Zitat
Blau war schon immer Marcus liebste Farbe gewesen, womöglich hatte er als Kind zuerst das blaue Meer gesehen, die satte Farbe des sommerlichen Himmels über Baiae oder die Nachtbläue von dem süditalischen, klaren Sternenhimmel; auf jeden Fall vermochte die Farbe blau eine gewiße Ruhe und Harmonie in ihm zu wecken, der Anblick von Meer weckte Kindheitserinnerungen, schöne Zeiten und aufregende, kleine und große Abenteuer, die er auf dem Gewässer erlebt hatte, darum war er heute besonders gut in der Lage, die ewigen Stichelleien seiner Sklavin zu ertragen. Wer sich jetzt fragt, warum er überhaupt so eine Sklavin an seiner Seite duldete und ihr sogar eine solche Stellung einräumte, der kannte Marcus einfach schlecht; Marcus hatte schon von je her ein Faible für energische und willenststare, kluge Frauen gehabt, sie vielleicht sogar angezogen und nicht von sich fortgestoßen und alles nur wegen einer einzigen Frau, die sein ganzes Leben prägte und es heute noch tat, mit ihr allumfaßenden, göttlichen Erscheinung: seine Mutter, die für ihn die vollkommenste und großartigste Frau war, die je die Welt beschritten hat und die von der Menschheit gesehen wurde; keine Frau konnte sich mit ihr meßen, doch jede Frau, die sich ihr nur annährte, weckte das Interesse in Marcus; Asny vermochte einige Schritte auf den Pfad dieser Göttin zu laufen und wäre sie nicht völlig entgegen Marcus' üblichen Typus, eben mehr dem Äußeren seiner Mutter ähnlich, dann hätte er sie schon längst in sein Bett geholt, aber Asny war zu blond, zu hellhäutig und zu blauäugig, somit nicht sein Beuteschema; es war mehr dieser - wenn auch oft penetrant störender - Charakter, den Marcus faszinierte, gleichzeitig zwar einschüchterte, aber dennoch an ihn band - selbst wenn das bestimmt nicht die Absicht seiner Sklavin war. Aus dem Grund nahm er manches von ihr auch hin, gleichwohl sie ihn hin und wieder ärgerten, selbst jetzt, wo er doch eigentlich von all dem Blau in eine harmonische und gut gelaunte Grundstimmung versetzt worden war; seine Nasenflügel blähten sich marginal auf als er tief einatmete und die Zeremonie des Brautpaares weiter beobachtete; ein Teil seines Geistes registrierte mit Zufriedenheit, daß das Brautpaar sicherlich alle Götter und Geister, samt der Ahnen, irgendwie zumindest auf ihre Seite brachten, denn die Ehe einer Flavierin sollte immer von dem Wohlwollen der übernatürlichen Wesen beschienen sein; selbst wenn es ihm bei dem Bräutigam reichlich egal war, der konnte schon froh sein, eine Flavierin abbekommen zu haben; während Marcus' Augen auf dem Brautpaar ruhte, sein Gesicht eine eher neutrale Fassung dabei offenbarte, meinte er leise:
"Und glaubst Du wirklich, ein Getreidesack - wie Du es sagst - hätte in Parthia die Kämpfe überlebt? In mancher Hinsicht, Asny, bist Du nicht in der Lage, die Oberfläche zu durchschauen; Deine Urteilsfähigkeit ist wohl zu flink, um in dieser Hinsicht zu den richtigen Schlüßen zu kommen."
Sicherlich hatte Marcus in den letzten Wochen und Monaten noch einige Pfund zugenommen, aber ansich hatte er schon während des Parthiafeldzuges ein ordentliches Gewicht erreicht; das Fiasko hatte mit seiner Beförderung zum Zenturio angefangen, als er sich Sklaven halten konnte, einen, der ihn bekochte und eine dekadente Unterkunft besaß. Ja? Ja, was? Sie wußte es, aber sie hielt es wohl nicht für nötig, es auch zu beweisen? Letztendlich schloß Marcus nur daraus, daß sie es eben nicht wußte, aber ihrem Ego wegen nicht eingestehen wollte, er rollte kurz mit seinen Augen und betrachtete seine Verwandte, wirklich schön hatte sie sich für diesen Tag heraus geputzt, aber kein Wunder, es war ihre Hochzeit und an diesem Tag strahlte sie auch wie ein leuchtender Diamant unter Kieselsteinen. Gemächlich schlenderte Marcus weiter und an einem anderen Gast vorbei, der sich gegen die Rehling lehnte. Er meinte, daß Asny wieder etwas gesagt hatte, doch mit dem Plätschern der Wellen wurden ihre Worte verschluckt, nur das Wort Salzwasser konnte er noch aufschnappen, was ihr einen fragenden Blick einbrachte, doch wenn es wichtig war, würde sie es schon wiederholen, weswegen Marcus nicht nach hakte.
Er sann hinwieder lieber über die darauf folgenden Worte nach, trank dabei den Becher gemächlich leer und reichte ihn an einen vorbei eilenden Sklaven weiter; das Schiff mit einem Freund teilen, aber warum? Er wollte doch kein Handelsschiff daraus machen, welche Verschwendung, mal davon abgesehen, daß er gar nicht wußte, ob ihm das gesetzlich erlaubt war, die Senatoren hatten ja schließlich selber dafür gesorgt, daß die Welt der Geschäfte für die oberen Stände - außer den Rittern - deutlich schwieriger geworden ist, mal davon abgesehen, daß er sich mit dieser Welt - der des Handels - gar nicht gut auskannte, im Gegenteil, es war ihm noch fremder als die Politik, außerdem hatte er kein gutes Händchen für Geld; zudem fiel ihm auf die Schnelle eher nur ein Freund ein - aus alten Tagen - der aber in Ägypten mittlerweile lebte und sich selten in Italia zeigte, ihm war das Klima in Ägypten angenehmer - irgendetwas mit den Lungen hatte er, aber Marcus war kein medicus und kannte sich damit reichlich wenig aus! So brummte er abermals leise und unbestimmt und ließ seinen Blick über Mast, Segel und Planken des Schiffes streifen.
