Beiträge von Quintus Petronius Cinna

    Er stellte einen Fuß auf den Randstein neben der Säule, an der Arria lehnte und sah so in den Garten. Er dachte an Marcia und daran, wie sie ihn angesehen hatte, wurde von Arria aus den Gedanken gerissen. "Imperiosus? Wer ist das? Soll meine kleine Nichte etwa verheiratet werden?"

    Das verträumte, junge Ding hatte ihn gar nicht bemerkt und als sie schon fast gegen ihn lief, schien sie überrascht. Cinna hob deshalb und wegen der hölzernen Anrede amüsiert eine Braue und deutete Arria an, dass sie ihn begleiten mochte.
    "Guten Morgen, Arria. Ich hoffe du hattest eine gute Nacht?"

    Es war kalt und es war ungemütlich, aber Cinna musste Luft schnappen. So spazierte er we immer kerzengerade, mit hinter dem Rücken ineinander verschränkte Händen, neben den Säulen entgang und besah sich dabei die Trostlosigkeit eines Gartens zur Winterszeit.

    "Pferdetrainer. Ich bin mit den Tieren quasi großgeworden, habe eine Zeit lang für einen.... einen befreundeten Patrizier seine Pferde trainiert. O, das selbe übrigens auch auf dem Gestüt meines Bruders Petronius Varus, bevor er es verkaufen musste.", erzählte Cinna.

    Cinna sah vom Becher auf, als Marcia das Cubiculum betrat. Ihre spitzzüngigen Bemerkungen hörte er sehr wohl, aber sie schienen an ihm abzuperlen wie Wassertropfen auf dem Gefieder eines Vogels. Ihr Aussehen hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Gerötete Augen und wirres Haar sah man an Marcia selten, zudem war ihre Nase leicht rot.
    "Bist du spazieren gewesen?", fragte er und nippte wieder an dem Wein, seine Frau nicht aus den Augen lassend. Dann stellte er jedoch den Becher beiseite und stützte das Kinn auf diesen Arm.
    "Varus geht es gut, keine Sorge", gab er nun doch spitz zurück.

    Vom Officum seines Bruders aus komment, erreichte Cinna sein Cubiculum. Dort angekommen fand er es verwaist vor - Marcia war nicht da. Wo sie war, das wusste er nicht, doch machte er sich sogleich Gedanken, wo sie stecken könnte. Nicht, dass ihr etwas zugestoßen war.
    Er lief einige Bahnen im Cubiculum hin und her, ehe er die Toga löste und sie sorgfältig faltete, obwohl sie befleckt war und gewaschen werden sollte. Dann ließ er sich schwerfällig in einen Korbsessel fallen und sinnierte über den Tag.
    Was für ein Tag! Er war kein Segen, dafür aber ein Fluch und Cinna wusste, dass es besser war, wenn ein wenig Ruhe Einzug halten könnte. Er musste sich unterordnen, er würde sich zügeln und er würde gleich morgen auf Arbeitssuche gehen, damit er keinem etwas schuldig wurde - am allerwenigsten sich. Jetzt, wo er das eingesehen hatte, musste er sich also nur noch damit abfinden.


    Quintus Petronius Cinna war eigentlich kein so arg jähzorniger Mensch. Er schlug auch seine Frau normalerweise nicht und er war vor allem nicht streitsüchtig. Das, was in den wenigen Stunden seit seiner Ankunft vorgefallen war, zeigte ergo eher den Ausnahme-Cinna.
    Und dass er außer sich geriet, war vielleicht auch nicht so verwunderlich, wie man im ersten Moment annehmen mochte. Er hatte seine Gründe. Gründe, über die er nie redete, ja, selbst vermied darüber je nachzudenken. Es betraf Varus, seinen Halbbruder, mit dem er sich einst wirklich ausgesprochen verstanden hatte - egal, wie Sonor ihm gegenüber gestellt gewesen war. Jedenfalls gab es ein Ereignis, das einen Keil zwischen die beiden geschoben hatte und es sah nicht danach aus, dass sie jemals darüber hinwegsehen könnten.


