Beiträge von Hannibal

    So leicht ließen sich die Schaulustigen jedoch nicht vertreiben. Im Gegenteil, wie Aasgeier, die den Kadaver der Sensation gerochen hatten, kreisten sie um das Lupanar. In Windeseile sprach sich das Geschehen in der Subura herum, vom nächsten Bäcker zum alten Waschweib, sie kamen zusammen und begafften das Spektakel. Schadenfreude stand auf den Gesichtern einiger der Menschen geschrieben, die nichts lieber sahen als wenn ihr Nachbar sich den Kopf anstieß. Ein älterer Mann starrte düster auf den Eingang des Lupanar und zog einen jungen Burschen an seiner Tunica näher. „Los, lauf und sag Nerva Bescheid, was hier vorgeht.“ Der junge Mann nickte hastig und drängte sich durch die Menschenmenge. Der alte Mann sah wieder zu den Soldaten und schüttelte andeutungsweise den Kopf. „Das wird Nerva gar nicht gefallen!“


    Sanft strich der junge Mann über die kalte Hand der Toten. Langsam wippte er hin und zurück, sah starr auf die bleiche Haut hinab. „Dahingestreckt in tiefe Dämmernis, und lässest ruhig über deinem dichten, gelockten Haar die Flut vorüberwandeln!“ melodisch und leise summte der Mann die Worte, ließ sich von den Cohortesmännern nicht im Mindesten stören. „Doch schlaf, o Kind, und schlafen soll die See und schlafen all das unermessne Leid!“ Als ob er die Aufforderung von Metellus, dem Princeps Prior, nicht vernommen hätte, blieb er an der Seite der Toten sitzen. Seine Tunica war am Saum vom Blut getränkt, an seiner Wange war eine breite Blutspur und ebenso die Reste von Tränen.

    Ehe es sich Hannibal versah, lag Nadia schon in seinen Armen. Ihr Duft stieg ihm erneut intensiv in seine Nase, raubte ihm jeden Atemzug. Behutsam legte er seine Arme um sie und umschlang sie fest, legte seine Wange an ihre weichen blonden Locken. Ihre Frage ließ ihn abermals in seinem Atem stocken. Starr sah er aus dem Fenster und auf den blassblauen Himmel, der von bleigrauen einzelnen Wolkenschlieren geziert wurde. Was er für sie empfand? „Ich…“ Meist war Hannibal in solchen Angelegenheiten nicht mit Worten verlegen, doch hier wusste er nicht so recht, wie er sich am Besten ausdrücken sollte. Die nicht eingesogenen Atemzüge verlängerten sich zu vielen schnellen Herzschlägen. „Ich liebe Dich, Nadia…“ gab er schließlich Preis. Doch noch im selben Augenblick zuckten Bilder vor seinem inneren Auge entlang.


    Viele Jahre war es her, er noch ein sehr junger Mann und in Baiae. Romana war ihr Name, seine erste große Liebe. Zartbraun wie das weiche Fell eines Rehkitzes umspielte ihr Haar ihre ausdrucksstarken und doch lieblichen Gesichtszüge. Wundervolle Grübchen bildeten sich auf ihren Wangen, wenn sie lachte und sie lachte oft und gerne. Etwas, was er an ihr so sehr geliebt hatte. Aber es war auch ihre leichtfertige Art mit dem Leben umzugehen, was ihn immer wieder in Weißglut versetzt hatte. Besonders ihre Liebeleien mit anderen Männern ließ die Eifersucht in ihm immer höher brodeln und als er sie dann eng umschlungen mit einem Römer angetroffen hatte, da passierte es…das erste Mal. Ungläubig starrte sie gen Sternenhimmel, das Blut sammelte sich um sie herum, verklebte ihr wunderschönes braunes Haar…sie und der Römer waren die ersten Menschen, die Hannibal getötet hatte.


    „…wie ein Bruder.“ fügte Hannibal schnell an. „Du bist mir so kostbar wie eine Schwester, liebe Nadia. Ich würde alles für Dich tun. Alles!“ murmelte er leise, strich ihr zärtlich durch ihre Haare, küsste sie unbrüderlich am Scheitel und löste sich von ihr, denn länger könnte er diese Lüge nicht aufrechterhalten, wenn er sie so spüren würde. Hannibal senkte den Blick und sah auf den dunklen Holzboden hinab, konnte Nadia nicht in die Augen sehen. Aber wie sehr und wie oft hatte er doch den Tod von Romana bereut. Er wusste, dass sie es nicht verdient hatte, nicht wie all jene Menschen, Männer und Frauen, die er danach in Plutos Reich gesandt hatte. Nein, sie hatte es nicht verdient. Und er durfte es nicht zulassen, dass die Wut eines Tages auch bei Nadia die Überhand gewinnen würde. Lieber wollte er sie stumm und in der Ferne lieben, aber sie voll des Lebens betrachten können.

    Langsam aber sicher stieg in Hannibal die Wut auf als er aus dem Haus und in den Garten hineinschoss. Seine Schritte knirschten laut auf den weißen Kieselsteinen hinweg, die mit dunkelroten Steinchen gemischt waren, seine Füße brachten die darin eingebrachten Muster durcheinander und er rauschte schnell an der Statue vorbei. Nortruna hatte er in dem Moment aus dem Auge verloren, wandte sich rasch um, sah im Garten das luxuriöse Bäumchen des Graupapageis stehen. Hannibal verharrte und musterte den Papageien mit seinen roten Schwanzfedern, der neugierig zu ihnen hinüberspähte. Um seinen eigenen schnellen Atem zum Verstummen zu bringen, hielt Hannibal ihn an und biss sich auf die Unterlippe und erst einen Augenblick später nahm er Nortrunas keuchenden Atem wahr.


    Gemachsam wandte sich Hannibal um und streifte die sorgfältig gestutzten Rosenbüsche nur mit einem flüchtigen Blick, hinter den Strauchskeletten konnte sich kein Mensch, selbst so eine zierliche Sklavin nicht verstecken. Beim Gehen verschränkte Hannibal seine Hände ineinander und ließ seine Fingerknöchel leise knacken. „Sagte ich nicht, dass ich Dich nicht schon am Tiber einfangen möchte? Nun, in den vier Wänden der Villa Flavia natürlich auch nicht. Und ich dachte, Germanen wären so schlau. Meinst Du, dass dies klug war? Am ersten Tag, wenn noch alle wachsamen Augen auf Dich gerichtet sind?“ Dass er Nortruna im Garten einfangen könnte, bezweifelte Hannibal nicht wirklich. (Mit Verlaub gesagt: Hannibal war manchesmal durchaus ein wenig zu sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt. Anm. eines unbedeutenden Handlungsreisenden.) Vielleicht mit einigen Schrammen und Verletzungen, wenn sie sich ihres neuen Namen gleichend gebärdete. Und das konnte er sich bei ihrem Temperament wirklich gut vorstellen.


