[Blockierte Grafik: http://img14.imageshack.us/img14/7499/luciusgrer.jpg]| Lucius Petronius Crispus
Inzwischen lasen die Knaben der Xanthos-Schule die römische Literatur ganz gut. Nachdem sie Caesar hinter sich gelassen hatten, hatte sich Xanthippus eine neue Teufelei ausersonnen: Nun wartete er den Jungen auch noch mit einer zweiten Sprache, dem Griechischen, auf. Das war zu viel für Lucius: Er hatte vor kurzem erst einen sicheren Umgang mit den lateinischen Buchstaben erreicht - nicht zuletzt aufgrund der Nachhilfe seiner Cousine - doch nun zeigte sich, dass diese verflixten Buchstaben auch noch andere Bedeutung erhalten konnten und noch einmal ergänzt wurden. Lucius war sich von Anfang an sicher, dass er es niemals schaffen würde, diese Sprache wirklich zu beherrschen.
Doch eine Sache war zumindest tröstlich: Xanthippus hatte angekündigt, dass die Griechen große Philosophen hervorgebracht hatten. Zwar sagten Lucius Namen wie Epikur oder Platon nichts, aber dafür kam ihm der Name eines gewissen Thales bekannt vor - hatte der nicht etwas mit Geometrie zu tun? Und auch andere Namen klangen interessant, nachdem Xanthippus diese als große Mathematiker vorgestellt hatte. Das hatte ihm auch die Angst vor den Buchstaben etwas genommen und er begann eifrig zu lernen. Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht, denn diese verfluchte Sprache erwies sich als unglaublich schwierig und die Hoffnung, auch nur jemals einen Text dieser Philosophen zu lesen, versank in einem Meer aus Angst vor dem Aufrufen, verzweifeltem Anstarren von Buchrollen und Furcht vor der Schelte des Vaters beim Nach-Hause-Kommen.
Eine seltene Freude blieb jedoch der Unterricht in Arithmetik und Geometrie, den Xanthippus sehr schätzte - wie auch Lucius, denn komischerweise machten ihm Zahlen wesentlich weniger Schwierigkeiten als Buchstaben, Worte und Sätze. Und das Beste: Darin war er wesentlich besser als Caius und konnte sogar mit Iulius gleichziehen!
"Caius, wie groß ist der Winkel hier?"
Mit seinem Zeigestab deutete der Lehrer auf eine Wandkarte, auf der ein geometrisches Gebilde aufgezeichnet war. Caius blickte das Bild abschätzig an und zuckte mit den Schultern.
"Woher soll ich das wissen?"
"Indem du hier ein bisschen aufpasst!"
erwiderte Xanthos gereizt. Trotz allen Hasses auf Caius bewunderte Lucius seinen Klassenkameraden: Ihm schien der Tadel des Lehrers überhaupt nichts auszumachen, er zeigte sich vielmehr völlig unbeeindruckt davon! Er selbst wäre vermutlich sofort im Boden versunken, wenn Xanthos ihn so angefahren hätte. Doch andererseits nährte dies auch seinen Hass auf den vornehmen Jüngling: Wie konnte man nur so respektlos sein? Er glaubte wohl, bloß weil sein Vater ein Magistrat war, konnte er sich alles erlauben! Naja, der bekam ja sowieso alles hinterhergeschmissen! Doch auch Xanthos konnte nichts unternehmen, denn Vinicius, der Vater von Caius, hielt seinerseits ebenfalls nichts von Geometrie und sorgte nicht dafür, dass sein Sohn die Strafarbeiten im mathematischen Bereich machte. Also ging er weiter.
"Antonius?"
Auch der kleine Antonius machte einen Versuch. Wie immer, wenn er etwas nicht wusste, dehnte er die Antwort dabei und starrte das Problem an, als wäre es soeben erst aufgetaucht.
"Hmmm....mal sehen...vielleicht...ungefähr...dreißig Grad?"
"Falsch! Lucius?"
kommentierte Xanthos und ging sofort weiter. In Mathematik war Lucius der Klassenprimus und natürlich erwartete der Lehrer, dass der Petronier die Antwort parat hatte. Und natürlich wurde er nicht enttäuscht, denn Lucius hob sofort seinen Kopf und antwortete wie aus der Catapulta geschossen:
"Siebenundzwanzig Grad, Meister Xanthos!"
"Und warum?"
"Weil der Winkel da unten siebenundzwanzig Grad hat und die Gerade einfach die parallele Gerade schneidet, Meister Xanthos!"
"Sehr gut, Lucius!"
lobte der Lehrer. Dieser Zusammenhang war Lucius auch ohne seine Erklärung klar gewesen. Wenn man dieses Bild auf ein Papyrus malte und die es diagonal faltete, konnte man ja sehen, dass es der gleiche Winkel war! Nein, in Geometrie machte ihm so schnell niemand was vor.
"Siebenundzwanzig Grad, Meister Xanthos! Weil der Winkel sonstwas blabla, Meister Xanthos! Kann ich nochwas für Euch tun, o großer Meister Xanthos?"
flüsterte Caius dem kleinen Petronier mit einem bösen Grinsen zu. Natürlich wusste er, dass dies Lucius besonders stören würde, denn er stritt die ganze Zeit um die Anerkennung der Jungen und obwohl er Caius hasste, so fürchtete er doch seinen Spott. Er wollte kein Streber sein, hatte jedoch nicht diese Ruhe, die Iulius gegenüber derartigen Angriffen an den Tag legte.
"Halt's Maul, Caius!"
meinte er daher und drehte sich um. Xanthos hielt in seinem Vortrag inne.
"Wie bitte?!"
Sofort fühlte sich Lucius wieder ertappt und sah beschämt zu Boden. Er spürte, wie das Blut in seinen Kopf schoss, als er erkannte, dass der Lehrer diese Beschimpfung gehört hatte.
"Nur, weil du diesen Winkel erkannt hast, heißt das nicht, dass du den Unterricht stören darfst! Solche unflätigen Worte schätze ich nicht in meiner Schule! Raus!"
Das Blut verließ Lucius' Kopf schlagartig - sogar so viel, dass er erblasste. Hatte Xanthippus ihn soeben tatsächlich aus der Klasse geworfen? Und was würde sein Vater sagen, wenn er mitten am Tag von der Schule nach Hause kam? Wie furchtbar! Er würde ihn vermutlich noch extra bestrafen! Er wollte um Gnade bitten, doch er brachte nichts heraus. Stattdessen griff er seine Tafel und hob sie langsam hoch.
"Na los! Ich möchte fortfahren!"
schimpfte Xanthos und hinter sich hörte Lucius ein Husten, das ganz danach klang, als würde Caius sich ein Lachen verkneifen. Rasch steckte er die Tafel in seinen Beutel und warf den Stylus hinterher. Dann erhob er sich und verließ schnellen Schrittes die Schule. Kaum hatte er den Vorhang passiert, begannen die ersten Tränen seine Augen zu verlassen. Was sollte er denn jetzt machen?