    Cinna fuhr sich über das Kinn und seufzte. Das erste Mal sah er sich wirklich in dem Cubiculum um. Es war geräumig, im Sommer sicherlich hell und die Wände zierten schöne Mosaike, die zwar an die in Achaia lange nicht heranreichten, wohl aber Geschmack aufwiesen. Er erkannte, dass Varus nicht gespart hatte, weil das Zimmer nur seinem Halbbruder und dessen Frau gehören sollte und wenn er auch so tat, als würde ihn diese Erkenntnis überraschen, tat sie es eigentlich nicht.
    Er schenkte sich aus einer Karaffe Wein ein und nippte mehr, als dass er davon trank. Wo Marcia nur blieb? War sie nicht schon vor ihm vom Mahl geflüchtet und hätte längst auf das Cubiculum finden müssen, selbst wenn sie einen Spaziergang unternommen hätte?

    "Nicht beeinflussen...", rasselte Cinnas Stimme, um gen Ende des Gesprächs noch einmal klar und deutlich zu machen, was er von alldem hielt. "Du weißt genauso gut wie ich, dass du dich damit selbst belügst."
    Dann verließ Cinna mit einer wegwerfenden Handbewegung und passendem Geräusch das Officum, wandte sich jedoch nicht mehr um, als Varus ihm aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund hinaus folgte. Da sich ihre Wege vor der Tür aber trennten, sagte er auch nichts weiter.

    "Und warum, Varus? Weil er nie gewollt hätte, dass ich berücksichtigt werde. Ich sagte doch schon, ich will dein Geld nicht. Nicht deins und auch nicht das deines Vaters. Daran hat sich nichts geändert. Ich bin kein Bettler, kein Bittsteller, der jemandem hinterherrennt, um dessen Gunst zu erhaschen oder... oder dessen Mitleid!", entgegnete Cinna barsch und schwenkte verärgert den Becher. Natürlich hatte Cinna damals nicht gewollt, dass man im Erbe des Alten herumwütete. Er hatte seinen unehelichen Sohn nicht berücksichtigt, wie er ihn Zeit seines Lebens nicht akzeptieren konnte. Wer würde da schon noch irgendetwas annehmen wollen, zumal es ihm nicht bestimmt war? Und vor allem: Wer würde da noch etwas von jemandem annehmen wollen, dem immer alles nur so in die Hände gefallen war?
    "Du solltest dich mal sehen... Wie du da sitzt und dich in Verständnislosigkeit hüllst und Großzügigkeit heuchelst..." Ihm lag so vieles auf der Zunge und man konnte sehen, wie er auf sie biss, damit die Situation nicht schon wieder eskalierte. "Ich habe es satt!", spuckte er aus, schüttete den Wein zur Gänze herunter und stellte den Becher laut zurück auf den Tisch, ehe er sich aufrichtete und zur Tür stiefelte.
    "Ich bleibe!", donnerte er und hätte am liebsten die Faust in die Tür gerammt, weil er auf den Bruder angewiesen war.

    Cinna hatte für den wartenden Becher nicht mehr als einen Blick übrig. Er blieb wie versteinert stehen. Die angedeutete Bemängelung an Cinnas Respekt und seiner Toleranz, schmälerte seine Augen und wohl auch seine Geduld, doch er entgegnete nichts entsprechendes. Als Varus endete, war es, als hätte er Cinna den Wind aus den Segeln genommen, sodass der schnaubte und nach dem Wein griff, um davon mit grimmigen Blick zu trinken. Er nahm einen Mund voll, spülte damit durch die Zähne und schluckte erst nach einer ganzen Weile.
    "Du bist ein wahrer Held, Varus. Du kannst dir denken, dass meine Mittel erschöpft sind, nachdem das ganze Erbe an dich und die anderen ging. Nicht eine einzige Erwähnung hat Sonor der Hund mir zuteil werden lassen, als existierte ich nicht mehr! Und jetzt lässt du mir die Wahl, ob ich gehen oder bleiben will. Was denkst denn du?! Ich würde lieber heute denn morgen gehen, doch fehlen mir wie schon erwähnt sämtliche Mittel dazu, die ich mir im Übrigen - das brauchst du mir nicht erst zu sagen - schon noch erarbeiten werde."
    Er machte ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge, wohl von Verachtung herrührend, und nahm einen weiteren Schluck vom Wein.
    "Geht es dir ums Geld? Was wir an Unkosten bereiten, werde ich selbstverständlich ausgleichen. Ihr schuldet mir nichts und ich werde euch nie etwas schulden. Und was den Ton untereinaner anbelangt... Da sei dein Wunsch mir doch eine Ehre, mein Pater."
    Es blitzte in Cinnas Augen und er nahm genüsslich noch einen Schluck, ehe er laut bekundete, dass ihm das Zeug in der Kehle gut tat.
    "Wäre das genug des Mittelweges für dich, Bruder?", fragte er ungerührt und nahm diesmal gleich mehrere Schlücke.

