Beiträge von Sciurus

    Sciurus nahm den Brief für seinen Herrn entgegen und öffnete ihn, so wie er jeden Brief für seinen Herrn öffnete, um zu entscheiden, welche tatsächlich wichtig waren. Ein Anflug von Erstaunen überzog sein Gesicht, als er die Worte las, schließlich rollte er das Pergament wieder zusammen und verbarg es in seiner Hand. Dies war nichts, was Gracchus unter die Augen kommen musste, war es entweder blanker Unsinn oder Hohn, womöglich auch beides. Doch ohne Absender würde es ohnehin nichts nutzen.

    Aus dem Peristylium kommend trug ein Sklave den leichten Körper des schlafenden Serenus in das bereits vorbereitete Zimmer hinein und setzte ihn auf dem Bett ab. Er löste die Sandalen und den Gürtel und zog dem Kind sodann die Tunika über den Kopf. Serenus murmelte undeutliche Worte, wachte jedoch nicht mehr richtig aus seinem Halbschlaf auf. Es war nicht ganz einfach, die Arme des Knaben durch die Ärmel des Nachtgewandes zu schieben, doch der Sklave hatte bereits Erfahrung in solchen Dingen - betrunkene Männer, gleich welchen Alters, waren auch nicht besser als ein schlaftrunkenes Kind. Er deckte den jungen Herrn zu und wäre beinahe über den Hund gestolpert, welcher bereits vor dem Bett lag und seinen Kopf auf seine Vorderpfoten gebettet hatte. Der Sklave zuckte nur mit den Schultern und verließ das Cubiculum.

    "Was sollte das? Mumbius macht nur seine Arbeit und er macht sie gut und billig. Ich sagte dir doch, dieses giftige Verhalten bekommt dir nicht. Wen schert es, woher das Zeug stammt? "
    "Mich schert es." zischte der Sklave aufgebracht und warf wütend den Becher auf den Boden, aus welchem der Rest der Flüssigkeit über den sandigen Grund floss und diesen rotfarben tränkte. Sciurus stützte beide Hände auf den Tisch und beugte sich zu Taurus. "Mich schert es, bei den Göttern des Infernos!" Er richtete sich auf und deutete auf das Diebesgut. "Das Zeug stammt aus der Villa Flavia! Was haben unsere eigenen Leute dort zu suchen?"
    "Reg dich nicht auf. Sie ziehen von Haus zu Haus, da kommt jede Villa mal dran."
    "Aber nicht die Villa Flavia! Porca miseria! Praetorianer, Cohortes Urbanae, der Abschaum der ganzen Stadt geht bei uns ein und aus, und in der Nacht patroullieren die Vigiles extra oft durch das Viertel!" Seine Wut herunterschluckend kniff Sciurus die Augen zusammen. "Das vereinfacht die Arbeit nicht gerade, weder in der Nacht, noch am Tag. Sorgt dafür, dass so etwas nicht wieder passiert, hast du verstanden?"
    "Ich habe verstanden, mein lieber Sciurus. Du warst ja laut genug. Etwas weniger Emotionalität und etwas mehr Selbstbeherrschung ständen dir gut zu Gesicht. Steht nicht Sica der Villa Flavia vor? Du solltest dir an ihm ein Beispiel nehmen." Gleichsam wie die Worte durch einen freundschaftlichen Ton unterlegt waren, strahlten sie ebenso eine verborgene Drohung aus. "Dennoch werden wir dafür sorgen, dass die Information gestreut wird, wenn nicht Mumbius das schon für uns erledigt. Für diese Aufgabe hast du dir tatsächlich den richtigen hergenommen, Mumbius wird seine Panik weitergeben, da bin ich mir sicher. Doch ich biete dir noch mehr, wir werden zusätzlich kundtun, dass die Villa Flavia unseren besonderen Schutz genießt. Meinetwegen kannst du den Plunder mitnehmen, wir werden den Wert schon anderweitig wieder eintreiben." Beinahe gelangweilt ob des unnötigen Themas schob Taurus eine Silberkanne über den Tisch zu Sciurus hin.
    Dieser jedoch lachte nur kehlig. "Du warst niemals ein Sklave, oder, Taurus? Soll ich es mit zurücknehmen und meinem Herrn beim Abendessen auf den Tisch stellen? Soll ich ihm sagen, ein freundlicher Spender hat es vor der Tür abgestellt? Schmilz es ein und sorge dafür, dass es nie wieder irgendwo auftaucht. Alles andere bringt nur noch mehr Soldaten in unsere Nähe." Damit war die Angelegenheit für Sciurus erledigt, er zog die Tabulae aus seiner Tasche, schob das Silbergeschirr vor Taurus zur Seite und legte seine eigene Ware auf den Tisch. "Kommen wir zum Geschäftlichen."


