Beiträge von Caius Iulius Constantius

    Constantius war sich bereits in der frühen Morgenstunde sicher gewesen, dass dieser Tag ein besonderer Tag werden würde. In den einheitlichen Tagen des Routinedienstes erschien die Aussicht auf eine Mittagspause, die er mit seiner Schwester verbringen durfte, so erbaulich, so erfreulich, so wunderschön wie das beruhigende Leuchten eines Lagerfeuers in einer dunklen, sternenlosen Nacht.
    Wo er sonst mit gesenktem Blick anteilnahmslos die Runden um den Exerzierplatz absolvierte, stumm das Pilum auf die steinernen Ziele warf und die Distanz zu den leblosen Gegnern bei jeder fehlerfreien Wurfserie erhöhte, mit grimmigen Blick den hölzernen Übungspfahl mit Serien schneller Schwerthiebe bedrängte, sollte an diesem Morgen ein friedvolles, hoffnungsvolles, zufriedenes Lächeln jeden Schritt, jeden Wurf, jeden Schlag begleiten.
    War er sonst einer der Letzten, die sich zum Essen begaben und einer der Ersten, die den Ort der soldatischen Köstlichkeiten wieder verließen, sollte er heute kaum den Zeitpunkt erwarten können, als der Princeps Prior die Soldaten zum Essen wegtreten ließ.


    Doch selbst die freudige Erwartungshaltung des jüngeren Bruders hatte nicht erwartet, dass dieser Moment so überwältigend werden würde. Gewiss war es nicht das köstliche Essen, waren es nicht die teilweise quälend vorgetragenen Worte des nicht sehr wortgewandten Iuliers gewesen, die sein Herz vor Freude kräftig schlagen ließ. Nein es war eine kleine aber nicht unwichtige Geste Helenas. Es war ihr befreites Lächeln, das einen Moment frei von Sorgen erschien.


    Es war ein wundervoller Anblick, ein Moment, den Constantius tief in seinem Inneren für die Ewigkeit festhielt. Stumm erwiderte er ihren Blick. Lächelnd. Glücklich, Dankbar.


    Es war vielleicht auch dieser Moment des Glücks, der ihn dazu bewegte ihren Vorschlag anzunehmen. Sicherlich stand der Verdienst eines einfachen Miles in keiner Relation zu dem einer Magistrata, doch wofür sollte er schon Unsummen an Sesterzen ansparen, wenn er an einem Abend damit ihr eine Freude machen konnte.


    „So soll es sein Helena. Ich werde dich einladen und du mich. Und am Ende des Abend soll nur zählen, dass es ein glücklicher Abend geworden ist.“
    Er drückte wieder einmal behutsam ihre Hand und besiegelte somit den erfolgreichen Kompromiss der beiden Geschwister,


    Ein sehr unschuldiges Lächeln trat auf seine Züge, begleitet von einem spitzbübischen Glanz in seinen Augen.


    „Ich wollte ja für ein besseres Gesprächklima sorgen. Natürlich würde ich nie freiwillig einer angeregten Diskussion fernbleiben wollen.“ Die zu starke Betonung des „nie“ sollte die fröhliche, ironische Intention seiner Worte sehr deutlich zur Geltung kommen lassen.
    „Aber wenn du es natürlich wünschst, werde ich meinen Soldatenhintern nicht von dem Tisch fortbewegen und sogar meine Redekünste von der besten Seite präsentieren.“
    Er schob eine kleine Gedankenpause ein und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen.
    „Müsste ich jene Tiberia Livia kennen? Jedenfalls erscheint mir ihr Name nicht geläufig zu sein. Aber was sollte dich daran hindern sie einzuladen? Wenn du sie noch nicht gut kennst, wäre es die perfekte Gelegenheit sie besser kennen zulernen, oder nicht?“


    Für einen kurzen Augenblick war Constantius über seine eigenen Worte erstaunt. Und vermochte nicht ein erheitertes Grinsen zu verbergen. Ja diese Worte waren wirklich von ihm gekommen, der den meisten Gesprächen aus dem Weg ging.
    „Vielleicht wird ja Artoria Hyphatia oder ihr Gatte noch jemanden kennen, der oder die den Abend durch geistreiche Worte noch verschönern könnte. Sie erschienen mir ein sehr angenehmes Paar zu sein. Vielleicht sprichst du einfach noch mal mit ihnen.“

    Die Sekunden verrannen. Sekunden, die zum Nachdenken hätten genutzt werden können. Sekunden in denen sich Constantius noch jene Worte hätte überlegen können, die seinen Gemütszustand wohl am treffendsten beschrieben hätten. Doch anstatt die Zeit, die ihm noch gewährt wurde, zu nutzen, lief er, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick nachdenklich gesenkt, auf und ab. Ging Meter um Meter wie auf einem eingelaufenen Trampelpfad und wendete zögerlich, als eine massive Wand sich seinen Schritten in den Weg stellte. Gewiss, er hätte auch den Anschein eines erbosten oder ungeduldigen Mannes erwecken können, doch die unnatürliche Blässe in seinem Gesicht und der flache und dennoch schnelle Atem, ließen nur einen Schluß zu. Er war nervös. Er war sehr nervös. Nein, er war wohl gerade der nervöseste Mann in ganz Rom.