    Vom Balneum aus kommend übersah Cinna die beiden Steine, die aus dem Mosaik gefallen waren und zögerte, als er anklopfen wollte, über sich selbst erstaunt. Varus war zwar sein Bruder und der PF, aber trotzdem hatte Cinna keinen Respekt für ihn übrig. Warum also klopfen?
    Mir nichts, dir nichts öffnete er die Tür zu Varus Officum und trat ein. Er fand seinen Bruder hinter seinem Schreibtisch sitzend vor und stellte sich breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihm auf, während er sich schätzend umsah.
    "Was gibt's?", brummte er und es war nicht zu überhören, dass Cinnas Geduldfaden aufs Bersten gespannt war.

    Turia hatte sich dem Massieren gewidmet, doch Cinnas Gemüt war erhitzt und ließ sich selbst davon nicht beschwichtigen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelehnt und regte sich nicht, als der Sklave ihm die Nachricht seines Bruders überbringen wollte, bis er das Wort Abreise benutzte. Cinnas Kopf flog herum, der bohrende Blick traf den armen Sklaven, der darunter zu schrumpfen schien.
    "Ich hab's ja gehört! Verzieh dich!", fuhr er den Unschuldigen an, sodass der sich endlich zurückzog. Turia zuckte sichtlich von Cinna weg, er stieg aus der Wanne und ließ sich von der Sklavin abtrocknen. Dann rieb sie ihn mit einer Salbe ein, kämmte sein Haar, das sich in feuchten Strähnen in kleinen Locken ringelte und half ihm in frische Kleider.
    "Mach Ordnung", sagte er dann schlicht und ausgesprochen ruhig, ehe er das Balneum verließ.

    Er hatte zu Marcia gehen wollen, doch so wie er geladen war, hatte er sich ihr nicht antun wollen. Nicht, nachdem ihm schon einmal am heutigen Tage die Hand ausgerutscht war. Also hatte er Turia angeschnauzt, sie solle ihm auf der Stelle ein Bad einlassen, er wolle sich den Staub vom Körper schrubben lassen. Die Sklavin hatte wirklich gut daran getan und hurtigst alles hergerichtet, um die Geduld des Petroniers nicht noch mehr herauszufordern.
    Dann half sie Cinna aus der Kleidung, legte diese ordentlich beiseite und als er in einer großen Wanne platzgenommen hatte, machte sie sich daran, ihn abzuschrubben. Zuerst tat sie das recht zaghaft, sodass er sie anpolterte, sie solle es richtig tun. Sie spurte augenblicklich ohne ihn anzusehen, sodass Cinna brummend den Kopf zurücklehnte, um den Kopf frei zu bekommen, bis sie ihn kleinlaut fragte, ob sie ihm auch den Kopf waschen solle.

    (vom Triclinium ausgehend)