    Es dauerte nicht lange, bis die Beiden sich einig waren. Der Sklave kannte den Wert seiner Ware sehr genau und Taurus kannte Sciurus lange genug, als dass er nicht wusste, dass dieser keine langen Verhandlungen liebte. So verließ Sciurus alsbald den Raum, nahm im Gang davor seine Fackel wieder auf und machte sich auf den Rückweg durch die Eingeweide der Stadt, bis hinauf zur oberen Welt. Der kleine Zwischenfall mit Mumbius hatte ihn lange genug aufgehalten, er musste sich für den Rest seiner Besorgungen sputen, wenn sein Herr die fehlende Zeit nicht bemerken sollte.

    Eher beiläufig blickte Sciurus über die Ware, um welche verhandelt wurde, als sein Blick auf einem tönernen Teller haften blieb. Ein weißer Löwe zierte die Innenfläche und bunte Edelsteine prangerten auf dem Rand. Augenblicklich wurde ihm gewahr, woher diese Stücke stammten, er brauchte nicht einmal die Initialen auf den beiliegenden Silvesterlöffeln zu lesen.
    "Wo hast du das her?" Seine Stimme schnitt scharf durch den Raum und würgte jedes weitere Wort ab. Taurus schaute nur mäßig begeistert auf, der Blick des dicken Mumbius schwankte zwischen Entsetzen, Trotz und tatsächlicher Unwissenheit.
    "Wo hast du das her?" Sciurus stellte den Becher hart auf dem Tisch ab, so dass etwas Wein über den Rand schwappte, und dunkelrote Tropfen bis auf die Platte hinab liefen. Der Sklave zog sein Messer, welches wieder an seinem Gürtel steckte, packte Mumbius und hielt ihm die Klinge an die Kehle. "Ich werde nicht noch einmal fragen."
    "Ich habs zum Verkauf bekommen. Ich verflüssige es nur, ich schwöre dir bei Mercurius, es ist gute Ware, es ist alles echt ..."
    "Von wem?"
    "Gaius! Ich habs von Gaius bekommen! ..."
    "Lass ihn los, Sciurus."
    "Diese Ware stammt aus der Villa Flavia!"
    Mumbius versuchte sich aus dem Griff des Sklaven zu winden, erreichte jedoch nur, dass Sciurus das Messer noch näher an seinen Hals brachte.
    "Das mag sein," stammelte Mumbius. "... das mag sein ... ich frage nicht, woher sie stammt."
    "Das solltest du aber! Buono a nulla! Niemand, niemand vergreift sich am Eigentum der Flavia, hast du verstanden? Es ist mir völlig gleichgültig, wer es war, doch du, du persönlich wirst dafür sorgen, dass es nie wieder passiert! Nie wieder!" Der Ärger schwand aus seiner Stimme und wurde durch kalte Drohung ersetzt. "Wenn doch, so wirst du persönlich derjenige sein, der die Welt nur noch von unten sehen wird, und zwar für den Rest dieses Zeitalters und all jener, die noch kommen werden. Doch zuvor werde ich dir jeden Digitus deiner Haut einzeln abziehen und dein Innerstes nach Außen kehren. Du wirst deine Zehen wieder sehen können, Mumbius, doch nur, weil deine Augäpfel unter deinen Füßen kleben werden, wenn ich mit dir fertig bin ..."
    "Lass ihn los, Sciurus. Sofort!"
    Sciurus ließ von Mumbius ab und stieß ihn mit der freien Hand zurück. Der Zwischenhändler griff sich verstört und mit weit aufgerissenen Augen an die Kehle.
    "Geh nach draußen, Mumbius, und lass dir deinen letztgenannten Preis auszahlen."
    "Danke, Taurus, danke vielmals ..." stammelte der dicke Mann, drückte sich an der Wand entlang an Sciurus vorbei zur Tür und verschwand durch diese. Der Sklave steckte sein Messer weg und griff nach dem Becher Wein, aus welchem er in aller Ruhe einen Schluck trank.

