Kurze Zeit später war es so weit: Alle Hausbewohner hatten sich in der Küche versammelt, wo Gunda einen großen Bottich aufgestellt hatte, in dem man zu zwei sitzen konnte. Crispus bestand darauf, dass zuerst Gunda und Armin in die Wanne stiegen. Die beiden schienen das warme Wasser zu genießen, doch blieben sie nicht lange, sondern verließen das warme Nass recht schnell, um wieder in ihre Kleider zu schlüpfen. Unterdessen streifte Crispus seine Tunica ab und wies auch Lucius an, sich seiner zu entledigen. Wenn Crispus seinen Sohn so betrachtete, machte er sich ein wenig Sorgen: Der Knabe war etwas schmächtig und dünn - so würde er wohl kein guter Soldat werden! Er würde sich in Zukunft mehr darum kümmern, das der Junge genug aß!
Obwohl das Wasser in der Wanne schon eine Zeit lang stand, war es noch immer angenehm warm, als die beiden Petronier hineinstiegen. Crispus setzte sich und Lucius nahm auf seinem Schoß Platz. Diese Situation erinnerte den Alten an ein bestimmtes Erlebnis aus seiner Kindheit: Auch er hatte am ersten Tage der Saturnalien gemeinsam mit seinem Vater gebadet (soweit dieser zu Hause war). Und dabei hatte man sich immer die Geschichte von Saturn und seinem Zeitalter erzählt. So wollte er diesmal auch seinem Sohn die Geschichte erzählen:
"Lucius, weißt du, warum wir die Saturnalien feiern?"
fragte er daher. Bei der Antwort des Jungen musste sich Crispus allerdings fragen, ob die Schule des Xanthos wirklich die beste war:
"Nein, warum, Papa?"
Mit großen Augen sah Lucius zu seinem Vater hinauf, der zuerst ein nachdenkliches, dann ein freundliches Gesicht machte. Wahrscheinlich hatte Xanthos ihnen schon etwas darüber erzählt, nur hatte Lucius wohl nicht aufgepasst - normalerweise hätte das Wut bei Crispus erzeugt, doch heute waren Saturnalien, da vergab man das schonmal.
"Saturn war einmal der Herrscher des Himmels, bis Iuppiter gekommen ist, und ihn vertrieben hat. Da hat er nicht gewusst, was er tun sollte und ist auf die Erde gekommen. Dort hat er dann Ianus getroffen und zwar in Latium - weißt du, wo Latium liegt?"
"In Italia!"
antwortete Lucius rasch und Crispus nickte. Wenigstens etwas hatte sein Junge in der Schule gelernt! So fuhr er fort.
"Ianus hat Saturn an seiner Herrschaft beteiligt und als Dankeschön hat Saturn den Menschen den Ackerbau beigebracht. Und natürlich den Weinbau! Seine Herrschaft war eine tolle Zeit: Niemand musste säen, aber man hat in Hülle und Fülle ernten können! Außerdem waren alle gleich, es hat keine Sklaven und Herren gegeben - warum auch? Jeder hat ja gehabt, was er wollte! Aber leider haben die Leute bei all dem Wohlstand vergessen, was wichtig ist: Ordnung, Disziplin, vor allem in der Religio. Deswegen haben die anderen Götter wieder Ordnung geschafft und Saturn in Ketten gelegt - wie einen Verbrecher! Damit war es aus mit dem tollen Leben für alle - die Leute mussten wieder hart arbeiten und die Götter fürchten.
Wenn du Saturn heute anrufst, kannst du manchmal sogar das Klirren seiner Ketten hören!"
Mit großen Augen sah Lucius seinen Vater an. Dieser lächelte - seine Geschichte hatte Wirkung gezeigt. Sie war zwar nicht das, was sein Vater ihm damals erzählt hatte (dieser hatte die Zeit des Saturn etwas positiver dargestellt und die anderen Götter eher als missgünstige Neider dargestellt, sodass Saturn etwas besser wegkam), doch sie transportierte dafür seine wichtigsten Werte - Ordnung und Disziplin - besser und das war es, was Lucius vor allem lernen musste.
"Heute vor vielen Jahren ist der Tempel des Saturn in Rom geweiht worden und deswegen feiern wir dieses Fest und lassen ihn sozusagen ein paar Tage nochmal regieren."
"Und das macht den anderen Göttern nix aus?"
"Nein, die dürfen ja den Rest des Jahres regieren!"
Bei dieser Aussage war sich Crispus zwar nicht so sicher, doch die Tradition der Maiores war über jeden Zweifel erhaben und wenn sie sagten, dass die Saturnalia zu feiern waren, dann war das auch so - außerdem war Saturn sonst sicher böse!
"Weißt du eigentlich, was am Saturntempel so besonders ist?"
"Dass er einem alten König der Menschen geweiht ist?"
"Nein, Quirinus Romulus ist doch auch ein König der Menschen gewesen und hat einen Tempel! In seinem Tempel ist das Aerarium Saturni, der Staatsschatz! Er muss darauf aufpassen!"
Wieder einmal fragte Crispus sich, ob sein Sohn in der Schule eigentlich gar nichts Vernünftiges lernte! Vielleicht sollte er ihn irgendwann nach Italia schicken, damit er ein bisschen römischer wurde...