    Die verbleibende Zeit stellte keine Beruhigung dar. Vielmehr erhöhte sie die Qualen des junges Mannes mit jeder verstreichende Sekunde. Obwohl er mehr als angestrengt über das Kommende nachdachte, waren es nur noch mehr Zweifel an seinem Vorhaben, die nun erwachen sollte. Warum nur fühlten sich seine Beine so unsicher an. Warum fühlte er sich nur so elend. Warum rann ihm kalter Schweiß über die Haut und warum fröstelte er nur, obwohl es noch immer recht warm und angenehm war. Und warum konnte er seine Finger nicht mehr ruhig halten….


    Er sollte keine Antwort finden. Denn seiner Qual sollte ein Ende bereitet werden. Oder war es lediglich eine weitere Steigerung? Eine bekannte, liebreizende Stimme riß Constantius aus seinen Gedanken und ließ ihn den Atem für einen Moment anhalten. In seinem Schritt inne haltend, hob er den Kopf behutsam an, als würde das, was er nun sehen würde, verschwinden, wenn er sich zu schnell bewegte. – gewiss bestand auch die Möglichkeit, das die aufkeimende Furcht in ihm wünschte, dass er niemanden erblicken würde –
    Es war einer jener Momente, die so ausführlich in Liedern beschrieben wurden. Obwohl kein Sonnenlicht in dem Raum fiel, erschien die Silhouette Samiras in einen lieblichen Schein gehüllt zu sein. Kontrastierte ihre wundervollen schwarzen Haare und rahmte ihre liebliche Gestalt in einer Perfektion ein, die kein Maler, kein Bildhauer wohl hätte festhalten können.


    Erneut sollten Sekunden verstreichen. Sekunden in denen Constantius weder sprach noch zu atmen wagte. Und hätte Samira nicht schließlich vorsichtig die Stimme erhoben, wäre der junge Iulier wohl aufgrund eines akuten Sauerstoffmangels in Ohnmacht gefallen. Lieblich lächelnd sprach sie mit sanfter Stimme:


    „Constantius..du wolltest mich sprechen?“


    Sie kannte seinen Namen noch. Sein Herz schlug heftiger, schien zu beben. Seine weichen Knie, drohten einen Moment unter seinem Körpergewicht zu versagen.
    Er öffnete den Mund und rang zunächst nach Atem.


    „Ich… Du.. Versteh mich nicht falsch. Ich bin nicht hier wegen…Ich wollte“
    Als wäre das Stammeln nicht bereits schlimm genug, so klang seine Stimme außerdem noch schwach und zittrig. Die linke Hand zur Faust ballend kämpfte Constantius um seine Selbstbeherrschung. Senkte den Blick, atmete tief ein und aus und blickte einmal mehr zu Samira.


    „Ich wollte ---etwas sagen….das ich vergessen habe. An jenem Morgen…du weißt vielleicht. Ich wollte dir sagen..du bist wahrlich etwas besonderes.“


    „Na bravo“, erklang eine zynische Stimme in Constantius Geist. „Ebenso hättest du jetzt sagen können, sie wäre nett.“


    Der junge Iulier senkte den Blick, wandte sich von Samira ab und ging zur Tür.
    „Verzeih..ich sollte gehen….“
    Mit schwacher Hand öffnete er die Tür und begab sich nach draußen.

    Langsamen Schrittes ging Constantius die Stufen der marmornen Treppe hinab. Blickte zu dem Ort, der durch das Gespräch zwischen seiner Schwester und seinem Onkel seine Neugier geweckt hatte. Die Haltung seines Onkels, die gepackten Sachen, alles ließ nur einen Schluß zu. Er würde wohl recht bald, im Grunde gleich wieder aufbrechen.
    Seufzend trat er schließlich näher.


    „Es war schön dich wieder zu sehen Patruus Numerianus. Ich hoffe du wirst eine sichere Heimreise haben. Und noch viel mehr hoffe ich, dass du uns recht bald wieder besuchen wirst.“ .

    „Ja ich schäme mich auch. Jedenfalls wenn ich Zeit dazu finde“, antwortete er schelmisch grinsend und veränderte seine Sitzposition derart, dass Helena sich bequemer an seiner Schulter anlehnen konnte.