    Mit einer Fackel in der einen und einem Messer griffbereit in der anderen Hand schlich Sciurus unter den Straßen Roms hindurch, ein Stück weit an der Cloaca Maxima entlang, bald einem der Seitenarme folgend bis zu einem Gang, welcher sich von den Abwassern entfernte, und an einigen Verzweigungen tiefer und tiefer in das Reich der Schatten hinein. Seine Nasenflügel bebten immer wieder unter dem scheußlichen Geruch, der seine Sinne wieder und wieder auf ein Neues beleidigte. Man gewöhnte sich an diesen Gestank, doch dies bedeutete nicht, dass man ihn deswegen mögen musste. Sciurus hatte eine äußerst sensible Nase, er mochte ihn nicht, hatte ihn noch nie gemocht, und er würde ihn niemals mögen, ihm nichteinmal gleichgültig gegenüber stehen. Je weiter sich Sciurus von dem entfernte, was Rom nur allzu gerne verbarg, doch was die Stadt im Grunde genommen am ehesten charakterisierte, zumindest aus seiner Perspektive, desto leichter wurde ihm das Atmen. In einem Beutel, welcher an seiner Schulter hing, klapperten einige Tabulae leise aneinander, Abschriften aus unbedeutenden Quellen. Seit sich sein Herr wieder in den Tempeln der Stadt herum trieb, den Göttern huldigte und die Massen für dumm verkaufte, waren auch Sciurus' profitable Zeiten vergangen. Gracchus' Amt als Quaestor Principis hatte Sciurus viele Male die Gelegenheit geboten, in die wirklich bedeutsamen Archive des Imperiums zu gelangen, und er hatte dort nicht nur die Informationen gesucht, welche sein Herr für die Chronicusa Romana, die Vorschläge zu den Standeserhebungen oder die Arbeit am Codex Universalis benötigt hatte. Für diese, viel zu kurze, Amtszeit war Sciurus der König unter den Dokumentensuchern gewesen, es hatte kein Schriftstück gegeben, was er nicht hatte besorgen können und jedes Mal, wenn er hier herab gekommen war, hatte der Mann mit der Vogelmaske neue Aufträge für ihn bereit gehalten.


    Doch diese Zeiten waren vorbei. Er war noch immer der beste unter den Suchern, ganz ohne Zweifel, doch seine Möglichkeiten waren wieder so eingeschränkt wie zuvor. Wäre sein Herr nicht derjenige, welcher er war, so wollte Sciurus ihn verfluchen, da er nicht wie jeder andere Patrizier auch weiter durch den Cursus Honorum strebte. Doch sein Herr hatte seine ganz eigenen Pläne und womöglich würden sie irgendwann tatsächlich dazu führen, dass auch für Sciurus wieder bessere Zeiten anbrachen. Bis dahin musste reichen, was möglich war, wie an diesem Tag, an welchem er keine ungefährlichen Informationen bei sich trug, vor allem nicht ungefährlich in den richtigen Händen, doch nichts, was tatsächlich von außerordentlicher Bedeutung war, zumindest nicht für tatsächlich wichtige Menschen.
    Hinter einigen Ecken und Abbiegungen blieb Sciurus bisweilen stehen, legte die Fackel zu Boden und ging mehrere Schritte zurück, um in die Dunkelheit zu lauschen. Die Magistrate Roms waren dreist geworden in der letzten Zeit, ständig waren sie von dem Zwang besessen, die Cloaca zu kontrollieren, als würden sie aus den Fäkalien ihrer Mitmenschen herauslesen können, wie die Stimmung im Volk war. Womöglich konnten sie es tatsächlich, war die Cloaca reichlich gefüllt, so hatten die Menschen genug zu Essen, war die Brühe unten dagegen dünn, so darbten sie oben. An diesem Tage jedoch folgte Sciurus niemand.


