Beiträge von Sciurus

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg| Acanthus


    Seit das Ausgangsverbot in Rom ausgerufen worden war, hatte Acanthus, der Ianitor der Villa Flavia, die Porta besonders gesichert, denn auch wenn er nicht genau wusste, was dies alles zu bedeuten hatte, so war er doch die erste flavische Bastion, an der jeder Eindringling vorbei kommen müsste. Ein breiter Holzbalken lag quer hinter den Türflügeln, so dass der Ianitor auf das laute Pochen der Praetorianergarde nur ein kleines Fenster auf Augenhöhe öffnete - schlussendlich konnte jeder daher gelaufene Halunke behaupten, die Praetorianergarde zu sein. Doch es waren tatsächlich Männer der kaiserlichen Garde, auch wenn der Vorschlaghammer nicht ganz in das Bild dieser perfekten Soldaten passen mochte. "Einen Augenblick bitte."


    Acanthus schloss das Fenster wieder und wandte sich zu dem Jungen, der stets bei ihm an der Türe postiert war. "Lauf und sage dem Herrn Bescheid, dass die Praetorianer hier sind."


    Dann machte er sich daran, den Balken hinter der Porta zu entfernen. Er hatte keine Anweisung erhalten, die kaiserlichen Garde nicht hereinzulassen und obgleich Acanthus ein Sklave war, so war er doch Römer genug, um vor den Praetorianern Respekt zu zeigen. Er öffnete also die Türe und blickte den Befehlshabenden fragend an.
    "Salvete! Bezüglich welcher Angelegenheit darf ich eure Ankunft melden?




    IANITOR - VILLA FLAVIA

    Der Hüne machte keinen Anstalten ihn zu schlagen oder anzugreifen, sondern starrte ihn nur an.
    "Meinen Glückwunsch, du bist soeben in deiner Position aufgestiegen. Achte gut darauf, dass ihr euch nie wieder am Besitz meines Herrn vergreift, dann wirst du auch noch lange etwas davon haben."
    Sciurus bückte sich leicht und schlüpfte an Baalberith vorbei, aus den Augenwinkeln jede Bewegung des großen Mannes beobachtend. Doch der Hüne hielt ihn nicht auf, so dass er seinen Schritt ein wenig beschleunigte, aus dem Innenhof trat und sich in das Leben auf der Straße vor der Insula einreihte. Er hastete nicht auffällig, doch beeilte er sich, in Richtung Tiber zu gelangen. An einer wenig belebten Ecke entsorgte er den ledernen Beutel in die Wogen des Flusses, ehedem er sich auf den Rückweg zur Villa Flavia machte.

    Es war ein Lagerraum unter einer Insula wie es viele in Rom gab, das Lager eines Händlers, das Lager eines Hehlers oder das eines Diebes. Crinon saß inmitten aufgestapelter Kisten und Körbe an einem kleinen Tisch und blickte nur beiläufig auf als die Türe hinter Sciurus geschlossen wurde. Er brauchte einen zweiten Blick, um sich des flavischen Sklaven zu erinnern, sich zu entsinnen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
    "Du hast etwas, das mir gehört, und ich möchte es wieder haben", begann Sciurus noch ohne ein Wort des Grußes, hakte seine Daumen in seinen Gürtel und sondierte ein Regal an der hinteren Wand, in dem augenscheinlich die kleinere Beute gelagert wurde - kleine Säcke, Beutel, Kästchen, einige Statuetten und eine Schale, die von Schmuckstücken überquoll.
    "Aber, aber", entgegnete Crinon und erhob sich langsam, den Blick bemüht unauffällig kurz von Sciurus lösend und auf das Messer richtend, welches nah an der Kante des Tisches lag. "Es wird schon seine Gründe haben. Doch ich bin ein ehrlicher Geschäftsmann, wir können über alles reden. Willst du nicht Platz nehmen?"
    "Es ist ein Beutel voller für dich gänzlich uninteressanter Schriften des Cultus Deorum. Gib ihn mir, dann lasse ich dich an einem Stück, dass du das Leben im Jenseits genießen kannst. Verweigere ihn mir und ich nehme deine Hände mit, dass du sie weder in dieser, noch in jeder anderen Welt jemals wieder gierig ausstrecken kannst."
    Crinons Augen weiteten sich und er griff hastig nach dem Messer. Sciurus jedoch hatte bereits im Augenblick der Regung den dünnen Draht aus dem Inneren seines Gürtels gezogen und ließ ihn einer Peitsche gleich dem Dieb entgegen schlagen, dass dieser am Arm getroffen von seinem Vorhaben abließ, in seiner Überraschung nicht schnell genug reagierte. Crinon war ein kleiner Fisch, ein hinterlistiger Dieb und dilettantischer Gauner, doch nicht sonderlich versiert im Umgang mit tatsächlichen Bedrohungen. Ehedem er sich versah, stand Sciurus bereits hinter ihm, hatte den Draht über seinen Kopf geschwungen und zog ihn zu. Verzweifelt versuchte der kleine Gauner um Gnade zu flehen, all seine Schätze und Beutestücke für sein Leben einzutauschen, doch das dünne Eisen drückte ihm die Luft ab, dass nicht mehr als ein trockenes Röcheln seine Kehle verließ, während seine Gliedmaßen heftig strampelten und zuckten, im animalischen Bestreben sich aus der Falle zu befreien oder den Gegner irgendwie zu verletzen. Sciurus jedoch ließ nicht ab, ließ alle Tritte und Schläge gegen seinen Leib achtlos über sich ergehen, hielt den Draht fest um die Kehle Crinons gewunden bis dass schlussendlich dessen Widerstand erstarb, das Röcheln verebbte und der Körper erschlaffte. Achtlos ließ Sciurus den Toten fallen, zog seinen Gürtel ab, um sorgsam darin den Draht wieder einzufädeln, ehedem er sich dem Beute-Regal zuwandte. Es dauerte nicht allzu lange bis er seinen Beutel gefunden hatte und es schien beinah, als hätten die Diebe nach einem flüchtigen Blick den Inhalt nicht weiter beachtet. Die Dokumente des Cultus Deorum waren vollständig und selbst die Botschaft des Fremden lag noch darin, das rote Seidenband unangetastet. Einige Augenblicke überlegte Sciurus die Nachricht zu lesen, um ihre Dringlichkeit zu prüfen, doch er steckte sie ungeöffnet zurück in den Beutel, welchen er sich an seinen Gürtel band. Anschließend blickte er sich um, nahm ein Gladius aus einem Korb voller Waffen und wandte sich der Leiche zu. Die Klinge war scharf, so dass es ein Leichtes war, die Hände vom Rest des Körpers abzutrennen. Sorgsam achtete Sciurus darauf, dass das rote Blut am Boden nicht mit seinen Schuhen in Berührung kam, dass die Tropfen aus den Wunden nicht seine Kleidung benetzten, während er die beiden abgetrennten Hände mit einem achtlos gegriffenen Tuch umwickelte und in einen ledernen Sack stopfte. Dann schlug er gegen die Tür und wartete darauf, dass der Hüne sie von außen öffnete.

