Auch wenn es heute sein Recht gewesen wäre, seinem Herrn eine bösartige Bemerkung zu entgegnen, so schluckte Sciurus sie hinunter. Das, was dieser verlangte, und die Freude welche es ihm zudem zu bereiten schien, brachten eine gewisse Wut in dem Sklaven auf. Doch er hatte sich vorbereitet. Er knotete das Säckchen mit dem Geschenk der Herrin Leontia an seinem Gürtel fest, löste eine Pergamentrolle, welche in jenem steckte und nahm sie in die Hand. Als er nach einem Räuspern sprach war sein Blick erhoben.
"Io Saturnalia." Es klang eher danach, als wolle Sciurus die Finanzlage der Flavia auflisten, denn als wolle er einen fröhlichen Saturnaliengruß sprechen. Doch schließlich holte er tief Luft und begann seine Rede. Als Haussklave war er durchaus geschult darin, seine Herren mit Texten und Gedichten zu erfreuen, und darum war es Teil seiner Ausbildung gewesen, jene auch ansprechend vortragen zu können.
"Die Tradition gebietet an den Saturnalien die Gleichheit aller Menschen und Sklaven. Sie gebietet Ausgelassenheit und Geschenke. Sie gebietet gelehrte und tiefsinnge Gespräche, solange die Zungen dazu noch nicht zu schwer sind. Mein Herr bestimmte mich zum Saturnalienkönig, soviel zur Gleichheit aller. Doch wie es die Tradition gebietet werde ich für die Einhaltung dieser Tradition Sorge tragen. Bevor wir mit dem Mahl beginnen, soll das Ferkel für Saturnus geopfert werden, doch aufgrund der Gleichheit aller fehlt uns ein Priester. Ich habe mir lange überlegt, wie diesem Dilemma zu entkommen ist, als mir der gute alte Lucretius in die Hände fiel."
Er entrollte das Pergament und las. "Warnung vor den Priestern.
Jeweils denkst du vielleicht von den dräuenden Worten der Priester
Heftig bedrängt und bekehrt aus unserem Lager zu fliehen!
Denn was könnten sie dir nicht alles für Märchen ersinnen,
Die dein Lebensziel von Grund aus könnten verkehren
Und mit lähmender Angst dein Glück vollständig verwirren!
Und in der Tat, wenn die Menschen ein sicheres Ende vermöchten
Ihrer Leiden zu sehn, dann könnten mit einigem Grunde
Sie auch der Religion und den Priesterdrohungen trotzen.
Doch so fehlt für den Widerstand wie die Kraft so die Einsicht,
Da uns die Angst umfängt vor den ewigen Strafen der Hölle."
Sciurus lies ein Ende der Schrift los, so dass sie sich in ihre ursprüngliche Form zurückrollte. "An diesen überaus fröhlichen Tagen sollten wir gegen die Angst gefeit sein und genügend Kraft und Einsicht aufbringen, um zu erkennen, dass wir sie nicht brauchen, die Priester." Er warf die Schriftrolle achtlos bei Seite, gab einem der Freien ein Zeichen und trat an den kleinen Altar. Bis er das Opfermesser aufgenommen hatte, wurde bereits das Schwein in den Raum getragen und auf dem Altar abgestellt. "Ein Schwein für Saturnus, wie es ihm zusteht, als Dank von uns allen, gleich wie wir sind." Schneller, als irgendwer es hätte verhindern können, hatte Sciurus schon das Messer über den Hals des Tieres gezogen, welches dies mit einem empörten Quieken kommentierte, schließlich regungslos darnieder sank.
"Bona Saturnalia, Familia Flavia! Möge das Mahl euch munden."
Sciurus legte das Messer auf dem Altar ab und wandte sich den Klinen zu, als gäbe es nichts natürlicheres für ihn, als dort Platz zu nehmen. Im Hintergrund nahmen fünf Frauen ihr Spiel mit Tibia, Fistula, Trigonum, Tympanum und Cymbala auf, und einige Männer brachten süßen Wein, Brot, Epityrum und Oliven.