    Schließlich gelangte der Sklave an eine Türe, welche schnell durchschritten war. Im Gang dahinter wachten zwei grimmig dreinblickende Kerle, deren Gesichter von Narben überzogen und deren Körper mit ledernen Brustpanzern geschützt waren. Sciurus kannte die beiden ehemaligen Gladiatoren, nickte ihnen zu, steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand und verschwand durch eine der abzweigenden Türen.
    Ein dicker, kleiner Kerl drehte sich zu Sciurus, sobald er den Raum betreten hatte. "Verschwinde! Du bist noch nicht an der Reihe!" herrschte er Sciurus an und fuchtelte mit den Händen vor seinem Körper herum. Vor ihm auf einem Tisch war silbernes Geschirr ausgebreitet, dahinter saß Taurus, einer der engsten Vertrauten des Vogelmannes, und begutachtete einzelne Stücke.
    "Figlio de puttana! Wann ich dran bin, bestimmt sicherlich keiner wie du, der nicht einmal seine eigenen Zehen sehen kann!"
    Verunsichert schaute der Kerl an sich herab, konnte seine Füße aufgrund seines Bauchumfanges jedoch tatsächlich nicht sehen. Hilfesuchend wandte er seinen Blick zu Taurus.
    "Immer mit der Ruhe. Du bist keine Ratte, Sciurus, dieses giftige Verhalten bekommt dir nicht. Nimm dir einen Wein bis ich das hier abgeschlossen habe. Also Mumbius, um noch einmal auf deinen Preis zurück zu kommen , die Edelsteine hier in diesem Teller sind wirklich sehr nett, allerdings ..."
    Während Taurus weiter mit dem kleinen Dicken verhandelte, schenkte sich Sciurus einen Becher verdünnten Wein ein. Er war keiner von jenen niederen Sklaven, welche hier unten jedes Mal nach Wein gierten, da sie oben nur Wasser bekamen, doch der Gestank der Cloaca ließ sich am ehesten mit Flüssigkeit aus den Sinnen vertreiben.

    Im Schatten der aufkommenden Dunkelheit verborgen saß Sciurus ein Stück hinter seinem Herrn, nahm jedes der gesprochenen Worte in sich auf und wachte mit seinen Blicken darüber, dass die Sklaven ihre Pflicht ordnungsgemäß erfüllten. Seit das Kind eingetroffen war beäugte er zudem misstrauisch den Hund. Es lag in der Natur seiner Gattung, dass er das Tier instinktiv zu seinen Feinden zählte, obwohl weniger Furcht in ihm aufkam, denn eine gewaltige Abneigung.


    Als sein Name fiel, lag Sciurus' Aufmerksamkeit augenblicklich wieder auf Gracchus. Doch der Herr hatte keinen Wunsch, sondern zog seine Person nur zu einem äußerst merkwürdigen Vergleich heran. Im einen Moment hob er die Stellung des Sklaven als 'Patrizier unter den Sklaven' heraus, im anderen verglich er ihn mit dem schäbigen Straßenköter. Immerhin bestand er darauf, dass das Tier nicht in der Villa herumstreunerte, und möglicherweise konnte ihn Sciurus im Laufe der Nacht davon überzeugen, dass es angemessener wäre, wenn das Vieh erst gar nicht weiter in die Innenräume des Hauses hinein gelangte.

    Ein Bote aus dem fernen Rom erreichte das Castellum der Legio I Traiana Pia Fidelis und überbrachte einen gefalteten, gesiegelten Brief für Optio Flavius Aristides.


    Manius Flavius Gracchus, Rom,
    an Marcus Flavius Aristides, Mantua, Legio I


    Gruß und Heil, Bewahrer des römischen Friedens und Vetter in der Ferne.