    Es war nicht einfach gewesen, Nachforschungen anzustellen, denn in den zurückliegenden Tagen hatte Sciurus es kaum nur geschafft, allein aus der Villa Flavia zu kommen. Beständig hatte sein Herr Aufgaben für ihn, beständig hatte er seiner Dienste bedurft, und selbst die Zeit, in welcher Sciurus seine Botengänge zu erledigen hatte, war stets knapp bemessen gewesen. Doch er hatte seine Kontakte gepflegt, hier und dort ein Wort gewechselt, hier und dort eine Kaskade der Informationsbeschaffung angestoßen, hier und dort einige Münzen fließen lassen, so dass er an diesem Tag ganz genau wusste, wo der Mann Namens Crinon zu finden war.


    Einige Zeit hatte Sciurus darüber nachgedacht, ob es womöglich kein Zufall gewesen war, dass die Männer ihn überfallen hatten, ob er seine Geschäftsbeziehungen zu dem Vogelmann überdenken sollte, doch letztlich war er zu dem Schluss gekommen, dass die Männer nur ihrer Arbeit nachgegangen waren. Er hatte überlegt, die Sache dem Vogelmann vorzutragen und Gerechtigkeit zu fordern - das, was man dort unten unter Gerechtigkeit verstand -, doch letztlich hatte er entschieden, dass es nur eine Lappalie war, die er selbst erledigen konnte. Und erledigen musste, denn letztlich ging es dabei nicht um Rache oder sonst ein irrationales Drängen nach Ausgleich, sondern einzig darum, die Nachricht für seinen Herrn wieder zu beschaffen, welche die Männer ihm geraubt hatten.


    Sein Herr verbrachte diesen Abend bei einem Gastmahl seines Freundes Cornelius Scapula, so dass Sciurus genügend Zeit für sein Vorhaben blieb. Umüllt von einem einfachen, grauen Radmantel eilte er durch die Straßen und Gassen der Stadt, die zu dieser Zeit überaus belebt waren, mischte sich zwischen Arbeiter und Handwerker auf dem Nachhauseweg und Müßiggänger und Nachtschwärmer auf dem Weg in das abendliche Vergnügen. Irgendwann bog er in den Durchgang zum Innenhof einer Insula und sein Körper spannte sich augenblicklich an, als er sah, wer da auf einer Bank ausharrte. Doch sonst ließ er sich nichts anmerken.
    "Ich möchte mit Gaius sprechen, wegen der Schafskopflieferung von letzter Woche."
    Die Losung hatte der Mann mit der Vogelmaske ihm ausrichten lassen.



    edit: Crinon sollte seinen Namen behalten...

