Mit einem Beutel voller Wachstafeln erreichte Sciurus bei Dämmerung den Eingang zur Cloaca Maxima. Seit der ehemalige Konsul die Kanalisation hatte reinigen lassen, fühlte sich auch der Abschaum Roms unter der Stadt noch wohler, als zuvor. Lebte man erst einmal einige Jahre hier unten, roch man zwar ohnehin nichts mehr, doch nicht nur der massive Gestank hatte sich ein wenig gelegt, zusätzlich waren die Mauern verputzt und der Unrat von den Wegen entfernt worden. Für die Verhältnisse der hier Lebenden konnte man es nun beinahe als gemütlich bezeichnen. Sciurus indessen wollte auch nach der Reinigungsaktion diese Gefilde nicht gegen sein Bett in der Villa Flavia eintauschen, auch wenn sein Herr in letzter Zeit sehr fordernd geworden war. Der Sklave schob dies auf die nahende Hochzeit und tröstete sich mit dem Gedanken daran, dass der Herr in dieser Hinsicht nach der Hochzeit dafür etwas ruhiger werden würde.
In einem der Seitengänge besorgte sich Sciurus eine Fackel und durchquerte die Kanäle der Cloaca. Der Weg dorthin, wo er den Vogelmann treffen würde, war nicht einfach zu finden, glichen sich die Gänge doch oft und niemand orientierte sich nach der Anzahl der Abzweigung oder den Richtungen. Kleine, unauffällige und für das ungeübte Auge kaum zu erkennende Zeichen am Mauerwerk, auf wie zufällig am Weg liegenden Holzstücken, zu Füßen oder in der Decke wiesen immer wieder aufs Neue den immer wieder neuen Weg. Nach vielen Schritten und Abzweigungen zeigte sich ein schmales Lächeln auf Sciurus Lippen, erkannte er doch, wohin der Weg ihn führen würde. Bald schon wurde Feuerschein sichtbar, vor dem Tempel standen drei Männer und unterhielten sich gedämpft. Als sie Sciurus erblickten, grinste einer von ihnen, trat auf ihn zu und sprach ihn leise an. "Lange nicht gesehen, Bellerophontes, oder sollte ich besser Eichhörnchen sagen? Man nennt dich doch nun so?"
Die Augen des Sklaven verengten sich. "Du solltest mich besser gar nicht beim Namen nennen, wenn dir die Position deines Kopfes auf deinem Hals gefällt." zischte er, doch auch sein verkniffener Gesichtsausdruck wandelte sich alsbald zu einem Grinsen. "Ist dein Herr tot, oder was machst du in Rom?"
"Nicht tot, zumindest nicht mein Herr. Aber sein Bruder, darum ist er zur Bestattung nach Rom gekommen. Mir bleiben noch zwei Tage, dann reisen wir wieder ab."
Sciurus nickte, wies jedoch auf den Tempel. "Ist er drin?"
"Er wartet." mischte sich einer der beiden anderen Männer ein. "Du weißt, dass er das nicht gern tut." Er öffnete die schmale Tür und Sciurus trat hindurch.
Im Schein weniger kleiner Öllampen sprach der Mann mit der Maske mit einer grauen Gestalt. Seine rauhe Stimme und seine Gesten hätten darauf schließen lassen, dass es sich dabei um einen Geschäftspartner handelte, doch Sciurus wusste, dass dort im Schatten verborgen eine prächtige Statue des Merkur stand. Der Vogelmann legte den Kopf schief, als der Sklave die Tür hinter sich schloss, doch er hielt nicht inne in seinem Gebet, bis dass es beendet war. Stille legte sich über den Raum, dann wandte der Mann sich in einer schnellen Bewegung um.
"Dein Paket ist angekommen. Vor einiger Zeit schon, doch unsere kleine Umzugsaktion und die Unannehmlichkeiten, welche daraus resultierten, haben die Waren ein wenig durcheinander gebracht. Der Markt der Träume ist uns abhanden gekommen." Ein heiseres Lachen ertönte unter der Maske. "Doch im Bauch der Hydra geht nichts verloren."
"Ich habe ebenfalls etwas für dich. Das Übliche nur, doch ich glaube, diese mal könnten wir einen Treffer gelandet haben."
Mit einem Schritt war der Vogelmann an Sciurus herangetreten, nahm eine Wachstafel entgegen, schlug sie auf und überflog sie. "Wirklich, faszinierend. Womöglich hast du recht." Er schlug die Tafel zu, steckte sie zu den anderen in den Beutel zurück und legte ihn in eine Nische in der Wand, aus welcher er eine kleine Kiste nahm. "Ich habe sie geprüft, es sind jene, von denen man behauptet, Paris habe sie getragen, am Tag als Troia fiel. Ein Paar wunderschöne Stücke, mögen sie deinen Herrn erfreuen."
"Das werden sie sicher, ebenso wie seine künftige Gemahlin."
"Fein, fein. Ist es nicht Ironie der Parzen, dass wir eben jene erfreuen, die sonst so unglücklich über uns sind?" Der Mann mit der Maske wandte sich ab und griff zu einer Schale voll Plätzchen. "Die Entlohnung geht wie Üblich vonstatten, ansonsten habe ich heute keine weiteren Wünsche. Doch bleibe wachsam, es besteht die Möglichkeit, dass die Götter uns bald sehr viel zu tun bescheren." Er begann, erneut mit der Statue des Merkur zu sprechen und wäre sich Sciurus nicht sicher gewesen, dass dort kein weiterer Mensch stand, er hätte geglaubt, dass der Mann mit der Maske doch in Verhandlungen stünde.
Ohne ein weiteres Wort verließ Sciurus den Tempel, die Kiste mit dem Hochzeitsgeschenk seines Herrn unter dem Arm. Davor stand nur noch einzelner Mann, einer von jenen die Sciurus dem Gesicht, doch nicht dem Namen nach kannte. Keiner von beiden beachtete den anderen weiter und Scirus verließ auf ähnlichem Weg, wie er zuvor gekommen war, die Cloaca Maxima um seinem Herrn am nächsten Morgen zu bringen, was er ihm versprochen hatte.