    Aus dem Zentrum des Imperiums sende ich dir Grüße und die Hoffnung, dass sie dich wohlauf und unversehrt vorfinden mögen. Es ist keinen Tag her, dass der Spross deiner Lenden, dein Sohn Lucius Serenus, von deiner Mutter aus Baiae entsendet, die Hauptstadt erreichte, und seinen Fuß über die Schwelle der Villa Flavia setzte. Er befindet sich wohl und bezog vorerst eines der Zimmer, da ich es für ein übermäßig überflüssiges Risiko erachte, das Kind nach Mantua reisen zu lassen, wo ohnehin kein Platz in der Legion auf es wartet. Wünschst du dennoch, dass dein Sohn diese Reise antritt, so sei dir versichert, dass ich für entsprechende Vorkehrungen Sorge tragen werde.


    Einen Punkt, welchen du in jedem Falle überdenken solltest, scheint mir die Erziehung des Jungen, und welchen Weg du für ihn vorgesehen hast, denn er ist im besten Alter seiner Ausbildung, und als sein Vater solltest du dir Gedanken darüber machen, wo diese Erziehung weiter fortfahren soll. Baiae mag sicherlich nicht der schlechteste Ort und deine Mutter ein vorzügliches Vorbild sein, doch auch Rom bietet heutzutage seine Vorteile, welche deine Mutter augenscheinlich erkannt hat, falls dir nicht gar ein gänzlich anderes Ziel vor Augen liegt. Weiters schlug deine Mutter zudem die Einführung des Jungen in den Cultus Deorum vor. Wenn dies dein Wunsch ist, so wird es mir eine Freude sein, ihn unter meine Discipuli aufzunehmen, denn selbst da er für eine offizielle Aufnahme in den Cultus Deorum noch zu jung ist, so kann eine Ausbildung in dieser Hinsicht nie früh genug beginnen. Ebenso könnte er auch Aquilius und Lucullus bei ihren Aufgaben zur Seite stehen und somit in allen drei Tempeln der alten Göttertrias sein Wirken beginnen. Wie dem auch sei, wir erwarten deine Nachricht und Entscheidung darüber mit großer Vorfreude, bis dahin werden wir Serenus hier in der Villa sicherlich eine adäquate Erziehung und Bildung zukommen lassen können.


    Deine Mutter lässt dir darüber hinaus durch deinen Sohn mitteilen, dass es ihr zur Freude gereichen würde, könntest du ihr bald wieder einen Brief senden und von deinen Erfolgen in der Legion berichten.


    Dir in der Ferne jederzeit Gesundheit und die Gnade der Götter.


    Ave atque vale - Manius Gracchus

    Obwohl der Sklave an sich schon verriet, dass es sich um keinen einfachen Besucher handelte, welchen man geradeweg des Grundstückes verwies, verriet der Sklave eben diese Tatsache denn auch durch seine Worte. Der Ianitor öffnete die Tür und wies in die Villa hinein. "Dein Herr möge mir bitte die Gunst erweisen und mir folgen."

    Auf direktem Wege führte der Ianitor den Magistraten bis zum Arbeitszimmer des von ihm zu sprechen gewünschten Herrn. Nach einem Klopfen, welches eher den Anschein einer flüchtigen Berührung der Türe hatte, öffnete er und betrat den Raum. Er räusperte sich leise und demütig.
    "Herr, der amtierende Quaestor Principis Matinius Fuscus ist gekommen, um mit dir in deiner Funktion als sein Amtsvorgänger zu sprechen." Ein leichter Hauch von Aufregung lag in seinen Worten, als er fortfuhr. "Im Auftrag des Imperators, Herr."

    Als hätte er sonst nichts zu tun, als auf ein Klopfen zu warten, öffnete der Ianitor nur Sekunden später auf das Klopfen hin die Türe, denn er hatte tatsächlich nichts anderes zu tun, als auf ein Klopfen zu warten. Er musterte den Sklaven kritisch, ohne dabei zu versuchen dies zu verbergen, und blickte auch kurz zu dem vermeintlichen Herrn des Sklaven hin. "Salve. Wer bist du und was wünscht du?"