    Ein süffisantes Lächeln huschte über sein Gesicht als er eine Hand hinter der Statue ausmachte. „Wo hat sich das kleine Mäuschen bloß versteckt?“ gab er zum Täuschen vor. „Na na, das ist doch keine feine Art, meine Liebe. Dabei waren wir hier in der Villa Flavia doch noch sehr liebenswürdig zu Dir. Aber Du hast keine Ahnung, welche Seiten man hier in der Villa noch aufziehen kann. Aber komm, sei vernünftig, Alekto. Ich zähle bis zehn und Du kommst raus. Dann vergessen wir Deinen Fluchtversuch ganz einfach, sehen es als ein kleines amüsantes Spiel von Deiner Seite an. Einverstanden?“ Hannibal trat bis zu der Statue heran und wandte bewusst seinen Rücken Nortruna zu, besah sich in der Ferne die glitzernde Oberfläche des Fischteiches, wo schon fast einmal eine Katze ertränkt werden sollte. „Primus…Secundus….Tertius….Quartus…“ Jede Faser seines Körpers war angespannt, seine Ohren lauschten auf jede Bewegung hinter ihm, der von einem Angriff kündete oder einer weiteren Flucht.

    Wollen wir und doch das Schicksal eines der Verhafteten ansehen, gleich das erste Opfer dieser nächtlichen Durchsuchung. Decimus Palfurius Tibullus, selber sonst Hüter des Gesetzes, rechtschaffener Mann- nun ja, die meiste Zeit zumindest, so manches Mal nahm er auch gerne Bestechungsgelder an- aber mit einer leidenschaftlichen Schwäche für die Lupa Acidina, die wiederum angestellt ist in….ja, es muss nicht lange geraten werden, hier im selbigen Lupanar. Und heute schien ihn das Unglück zu verfolgen, eine Anzeige wegen Bestechlichkeit war bei seinem Vorgesetzten eingetrudelt und nun hat er das Pech, eine dramaturgische Randfigur in selbigen Krimi: Tod im Lupanar zu sein. Doch genug dieser Dinge, kehren wir zur Handlung zurück.


    „Oh…ähm…Moment!“ gab Decimus noch ein letzte Mal von sich, doch schon wurde er von einigen der Cohortes zu Boden geworfen und durchsucht, schnell verhaftet und wie zahlreiche andere Gäste- Manche ließen sich wortlos abführen, die Meisten jedoch wurden laut zeternd wie eine Herde Schafe zusammen getrieben. Schnell war zu merken, das Lupanar war keines der gehobenen Klasse, oftmals waren mehrere Freier in einem großen Raum am Werke nur mit einer brusthohen Mauer voneinander getrennt, doch die Wenigsten schien das zu stören. Doch nun ganz woanders hin, werfen wir einen Blick in einen Raum, der noch nicht von den Cohortes entdeckt wurde. Ganz hinten im Lupanar.


    Stille! In der Gestalt einer nackten Meeresnymphe räkelte sich eine Öllampe auf einen hölzernen Tisch, warf ein geisterhaftes weißes Licht in den Raum hinein. Gesichter von nackten Frauen und die Leiber von lüsternen Satyrn, die über die Frauen her fallen wollten, starrten von den Wänden auf eine leblose Gestalt in der Mitte des Raumes. Blass lag die junge Frau auf einem einfachen Strohlager. Ihre Lippen waren in Erwartung eines Kusses geöffnet, ihre Augen sanft geschlossen wie bei einer Jungfrau. Ihr weißer Körper schien rein und vollkommen zu sein, nur an ihrer Brust klaffte eine Dolchwunde über ihrem Herzen. Eine rote Blutspur zog sich über ihre weiße Haut und sammelte sich in einer Lache an ihrer Hand. „Hmm…mhem….ach, Seelchen, armes Seelchen! So lange meine gute Freundin…“ summte der junge Mann, der neben der Frau auf dem Boden kauerte und ihre Hand ergriffen hielt. „Nackt und bleich und blass und zitternd- wirst nimmer mehr nun, wie du pflegtest, so artig mit mir tändeln!“

    Wenig überrascht sah Lexana der fliehenden Sklavin hinterher. Mit dem noch halbfeuchten Leinentuch in der Hand stand sie im Bad und sah durch die geöffnete Tür in den Gang hinein. Ihre Lippen bewegten sich leise als sie stumm zu zählen anfing. Kein Laut kam über ihre Lippe, sie wartete einen Moment und gab somit Nortruna einen Vorsprung, dann verzogen sich ihre Lippen zu einem sardonischen Lächeln. „Zu Hilfeeee!“ rief sie laut. „Die Sklavin…sie fliiiiieht!“ Leise kichernd wandte sich Lexana ab und fing an das Bad zu säubern und dieses vom Schmutz der Sklavin zu befreien. Ob die Germanin eingefangen wurde, war Lexana völlig egal, solange man sie nicht für die Flucht verantwortlich machen würde, aber sie wusste schon die Sklaven gegeneinander auszuspielen, würde alles Hannibal anhängen und sich an Sciurus, der eindeutig eine Fehde mit Hannibal hatte, halten. So oder so, einer der Beiden- Germanin oder Hannibal- würde heute noch mit der Peitsche bestraft werden.


    Mit geschlossenen Augen stand Hannibal immer noch am Fensterschlitz, spürte die warme Wintersonne auf seinem Gesicht und war in Gedanken völlig woanders. Je mehr er in der Subura tätig wurde, desto mehr schien sich eine unsichtbare Schlinge um seinen Hals zu legen. Die ersten Zeichen hatte er schon vor Monaten bemerkt, doch in letzter Zeit wurden sie immer deutlicher. Hannibal griff sich an sein Kinn und glättete sein Bärtchen, was er sich nach der Geschichte in Ostia schnell hatte wieder wachsen lassen, um weniger leicht erkannt zu werden. Sicher war sicher. „Zu Hilfeee!“ drang an sein Ohr, verblüfft öffnete er seine Augen und wandte sich um, erblickte gerade noch eine vorbeiflitzende Nortruna und sah nur einen Moment baff auf den Gang vor der Sklavenunterkunft.


