Stumm und unbewegt fixierte Hannibal die Germanin mit seinem Blick. In seinen Händen drehte er den abgelehnten Becher, spürte den kratzigen und unglasierten Ton an seiner Haut. Seine Augen wanderten ihr Gesicht ab, erforschten ihre Konturen, ihre sanft geschwungene Nase und dann das Lodern in ihren Augen, der Keim des Aufbegehrens, der schon mit seinen starken Trieben und seinen Blättern in den Himmel sich erhob, um die Freiheit wieder zu erlangen. „Du willst mir Deinen Namen also nicht nennen, Mädchen?“ Hannibals Schulter zuckte kurz. „Das musst Du natürlich nicht, Du kannst Deinen Namen in Dir verschließen, den Schlüssel tief verstecken und ihn für Dich behalten. Aber dann werde ich Dir wohl einen anderen Namen geben, mit dem wir Dich ansprechen können!“ Eine Germanin…nicht ohne Grund hatte ihr Blick, ihre Haltung Hannibal an jemand anderes in der Villa erinnert. „Wie Rutger…“ murmelte Hannibal unwillkürlich leise. Er schüttelte den Gedanken an den gefangenen Germanen fort und grübelte über einen Namen.
Dieser Zorn, dieser Haß in ihren Augen…“Vielleicht nenne ich Dich Alekto oder Megaira?“ Ob ihr die Namen etwas sagten? Hannibal bezweifelt es ein wenig. Aber ein wenig Latein sprach sie, von wo wohl? War sie schon länger in Gefangenschaft? Neugier keimte in Hannibal auf, doch er sah, dass es zwecklos war, dem zu folgen. „Aber Namen haben Macht. Und will ich ein Rachegeist in der Villa haben? Vielleicht doch lieber eine verführerische Nereide, Galatea vielleicht?“ Hannibal legte seinen Kopf ein wenig zur Seite, musterte sie weiter. „Aber ich sehe schon, wir werden es nicht einfach mit Dir haben. Du gehörst niemanden? Und trotzdem wurdest Du auf dem Sklavenmarkt verkauft? Vielleicht erklärst Du mir dieses Paradoxon, diesen Widerspruch.“ Betont und langsam sprach Hannibal die Worte, damit die junge Frau ihm auch mit seinen Worten folgen konnte. „Aber wahrscheinlich habe ich einer dieser vielen Schicksale vor mir, die alle auf die gleiche Weise anfangen und oft auf dieselbe Art enden!“
Sein Blick wanderte zu den sich kräuselnden Wasserringen in seinem Becher, es war als ob er in einen Wahrheitsbrunnen zu schauen versuchte. „Geboren als freie Germanin, stolz und in den Armen Deiner großen Familie bist Du aufgewachsen. Du hattest Brüder, einen Älteren, der auf Dich aufgepasst hat? Deine Mutter, Dein Vater, die Dir alles bedeutet haben. Und eines Tages kamen SIE, die grausamen und mordlustigen Römer. Kaltherzig und ohne Gnade fielen sie über eure Sippschaft her, brannten alles nieder, vergewaltigten die Frauen, verschleppten die Jungen und die Frauen, töteten alle Männer. Du warst eine von diesen Frauen, wurdest bis nach Rom gezwungen. Vergeblich hast Du versucht zu fliehen, doch trotzdem wurdest Du verkauft. Doch im Grunde Deines Herzens weißt Du, dass die Freiheit nahe ist, dass Du sie nur zu ergreifen brauchst und in Deine Heimat fliehen kannst!“
Hannibal hob den Blick, kein Hohn, noch Spott stand in seinen Augen. „Ich mache mich nicht über Dich lustig. Aber Du musst erkennen, dass das Schicksal Dir keinen leichten Weg gegeben hat. Du bist hier gefangen, Du wurdest als Sklavin verkauft. Entweder Du findest Dich damit ab, versuchst im Rahmen Deines jetzigen Lebens es Dir erträglich zu machen. Und die Freiheit zu erlangen ist nicht ausgeschlossen für Dich.“ Hannibal war sich sicher, dass viele seiner Worte verschwendet waren, aber er sprach sie trotzdem aus. „Oder aber Du bäumst Dich auf, versuchst den Mächtigen und die, die Dich nun mal jetzt beherrschen, zu beweisen, dass Du keine Sklavin bist. Fliehst am Ende gar noch. Dann wirst Du leider sterben müssen. Und das wäre sehr schade!“ Hannibal leerte in einem Zug den Becher und stellte ihn auf den Tisch zurück. „Ich nenne Dich Alekto. Ich bin mir sicher, Du wirst noch eine Furie hier in der Villa sein!“ Hannibal stand auf und winkte die Alte heran. „Bade sie und gib ihr eine frische Tunica.“ Hannibal wandte sich zu Nortruna um. „Du würdest doch keine alte Frau überwältigen, oder? Versuche lieber nicht schon am ersten Tag zu fliehen, Alekto.“