    Nachdem der junge Herr sich erleichtert hatte, führte der Ianitor ihn durch das geräumige Atrium bis zum Peristyl der Villa hin. Es war bereits abendliche Ruhe in die Villa eigekehrt, die meisten Herren hatten sich in ihre Arbeitszimmer oder Cubicula zurückgezogen. Derjenige, dessen Aufenthaltsort am schnellsten ausgemacht werden konnte, war Gracchus, welcher sich mit einigen Papieren in den Hof der Villa begeben hatte. Dies schien dem Ianitor der geeignetste Ort für den Neuankömmling zu sein, denn hier konnte auch bei Bedarf noch ein wenig Essen für den jungen Mann gereicht werden. Ob Flavius Gracchus der geeignetste Hausherr war, um Serenus zu empfangen, darüber machte sich der Ianitor wenig Gedanken, hatte der junge Herr doch keine Präferenzen genannt.


    Der Sklave trat an Gracchus' Liege und räusperte sich leicht. "Herr, der junge Lucius Flavius Serenus, Sohn des Aristides, ist soeben aus Baiae eingetroffen."

    Der Ianitor tat bereits lange genug seinen Dienst in der Villa Flavia, um keinerlei Regung zu zeigen. Letztenendes waren sich alle Herren ähnlich, gleich, welches Alter sie innehatten. Die Herren des Hauses mochten sich mit dem jungen Mann auseinandersetzen - nachdem er sich erleichtert hatte.
    "Bitte folge mir, Herr."

    Man konnte ein dumpfes Grummeln neben der Tür vernehmen, wo Brutus - keinesfalls auf Unsichtbarkeit bedacht - stand, nun den Schlagstock wieder beiseite legte und sich setzte. Dass eine Bande von Dieben samt einer Sänfte kam und sich als Flavier ausgaben, diesen Plan würde er womöglich noch durchschauen. Dass sie allerdings einen vollbeladenen Wagen mitbringen würden, statt einen leeren um ihre Beute abzutransportieren, dies wäre für Brutus zu hoch, und daher nahm er nicht an, dass dies hier der Fall war.


    Der Ianitor blickte nach draußen zur Sänfte. Es war tatsächlich ein Brief aus Baiae in Rom angekommen, welcher einen jungen Flavius angekündigt hatte. Ob dies für vor vier Tagen oder nicht war, dies wusste der Ianitor nicht, war es ihm doch auch gleich.
    "Der Senator Flavius Felix befindet sich zur Zeit nicht in Rom, er weilt auf seinem Landgut. Flavius Aristides ist ebenfalls nicht zugegen, er dient der Legio I in Mantua. Doch die Vettern der beiden Herren, Flavius Gracchus, Flavius Lucullus und Flavius Aquilius sind zugegen, ebenso wie die Söhne des Senators, Flavius Furianus und Flavius Milo. Ich bin sicher, der junge Herr wird bereits erwartet."
    Sicher war sich der Ianitor dessen nicht im geringsten. Manchesmal beschlich ihn das Gefühl, dass keiner der Hausherren über irgendetwas informiert war, was in der Villa vor sich ging, welche Gäste erwartet wurden, geschweigedenn, was sie selbst an einem Tag zu tun hatten. Doch es gab genügend Sklaven in der Villa, um ihnen all diese Gedanken abzunehmen, und unter der strengen Hand des Vilicus funktionnierte der Haushalt so tatsächlich meist tadellos.

    Es war bereits dunkel, als es an der Tür pochte, darum saß neben dem regulären Ianitor zusätzlich der Sklave Brutus. Sie würfelten um eine Tagesschicht an der Türe und Brutus lag weit hinten, was ihm überhaupt nicht gefiel. Als es klopfte, stand der Ianitor auf und nachdem auch Brutus mit dem Schlagstock in Position stand, öffnete er einen Spalt die Tür. Nach dem Einbruch in die Villa waren besondere Vorkehrungen für nächtlichen Zeiten getroffen worden.


    Als der Ianitor jedoch eine halbe Reisegesellschaft vor der Tür sah und im Schein der Fackeln das Familien-Wappen der Gens Flavia auf der Sänfte erkannte, öffnete er die Tür gänzlich und blickt den Klopfenden fragend an. Soweit er informiert war, waren bereits alle in der Villa wohnenden Flavia anwesend und Besuch war nicht angekündigt.
    "Salve, Herr. Was ist dein Begehr?"