    Das konnte doch nicht wahr sein? Gerade noch meinte er, sie solle, wenn sie es schon in Angriff nahm, bedacht und klug fliehen und dann das. Hannibals Schultern zuckten, ein Lachen entrann seinen Lippen, und im nächsten Moment stürmte er schon aus der Sklavenunterkunft und hinter der Germanin hinter her. Im Rennen stieß er gegen einen anderen Sklaven, riss fast die Statue eines Flaviers um als er um die nächste Gangbiegung herumkam. Wie flink die Germanin doch war. Mit zusammengepressten Lippen stürmte er hinter Nortruna hinter her, versuchte den Vorsprung mit großen Schritten wieder wett zu machen. Fast erreichte er Nortruna, hätte auch schon nach ihrer Tunica greifen können, doch im letzten Moment entwischte sie ihm wieder. Hannibal gab einen wütenden Laut von sich und sah schon den Durchgang, der zum Garten führte, betete innerlich, dass keiner der Flavier dort anwesend war und versuchte Nortruna noch vor dem Garten wieder einzufangen. „Bleib stehen!“ rief er Sinnloserweise noch.

    Und wie es nun mal in der Subura der Fall war, die Sensation lockte das Geschmeiß an wie der Kuhhaufen die Fliegen. Schon innerhalb weniger Momente hatten sich Anwohner und berufsmäßige Schaulustige um das Lupanar herum versammelt, versuchten über die Scuta der Soldaten hinweg einen Blick auf das Geschehen im Lupanar zu erhaschen. Ein junger Mann beugte sich zu einer älteren Frau vor. „Was ist denn da los?“ Die ältere Frau kräuselte ihre Nase. „Ich glaube eine Aedilkontrolle…“ „Nein, nein, das ist es nicht…“ Ein anderer Mann mischte sich, die beiden Anderen sahen ihn neugierig an. „…schaut doch, wie sie uns zurückdrängen. Da muss etwas Schlimmes passiert sein…“ „Vielleicht sind die weißen Krokodile wieder aus der Cloaca hoch gekommen…“ „Pah, Du und Deine Krokodile…immer Deine Krokodile…“


    Doch wenden wir uns ab von den Müßiggängern und den Sensationslustigen der Subura und folgen wir den Soldaten, die sich aufgemacht haben, das Lupanar zu durchforschen. Die Öllampen an den Wänden flackerten, warfen wild zuckende Schatten auf die Wände. Eine Tür öffnet sich. „Schätzchen, leider muss ich gehen!“ Ein Mann mit kantigen Gesichtszügen trat rückwärts laufend aus dem Raum. „Ich muss doch zum Dienst…der PP macht mir sonst…“ Die nächsten Worte blieben ihm im Halse stecken als er sich umwandte und direkt gegenüber einem Haufen von Uniformierten stand. „Äh…“ entschlüpfte ihm uneloquent. Weitere Türen waren in jenem Gange, links und recht, umrankt von schlüpfrig erotischen Fresken.


    Was ist jedoch mit der armen Flora? Auch ihr und dem hilfsbereiten Jakobus wollen wir selbstredend einen Platz in dieser Geschichte einräumen. Flora stöhnte leise auf. „Was für…ein Traum…“ murmelte sie und schlug ihre Augen auf. Ihre rehbraunen Augen sahen zu Jakobus hoch und sie blinzelte einige Male verblüfft. Ihre rot bemalten Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. „Was bist Du doch für ein Schnuckeliger. Was ist passiert, Liebchen?“ Ihre Augen wanderten suchend herum, sie erblickte den Toten neben sich und riss die Augen auf. Wenn sie nicht schon liegen würde, sie wäre wohl erneut zusammengeklappt. Ihre Augen verdrehten sich und sie gab ein: “Huch…!“ von sich und schloss in erneuter Ohnmacht die Augen.

    Um sich abzulenken, strich Hannibal durch die Tunicae, schob sie in die Truhe hinein und schloss sie, setzt sich darauf und atmete tief ein. Sein Blick folgte Nadia zum Fenster, stumm musterte er ihren Rücken, die sich abzeichnenden Schulterblätter unter ihrem Gewand, ihre sanften Rundungen und Hannibal lächelte andeutungsweise. Es war schon gut, dass er diese Insulawohnung für Nadia angemietet hatte, in letzter Zeit hatte er immer öfter Ärger mit dem Besitzer des Lupanar und er wollte Nadia dort nicht hineingezogen wissen. Mal abgesehen davon, dass Nadia dort nicht hineingehörte. Einen Moment verharrte Hannibal auf der Kiste, stand dann jedoch wieder auf und trat von hinten an Nadia heran, legte ihr sanft die Hände auf die Schultern. Er beugte sich ein wenig über ihre Schultern und sah auf das Getümmel zu den Füßen der Insula hinab, streifte mit seinem Blick die Dächer der anderen Häuser und das entfernt liegende Colosseum.


    Mit seinen Fingerspitzen kraulte Hannibal unwillkürlich zärtlich ihren Nacken und erst dann nahm er die feine Tränenspur auf ihrem Gesicht wahr. Eine Falte erschien zwischen Hannibals Augenbrauen. „Nadia, was ist los?“ fragte er sie leise. Dass es Tränen der Rührung waren, schien Hannibal etwas abwegig zu sein, also schien sie dennoch unglücklich zu sein. Natürlich war vieles in letzter Zeit nicht einfach gewesen, doch…Cato! Es musste an ihm liegen. Vielleicht hatte er doch sein wahres Gesicht, Hannibal glaubte im Grunde immer noch nicht, dass jener Mann gut genug für Nadia war, offenbart. „Wolltest Du mir etwas sagen, als Du vorhin im Lupanar vor meiner Tür gestanden hast? Ist etwas passiert?“ Hannibal hob seine Hand und strich ihr behutsam die Tränenspur von der Wange.

    Still und wahrlich sehr stumm starrte der breitschultrige Römer- ehemaliger Veteran und nun ein Krüppel- an den herein tretenden Männern vorbei. Die vernarbte Augenbraue von Pullus zuckte nicht einmal als er angesprochen wurde. Sein Holzbein stand neben ihm. Gerade als Metellus in ansah, wankte er und fiel mit einem lauten Poltern auf den Boden- tot. In seinem Rücken steckte ein breiter Dolch, zu seinen Füßen hatte sich eine kleine Blutlache gebildet. In einer grotesken Haltung blieb der ehemalige Soldat und nun Bewacher der Mädchen dieses Lupanar auf dem kalten Mosaikboden liegen.


    Und schon sind wir mitten im Krimi- Tod im Lupanar!


    “Puuuullluuuus!“


    Gestatten vorzustellen?


    [Blockierte Grafik: http://img81.imageshack.us/img81/1084/floraxx8.jpg]
    Flora in der Rolle der Lupa Flora.


    Flora schritt Hüfte wackelnd in den Eingangsbereich des Lupanar. „Pullus, Liebchen, wo bleiben denn die nächsten Kunden…? Oh!“ Ihr Blick fiel auf die Soldaten, sie zwinkerte ihnen schelmisch zu. „Oh, ganz schmucken Besuch haben wir da. Na, Liebchen?“ Sie zwinkerte Metellus zu. „Du siehst mir besonders süß aus, na, wie wär’ es mit…“ Da fiel ihr Blick auf Pullus, den mausetoten Pullus. Sie wurde ganz langsam so blass wie die Wand hinter ihr. Ihr Mund öffnete sich und dann entfleuchte ihr ein markerschütternder Schrei, laut und gellend. Er hallte durch den Raum und im selben Moment wurde sie ohnmächtig, plumpste nahe des Türstehers auf den Boden.

