Nachdem nach und nach alle erschienen waren, gab Durus Lukios das Zeichen. Ehe der wirklich gemütliche Teil losging, war noch dem Saturn zu opfern. Der Vorhang zum Lararium wurde beiseitegeschoben und einige Sklaven machten sich daran, ihre Utensilien für das nun folgende Opfer zusammenzusuchen. Unterdessen begrüßte Durus auch den Consul, der heute ausnahmsweise ohne Liktoren unterwegs war.
"Bona Saturnalia, Macer und Albina! Wie schön, dass ihr kommen konntet!"
Er sah zum Lararium, wo sich die Opferndenschar bereits versammelt hatte.
"Ihr kommt gerade recht zum Opfer! Entschuldigt mich also einen Augenblick!"
Er ging nun ebenfalls in Richtung des Hausaltars und nahm dabei seinen Pileus ab. Stattdessen reichte man ihm einen Lorbeerkranz, wie er traditionell bei Saturn-Opfern getragen wurde.
"Favete Linguis!"
erscholl es dann schließlich durch das Atrium und die Gespräche verstummten. Der Großteil der Anwesenden kam sogar näher und bildete einen Halbkreis um die Zimmerflucht, in der der Hausaltar stand und an deren Wände die Imagines Maiorum der Familia Tiberia befestigt waren.
Lukios, der heute als Herold fungierte, begann eine kurze, einstudierte Ansprache (die sehr genau der glich, die die Priester bei der offiziellen Saturnalien-Eröffnung verwendeten):
"Der Kreis des Jahres teilt sich in vier Teile,
und in den Ländern unserer Heimat und unserer Provinzen
ist die dunkle Zeit von der Sommersonnenwende
zur Wintersonnenwende die Zeit zu pflügen
und den Boden zu bestellen und den Samen auszustreuen.
Wenn dies getan ist ruhen die Menschen aus
in der Winterzeit, bis zur Rückkehr der Sonne.
Drei alte Götter werden in dieser Zeit geehrt:
Saturnus, Ops und Consus sind ihre Namen.
Nun hört den Mythos von Saturnus' Herrschaft:
Bevor die mächtigen Götter, die die Erde
Von des Olympus schneebdeckten Gipfeln beherrschten, geboren wurden,
war Saturnus der König aller Götter
und Ops, seine Schwester, war seine Frau und Königin.
Aber als die Zeit kam und er seinen Thron abgeben sollte
an einen jungen Gott, seinen Sohn Iuppiter,
wollte Vater Saturnus nicht beiseite treten.
Ein Kampf entbrannte zwischen Alt und Jung,
bis Iuppiter siegte und Saturnus aus dem Himmel auf die Erde verbannte.
Saturnus stürzte auf die Erde, und mit seiner Frau
baute er ein Schiff und segelte hierher, in unser Land.
Er brachte den Menschen nützliche Künste,
er lehrte sie die Saat zu bewahren und in den Boden zu säen,
so dass wir nicht mehr mühsam nach Nahrung suchen mussten.
Er zeigte uns die Tiere zu jagen und zu braten,
so dass wir allezeit ihr Fleisch und Fell hatten,
er zeigte uns die Tiere zu zähmen und mit ihnen die fruchtbare Erde zu pflügen.
Saturnus lehrte die Menschen Münzen zu schlagen
von schimmerndem Silber, glänzendem Gold und Bronze.
Er lehrte uns das Geld zu bewahren und anzuwenden.
In diesen und anderen Dingen machte Saturnus
unsere Leben viel einfacher und frei.
Seine glückliche Herrschaft wurde das Goldene Zeitalter genannt,
als genug Nahrung war für jedermann
und die Menschen den Reichtum teilten, den sie besaßen,
und keiner jemals stahl oder kämpfte oder log.
Aber als das Ende der Herrschaft Saturnus' kam,
entschied er weise, seine Krone beiseite zu legen.
Er segelte mit dem Wind weit gen Norden,
nach Hyperborea, wo er jetzt schläft,
in einem versteckten Eiland am Ende der Welt,
wo er auf ein anderes Goldenes Zeitalter wartet.
Aber bis diese glückliche Zeit kommt,
in dieser, der kältesten Zeit des Jahres,
begeben wir uns in Gedanken in Saturnus' kaltes Reich
um zu erwecken den alten freundlichen König,
und ihn zu bitten, erneut mit uns zu gehen
und für diese kurze Zeit mit uns zu leben,
und mit uns zu feiern und zu Ehren das Goldene Zeitalter."
Das Spiel der Tibiae setzte ein und schuf eine geradezu mystische Atmosphäre, während der bekränzte Hausherr, gestützt auf einen Sklaven, vortrat. Zugleich begann Lukios, die Anwesenden mit Wasser zu besprengen, während Durus selbst die Hände gewaschen bekam.
Anschließend begann das Voropfer:
"O Saturnus, Friedensfürst, Lehrer der Menschen,
vor Urzeiten brachtest Du uns die Kunst den Äckern Früchte der Erde abzuringen,
dank Dir reift auf unseren Feldern das Korn, quellen unsere Kelter über von der Frucht des Weinstocks!
Deine Herrschaft verheißt Frieden und Gerechtigkeit für alle!
Dir zum Dank begehen wir diese Festtage, an denen wir Deiner Huld gedenken und bringen Dir gerechte Opfer dar, wie sie Dir gefällig sein mögen.
Nimm gnädig an diesen köstlichen Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit, aufdass unsere Weinberge im kommenden Jahr reiche Frucht bringen mögen!"
Er nahm die Patera entgegen und goss den Wein an die dafür vorgesehene Stelle des Hausaltares. Dann reichte man ihm eine Kupfermünze.
"Nimm gnädig an dieses Erz, dem harten Fels abgerungen und geläutert im glühenden Ofen, aufdass diesem Hause kein Mangel entstehe im kommenden Jahr!"
Durus wandte sich nach rechts und beendete damit das Gebet. Nun wurde das Ferkel geweiht, das, getragen von einem weiteren Sklaven, bereits etwas nervös zappelte - doch dies würde ihm nicht nützen, denn sein Tod stand so fest wie die Mauern der Villa Tiberia.
"Nimm gnädig an dies makellose Ferkel, das Junge eines Schweines, aufdass Du dieses Haus segnest im kommenden Jahr und wir auch im nächsten Jahr die Tage Deiner Herrschaft begehen können!"
Der darauffolgende Opferritus war wenig spektakulär: Das Ferkel bemerkte zu spät, dass das große Messer des Cultrarius für es bestimmt waren, sodass sein schriller Schrei sofort abbrach, als die Klinge die Kehle durchtrennte. Blut spritzte, dann hörte es auf zu zappeln. Die Innereien wurden entnommen und Durus präsentiert, der sie nur kurz musterte, ehe er die Litatio verkündete:
"Meine Gäste, Saturnus gefällt unser Opfer! Sein goldenes Zeitalter ist damit angebrochen in diesem Haus! Feiert, esst und trinkt, es ist genug für alle da!"
Die Flötenspieler begannen plötzlich eine heitere Melodie zu spielen, während Durus zu einer der Klinen humpelte, um sich hinzulegen. Das Essen würde allerdings noch etwas warten müssen, denn man wollte das geopferte Ferkel ebenfalls integrieren (während die "Abfälle" für Saturn übrig blieben und auf dem Altar zusammen mit Weihrauch verbrannt wurden).