Der Narr hält sich für weise, aber der Weise weiß, daß er ein Narr ist.
- William Shakespeare, 1564 - 1616
Es gibt Momente im Leben eines jeden Menschen, in dem sich das Leben verzerrt, in dem sich die Momente wie aus einem anderen Universum geschickt anfühlten, in denen der Mensch glaubte: So etwas kann nicht Real sein, es muß aus einer Satire entstammen. Und genau einen solchen unglaublichen Moment erlebte Marcus Flavius Aristides; Marcus Flavius Aristides, der in seinem Leben schon einiges erfahren hatte, der vielen unterschiedlichen Menschen begegnet war: groß, klein, dick, dünn; dumm, clever, brillant; freundlich, liebenswert, ironisch, sarkastisch; gutartig, böse, fies und hinterhältig; an Charakteren hatte der Patrizier namens Marcus Flavius Aristides in seinen vollen vierzig Lebensjahren schon einiges erlebt und hatte sich gegen so manchen Spott, dem er schon begegnet war, gut gewappnet, selbst wenn sein dickes Fell noch lange nicht dick genug war, um es einfach und ohne Gram weg zu stecken, wenn jemand auf der Wiese seines Seelenlebens mit Lachen und Hohn herum stach und große Löcher des Spotts hinein grub; nein, so abgebrüht war er doch wieder nicht. Fassungslos richtete sich Marcus auf seine Hände auf und hob den Kopf von der warmen und weichen Unterlage, wo er sich eben noch gedachte, zu entspannen – wohlverdient, wie er fand, nach dem Streß der letzten Wochen rund um Wahlkampf, Wahlkampfspiele und sonstigen Widrigkeiten. Es war nicht nur der Abgang, den Asny wählte, der ihn fassungslos machte, sondern jedes einzelne Wort, das aus ihrem doch oft so unschuldig lächelnden Mund kam; gerade die paradoxe Kombination von dem lieblich, fast schon engelhaften Gesicht der Asny mit den bitterbösen und sarkastischen Worten erschütterte Marcus immer wieder; warum verschwendete ein junges und doch ansehnliches Mädchen ihre Zeit mit solchem verbalem und gedanklichen Gift? Gerade weil sie ihr Potential doch viel sinnvoller nutzen könnte und ihren Intellekt auf sinnigere Dinge richten; Marcus war nicht nur ratlos, er war heillos verwirrt.
War er von den Worten getroffen? Ja, das war er sicherlich, denn selbst wenn einige Dinge, die ihm Asny immer wieder an den Kopf warf, mittlerweile von ihm abperlten, so fand ihr kluger Kopf immer wieder neue Aspekte, die an ihm fehlerhaft, schwächlich, dümmlich oder völlig sinnlos waren, er schien nur ein Sammelsurium von Makeln und Fehlern zu sein, frei von jeglichen Vorzügen oder Charakterstärken; noch nie hat er jemanden getroffen, der ihn bis zum Boden seines Daseins für den Abschaum der Menschheit zu halten schien; selbst der gehäßigste Neider, der spöttischste Satyriker in seinem Lebensweg von Bekanntschaften hatte das nicht vollbracht. Erbost und tief getroffen schnaubte Marcus durch seine Nase und erhob sich langsam und nicht sonderlich elegant von der Liege, wobei seine Hände nach dem Tuch um seine Hüften griffen, um dieses fester zu ziehen, wenigstens einen Rest von Würde wollte er sich heute in diesem Bad bewahren, selbst wenn Asny mit einem Skalpell erneut die Hülle um ihn herum aufgeschnitten hatte und sein Seelenleben mit Genuß seziert hatte; nein, ein brünstiger Auerochse war er bestimmt nicht...wobei Marcus Auerochsen sogar als recht würdevoll in Erinnerung hatte, aber trotzdem! Er kam auf seine Füße zurück und grummelte leise in sich hinein; die paßenden Worte waren ihm auf die Schnelle nicht eingefallen, dafür war er mitunter nicht immer schlagfertig genug, selbst wenn ihm hin und wieder mal das eine oder andere Bonmot einfiel.
„Ich werde doch ganz gewiß nicht irgendeine Frau bespringen...wie ein Karnickel!“
, murmelte Marcus eine Weile später, Asny war schon längst nicht mehr in Sicht, aber sie hätte bestimmt jedes Wort, das er gesprochen hatte, fein säuberlich auseinander genommen und ad absurdum geführt. Er schüttelte den Kopf und starrte ratlos auf die Kacheln vor seinen Füßen, die in Grün, Blau, Weiß und Gold gefärbt waren und in der Gesamtheit ein Bild von Meer, Nymphen und Fischen bildete, um den Städter aus Rom doch ein wenig Meer und Natur vorgaukeln zu können, mit einem Schuß vom Übernatürlichen.