    Erleichtert schloss Hannibal Nadia in seine Arme und strich ihr mit der flachen Hand sanft über den Rücken. Bis zu dem Moment war er nicht sicher, ob das Ganze nicht eine unsinnige Idee war. Wenngleich ihm sowohl Decius und auch Fabus das Gegenteil bezeugten. Auch Decius’ Frau, sie vermochte Hannibal mit ihrer energischen Art stets einzuschüchtern, schien die Idee nicht als dumm zu erachten. Auf jeden Fall hatten ihm die Drei beim Einrichten dieser Räumlichkeiten geholfen. Lächelnd sah er sie an, erwiderte den Blick. Langsam strich er ihr eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Duft stieg an seine Nase, ihr Körper lag betörend in seinen Armen und ihr Gesicht leuchtete wunderschön. Innig sah er Nadia an. Hannibal beugte sich ganz langsam runter, um sie zu küssen. Nein! knallte es durch seinen Geist, wie der Hieb einer Peitsche. Hannibal bewegte sich wieder zurück, atmete tief ein und löste sich von ihr, strich ihr fahrig über die Wange.


    „Schön, dass es Dir gefällt.“, murmelte er leise. Mühsam wandte er sich ab, schloss die Augen. Es war besser so. Er war nicht gut für eine Frau, nicht für Nadia. Ganz genau wusste Hannibal zu was er im Moment tiefer Enttäuschung fähig war, er wollte es nie bei Nadia dazu kommen lassen. Hannibal ging auf die Truhe zu und strich mit seinen Fingerspitzen über das eingeölte dunkle Holz, spürte die glatte Oberfläche an seiner Haut. „Hier kannst Du ganz normal, wie viele andere Römerinnen leben…und Dein…Helvetius Cato kann auch hierher kommen!“ Die letzten Worte bekam Hannibal nur mühsam zusammen. Nadia glücklich zu sehen, freute ihn aus tiefstem Herzen. Und doch konnte er die Stiche der Eifersucht in ihm nur schwer ertragen. Doch sollte dieser Cato Nadia unglücklich machen, Hannibal würde ihn überall hin verfolgen, um sein wertloses Leben zu beenden. Hannibal lächelte andeutungsweise. „Unten gibt es auch eine Bäckerei…“ fügte Hannibal Sinnloserweise hinzu, schließlich war der Duft nicht zu übersehen gewesen.

    Dieses Haus, das Lupanar. Warum Aristides bloß so sehr von dem schwärmte? Jenes musste wahrlich phänomenal sein. Oder es lag an der sonst ruhigen Stadt Mantua, so dass das Lupanar wie ein Stern am sternenlosen Himmel leuchtete? „Nein, heute ist nichts geplant, Dominus!“ Hannibal unterdrückte ein Lächeln. Die Pläne von Aristides Mutter würde er ihm erst später am Tag eröffnen, wenn der Kater vom Vorabend verklungen war. Vorbild sein, damit sich Nortruna vielleicht doch nicht allzu sehr daneben benahm, so nahm es sich Hannibal vor und neigte den Kopf vor seinem Herren. „Dominus!“ wiederholte er erneut und versuchte einen demütigen Klang in seine Stimme zu bringen. „Das ist Alekto. Ich habe sie in Deinem Namen vor nicht weniger als zwei Wochen auf dem Sklavenmarkt gekauft! Sie ist Germanin.“ Hannibal sah zu Nortruna. „Das ist Dein Herr, Alekto. Dominus Flavius Aristides.“ Sein Blick schweifte zwischen ‚Sklavin’ und ihrem Herren hin und her. Der Stein war ins Rollen gebracht, jetzt musste er wohl durch. Oder vielleicht zog er sich fürs Erste doch lieber zurück. „Aber ich sehe, Dominus, Du bist gar ohne Wein und Speise. Wenn Du gestattest, werde ich ein wenig von Beidem holen!“ Hannibal verneigte sich leicht, wandte sich um und verschwand aus dem Palaestra, ließ somit den Herren und seine neue Sklavin alleine.

    Überrascht wölbte sich Hannibals Augenbraue nach oben. Sicherlich, widerborstig und stur war sie ihm von Anfang an erschienen, aber welcher Haß und welcher Kampfbereitschaft in ihr steckte offenbarte sie nur peu à peu. Hannibal biss sich auf die Unterlippe und fragte sich einen Moment, ob seine Handlung auf den Sklavenmarkt sehr bedacht war. Aber so ganz hatte er nicht von seinem Plan abgerückt, es würde nur sehr viel schwerer werden. Oder er sollte den spontanen Plan doch wieder fallen lassen. Hannibal sah Norturna lange an und schwieg eine Weile, ließ ihre Worte im Raum nachhallen. „Wie Familienmitglieder?“ Nur langsam wanderte Hannibals Augenbraue wieder hinab. Er war bestimmt nicht in die Familie der Flavier aufgenommen oder dort hineingeboren worden, das stimmte durchaus. Nein, so war es bei den Patriziern nicht, selbst wenn er aus einer treuen Sklavenlinie stammte und mehr Ansehen als der Feldsklave besaß. Und doch war sein Herr auch sein Freund geworden, was jedoch einzig und alleine daran lag, dass sie wie Brüder aufwuchsen. Er hatte seinen Herren auch sehr viel kaltherziger gegenüber fremden Sklaven gesehen als er bei ihm, Hannibal, war. „Gut, dann sind die Römer böse Menschen und die Germanen sind allesamt Gute.“ Hannibal lächelte süffisant, zuckte gleichzeitig mit der Schulter.


    Stumm sah Hannibal Nortruna an. Nadias Bild schob sich davor, der er noch vor kurzem zur Flucht aus der Villa des Praefectus der Praetorianer verholfen hatte. Damals und selbst heute noch war Nadia eine Sklavin. Sie hatte sowohl unter ihren Herren als auch unter dem Praefectus gelitten und nun versteckte Hannibal sie. Was war der Unterschied zu Nortruna? Sie wollte nur ihre Freiheit. Freiheit…? Hannibal hatte das Gefühl, dass der Germanin etwas anhaftete, was ihm gar nicht gut tat. Er trat einen Schritt zurück und noch einen. Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Gut…“ erwiderte er leise auf ihre Fluchtpläne. Doch ihre Worte weckten dann doch sein Interesse. „So, auf meinen Rücken soll ich achten? Hast Du denn schon jemals in Deinen Leben einen Menschen getötet?“ Er seufzte und schüttelte den Kopf. Doch auf ihre letzten Worte würde er nichts erwidern, es würde nur alles viel schlimmer machen. Wie die Gepardin, die bis zum Ende kämpfen würde.


