In der gleichen Nacht verließen auch andere Bewohner die Stadt, aus ganz ähnlichen Gründen wie Cornelius Palma. Der Aufwand, der hierfür betrieben worden war, war jedoch um einiges geringer, die Vorbereitungen weit weniger sorgfältig. Zum Anbruch der Nacht fuhr ein schäbiger Händler aus Ostia mit einem Ochsenkarren beladen mit Getreide und Mehl durch die Porta Salutaris in die Stadt hinein, wobei er eine kleine Diskussion mit den Soldaten am Stadttor darüber führte, ob die Zutaten für Opferbackwaren, die er zum Templum Serapidis, dem Templum Quirini und dem Capitolium Vetus mit Iupiter-, Iuno- und Minervatempel bringen sollte, tatsächlich lebensnotwendig waren oder nicht. Letztlich jedoch ließen sie ihn passieren, denn gerade in dieser Zeit der Unsicherheit wollte es sich niemand mit den Göttern verscherzen, und der Händler feilschte mit der spitzesten Zunge, immerhin ging es um seinen Lohn - der vernichtet wäre, wenn das Getreide und Mehl in einigen Tagen schimmeln würde weil er kein geeignetes Lager dafür hatte und sich vor den Toren Roms die Füße in den Bauch stehen müsste.
Am Capitolium Vetus, seiner letzten Station, halfen dem Händler zwei Tempelsklaven beim Ausladen seiner Waren und verzogen sich hernach schnell wieder aus der kühlen Nacht in das Innere der Tempelküche. Bevor der Händler jedoch wieder auf seinen Karren aufsitzen und sich auf den Rückweg begeben konnte, wurde er rücklings von einem stämmigen Mann, der sich urplötzlich aus der Dunkelheit schälte, niedergeschlagen, in den Hof eines Wohngebäudes gezerrt und dort in eine große, hölzerne Kiste gesperrt, nachdem er ihm den Beutel mit den Münzen vom Gürtel geschnitten hatte. Ob man den Händler in den kommenden Tagen finden würde und ob er dann noch am Leben wäre, interessierte den Stämmigen nicht. Gerade noch rechtzeitig bevor eine nächtliche Patrouille der Praetorianer das Capitolium Vetus passierte, schwang er sich auf den Ochsenkarren und fuhr zur Villa Flavia.
Nachdem dort rasch zwei weitere Körbe auf den Wagen geladen worden waren, eine Frau neben dem stämmigen Mann Platz genommen und ein weiterer Mann die Zügel des Ochsen ergriffen hatte, setzte das Gespann seinen Weg fort durch die Straßen Roms zur Porta Collina.
Obwohl es geradezu unmöglich war, selbst unter den gegebenen Umständen, den Warenverkehr in die Stadt hinein und aus hier hinaus kontrollieren, so vertrieben sich die Soldaten an der Porta Collina mit ein wenig Arbeit die Zeit, in dem sie ab und an einen der Wägen überprüften. Ein Wagen mit leeren Hühnerkäfigen passierte das Tor ohne ihr Interesse, doch als Sciurus den Ochsen mit dem leeren Getreidekarren durch das Tor führen wollte, trat ihm ein Urbaner in den Weg.
"Name, Herkunft, Art der transportierten Waren, Bestimmungsort der Waren", ratterte der Soldat mit militärischer Strenge herunter und hielt Sciurus eine Fackel dicht vor die Nase. Der Sklave zuckte zurück, doch bevor der Urbaner ihn weiter bedrängen konnte, antwortete der Mann auf dem Wagen.
"Gaius Porcillius Tarpeianus aus Sulmo, wohnhaft in Ostia. Ich habe Getreide zu den Tempeln des Capitolium Vetus gebracht."
Der Soldat schwang seine Fackel zu dem Mann auf dem Wagen um und beleuchtete sein Gesicht, dann flüchtig das der Frau neben ihm, um sich wieder dem Mann zuzuwenden.
"Und wer sind die anderen zwei? Und warum verlässt du die Stadt nach Norden, wenn du aus Ostia kommst?"
Völlig ruhig beantwortete der Mann auch diese Fragen, verfiel nach ein paar Worten in einen regelrechten Plauderton, als würden er und der Soldat in einer Taberna bei einem Becher billigen Wein sitzen.
"Das ist mein Weib, Tertia, und das mein Sklave Bactulus. Wir wollen nicht nach Norden, sondern nach Osten, nach Hadria. Dort kommt in ein paar Tagen neues Wintergetreide aus den Ostprovinzen an. Ich habe leider keine feste Anstellung und muss sehen, wo ich an Waren komme und der Cultus Deorum kauft das Getreide nun einmal da, wo es am billigsten ist. In Hadria ist das Getreide immer billig, weil es halt auch nicht von so guter Qualität ist wie das aus den Südprovinzen. Ich frag mich schon manchmal, ob die Götter das nicht merken, aber vermutlich ..."
"Das reicht!" fiel der Urbaner ihm schroff ins Wort. " Du kannst weiter." Er trat zurück und schwenkte die Fackel ein wenig. "Los, setz dich in Bewegung und verstopfe nicht die ganze Straße!"
Sciurus zog an den Zügeln, dass der Ochse sich in Bewegung setzte, und ließ seinen Körper noch einige Augenblicke in Anspannung. An der Weggabelung hinter der Porta führte er das Gespann auf die Via Nomentana, fort von Rom.
Einige Meilen die Straße entlang wechselten die beiden Weidenkörbe mit den flavischen Kindern, Claudia Antonia und Sciurus an einem kleinen Gehöft das Reisemittel und stiegen auf ein Pferdegespann um. Der stämmige Mann fuhr mit dem Ochsenkarren eine andere Strecke weiter, um Karren und Vieh in einigen Tagen auf einem Dorfmarkt zu verkaufen.
Das Pferdegespann legte am folgenden Tag nur wenige Pausen ein. Einmal hielten sie an einer Quelle, um sich zu säubern. Ein andermal erstand Sciurus auf einem Markt in einer kleinen Stadt ordentliche Kleidung und passable Mäntel für Antonia und sich selbst, dazu einige warme Decken, in welche die Kinder auf dem Wagen gehüllt wurden, die am späten Vormittag aus ihrem tiefen Schlaf erwacht waren. Als gewöhnliche Reisende, nicht wohlhabend, doch ebenso wenig schäbig, setzten sie ihren Weg fort, sprachen mit niemandem viele Worte, bis sie nach mehreren Tagen eines der claudischen Landgüter in Antonias Besitz erreichten.