    Am Forum Romanum hatte Sciurus rasch einige Münzen aufgetrieben, mit welchen er das Mädchen wie zugesagt entlohnen konnte. In einer halbwegs stille Ecke einer Seitenstraße zählte er ihr einen Sesterz und zwei Asse in die geöffnete Hand. "Nun sag schon, was du weißt."
    Sie zögerte nicht lange. "Der Anführer heißt Crinon. Er is' nur ein kleiner Fisch, aber ein ziemlich erfolgreicher. Es heißt, er hätte irgendwo in Rom eine Frau, aber ich wette, es sind eher mehrere. Er wechselt seine Unterkunft, so dass man nie genau weiß, wo er gerade steckt."
    "Nimmt er Aufträge an?"
    "Klar."
    "Und wenn ich ihn für etwas beauftragen wollte, wie würde ich das anstellen?"
    Das Mädchen lachte kichernd. "Naja, wenn du ihn speziell beauftragen wolltest, dann würd'st du jemanden kennen, der jemanden kennt, der ihn kennt. Aber er arbeitet selten für so Leute wie dich."
    "Leute wie mich?"
    "Na so Städtertypen eben."
    Sciurus nickte. "Nehmen wir für einen Augenblick an, ich wäre nicht so ein Städtertyp, unter wessen Protektion arbeitet Crinon dann?"
    Das Mädchen musterte ihn aufmerksam. "Protektion? Was meinst du damit?"
    "Wem zahlt er seinen Anteil? Dem Syrer? Dem dicken Prinzen? Dem Vogelmann? Phaeblos, dem Juden?"
    Instinktiv krümmte sie ihre Finger fester um die Münzen. "Was weißt du darüber?"
    "Nehmen wir an, ich weiß eine ganze Menge darüber. Komm schon, raus mit der Sprache, ich habe nicht ewig Zeit!"
    Es war deutlich an ihrem Gesicht abzulesen, dass sie nicht mehr sagen wollte, doch letztlich wollte sie noch viel mehr die weiteren Münzen. "Soweit ich weiß jagt er in verschiedenen Revieren. Meistens arbeitet er für den gold'nen König, aber manchmal auch für den Mann mit der Vogelmaske. Und ab und zu treibt er in Transtiberim Schutzgelder für den Juden ein. Der Kerl, der dir den Knüppel übergezogen hat, sah aus wie einer aus der nördlichen Subura, der öfter für den Vogelmann als Kurier unterwegs is'. Also sitzt Crinon wahrscheinlich gerade in dessen Nest."
    Es wäre tatsächlich ein wenig zum Lachen gewesen, dass es die Männer des Mannes mit der Vogelmaske gewesen sein sollten, die Sciurus beraubt hatten, doch Humor gehörte nicht zu den Stärken des Sklaven. Er gab dem Mädchen die letzten beiden Asse ihres Lohns und kehrte sodann unverrichteter Dinge zurück zur Villa Flavia, um seinem Herrn von dem Zwischenfall zu berichten.

    Er musste diesen Brief wieder bekommen. "Hast du gesehen, wo sie hin sind?" fragte er das Mädchen.
    Sie wiegte abschätzend den Kopf. "Schon möglich." Mit dem vor Dreck stehenden Ärmel des Kleides wischte sie sich über die Nase.
    "Wieviel?" Sciurus fixierte sie aus seinen hellen, grauen Augen und begann aufzustehen und sich den Staub der Straße abzuklopfen.
    "Ein As." Ihre Schultern hoben und senkten sich zuckend, so als wäre es ihr eigentlich egal.
    "Ein Sesterz, wenn du mir sagst, wo sie hin sind und wo sie sich üblicherweise herumtreiben." Wenn das Mädchen wusste, dass die Räuber auch oft die Schuhe mitnahmen, dann musste sie auch dies wissen.

    Ein wenig nervös leckte sich das Mädchen über die Lippen. Dann blickten ihre großen Augen leuchtend zu Sciurus empor, doch in ihrer Stimme lag ein Hauch von Unsicherheit. "Zwei Sesterzen und ich nenne dir den Namen des Anführers."
    "In Ordnung", kommentierte der Sklave ohne selbst zu zeigen, wie wertvoll diese Information für ihn war. "Allerdings musst du bis zum Forum mit mir kommen, da ich keine Münzen mehr bei mir habe." Dort würde er sich einige Sesterzen leihen können, denn er bezweifelte, dass das Mädchen ihm bis zum Quirinal folgen würde.
    Sie nickte zufrieden. "Is' gut, bis zum Forum. Musst aber schon bis dahin warten, bis ich was sage." Energisch stapfte sie in Richtung Forum Romanum los und Sciurus war nicht unfroh darüber, dass sie ihre Ankündigung nicht nur auf den Namen bezog und bis zu ihrem Ziel kein weiteres Wort mehr sprach.

    Beinahe im gleichen Augenblick als Sciurus das Holz des hässlichen Hünen schmerzend in seiner Hand spürte, bemerkte er den Luftzug an seinem Hinterkopf. Gleich darauf folgte die Dunkelheit.


    Ein leises, melodisches Summen durchdrang die Dunkelheit, geleitet von dem Duft nach trockenem, staubigem Stroh. Unter sich konnte Sciurus die Halme spüren, die ihn durch den dünnen Stoff der Tunika piekten, und den harten, erdigen Grund darunter. Auf ihm lag die kratzige, ausgefranste Decke aus ungefärbter Wolle, der immer noch der Gestank nach dem Schweiß seines Vaters anhaftete.
    "Wach auf, Ultor, es ist Zeit die Pferde zu füttern." Sanft rüttelte die Hand seiner Mutter an seiner Schulter, doch Sciurus mochte nicht aufstehen. "Geht es dir gut?" fragte sie nun, doch ihre Stimme war viel zu hell.


    Blinzelnd öffnete Sciurus die Augen und spürte im gleichen Augenblick das Pochen in seinem Kopf.
    "Geht es dir gut?" fragte die helle Stimme noch einmal und ein schmales, kindliches Gesicht schob sich in sein Blickfeld, aus dem ihn große, neugierige braune Augen musterten. "Ich hab' gesehen, wie sie dich niedergeschlagen haben. Zack, Wumm, Schlag und weg warst du. Ich hab' da hinten gesessen, da hinter den Kisten. Siehst du, da hinter'm Schrein des Endovelicus", plapperte das Mädchen gestikulierend darauf los und deutete die Straße entlang zu einem Steinblock, auf dem einige Talglichter flackerten. Sciurus stemmte sich langsam auf bis er auf der Straße saß und befühlte die Beule an seinem Hinterkopf.