    Hannibal ging zu seinem Lager und setzte sich darauf. Er würde nicht gleich gehen, das war im Moment noch unklug. „Geh mit ihr ins Bad, wenn sie Mätzchen macht, dann rufe mich!“ Die Alte, die die ganze Zeit bewegungslos beim Tisch gewartet hatte, sah auf. Ihre trüben Augen musterten Nortruna misstrauisch. „Komm!“ murmelte sie leise. Schlürfend und gebeugter Haltung ging Lexana langsam aus dem Raum hinaus und in ein kleines Bad hinein. „Ich bin Lexana. Komm, hier kannst Du Dich waschen!“ Sie ging zu einer großen Schale und goß Wasser hinein. „Zieh Dich aus, damit Du Dich waschen kannst…“ murmelte Lexana, sah aufmerksam auf Nortruna und…machen wir doch hier einen kleinen Handlungssprung.


    ~So gerne wohl so manch ein Leser die samtig weiche Haut der neuen Sklavin betrachten wollte, Beschreibungen von ihrem Bad erfahren möchten, wir werden sie enttäuschen müssen. Kehren wir also wieder zurück zur Sklavenunterkunft und warten wir ab, ob Nortruna vielleicht die Sklavin anspringen will oder doch einfach mit der neuen Sklaventunica am Leib zurückkehrt.~


    Hannibal stand am Fenster und sah hinaus durch den schmalen Spalt in der Wand. In der Ferne machte er das Kapitol aus, die prachtvollen Dächer der Tempel. Eine Schar von Vögeln zogen ihre Kreise über den blassblauen Himmel. Ob jetzt die Auguren in den Tempeln bereit standen, um ihren Flug zu deuten? Bis jetzt hatte Hannibal noch keinen Laut aus dem Bad gehört, seine Gedanken wanderten ganz woanders hin und sein Gesichtsausdruck wurde weicher, melancholisch. Sein Profil zeichnete sich scharf im Sonnenlicht ab und er lehnte sich gegen die Wand.

    „Welche Überraschung?“ Hannibal lachte und strich ihr kurz zärtlich über die Wange. „Wenn ich es Dir sage, meine Schöne, dann wird es wohl keine Überraschung bleiben!“ Er schmunzelte und ging mit ihr von seinem Arbeitszimmer weg, um so schnell wie möglich aus dem Lupanar zu entschwinden. Es brannte ihm unter den Nägeln ihr die Überraschung zu zeigen, wenngleich er auch nicht ganz sicher war, ob es ihr gefallen würde. Immer wieder lächelte er sie an und führte sie zielsicher durch die Strassen der Subura.

    „Mach die Augen zu!“ flüsterte Hannibal als er mit Nadia vor der Tür im obersten Stockwerk ankam. Es war schon ein kleiner Marsch vom Lupanar bis zu der Insula gewesen, da diese am Rande der Subura lag. Zwischen vielen anderen hohen Häusern lag diese Wohninsel gelegen, ihre weiße Fassade bezeugte jedoch, dass sie erst vor kurzem neu gekalkt wurde. Durch einen breiten Durchgang ging es in den Innenhof, hölzerne Treppengeländer führten in die oberen Stockwerke, wo zahlreiche Römer und Römerinnen wohnten. Unten war ein breiter Tisch aufgebaut, neben einem Brunnen an dem man Wasser schöpfen konnte. Dahinter lag ein kleines Geschäft in der Insula, der Geruch nach frischem Brot zog in den Innenhof hinein. Hannibal hatte Nadia, immer noch ihre Hand haltend, die Treppen nach oben geführt und bis zu einer Tür. Über dem Türrahmen hang ein Strauss von Adonisröschen. Hannibal streckte die Hand aus und öffnete die Tür, führte Nadia vorsichtig hinein.


    „So, jetzt kannst Du sie öffnen!“ Eine kleine Insulawohnung lag vor Nadias Augen. Zuerst ein Raum mit einem großen, dunkelbraunen Holztisch, sanfte beige Vorhänge wehten vor den beiden Fenstern zum Innenhof, welche man mit Fensterläden verschließen konnte. Auf dem Tisch stand eine Vase mit gelbem Lerchensporn. „Das ist Dein neues Reich, wenn es Dir gefällt. Hier kannst Du wohnen und alles, was Du hier siehst gehört Dir, Dir ganz alleine!“ Hannibal lächelte Nadia an, führte sie durch das erste Zimmer hindurch. An einer Tür blieb er stehen und deutete in einen Raum. „Die Küche!“ Ein wenig Licht fiel durch ein schmales Fenster, beleuchtete einen kleinen Ofen aus Ziegelsteinen gemacht, Holzschränke in denen tönernes und bunt bemaltes Geschirr stand, ebenso hing ein kupferner Kessel an der Wand und eine eiserne Pfanne.


    „Und hier kannst Du schlafen!“ Er führte Nadia schnell weiter und in den hintersten Raum. Ein großes Fenster ließ das Sonnenlicht großzügig in den Raum hineinfallen und beleuchtete warm den dunklen Holzboden. Die Insula überragte das gegenüberliegende Haus um ein gutes Stück, bot ein Blick über einige Dächer und man konnte das Colosseum erahnen. Ein breiter Bettkasten, mit dunkelroten Stoffen bedeckt, stand an der hinteren Wand. Eine dunkle, eisenbeschlagene Holzkiste ruhte an am Fuße des Bettes, leicht geöffnet und gefüllt mit Tunicae und anderen Kleidern für eine Frau. „Gefällt es Dir, Nadia. Ich meine…also ich dachte, dass das im Lupanar einfach nicht die richtige Umgebung für Dich ist. Aber wenn es Dir nicht gefällt, dann finden wir schon etwas anderes für Dich…“ fügte Hannibal schnell an und sah abwartend zu Nadia.

    Immer noch erschöpft von der Reise, ständig auf seinen Rücken achten zu müssen und darauf, dass Nortruna ihm nicht ausbüxte, was nicht immer allzu einfach gewesen war, lief Hannibal auf einer der vielen Thermen der Stadt Mantua zu. Auf seinem Gesicht spürte er die warmen und sanften Wintersonnenstrahlen. Heute war mal wieder ein milder Tag, die Vögel zwitscherten fröhlich in den Wipfeln der Bäume, schienen das Leben aus vollen Zügen zu genießen. Mit großen Schritten überwand Hannibal auch noch die letzten Schritte zu den marmornen Treppen, stieg hinauf und zahlte am Eingang den Eintritt. Schnell warf er Nortruna einen kontrollierenden Blick zu. „Heute nicht für Frauen!“ grummelte der ältliche Mann am Eingang. Hannibal deutete auf Nortruna. „Sie ist eine Sklavin!“ Der Mann sah mit seinen trüben Augen zu ihr rüber und wischte sich über die Stirn. „Na gut, aber nicht im Badebereich!“ Hannibal nickte und deutete Nortruna ihm weiter zu folgen.


