist dabei."
"Du bist wohl wie immer nur wegen des Geschäfts hier, hm? Zu schade, dabei wollte ich dir ein wenig über deine kleine Freundin erzählen. Nun denn, richte Sica aus, dass sie sich noch immer in der Stadt herumtreibt. Wahrscheinlich weiß er es ohnehin schon, aber diese Information ist für euch kostenlos. Nicht, dass sie ein Problem wäre, dafür ist sie viel zu dumm. Andererseits sind es manches mal gerade die Dummen, die gefährlich sind." Er wackelte unschlüssig mit dem Kopf, der Schnabel an seiner Maske verstärkte den Eindruck der Bewegung noch.
"Das dumme Ding? Sie treibt sich in der Subura herum, Malleus hat es mir schon gesagt." Sciurus hatte ein wenig mit sich gehadert, als er jene Information erhalten hatte. Er hasste diese Sklavin, er hasste alle blonden Germanen, wie er alle Germanen überhaupt hasste, denn nichts erinnerte ihn so sehr an seine schäbige Mutter und an jene blasse Ahnung eines Mannes, der sein Vater gewesen sein musste. Doch letztlich stellte sie tatsächlich keine Gefahr dar, für nichts und niemanden, darum war es Verschwendung, auch nur über ihr Leben nachzudenken, weswegen er das Thema wechselte. "Hast du noch etwas für mich?"
Ein eifriges Nicken bewegte den Kopf hinter der Maske. "Ja, ja, tatsächlich habe ich noch etwas. Wir benötigen ein weiteres Siegel, das letzte ist uns ... nun, sagen wir, es ist uns bei einem bedauerlichen Unfall abhanden gekommen."
Die Miene des Sklaven verdunkelte sich. "Du weißt, dass ich es nicht mag, meinen Herrn in diese Dinge hinein zu ziehen. Tut es kein anderes Siegel? Das eines Pontifex, meinetwegen auch das des Pontifex Maximus?"
"Ach, ach, Sciurus, du musst dich endlich von dieser närrischen Treue gegenüber deinem Herrn lösen. Was nützt uns das Siegel des Pontifex Maximus, wenn jedes Dokument fünfmal überprüft wird? Jeder Mann muss wissen, wann er bescheiden sein muss, kein Mensch schaut auf die Weisung eines Sacerdos. Zudem wird dein Herr ohnehin nicht mehr lange Mitglied des Cultus Deorum sein, davon abgesehen, dass es hunderte Sacerdotes gibt, sollte also etwas schief gehen - was es nicht tun wird - so wird niemals etwas auf ihn zurückfallen. Also tu mir den Gefallen, Sciurullus."
Es war nicht etwa so, dass Sciurus eine große Wahl hatte, denn dem Mann mit der Maske schlug man keinen Gefallen ab, wollte man nicht vorzeitig aus dem Geschäft aussteigen, da nützte auch kein Zorn über die Art und Weise, wie er sich die Dinge nahm, etwas. "Ich werde sehen, was sich machen lässt. Zur Zeit sind die Parentalia und die Amtsübernahmen können jederzeit stattfinden."
"Oh ja, mal sehen, möglicherweise könnte uns ein Vigintivirensiegel auch von Wert sein, von denen gibt es immerhin auch mehrere. Allerdings ist es vielleicht schon wieder zu auffällig. Nun, du machst das schon, da bin ich mir sicher. Das war alles, du kannst gehen." Der Vogelmann nahm eine Mandel aus einer Schale vom Tisch und steckte sie in seinen Mund. Sciurus' Angelegenheiten waren damit für ihn erledigt.
Der Sklave verließ das Schattenreich auf gleichem Wege, wie er hinab gelangt war, durch jene schäbige Insula in der Subura. Der Mann in der Werkstatt des Töpfers sprach wiederum kein Wort als er ihn in das dämmrige Licht hinaus auf die Straße ließ. Sciurus blickte sich kurz um, ging einige Schritte bis zu einer Garküche, vor welcher er stehen blieb und taxierte von dort aus die vorbeigehenden Menschen, bevor er sich auf den Weg zurück zur Villa Flavia machte.