    "Sie hab'n deinen Beutel mitgenommen. Hast Glück, dass du deine Schuhe noch an hast, war wohl nich' ihre Größe. Die nehmen sie nämlich auch oft mit", plapperte das Kind weiter. Sie war vielleicht neun oder zehn Jahre alt, vielleicht aber auch noch etwas jünger, denn das Leben auf der Straße ließ Kinder oft älter wirken. Und dass sie sich vorwiegend auf der Straße herumtrieb, daran bestand aufgrund ihrer Erscheinung kaum Zweifel. Ihr schulterlanges Haar war ein einziges Gewühl aus Strähnen, das mehr einem Vogelnest glich als einer Frisur. Ihr Kleid war aus einem löchrigen Lappen, dessen Farbe irgendwo zwischen Aschgrau und Dreckbraun anzusiedeln war, und ihre Füße steckten nicht in Schuhen. Außerdem stank sie erbärmlich.


    Sciurus besah seinen Gürtel und vergewisserte sich, dass der Beutel tatsächlich fort war. Erst im zweiten Augenblick wurde ihm bewusst, dass damit nicht nur die Schriftstücke für das Collegium Pontificum fort waren, sondern mit ihnen auch das Schreiben des Unbekannten. "Porca miseria!", ließ er sich zu einem Fluch hinreißen. Da er den Brief nicht geöffnet hatte, wusste er nicht, was darin geschrieben war. Von einer harmlosen Einladung bis hin zu verräterischen Hinweisen bezüglich der Verschwörung, in die sein Herr verwickelt war, konnte alles mögliche darin geschrieben sein.

    Sciurus hatte einen Sklaven ausgesandt, um den Libitinarius zu benachrichtigen, und sich anschließend darum gekümmert, dass bis zu dessen Eintreffen ein weißes Tuch über die Leiche des Flavius Piso gelegt wurde. Hernach stand er im Schatten seines Herrn, bereit jede weitere Weisung entgegen zu nehmen, gleichzeitig das Geschehen im Atrium im Auge zu behalten. Als sein Herr ihn aufforderte, Eginhard hinaus zu bringen, geleitete er diesen den Weg bis zum Ausgang. Vor der Porta, bereits im Aufmerksamkeitsbereich des Ianitors, stoppte er. "Bitte warte noch einen Moment."


    Ohne ein weiteres Wort verschwand Sciurus noch einmal im Inneren der Villa, um kurz drauf mit einem blassen Beutel aus Flachs wiederzukommen. Er hielt ihn Eginhard entgegen. "Dies ist für deine Mühen und Aufwände.*"



    Sim-Off:

    *WiSim über Claudia Antonia

    Ein flavischer Sklave geleitete die Männer, die den Leichnam Pisos aus der Stadt zur Villa Flavia getragen hatten, bis ins Atrium. Dort legten sie die provisorische Bahre auf eine Kline, die zum offenen Raum hin stand, ungeachtet der Flecken, die Staub und Blut auf dem kostbaren Stoff des Polsterbezuges hinterließen, und ein Sklave schlug vorsichtig die Stoffbahnen der Toga zur Seite. Weitere flavische Sklaven eilten herbei, einige um den Trägern Schalen mit lauwarmem Wasser, sowie Seife und Handtücher zu präsentieren, mit denen sie sich Hände und Gesicht waschen konnten, andere trugen Becher und Kannen mit Wein und Wasser heran. Da noch niemand wusste, was genau geschehen war, oder wer darüber Auskunft geben konnte, wurden alle Träger wie Gäste des Hauses behandelt, unabhängig ihrer Bindung zur Familie oder ihres Standes. Die Sklaven indes fühlten sich sichtlich unwohl, versuchten jedoch sich die Bestürzung über den Anblick des toten flavischen Herrn nicht anmerken zu lassen.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg| Acanthus


    Nachdem Acanthus am frühen Morgen weit im Osten einen roten Schleier aus Wolken beobachtet hatte, aus denen sich langsam die Sonne schob, sann er bereits den gesamten Vormittag darüber, wie diese rote Färbung zustande kommen mochte. Er versuchte sich an Legenden und Geschichten aus den verschiedensten Kulturkreisen der Sklaven zu erinnern, die er darüber bereits gehört hatte, angefangen von der Geschichte der sterbenden Nacht, deren Blut in die Wolken quillt, über die herzzerreißende Liebesgeschichte zwischen Nacht- und Taggöttern, bei denen die Göttin des Morgens an diesen Tagen errötet, weil sie noch einen Blick auf die Nacht erhascht hatte, bis hin zu der Weisheit, dass in der Nacht derart viel Blut vergossen wurde, das die Erde es nicht mehr aufnehmen kann und es daher in den Himmel zieht. Allerdings waren diese Erklärungen allesamt unbefriedigend und es ärgerte Acanthus, dass er nicht auf eine Idee kam, dies ebenso einfach wie plausibel zu erklären.


    Das Klopfen an der Porta störte ihn daher ausnahmsweise einmal nicht, sondern gab ihm Gelegenheit, sich kurz abzulenken. Dennoch setzte er seine grimmige Miene auf, öffnete und fragte schroff nach dem Begehr. Doch noch ehe er sein letztes Wort sprach war auch für ihn ersichtlich, dass dort vor der Türe etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.


    Nachdem der flavische Klient, den Acanthus selbstredend kannte, die furchtbare Nachricht ausgesprochen hatte, weiteten sich die Augen des Ianitors vor Schrecken. "Flavius Piso? Bist du sicher?" Vielleicht war es nur eine dumme Verwechslung. Der Ianitor trat zu der provisorischen Toga-Bahre und lüftete ein wenig das Tuch. "Bei allen guten Göttern!" entfuhr es ihm und er kreuzte hastig Zeige- und Ringfinger der Rechten, um böse Geister abzuwehren.