    In den Apodyteriae (Umkleideraum) ließ sich Hannibal Sandalen für sie Beide reichen, gab ein Paar an Nortruna weiter und setzt sich auf eine Holzbank um sie anzuziehen. Als er seine Schuhe abstreifte, sah er hoch und fixierte Nortruna mit seinen dunklen Augen. „Also, Du wirst jetzt Deinen Herren kennen lernen, Marcus Flavius Aristides. Er ist Centurio in der Legio I hier in Mantua. Vergiss nicht, er ist ein Patrizier. Manches unverschämte Wort wird er wohl hinnehmen, aber nicht alles.“ Dass Nortruna sich kooperativer zeigen würde, das glaubte Hannibal weniger. Hannibal schnürte die Sandalen für die Thermen an seine Füße und stand auf. Einen Moment musterte er Nortruna und zuckte mit der Schulter, ging suchend durch die Gänge der Thermen, immer mal wieder warf er einen Blick in den einen oder anderen Baderaum, vom Caldaria (Warmwsserbäder) bis zu den Sudationes (Warmluftbäder).


    Erst im Bereich der Palaestrae (Sportanlagen) wurde er fündig. Er wandte sich zu Nortruna um, musterte ihre Erscheinung und nickte nicht unzufrieden. „Da ist er schon, komm mit!“ Hannibal betrat die Sportanlagen, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Auf einen der Stufen, die den Ringplatz umsäumten, sah er seinen Herren sitzen. Den anderen Männern im Raum schenkte Hannibal wenig Beachtung, trat auf Aristides zu. „Dominus?“

    Innerlich war Hannibal noch aufgewühlt als er durch die Strassen von Rom in die Subura lief. Freiheit…? Freiheit. Auf diesen Gedanken wäre er früher nicht gekommen, doch in den letzten Wochen drängte sich dies ihm immer stärker auf. Er hatte für einen Sklaven bereits schon große Freiheiten, die Freundschaft zu seinem Herren, dadurch dass sie Beide miteinander aufgewachsen waren, verlieh ihm dieses Privileg. Doch ein wirklich freier Mann zu sein war noch bei weitem etwas anderes. Doch Hannibal wusste, dass es schwer, wenn nicht gar unmöglich für Sklaven aus seiner Linie war, freigelassen zu werden. Selbst wenn sein Herr Aristides es ihm schon einige Male versprochen hatte, doch im Grunde wusste Hannibal um die Unmöglichkeit dieses Versprechen, da sein Herr in manchen Dingen auf ihn angewiesen war.


    Mit all diesen verwirrenden Gedanken kam er schließlich zum Lupanar und trat hinein. Seine Umgebung nahm er gar nicht mehr wahr, in all den letzten Monaten war sie ihm schon derart vertraut geworden, dass viele seiner Schritte mechanisch waren. Überrascht blieb er im Gang stehen als er Nadia vor der Tür seines Arbeitsraumes sah. Lächelnd betrachtete er sie und ging langsam auf sie zu, strich ihr zärtlich über den Rücken. „Nadia!“ grüßte er sie leise. „Ich habe eine Überraschung für Dich…“ Seine Augen streiften über ihr Gesicht, wie ernst sie aussah und…unglücklich. „Ist alles…in Ordnung, Nadia?“ Dumme Frage, offensichtlich war nicht alles in Ordnung mit ihr. Hannibal griff nach ihrer Hand. „Komm, ich zeige Dir die Überraschung, wenn Du magst. Wir müssen nur ein paar Minuten dafür laufen.“

    Mit gesenktem Kopf musterte Hannibal den Steinboden zu seinen Füßen. Eigentlich wollte er schon die Sklavenunterkunft verlassen, die junge Frau der alten Sklavin überlassen und schnell in die Stadt eilen. Seine Überraschung wartete schließlich noch und eigentlich drehten sich seine Gedanken alleine darum. Hannibal hob den Blick und musterte die eigensinnige Frau vor ihm. Mühsam kramte er nach den wenigen Brocken Wissen, die er aus berühmten römischen Schriften sich erworben hatte. Schließlich war Hannibal nie in Germania gewesen, wenngleich er auch eigentlich seinen Herren hätte begleiten sollen. „Ich kann Dich auch weiterhin Mädchen, Sklavin oder Weib nennen. Aber ich finde Alekto sehr viel schöner. Vielleicht würde mir Dein richtiger Name jedoch mehr gefallen. Jedoch, wie soll ich das ahnen?“ Er lächelte leicht, das Lächeln verschwand wiederum schnell. „Germanen besitzen doch auch Sklaven. Die Unfreien und Leibeigenen in Deinem Volk haben doch auch kein anderes Los als Du. Was unterscheidet die Germanen von den Römern in dieser Hinsicht?“


    Als Gladiatorin würde sich die Germanin mit Sicherheit gut machen, dachte sich Hannibal. So viel Kampfgeist und Zorn in sich tragend erschien sie ihm wie eine Kriegrin. Kämpften nicht sogar die Frauen in Germania mit ihren Männern zusammen? Bilder traten vor seine Augen. Vor vielen Jahren in Ägypten hatte sein Herr Aristides wieder seiner Leidenschaft gefrönt, die Jagd. Zufällig hatten sie zwei kleine Gepardenkinder gefunden, sein Herr war schon begeistert von der Vorstellung, die Beiden aufzuziehen. Doch dann tauchte die Mutter auf. Aus unerfindlichen Grunde erinnerte die Germanin mit den zornig blitzenden Augen Hannibal an die geschmeidige Gepardin, ein wunderschönes Tier war sie. Und sie tötete drei Männer ehe sie überwältigt werden konnte.


    „Junge Germanin, ich weiß nicht, von wem Du geflohen bist und wo es Dir gelungen ist. Doch eines versichere ich Dir, von der Familie der Flavier vermag es kein Sklave zu fliehen. Gerade in diesem Moment sitzt ein Mann Deines Volkes in den Kellergewölben, der ebenso wie Du geglaubt hatte, seine Freiheit auf diese Weise zu erlangen. Er hat geirrt. Wahrscheinlich wird er dafür sterben, wenn er Glück hat nur gebrandmarkt. Möchtest Du sein Schicksal, das Los dieses Germanen teilen?“ Hannibal verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wollte sich abwenden, blieb dann jedoch stehen.