    Centurio C. Octavius Sura,
    Castra Praetoria, Cohortes Urbanae



    Salve Centurio,


    Günstige Umstände begünstigten es, dass es möglich war, eine Liste der bei dem Diebstahl in der Villa Flavia entwendeten Stücke erstellen zu lassen.


    3 Teller aus Silber
    1 Servierplatte aus Silber
    2 Becher aus Silber
    1 Kanne aus Silber, mit Gold verziert
    3 Kerzenhalter aus Silber, mit Gold verziert
    9 Silberlöffel (jeweils versehen mit dem Wappen der Flavia, einem Caduceus in Gold)
    9 Silbermesser (jeweils versehen mit dem Wappen der Flavia, einem Caduceus in Gold)
    4 silberne Silvesterlöffel mit den Initialen T.F.V., L.F.C., S.F.F. und A.F.A.
    1 mit Edelsteinen verzierter Tonteller mit dem Abbild eines weißen Löwen
    1 Nachttopf aus Silber, auf der Unterseite beschriftet: "Für meinen Sohn. In Liebe, dein Papa."
    1 gläserne Blumenvase ging zudem zu Bruch und mag den Dieben daher ebenfalls in Rechnung gestellt werden


    Ich hoffe, dies wird euch dabei unterstützen, die Täter zu finden und endlich ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Besonders mein Vetter, Senator Flavius Felix, würde es nur äußerst ungern sehen, wenn die Täter weiterhin frei herumlaufen. Einige der gestohlenen Gegenstände sind vor allem für ihn auch von sehr sentimentalem Wert.


    Vale,
    M. Flavius Gracchus

    M. Decimus Mattiacus,
    Regia Legati Augusti pro Praetore, Mogontiacum, Germania



    Salve Decimus Mattiacus,


    unsere Amtszeit ist beendet, doch der durch dich bearbeitete Anteil der Chronicusa Romana zur Provincia Germania für den Monat October DCCCLVI (2006) steht noch aus. Ich möchte dich daher nachdrücklichst bitten, diese Arbeit baldmöglichst zu beenden, wünscht der Imperator Caesar Augustus doch nicht, dass die uns nachfolgenden Quaestoren sich um vergangene Ereignisse kümmern müssen.


    Vale,
    M. Flavius Gracchus

    T. Aurelius Cicero,
    Villa Aurelia, Roma



    Salve Aurelius Cicero,


    unsere Amtszeit ist beendet, doch der durch dich bearbeitete Anteil der Chronicusa Romana zur Provincia Hispania für die Monate September und October DCCCLVI (2006) steht noch immer aus. Ich möchte dich daher nachdrücklichst bitten, die Arbeit an jenen Teilen baldmöglichst zu beenden, wünscht der Imperator Caesar Augustus doch nicht, dass die uns nachfolgenden Quaestoren sich um vergangene Ereignisse kümmern müssen.


    Vale,
    M. Flavius Gracchus

    Der Blick der Sklavin für Sciurus zauberte diesem den Hauch eines Lächelns auf die Lippen, denn diese Art frostigen und gefühllosen Blick zeigten nur Menschen, die verstanden hatten, worum es tatsächlich ging. Sollte er sich täuschen, und sie immer noch in Unkenntnis der Lage verweilen, so würde sie diese Unkenntnis ohnehin nicht mehr lange genießen können. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und folgte Sica. Es dauerte nur Sekunden, dann verblasste das karge Licht ihrer Lampe und ließ um Hannibal und seine Bande undurchdringliche Dunkelheit zurück, unterbrochen nur vom Glucksen und Gurgeln des Kanals.

    "Jawohl, Herr." sprach der Ianitor und entfernte sich wieder, um den Besucher zu holen und einen Sklaven mit der Weisung um Wein und Früchte zu beauftragen.


    ***


    Bald darauf brachte ein weiterer Sklave den von Furianus georderten Wein und eine Schale voll Obst. Nur kurz nach ihm führte der Ianitor den Besucher herein. "Prudentius Balbus, Herr." Nachdem dies erledigt war, kehrte der Ianitor an die Tür zurück.