    "Bringt ihn hinein ins Atrium!" wies er die Träger an und wandte sich dann um, um dem Jungen an der Porta auszuschicken, alles nötige zu veranlassen. Neben der Aktivität, die im Hause ausbrach wurde ein Bote zum Senat gesandt, um Senator Flavius Gracchus zu informieren, eine Sklavin wurde abkommandiert, Aurelia Prisca, Pisos Gemahlin, in jedem Fall aus dem Atrium fern zu halten, und ein Junge lief zur nahen Villa Aurelia, um Flavia Nigrina, Pisos Schwester zu benachrichtigen.




    IANITOR - VILLA FLAVIA


    A. Terentius Cyprianus et Decima Seiana, Casa Decima, Roma



    M' Flavius Gracchus et Claudia Antonia A. Terentio Cypriano et Decimae Seianae s.p.d.


    Zu eurer Eheschließung wünschen wir euch nur das Allerbeste, wiewohl wir unsere herzlichsten Gratulationen senden! Deplorablerweise ist es uns nicht möglich, der Zeremonie der Verbindung persönlich beizuwohnen.


    Euch den Segen und das Wohlwollen der Götter!



    Es war in irgendeiner engen Gasse als Sciurus die Männer hinter sich bemerkten, denn um Heimlichkeit bemüht schienen sie nicht sonderlich. Rasch blickte er über die Schulter, um sich dann nach vorn zu wenden und seinen Schritt ein wenig zu beschleunigen, denn er hatte keine Zeit, sich weiter aufhalten zu lassen. Vor ihn jedoch traten zwei weitere Männer und versperrten ihm den Weg. Denjenigen, der sprach, hatte Sciurus schon einmal unter Rom gesehen, dessen war er sich sicher. Womöglich war er ein Klient des schwarzen Schattens oder vielleicht des fetten Rattenkönigs Mithras.


    "Besser du lässt ihn an meinem Gürtel", entgegnete der flavische Vilicus ohne eine Miene zu verziehen. "Oder ich hole mir deinen Kopf." Er wollte keine Schwierigkeiten, denn so gut er auch trainiert war, gegen vier bewaffnete Männer würde ein Kampf schwer werden. Doch einfach machen würde er es den Männern nicht und Furcht zu zeigen war in dieser Gegend bereits Garant für eine Niederlage.
    "Ihr könnt meine Münzen haben. Es sind etwa vier Sesterzen, einen für jeden. Dann verzieht ihr euch wieder."

    >>>



    Schon kurz nach der Villa Flavia hatte Sciurus das Gefühl verfolgt zu werden auf seinem Gang zur Regia des Cultus Deorum. Er hatte wichtige Dokumente seines Herrn bei sich, doch letztlich nichts derart brisantes, dass er deswegen einen Verfolger befürchtete. Es musste etwas anderes sein - und es kamen durchaus einige Gründe infrage, wegen der jemand Sciurus hätte verfolgen können. Seine Muskulatur war angespannt und er betrachtete die Straßen vor sich genau. Da ihm auf der Via Lata zu viele Menschen unterwegs waren, bog er von der Hauptstraße ab Richtung Viminal und Subura. Als er schlussendlich stehen blieb und sich langsam umwandte, trat ein junger Kerl auf die Straße, offen und ohne Angriffslust in den Augen.


    ‚Dies ist von meinem Herrn für deinen Herrn‘ - mehr hatte der Fremde nicht zu sagen. Sciurus kannte ihn nicht, doch der Herr würde sich zweifellos durch das Schreiben offenbaren. Womöglich war es einer der Konspiranten. Rasch steckte Sciurus die Nachricht in den Beutel zu den übrigen Dokumenten, drehte sich um und ging weiter als wäre nichts geschehen. Da er seinen potentiellen Verfolger abgeschüttelt hatte, ließ seine Aufmerksamkeit ein wenig nach.

    Die inneren Konflikte des Sklaven Luca waren deutlich auf seinem Gesicht und an seinem Körper abzulesen, denn er spannte mehr und mehr seine Muskeln an, schnellte sogar ein Stück nach vorne und hob seine Hand. Innerlich vollkommen ruhig und in höchstem Maße konzentriert bereitete Sciurus sich darauf vor, einem Ausbruch des Vulkans zu begegnen. Luca hatte ohne Zweifel mehr körperliche Masse als er, sicherlich auch größere Muskelkraft, doch Sciurus' Stärke war die Kontrolle seines Handelns und das Wissen um die vollkommene Bedeutungslosigkeit seines eigenen Lebens. Würde der andere ihn beschädigen oder gar töten, so würde das Bedauern hauptsächlich seinem Herrn zufallen und andere würden Lucas Disziplinierung übernehmen. Sciurus dagegen würde leben oder sterben - und es war ihm einerlei, denn er existierte für das eine wie für das andere. Ohne eine Miene zu verziehen ließ er die wirre Tirade des Sklaven über sich ergehen, aus der dessen vollkommene Unkenntnis über seinen Status sprach. Nur eine Antwort gedachte der Vilicus ihm zu auf seine letzte Frage, um Luca darauf zu stoßen, dass er die Antworten in seinen Worten längst selbst gefunden hatte.
    "Du hast es doch bereits verstanden. Ich bin kein Mensch, ich bin ein Sklave wie du, ein Sklave wie alle hier."


