Bedauernd schüttelte Reatinus den Kopf. Nicht, weil er zu wenig wusste, sondern eher weil er sich bewusst war, dass Falcos gefährlicher Beruf ihm sozusagen zum Verhängnis wurde. Dieser war Privatermittler und er übernahm seine eigenen Fälle, bis ihm dieser Eine zum Verhängnis wurde. Damals hatte Reatinus ihm abgeraten, sich auf solche Geschäfte einzulassen, denn er war ja selbst noch jung und gewissermaßen auch naiv. Es sei dumm, hatte er Falco mit Besorgnis gesagt. Und im Zusammenhang mit großer Gefahr war das eine sehr schlechte Kombination. Reatinus nahm einen kräftigen Schluck, versuchte sich an Falco zu erinnern. Es war alles so lang her, viel zu lang, sogar das Gesicht in seiner Erinnerung verschwomm langsam. Wer hätte auch nur ahnen können, dass Reatinus auch einen dummen Fehler begehen würde, zur Legion zu gehen? Man hatte ihn damals auch mit der gleichen Besorgnis für dumm erklärt. Aber für ihn war es wohl der beste dumme Fehler, den er hätte tun können... am Ende tat man wohl, was einem vorbestimmt war, egal wie andere urteilten. So tat es auch Falco, entgegen der besorgten Stimmen und sogar dem drohenden Tod.
Unschlüssig war sich Reatinus, wie er Celer klar machen sollte, wie und warum sein Vater gestorben war. Nun war er hier und er wollte wissen, wie sein Vater umgekommen ist. Dieses Wissen konnte der Tribun seinem Neffen beim besten Willen nicht vorenthalten. Doch wie sollte er es ihm beibringen? Einfach sagen: "Ermordet von ein paar Räubern"? Das klang zu einfach, zugleich etwas zu sehr direkt. "Mhh", überlegte Reatinus, "Das ist nicht ganz so einfach, weißt du?" Er nahm einen Schluck Wasser. Ein Dutzend möglicher Erklärungen schossen durch seinen Kopf und während er versuchte, sich die Beste davon auszupicken, verließ sein Geist scheinbar kurz seinen Körper mit gerunzelter Stirn, um sich zu sammeln und mit der richtigen Antwort wiederzukehren. Dieser Prozess der Antwortfindung dauerte wohl einige Sekunden.
"Du musst verstehen, dein Vater war Privatermittler. Er hat selbstständig gearbeitet und wusste sehr wohl über die Gefahr Bescheid, die seine Tätigkeit wohl mit sich brachte... niemand von uns hätte geahnt, dass ein Fall ihm das Leben kosten würde. Sonst hätten wir ihn wohl lieber eingesperrt, statt eingeäschert", erklärte Reatinus und versuchte, sich sachlich zu halten, "Er wurde ermordet. Ich weiß nicht, von wem, aber er wurde ermordet." Reatinus gab seinem Neffen nun etwas Zeit, die Nachricht zu verarbeiten. Gewiss war es für ihn nicht einfach, dies zu realisieren und das Ausmaß zu erfassen. Immerhin erfuhr der Junge nach so vielen Jahren erst, wie sein Vater gestorben war und dann tischte Reatinus ihm solch eine Geschichte auf.
Reatinus verstand, dass Celer Zweifel hatte, zur Legion zu gehen und er wollte ihn nicht zwingen. Es war dennoch eine sinnige Alternative. Celer war jung, kräftig und hatte mit Reatinus jemanden, der ihm beim Aufstieg helfen würde. "Wenn ich das geschafft habe, dann wirst du das auch", winkte Reatinus ab, um die Zweifel von Celer zu mindern, "Ich kannte mal ein paar üble Typen... die haben's auch gepackt." Davon abgesehen musste er Celer fast schon überzeugen. Die kleine Familie sollte zumindest teilweise gemeinsam bleiben - er wollte nicht so einfach zulassen, dass Celer nach Rom ging.
"Davon abgesehen kriegst du in der Legion alles umsonst, was du zum Leben brauchst... Essen, Unterkunft, Gemeinschaft, regelmäßiger Sold und eine gute Ausbildung. Du musst aber mit Entbehrungen und einer anstrengenden Grundausbildung rechnen, die Disziplin wirst du auch zu spüren bekommen." Reatinus hielt kurz inne. "Und eine reelle Chance aufzusteigen." Natürlich auch mit der Hilfe des Onkels, aber das war ja ohnehin selbstverständlich...
Die Untentschlossenheit seines Neffen hingegen war groß. Reatinus sah fragend drein: "Und dafür nach Rom gehen - für eine eigene Familie? Deine Familie ist doch hier, wenn auch nur klein. Du wirst in Rom niemanden haben. Du wirst vielleicht alleine sein. Außerdem kannst du als Offizier ohnehin eine Familie haben. Denk ja nicht, ich unterstütze dich nicht dabei - doch dies kommt, wenn es soweit ist. Ich werde dich auch fördern, aber dir die Arbeit nicht abnehmen, wenn du zur Legion gehst. Du wirst die selben Strapazen durchmachen wie alle anderen. Ich denke, du bist eifrig - mach deinen Dienst. Wenn du keinen Scheiß' baust, werde ich dich fördern."