    „Du vergisst im Übrigen eines, ich bin auch ein Sklave. Ich bin kein Römer. Du solltest jedoch Deine Feinde nicht unterschätzen. Die nicht schlauen Römer, wie Du sie nennst, haben mehr als die halbe Welt erobert. Sie haben die Griechen unterworfen, die Ägypter, die Karthager, die Iberer, die Gallier, die Briten, die Daker und auch die Germanen. Mit Sicherheit kann man auch die Römer besiegen, kann sie an der Nase herumführen. Aber das mit einem wachen Verstand, mit bedachten Taten und einem ausgefeilten Plan. Wenn Du schon zu fliehen versuchst, dann tue es nicht dilettantisch, so daß ich Dich schon am Tiber wieder einsammeln kann!“ Hannibal deutet auf die Sklavin. „Tu ihr besser nichts, denn Sica, der Aufseher über die Sklaven, ist schneller mit der Peitsche als ich wieder zurück sein kann.“

    Stumm und unbewegt fixierte Hannibal die Germanin mit seinem Blick. In seinen Händen drehte er den abgelehnten Becher, spürte den kratzigen und unglasierten Ton an seiner Haut. Seine Augen wanderten ihr Gesicht ab, erforschten ihre Konturen, ihre sanft geschwungene Nase und dann das Lodern in ihren Augen, der Keim des Aufbegehrens, der schon mit seinen starken Trieben und seinen Blättern in den Himmel sich erhob, um die Freiheit wieder zu erlangen. „Du willst mir Deinen Namen also nicht nennen, Mädchen?“ Hannibals Schulter zuckte kurz. „Das musst Du natürlich nicht, Du kannst Deinen Namen in Dir verschließen, den Schlüssel tief verstecken und ihn für Dich behalten. Aber dann werde ich Dir wohl einen anderen Namen geben, mit dem wir Dich ansprechen können!“ Eine Germanin…nicht ohne Grund hatte ihr Blick, ihre Haltung Hannibal an jemand anderes in der Villa erinnert. „Wie Rutger…“ murmelte Hannibal unwillkürlich leise. Er schüttelte den Gedanken an den gefangenen Germanen fort und grübelte über einen Namen.


    Dieser Zorn, dieser Haß in ihren Augen…“Vielleicht nenne ich Dich Alekto oder Megaira?“ Ob ihr die Namen etwas sagten? Hannibal bezweifelt es ein wenig. Aber ein wenig Latein sprach sie, von wo wohl? War sie schon länger in Gefangenschaft? Neugier keimte in Hannibal auf, doch er sah, dass es zwecklos war, dem zu folgen. „Aber Namen haben Macht. Und will ich ein Rachegeist in der Villa haben? Vielleicht doch lieber eine verführerische Nereide, Galatea vielleicht?“ Hannibal legte seinen Kopf ein wenig zur Seite, musterte sie weiter. „Aber ich sehe schon, wir werden es nicht einfach mit Dir haben. Du gehörst niemanden? Und trotzdem wurdest Du auf dem Sklavenmarkt verkauft? Vielleicht erklärst Du mir dieses Paradoxon, diesen Widerspruch.“ Betont und langsam sprach Hannibal die Worte, damit die junge Frau ihm auch mit seinen Worten folgen konnte. „Aber wahrscheinlich habe ich einer dieser vielen Schicksale vor mir, die alle auf die gleiche Weise anfangen und oft auf dieselbe Art enden!“


    Sein Blick wanderte zu den sich kräuselnden Wasserringen in seinem Becher, es war als ob er in einen Wahrheitsbrunnen zu schauen versuchte. „Geboren als freie Germanin, stolz und in den Armen Deiner großen Familie bist Du aufgewachsen. Du hattest Brüder, einen Älteren, der auf Dich aufgepasst hat? Deine Mutter, Dein Vater, die Dir alles bedeutet haben. Und eines Tages kamen SIE, die grausamen und mordlustigen Römer. Kaltherzig und ohne Gnade fielen sie über eure Sippschaft her, brannten alles nieder, vergewaltigten die Frauen, verschleppten die Jungen und die Frauen, töteten alle Männer. Du warst eine von diesen Frauen, wurdest bis nach Rom gezwungen. Vergeblich hast Du versucht zu fliehen, doch trotzdem wurdest Du verkauft. Doch im Grunde Deines Herzens weißt Du, dass die Freiheit nahe ist, dass Du sie nur zu ergreifen brauchst und in Deine Heimat fliehen kannst!“


    Hannibal hob den Blick, kein Hohn, noch Spott stand in seinen Augen. „Ich mache mich nicht über Dich lustig. Aber Du musst erkennen, dass das Schicksal Dir keinen leichten Weg gegeben hat. Du bist hier gefangen, Du wurdest als Sklavin verkauft. Entweder Du findest Dich damit ab, versuchst im Rahmen Deines jetzigen Lebens es Dir erträglich zu machen. Und die Freiheit zu erlangen ist nicht ausgeschlossen für Dich.“ Hannibal war sich sicher, dass viele seiner Worte verschwendet waren, aber er sprach sie trotzdem aus. „Oder aber Du bäumst Dich auf, versuchst den Mächtigen und die, die Dich nun mal jetzt beherrschen, zu beweisen, dass Du keine Sklavin bist. Fliehst am Ende gar noch. Dann wirst Du leider sterben müssen. Und das wäre sehr schade!“ Hannibal leerte in einem Zug den Becher und stellte ihn auf den Tisch zurück. „Ich nenne Dich Alekto. Ich bin mir sicher, Du wirst noch eine Furie hier in der Villa sein!“ Hannibal stand auf und winkte die Alte heran. „Bade sie und gib ihr eine frische Tunica.“ Hannibal wandte sich zu Nortruna um. „Du würdest doch keine alte Frau überwältigen, oder? Versuche lieber nicht schon am ersten Tag zu fliehen, Alekto.“

    Zufrieden nickte Hannibal, trat noch einen Schritt zurück und drehte sich halb von Nortruna ab. Schweigend und ohne eine Regung auf dem Gesicht sah er sich in der Sklavenunterkunft um, die er seit einiger Zeit wieder bewohnen musste. Ungerührt und als ob er die Sklavin nicht mehr beachten wollte, knüpfte Hannibal den Beutel mit dem restlichen Geld und den darin enthaltenden Dolch ab, warf diesen achtlos auf sein kaum benutztes Lager. Kühl sah er zu der alten Serrana, die ihn aus misstrauischen starren Augen ansah, sie hielt seinem Blick stand. In ihren Augen standen schon die ersten Zeichen von grauem Starr, doch sie schien nicht einmal blinzeln zu wollen. Wie die meisten Sklaven stand sie auf der Seite von Sciurus und Sica hier im Haus und mit denen hatte es sich Hannibal seit der Geschichte mit der Cloaca verscherzt, besonders bei Sica. Hannibal wandte sich von der Alten ab und trat wieder auf Nortruna zu. „Du kannst verstehen? Das ist gut.“ Er umfasste ihr Kinn und hob es sanft, betrachtete sie von oben und seine Braue wölbte sich in die Höhe. Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. Wie der dunkelhäutige Mann auf dem Sklavenmarkt, den Hannibal mit Interesse gemustert hatte, zeigte Nortruna die Spuren eines freien Lebens. Zumindest erschien es Hannibal derart, als er in ihre Augen sah. Wie das wohl war? Frei zu sein?