"Investition? Asny, ich will keine Handelsschiff erwerben, wenn es mal für einige Wochen im Hafen liegt und für keine Fahrt genutzt wird, ist es auch nicht so schlimm."
Fand Marcus zumindest, jedes Krämerherz würde jetzt sich zusammenkrampfen und einen Anfall erleiden, bei der Vorstellung, was das Schiff doch an Einträgen erbringen könnte, während all der Tage, die es untätig im Auf und Ab des Hafenplätscherns vor sich hin dümpelte, aber nein, Marcus besaß eher die Mentalität, daß Ausgeben seliger war, denn Nehmen und das hatte er sein Leben lang bisher recht erfolgreich praktiziert, sehr zum Leidwesen seines Vermögens, das immer wieder erbärmlich herunter geschrumpft war und sich sinnloser Investitionen hatte opfern müssen. Aber über den schnöden Mammon verlor Marcus keinen weiteren Gedanken, als er sich die weiteren verbalen Erläuterungen seiner Sklavin anhörte; Geschenk? Eine Fahrt? Von wem, bei allen guten Göttern, hatte Asny das geschenkt bekommen? Derart verdutzt musterte er die junge Frau, aber genauso als sie ihre Schwester im Zusammenhang mit dem Wort: Spaß vernahm; warum sollte es Asny wichtig sein, daß ihre Schwester Spaß verspürte? Einmal hatte sie ihre Familie erwähnt und es hatte damals Marcus so geschienen, daß sie froh gewesen war, diesen familiären Balast los geworden zu sein, oder dann doch nicht? Gab es eine Schwester, die ihr wichtig war? Vielleicht war die kalte Asny genau dort zu packen, und er konnte mal diese ominöse Schwester in die villa holen, um zu sehen, ob der Eisblock mal schmolz und sich etwas Menschliches unter dieser blassblauen Oberfläche zeigte.
"Deine Schwester? Wie heißt sie?"
Möglichst unbeteiligt und nur marginal interessiert, so wollte Marcus die Frage formulieren, vielleicht würde er ihr so eher die Wahrheit entlocken können und weniger wieder an dieser eisernen Mauer abprallen, die wirkungsvoll jegliche Attacke verhinderte, oder eben auch die Versuche, mehr über diese seltsam, fremdartige Person mit dem Namen Asny heraus zu finden, dem Mysterium, diesem See, der scheinbar nicht so tief war, aber deßen ruhiger Oberfläche man nicht ansah, das er in Wirklichkeit ein Gletschersee war und diese hatten bekanntermaßen unergründliche Tiefen; gleichwohl Marcus kein Gelehrter war, so hatte er doch den Abenteuerdrang in sich und vielleicht reizte es ihn deswegen so sehr, daß er auch aus jenem Grunde die Sklavin nicht schon längst den Löwen zum Fraß vorgeworfen hatte - mal von der nicht unbedeutenden Tatsache abgesehen, daß sie ihre sonstige Arbeit wirklich tadellos erledigte, vielleicht ein wenig zu perfekt. Aber etwas, was Aristides, nebst einiger Wörter, die Asny leichthin hatte fallen laßen, nicht verstand, war, warum man eine Schiffspartie nicht genießen konnte, was gab es schöneres als einige Stunden oder sogar Tage auf dem Meer zu verbringen, wenn es nach Marcus gegangen wäre, er hätte sich vor Jahren mit Freuden der classis angeschloßen, was ihm natürlich verboten worden war, obwohl es doch viel näher an Baiae lag, aber dort verdiente man sich nicht so leicht die Sporen, angeblich, aber das waren alles andere Zeiten gewesen.
Platsch! Irritiert wandte sich Marcus' Kopf in Richtung der See, es war nicht die übliche Geräuschkulisse, etwas, was in den sonstigen Ablauf nicht ganz paßte, ein Laut, der ihn aus dem Gespräch, aber auch dem Betrachten der Zeremonie heraus riß. War da etwas ins Wasser gefallen? Hatte er da nicht auch einen menschlichen Laut vernommen? Ganz sicher war sich Marcus, eben noch gefangen in den Erinnerungen und der Hochzeit, nicht wirklich, so suchte er die Oberfläche des Hafenbeckens mit seinen Augen ab, ein verdächtiger Strudel war linkerhand zu sehen und Marcus, etwas von der strahlenden Sonne des Tages geblendet, verengte seine Augen, um beßer dorthin zu spähen.
"Hast Du das auch gehört, Asny? Ist da jemand vielleicht über Bord gegangen?"
Marcus war sich wirklich ganz und gar nicht sicher, deswegen wollte er auch nicht gleich zu schreien anfangen mit: Mann über Bord, sondern sich selber vergewißern, schließlich konnte eine solche Geschichte sonst einen Schatten auf die Hochzeit seiner Anverwandten werfen, etwas, was Marcus natürlich nicht riskieren wollte; immer noch den Blick auf die Oberfläche fixiert, schritt Marcus etwas schneller aus und in Richtung der Rehling, die in einer etwas ruhigeren Ecke des Schiffes lag.