    Anschließend wandte er sich Hektor zu, dessen Frage ihn ebenfalls etwas verwirrte.
    "Sie erhält die gleiche Bestattung wie alle anderen Sklaven dieses Haushaltes." Nicht ganz sicher, ob Hektor wirklich daran zweifelte, fügte er an: "Sie hat einen Fehler begangen, doch sie hat ihre Strafe dafür erhalten."
    Selbst wenn Hektor nicht darauf abgezielt hatte, so war dies für Luca sicher eine neue Information. Nur wer auf der Flucht starb oder etwa seinen Herrn tötete, hatte sein Anrecht auf eine ordentliche Bestattung verwirkt - die meisten anderen Vergehen waren spätestens mit der Hinrichtung als Bestrafung abgegolten.
    "Du kannst dich darum kümmern." Er blickte zu Luca, dann zurück zu Hektor. "Und wenn sein Herr momentan keine Verwendung für ihn hat, dann nimm ihn mit, dass er sieht, wie eine Bestattung hier abzulaufen hat."

    Das Aufbegehren des vorlauten Luca war anscheinend ansteckend, denn nun erhob sich nicht nur eine weitere Stimme, sondern sie beendete ihre Worte ebenfalls mit einem feuchten Klumpen auf dem Boden. Hektor, ein Sklave aus dem Haushalt der Aurelia Prisca, zeigte Sciurus damit, dass die aurelische Zucht anscheinend auch nicht sonderlich ausgereift war.
    "Wenn ich mir die Art eurer Speichelabsonderungen ansehe, dann entdecke ich wirklich keinen Unterschied zu einem Tier", kommentierte Sciurus das Gebaren. "Ganz egal, auf welcher Stufe die Herren ihren Besitz generell sehen, ihr verfrachtet euch selbst an das untere Ende. Die Entscheidung liegt also bei euch. Stellt euch auf die Stufe zu der Mücke, die sich am Tod der anderen nicht stört, dann stecht und sterbt wie diese. Stellt euch auf die Stufe mit dem Hund, dann lernt aus dem Tritt und pinkelt euren Herren nicht ans Bein."


    Er drehte sich wieder zu Luca. "Wenn ihr dann noch stubenrein werdet, folgt und euch bewährt, dann gibt es ab und an sicherlich auch ein paar Streicheleinheiten."
    Den Hinweis, dass die flavischen Sklaven in weit besseren Verhältnissen lebten als ein Großteil der freien Bevölkerung Roms, erwähnte Sciurus nicht, denn ein Eingefangener würde dies sowieso nicht verstehen. Regelmäßige Mahlzeiten, ein trockener Platz zum Schlafen, medizinische Versorgung und eine bezahlte Bestattung - das alles zählte für sie nicht. Vermutlich würde auch Luca lieber in einem stinkenden Loch in der Gosse wohnen, brackiges Tiberwasser trinken, als einzige Mahlzeit des Tages ein Stück altes Brot essen und sich den Tag über auf einer der freien Baustellen abschuften, nur um sich der Illusion hingeben zu können, frei zu sein.

    Übertriebene Emotionalität war ebenfalls oft ein Problem der Eingefangenen, und dass sie ihre Gefühle nicht im Zaum halten konnten und ihnen hilflos ausgeliefert waren. Auch Luca schien diesem Muster verfallen sein, denn obwohl Sciurus nicht weiter auf ihn achtete - für Sarkasmus, Spott und Schmähungen gegen seine eigene Person war der Vilicus so gut wie unzugänglich, wusste er doch genau um seine Position in der Welt -, behielt er ihn doch im Auge. Glücklicherweise war es nicht seine Aufgabe, diesen unflätigen Sklaven zu domestizieren und er hätte wohl ohne Umschweife zu dem freudigen Teil der Versammlung übergehen können, hätte nicht Luca seinem Naturell nachgegeben.


    Von keiner der abstrusen Fragen des Sklaven ließ sich Sciurus aus der Ruhe bringen, auch nicht von der Anspannung, die auf Lucas Äußerem zu erkennen war. Seine Stimme war beherrscht und nicht sonderlich laut, so dass die übrigen Sklaven still schweigen mussten, um die Worte zwischen den beiden mitzuhören.
    "Hast du jemals die Mücke, die dich gestochen hat, gefragt, warum sie das getan hat, bevor du sie erschlagen hast? Hast du jemals den Hund, der dir ans Bein gepinkelt hat, gefragt, warum er das getan hat, bevor du ihm einen Tritt versetzt hast? Ob sie das Kind mit Absicht fallen lassen hat, ist völlig irrelevant, und ich kann dir nicht sagen, ob mein Herr danach gefragt hat. Ich bezweifle es jedoch, denn andernfalls würde sie sicherlich noch lange nicht so ruhig hier liegen."
    Sciurus sprach die Worte als würde er mit einem begriffsstutzigen Kind sprechen, denn die Art der Fragen schien ihm auf gleichem Niveau, die Antworten gänzlich eindeutig.
    "Kein Mensch hat ihr die Kehle durchtrennt. Ich habe es getan. Wenn du lange genug überlebst, wirst du vielleicht herausfinden, dass das weite Feld der Sanktionierung eine Kunst für sich ist, die Präzision und Erfahrung voraussetzt. Meinen Herrn reizt diese Disziplin nicht, er widmet sich bedeutsameren Professionen."
    Nicht erst seit seiner Zeit in der Villa Flavia hatte Sciurus diese Kunst beständig verfeinert, obwohl er zugeben musste, dass erst Sica, der Sklave des Flavius Felix ihn gelehrt hatte, jeden seiner Handgriffe präzise und gekonnt auszuführen. Es war nicht etwa so, dass er Spaß daran hatte - Spaß war nichts, was einem Sklaven zustand -, oder Lust an der Bestrafung oder dem Töten empfand - auch Lust gehörte nicht zu Sciurus' Dasein -, es war schlichtweg eine Notwendigkeit und Sciurus strebte in allem, was er tat, stets nach Perfektion.