Wäre Marcus eine Figur in einem Drama oder Tragödie, dann würde er diese Gelegenheit mit Sicherheit nutzen, um einer dieser langatmigen Monologe zu halten, in denen er dem Zuschauer sein ganzes Dilemma, seine halbe Lebensgeschichte und seine Pläne für die Zukunft zu Füßen legen würde; aber Marcus besaß weder einen Hang zur Melodramatik, noch ein schauspielerisches Talent oder Bestreben, so grummelte er nur leise etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und begann zu grübeln, halb dabei gegen die Marmorbank gelehnt, die sonst als Massagetisch diente. Das Plätschern des grauen Regenschleiers paßte jetzt sehr viel besser zu seiner Stimmung als noch vor einer hora als er eigentlich noch recht guter Dinge war; was würde sein Vetter tun, wenn er an Marcus' Stelle wäre? Wahrscheinlich würde er die Angelegenheit an Sciurus delegieren und kein weiteres Augenmerk mehr auf die Sklavin richten und was Sciurus tun würde, konnte er sich schon denken; aber Marcus besaß keinen Sciurus – selbst wenn er gerne einen solchen Sklaven gehabt hätte, loyal, dezent, stetsfort ein stiller und treuer Begleiter, dabei sehr klug und fleißig; eigentlich war Sciurus zu perfekt um wahr zu sein für einen Sklaven, wo hatte Gracchus ihn nur gekauft? - und aus dem Grund des Fehlens eines solchen Sklavens mußte Marcus selber sich darum kümmern. Was hätte Aquilius getan? Asny die Freiheit geschenkt und ihr einen Beutel Sesterzen in die Hand gedrückt und wahrscheinlich mit einem Lachen die Frau behüpft, die Asny wohl gedachte, ihm jetzt zu kommen zu laßen, aber Aquilius war diesbezüglich immer unbesorgter und selbstbewußter gewesen, er scherte sich scheinbar wenig um die Meinung anderer. Marcus' einstige Unbekümmertheit war in den Jahren auch geschmolzen, wie viel von seiner Sorglosigkeit. Was sein Bruder machen würde, war deutlich und klar, er würde Asny den Löwen vorwerfen und keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden. Aber Marcus war eben Marcus und selbst wenn er nicht von der zimperlichen Sorte Patrizier war, so empfand er alle Vorgehensweisen, die bei seinen Verwandten tauglich waren, als eine weitere Niederlage gegenüber der Sklavin; denn ganz so wie er vorher behauptet hatte, war es nicht, ihm war ihre Meinung nicht zur Gänze egal, selbst wenn er trotzdem nur eine Sklavin in ihr sah.
Marcus hob seine Hand und fuhr sich ratlos über den Nacken und rieb sich dann mit dem Zeigefinger die pochenden Schläfen, denn der Tag hatte ihm weniger Erholung als denn ziemliche Kopfschmerzen eingebracht; aber dann paßierte es und zwar noch sehr zaghaft und langsam, einem kleinen Keim wie im Frühling wurde es gestattet aus dem Morast von Marcus' Gedankenwelt heraus zu kriechen, noch hatte der Keimling keine großartige Form und nur die Spitzen von Blättern, die sich erst in zwei Teile aufteilen sollten, langsam den Stil nach oben führend und schließlich Stück für Stück zu einer Pflanze wachsen, bis sie große Blüten und Samen tragen sollte, die wiederum andere Bereiche des Morastes begrünen konnte, doch jetzt war dieser Sämling klein und mehr der Hauch einer Idee; es würde sich zeigen müßen, ob er jemals groß werden würde, oder gleich von den barschen Füßen von Asnys Intellekt zertrampelt wurde. Aber dieser Hauch und diese kleine Pflanze, die zum ersten Mal das Licht seiner geistigen Welt erblickte, brachte doch etwas wie Amüsement und eine gewiße Spannung in ihn, ob es denn vielleicht dieses Mal zu seinen Gunsten ausgehen würde. Seine Mundwinkel, die eben lieber Richtung Boden fallen wollten, hoben sich einen Deut nach oben und sein erbost zusammen gezogenen Augenbrauen wanderten an den alten Platz zurück, genauso glättete sich die Falte zwischen ihnen und auch das Krausen auf seiner Stirn; erneut und entschloßen zog er das Tuch fester und richtete sich auf, seine Augen wanderten durch den leeren Raum und er trat von der Bank weg, um in Richtung des Durchgangs zu zu gehen, aus dem Asny eben noch verschwunden war, drei Schritte weit schaffte er zumindest, sich dem Ausgang zu nähern...
....und ihn wohl dann irgendwann doch noch erreichte, um die Bäder zu verlassen.
Edit: -- Nach zwei Monaten hab ich hier auch den Faden verloren und schlag vor, es so zu belassen.