    Cinna hatte seiner Frau nachgesehen. Er wusste, dass er sich von ihr später auch noch einmal was würde anhören können und er musste sich eingestehen, dass sie dann im Recht war. Aber er war ja nicht der schlechte Ehemann, für den ihn alle zu halten schienen, sondern würde sich geduldig mit Marcia auseinandersetzen. Sie war doch sein Ein und Alles.
    Deshalb erst recht verstimmt polterte er vom Triclinium kommend ins Atrium, wo sein Bruder ihm noch etwas zu sagen hatte. Cinna sog durch den geöffneten Mund Luft ein und verlangsamte seinen Gang, bis er stehen blieb. Langsam wandte er sich herum, einem Raubtier ähnlich, dass das Beutetier hinter dem eigenen Rücken witterte.
    "Ganz genau", rasselte Cinnas Stimme kraftvoll, ehe die Mundwinkel in der Versuchung eines verärchtlichen Grinsens zuckten und er den Kopf leicht senkte. "Ein Jammer für die gesamte Familie."
    Er hielt dem Blick seines Bruders, der auf seine Kline thronte wie ein König, noch eine ganze Weile stand, dann wandte er sich wieder herum und setzte senien Weg fort. Er bezweifelte, dass Varus ihn noch einmal unterbrechen würde.

    Er sah es Varus an, dass sein Blut allmählich auf Temperatur kam. Dann spritzte auch schon der Wein, was Cinna mit einem müden Blick abtat. Als der ältere der unglücklichen Brüder seiner Entrüstung laut brüllend Platz verschaffte, stellte Marcias Ehemann schniefend den Becher beiseite, um die Hände vor dem Kinn zu falten, die Zeigefinger gegen den Mund zu legen und so den Ausbruch des anderen bis zum letzten Wort auszukosten. Doch ehe er den Ärger so gezügelt hatte, dass er ihn hätte in Worte fassen können, stand plötzlich Arria zwischen ihm und Varus und... mischte sich einfach so ein?
    Cinna sah verdutzt drein, wohl mit bitterböser Miene, aber nicht imstande seine Stimme zu erheben, solange Arria redete.
    "Freunde, Freunde, ich bitte euch", sagte er dann. "Ihr kennt mich schlecht, wenn ihr glaubt, ich würde Sabina, die Götter seien ihr seelig, als unehrenhafte Frau bezeichnen. Nur weil die Familie für einen wie mich immer zu schade war, werde ich doch nicht zu eben diesen Mitteln greifen. Also hört gefälligst auf meine Worte so hinzubiegen, wie sie euch gerade passen!"
    Ja, so war das eh und jeh gewesen. Er machte eine wegwerfende Handbewegung, sah kurz Marcia an und seufzte tief; das hatte ja eh keinen Sinn - nicht hier und nicht jetzt.
    "Wenn sie auch in einem Punkt Recht hat: Dieses Thema gehört nicht vor den Frauen behandelt. Mir ist der Appetit ohnehin vergangen...", brummte Cinna missgelaunt, feuerte eins der Handtücher auf den Tisch, beachtete nicht, wo es landete und stand auf. "Ach und Varus....", sagte er noch, die Stimme schneidend scharf wie die Klinge eines Messers. "Du glaubst nicht, wie sehr du deinem alten Herrn ähnelst." Beinahe hätte er vor Verachtung ausgespuckt, wandte sich jedoch nur schwungvoll um und stiefelte schweren Schrittes los.

    Na wunderbar. Cinna legte den Schenkel beiseite, wischte sich den Mund mit einem Tuch sauber und sah zur Seite, an der seine Frau saß. Er wollte sich ja zurücknehmen, hatte das bislang ja auch gut gemacht, aber jetzt war Varus zu weit gegangen. Doch bevor er ansetzen konnte zum Gegenschlag, verabschiedete Crispus sich recht fluchtartig und Cinna schluckte den Zorn herunter. "Gute Reise, Crispus, und pass gut auf dich auf!"
    Als der Junge gegangen war, schüttelte Cinna den Kopf und nahm den frisch aufgefüllten Becher, um Fasern des Fleisches, die sich in Zahnzwischenräumen verfangen hatten, freizuspülen. Anschließend sah er Varus mit in den Nacken gelegten Kopf an.
    "Nicht so gehässig, Halbbruder. Lass die Verwandten doch erst einmal Fuß fassen, nachdem sie viele Jahre gedient und anschließend weite Teile dieser Welt bereist haben, um den nächsten Generationen all das zuteil werden zu lassen, das sie brauchen werden, um wirklich Fuß fassen zu können." Er machte eine wegwerfende Bewegung. "Apropos Beschäftigung: Hast du immer noch keine Frau gefunden, die deine Ehre zumindest zu einem Teil wiederherstellen könnte, hm?"