    Nach und nach traten mehr und mehr Sklaven in den Hof, währenddessen Sciurus vor dem Karren mit der Leiche stand und emotionslos über sie hinweg blickte als ginge ihn diese Versammlung nicht das Geringste an. Keinen einzigen der Männer, Frauen und Kinder kannte er näher als mit ihrem Namen und der Aufgabe, die sie üblicherweise im Haus verrichteten. Doch von jedem einzelnen wusste er, wer sein Besitzer und von welcher Güte er war, wie auch welche Verfehlungen er in der Villa Flavia bereits begangen hatte. Die meisten Anwesenden warteten stumm und in sich gekehrt, denn für viele der altgedienten flavischen Sklaven war es nicht das erste Mal, dass sie derart versammelt wurden.


    Einer jedoch ließ sich von seiner Ungeduld übermannen, Luca, ein Sklave des Herrn Flaccus, ein Eingefangener. Sciurus konnte nicht verstehen, weshalb sich die flavischen Herren immer wieder darauf einließen, eingefangene Sklaven zu kaufen, anstatt sich auf bewährte Zuchten zu verlassen. Diese mochten zwar ein wenig kostspieliger sein, doch am Geld mangelte es der flavischen Familie schließlich nicht, und am Ende zahlten sich diese Investitionen oft um ein vielfaches aus. Doch dem Vilicus stand ihm nicht zu, darüber zu urteilen. Er war nur derjenige, der sich letztenendes mit den Marotten der Eingefangenen auseinandersetzen musste - Aufmüpfigkeit, Drang nach Freiheit, Ungeduld, Renitenz und fehlgeleitete Wahrnehmung. Wie bei Luca, der anscheinend glaubte, eine Sonderrolle unter allen anderen einzunehmen, dass Sciurus ihm alles einzeln erklären würde.
    "Du wirst dich gedulden wie alle anderen auch", antwortete der Vilicus kühl und fixierte Luca dabei mit einem Blick aus seinen hellgrauen Augen ohne dass sich sonst auf seiner Miene ein Anzeichen seiner Verachtung zeigte.


    Sciurus wartete noch einige Augenblicke, dann wandte er sich mit nüchterner Stimme an die versammelten Sklaven.
    "Heute Nacht hat die Herrin Antonia ihren Sohn Titus Gracchus zur Welt gebracht."
    Er trat ein Stück zur Seite, so dass alle den Leichnam auf dem Karren sehen konnten. Das helle Tuch, das Ariadne bedeckt hatte, war bis unter die Brust zurück geschlagen. Das Tuch um ihren Hals war von dunkelrot, beinahe braun geronnenem Blut durchtränkt, das sich in Spuren auch auf ihrer Brust zeigte.
    "Dies ist die Amme, die sich um den Jungen kümmern sollte. Doch sie hat das Neugeborene in fahrlässiger Weise fallen lassen. Titus Gracchus ist nichts passiert, andernfalls würden wir uns nicht hier, sondern vor einem Kreuz im Garten einfinden."
    Mit der Ausgestreckten Hand deutete er auf die tote Sklavin und hob seine Stimme ein wenig an, einen drohenden Unterton beimischend.
    "So wird es einem jeden von euch ergehen, der achtlos eines der flavischen Kinder in Gefahr bringt. Wer es dagegen mit Absicht tut, der wird sich wünschen, dieses Stadium bereits erreicht zu haben."

    Am frühen Morgen jenes Tages, der auf die Nacht folgte, in der Claudia Antonia ihren Sohn Titus Gracchus zur Welt gebracht hatte, stieg Sciurus zum zweiten Mal in kurzer Folge hinab in den Keller unter der Villa Flavia. Nachdem der Medicus Kosmas festgestellt hatte, dass das flavische Neugeborene keine offensichtlichen Schäden durch den Sturz erlitten hatte, blieb der Amme Ariadne eine Kreuzigung erspart. Der Tod jedoch musste sie trotzdem ereilen. Sie war kaum bei Bewusstsein als Sciurus sie aus dem Loch zog, in das er sie einige Stunden zuvor hineingesteckt hatte, doch kümmerte das den Sklaven wenig. Hätte sie eine andere Strafe als den Tod erhalten, so hätte er dafür Sorge getragen, dass sie jeden Augenblick davon intensiv wahrnahm. So jedoch war es ihm einerlei, denn ihren Zweck würde sie hauptsächlich für den Rest des Haushaltes erfüllen. Dazu verhinderte ihr Delirium, dass sie zu Jammern begann oder sich wehrte. Mit einem Messer, das er explizit für solche Zwecke besaß, schnitt Sciurus der am Boden liegenden Sklavin ohne den Anflug einer Emotion von hinten die Kehle durch. Er legte dabei die gleiche Professionalität zu Tage wie sein Herr, wenn dieser seinen Göttern ein Tier opferte.


    Es dauerte einige Zeit bis kein Blut mehr aus der Wunde in den festgetretenen Kellerboden sickerte, während der Sciurus abwartend neben den beiden Leichen - der Amme und ihrem Kind - verharrte. Zuletzt legte er Ikarus auf ihre Brust, band ein einfaches Stofftuch um Ariadnes Hals und fasste sie unter den Schultern, um sie den Gang entlang zurück nach oben zu ziehen, wo bereits ein Karren stand. Nachdem die Tote auf diesen aufgelegt war, bedeckte Sciurus die Ladung mit einem hellen Tuch, bevor er sie auf direktem Weg zu den Stallungen zog, in der die flavischen Pferde untergebracht waren. Das tote Kind packt er in einen Sack, den er einem anderen Sklaven übergab, um ihn draußen vor der Stadt zu verbrennen und beizusetzen. Die übrigen Sklaven brauchten nichts von dem Verbleib des Jungen zu wissen.