    Abrupt zog er seine Hand zurück als ob er sich verbrannt hätte, was er gewisser Maßen auch getan hatte. Hannibal trat zurück, sein Gesicht, kurz mit einem melancholischen Ausdruck behaftet, verschloss sich schnell. Wie kam er nur immer wieder zu diesen rebellischen Empfindungen? Er war schließlich ein treuer Sklave der Flavier, war ein Sklave in langer Tradition in dieser patrizischen Gens, sein Vater war es bereits, dessen Vater und noch viele Generationen zuvor. Hannibal atmete tief ein, verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Du gehörst von nun an Marcus Flavius Aristides. Er ist ein Flavier aus der großen patrizischen Gens der Flavier. Die Flavier haben schon als Kaiser über das römische Imperium geherrscht, Du dienst also in Zukunft in einem glorreichen Haus.“ Hannibal schwieg und trat auf den Tisch in der Unterkunft zu. Seine Hand griff nach einem Tonkrug, leise plätschernd goss er das blau schimmernde Nass in einen einfachen Tonbecher. „Mein Name ist Hannibal. Ich bin ebenso ein Sklave von Marcus Flavius Aristides.“


    Ohne den Blick von Nortruna abzuwenden, trank Hannibal einen Schluck aus dem Becher, ging abermals zu ihr und reichte ihr den rauen Becher hinunter. „Hier, trink.“ Unrast hätte Hannibal fast dazu getrieben wieder auf und ab zu gehen. Mit großer Selbstbeherrschung, irgendwie fühlte er sich in dieser Umgebung fast mindestens genauso unwohl, wie es die Sklavin wohl tat- wenngleich aus völlig anderen Gründen, zog er einen hölzernen Hocker heran und nahm vor Nortruna Platz. „Wie ist Dein Name, Mädchen? Und wo kommst Du her?“

    Vielleicht hätte Hannibal noch den Sklavenhändler fragen sollen, ob die junge Frau überhaupt Latein verstand. Ob sie eine Gallierin war? Oder aus Dacia? Vielleicht auch Germanin? Hannibal zuckte mit der Schulter, für eine angenehme und gepflegte Konversation hatte er sie nicht gekauft. Warum hatte er sie noch mal gekauft? Ah ja, es fiel ihm wieder ein. „Entweder verstehst Du mich nicht oder willst nicht sprechen!“ sprach er, sah sie noch einige Momente unverwandt an. „Also gut, wie es auch sei, komm mit!“ Wenn sie ihn nicht mit seinen Worten verstand, das ziehen am Seil war Sprache genug. Hannibal steuerte vom Sklavenmarkt direkt weg und vorbei am Tuchbasar.


    Er würde später noch mal herkommen, wenngleich er dann auch die Expertenmeinung seines Freundes wohl verzichten musste. „Decius, ich komm später in der Spelunke vorbei. Ist heute Abend das mit dieser komischen Rattensache?“ Decius lachte tief auf, sein Doppelkinn waberte bei der Bewegung hin und her. „Aber ja, das Ereignis seit Monaten, komm nicht zu spät, Hannibal. Und vielleicht bringst Du das schöne Mädchen da mit?“ Decius zwinkerte Nortruna breit lächelnd zu. „Obwohl, meine Frau erfährt das bestimmt schon wieder ehe ich danach zu Hause angekommen bin. Du kennst doch die Schnelligkeit der Gerüchteküche hier in Roma!“ Decius grinste breit, winkte und mischte sich zwischen die Menschen.


    Hannibal wandte sich Nortruna zu, musterte sie noch einmal und zog sie dann durch die Menschenmenge und fort von den Märkten zu ihrem neuen Zuhause, oder vielleicht eher ihr Gefängnis?

    Weißes Sonnenlicht strahlte auf Rom herunter, ein kalter Wind wehte durch die Strassen und wirbelte so manchen Dreck auf. Menschen hasteten durch die engeren Gassen, um ihr Tagewerk zu vollführen, Andere gaben sich einem gemächlichen Trott hin, sie hatten wohl die Muse den Tag mit angenehmen Dingen zu verbringen. Immer wieder musste man Sänften oder vorbei eilenden Soldaten ausweichen ehe man aus den ganz belebten Straßen zu den vornehmeren Teilen der Stadt kam. Schweigend war Hannibal mit Nortruna in der Villengegend angekommen, hatte sie bis zu dem prachtvollen Tor geführt, welches zum Eingang der Villa angrenzte. Sie hatten einige schön angelegte Parkanlagen passiert, im Vorbeigehen hatte Hannibal eine winterblühende Rose abgepflückt und sie in seinem Beutel am Gürtel verschwinden lassen. Schweigend war er mit ihr durch das Tor gelaufen und auf die dunkle Portatür zu, hatte nur einige Worte mit dem Ianitor gewechselt und schließlich sie durch das riesige marmorne Atrium geführt, durch die reich geschmückten Flure und in die dafür doch bescheidene Sklavenunterkunft gebracht.


    Dort angekommen schloß er wortlos die Tür, zog sie zu einem Lager und drückte sie herunter, so dass sie dort zum Sitzen kam. Aus einem Beutel, wo er auch seinen Geldbeutel aufbewahrt hatte, zog er einen kleinen Sica (Ein Dolch) hervor, das Metall schimmerte in dem fahlen Sonnenlicht, was durch die Fensterritzen hereinfiel, dunkel auf. Kleine metallene Reflexe spielten auf den weiß gekalkten Wänden der Sklavenunterkunft. Ein paar anwesende Sklaven (~Waren es namenlose Sklaven oder doch wichtige Sklavenprotagonisten des Hauses? Wir werden sehen…~) sahen auf, Hannibal ignorierte sie. Mit der scharfen Messerschneide durchschnitt er die Fesseln und löste sie von Nortrunas Handgelenken, betrachtete nur kurz die aufgeschürfte Stelle und trat einen Schritt zurück, sein Messer dabei wieder wegsteckend. „Verstehst Du mich, Mädchen?“ Hannibal sah sie unverwandt an, versuchte zu sehen, ob ihre Augen sie verrieten.