    Nachdem Sciurus schlussendlich seine Hände vom Blut Ariadnes gereinigt hatte, wies er einige Sklaven an, dem gesamten Sklavenhaushalt mitzuteilen, dass alle, die nicht etwas überaus dringendes für ihre Herren zu erledigen hatten, sich nach der Aufwartung der Klienten zur hora quinta bei den Ställen einzufinden hatten. Vor dem Karren ließ er einen Sklavenjungen zurück, der achtgeben sollte, dass niemand sich daran zu schaffen machte, bis dass er selbst dorthin zurückkehrte.


    Kurz vor der achten Stunde scheuchte Sciurus die Sklavenschaft seines Herrn in den Hof vor den Ställen, ließ den Karren hinausziehen und wartete, dass auch die Sklaven der anderen Bewohner sich zahlreich einfanden - denn Gracchus würde nicht zögern, von seinen Verwandten den Tod eines Sklaven zu verlangen, wenn dies notwendig war.

    M' Tiberius Durus, Casa Tiberia, Roma


    M' Flavius Gracchus M' Tiberio Duro s.p.d.


    Ich möchte Dich herzlich ANTE DIEM * KAL SEP DCCCLXI A.U.C. um die Neunte Stunde zu einer kleinen Cena in die Villa Flavia einladen.


    Mögen die Götter dir und den deinen stets wohlgesonnen sein!





    * wann immer du in den nächsten Tagen möchtest

    Ohne ein Wort nickte Sciurus auf die Weisung seines Herrn hin und trat zu der Amme, die noch immer auf dem Boden kniete, ihr nacktes Kind fest an die Brust gedrückt und weinend und jammernd mit dem Oberkörper vor und zurück wiegte. Emotionslos schlug er ihr kräftig mit der Rückseite der Hand ins Gesicht, dass sie halb bewusstlos wurde, und hievte sie vom Boden hoch. Sie war nicht allzu schwer und Sciurus' Muskeln noch immer durchtrainiert, so dass es ihm ein leichtes war, die nurmehr leise wimmernde Sklavin aus dem Raum zu schaffen. Vor der Türe wies er mit schroffer Stimme die nutzlos herumstehende Sklavin seiner Herrin an, Kosmas aus dem Bett zu holen und in das Cubiculum ihrer Herrin zu schicken. Erschrocken riss sie die Augen auf, stammelte dann jedoch eine bestätigende Antwort und rauschte eilig davon.


    Ariadne bemerkte kaum noch wie sie von dem flavischen Vilicus durch die Gänge der Villa Flavia geschleift wurde, die zum größten Teil noch immer im Dämmerlicht der weichenden Nacht lagen. Noch immer drückte sie Ikarus an ihre Brust, ihre Hände verkrampft um seinen kleinen Leib gelegt. Wenn sie ihm nur genügend Wärme abgeben könnte, dann würden die Götter ihm vielleicht noch einmal sein Leben zurückgeben. "Ikarus", keuchte sie leise und konnte nicht verstehen, was geschehen war, konnte nicht verstehen, wieso ihr Kind tot vor ihrem Herrn gelegen hatte.


    Ein wenig umständlich öffnete Sciurus die Türe zum flavischen Keller und nahm sich mit der Linken eine Öllampe, die schräg gegenüber auf einem Wandvorsprung stand. Dann zerrte er die dunkelhäutige Sklavin die steinernen Stufen hinab und ein kurzes Stück den Gang entlang. Hinter einem schmalen Durchgang, der zu den scheinbar niemals endenden Weinvorräten der flavischen Familie führte, lehnte er die Amme schließlich an die Wand und öffnete ihr gegenüber eine Türe, die ihm nur bis an die Hüfte reichte. Hastig drehte er seinen Kopf zur Seite, denn der miefige Dunst, der aus dem dahinterliegende Raum entwich, war üblicherweise besonders widerwärtig. Schlussendlich packte er die Sklavin und schob sie in die winzige Kammer, die in der Villa Flavia unter den Sklaven als 'das Loch' bekannt war: nur durch einen schmalen Spalt drang Licht und Luft durch die Türe, doch wenn die Lampen im Keller gelöscht waren, so war es nurmehr kalte, feuchte Luft und Finsternis; zudem bot der Raum in Höhe, Breite und Tiefe gerade genügend Platz, um in der Hocke zu sitzen oder zusammengerollt zu liegen. Dort eingesperrt zu werden galt als eine der schlimmsten Strafen der Villa - zumindest für jene, denen ihr Leben bleiben sollte, auch wenn schon einige Sklaven - absichtlich oder unabsichtlich - dort vergessen worden waren und nur noch als Leichen wieder das Tageslicht erblickt hatten.


    Da Ariadne sich noch immer fest an Ikarus klammerte, sperrte Sciurus auch den kleinen Leichnam mit ihr ein. Bevor das tote Kind beginnen würde, sich zu zersetzen, würde er ohnehin wiederkommen. Denn die Amme würde nur so lange in der Kammer verweilen, bis der Medicus festgestellt hatte, was sie dem neugeborenen Flavius angetan hatte. Mit jedem Schritt, den Sciurus sich von dem Loch entfernte, griff mehr Dunkelheit nach Ariadne und ihrem Kind.