    Die beruhigende, vertraute Berührung ihrer Hand ließ ihn einmal mehr die kleinlichen, sorgenvollen Gedanken über anstehende Gespräche vergessen und ihn schwach, aber zuversichtlich lächeln. .
    „Ich denke auch, dass wir wohl ein passendes Thema finden werden. Über irgendetwas lässt sich ja immer reden.“ In der Tat. Irgendwelche Leute schafften es immer wieder, für Stunden sehr angeregt über die belanglosesten Dinge zu reden, zu diskutieren oder sogar zu streiten. Sie wechselten die kärglichen Gesprächsthemen, wie die Tierherden die kärglichen Weiden im Süden wechselten, bis sie abgegrast waren.
    Eine erstaunliche Gabe, die Constantius bereits das eine oder andere Mal bestaunt hatte und sebst noch nicht in Ansätzen erlernt hatte.


    Vorsichtig drückte er ihre Hand.
    „Wir werden uns einen angenehmen Abend machen, ohne Sorgen. Und ich habe einiges gespart. Lass mich dich einladen. Es wäre mir eine wahre Freude. Dann lohnen sich die unendlichen Runden, die ich um den Exerzierplatz laufen muss, am Ende doch noch.“
    Trotz des versöhnlichen Lächelns am Ende seiner Worte, schien es im ein wichtiges Anliegen zu sein, dass wenigstens ein Teil seines gesparten Soldes ihnen gemeinsam zu Gute kam.


    Aufmerksam lauschte er der folgenden Aufzählung von möglichen Gästen. Bemühte sich den so trocken klingenden, ungreifbaren Namen, Bilder von Gesichtern zuzuordnen. Und musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass es ihm in den meisten Fällen auch gelang.
    „Decimus Artorius Corvinus und seine Gattin scheinen eine perfekte Wahl zu sein. Soweit ich sie einschätzen kann, kann ich nur Gutes über sie sagen, diesen „, scheinbar hatte er den Namen bereits wieder vergessen, „Volkstribun kenne ich nicht. Doch wenn du ihn einladen willst, wird er ein willkommener Gast sein. Ich hoffe sehr, dass Livilla hier in Rom bleibt. Ich weiß nicht, was sie hier in Rom erreichen möchte, doch ein paar Bekanntschaften, können ihr sicherlich helfen ihre Ziele zu erreichen.“
    Er nickte zustimmend, sollte dann aber nachdenklicher wirken, als die Sprache auf die Valerier Brüder kam.
    „Vielleicht sollten wir den Prätorianer“. Scheinbar war ihm wieder der passende Name entfallen,“ nicht einladen und dafür nur Victor.und vielleicht auch seinen töpfernden Verwandten einladen.“
    Auch wenn Constantius sich Namen nicht gut merken konnte, sollte er die Auseinandersetzung der Brüder, oder besser die Anzeichen dafür, nicht vergessen haben. Ebenso wenig hatte er Helenas Blick vergessen und wollte ihr die Anwesenheit Victors nicht vorenthalten.
    „Und ich denke, dass die Anzahl an Männern noch zu ertragen sein wird. Und im Falle eines Falles kann ich ja noch den Raum wieder verlassen“, er lächelte sie gutmütig an.

    Constantius fühlte das innere Bedürfnis Samira nochmals zu sehen. Nur einen Moment mit ihr zu haben, in dem er ihr all das sagen wollte, was er an jenem Morgen versäumte. Doch über das Wie und Was war er sich ebenso unsicher, wie über die Chaos, das seit jener Nacht in seiner kleinen Gefühlswelt herrschte. Im Grunde wusste er nicht was ihm fehlte, was nicht stimmte, doch das etwas nicht stimmte, das etwas fehlte, das es plötzlich eine Leere gab, die einen wehmütigen, brennenden Schmerz hinterlassen hatte, fühlte er umso deutlicher.
    Oft hatte er bereits darüber nachgedacht, was er Samira wohl sagen würde, was er zum Ausdruck bringen wollte, doch stets hatte er die Gedanken, die zu keinem Ergebnis kamen, immer wieder vor sich her geschoben und tat es auch in diesem Moment. Ja glück, Glück würde er brauchen.


    Er richtete sich wieder auf und blickte dankbar zu Helena, als sie das Thema wieder wechselte.
    „Liebe Helena. Ich muß gestehen, dass ich davon hörte, dass es in Ostia die besten Meeresfrüchte geben soll. Ebenso muß ich gestehen, dass ich dafür bereits einen Teil meines Soldes gespart habe, um eine ausreichende Kostprobe für uns beide davon zu erwerben. Denn ich befürchte, dass es nicht gut aussehen würde, wenn ich die Magistrata mit…entliehenen“, er zwinkerte ihr kurz zu, „ Meeresfrüchten überraschen würde.“


    „Doch selbst wenn es in Ostia nur den Eintopf der Legion zu essen geben würde, würde ich mich sehr freuen sehen zu dürfen, wo du arbeitest.“


    Er sollte eine kurze Pause einfügen. Eine Pause, in der seine Gedanken darum kreisten, ob er diesen Mann kennen lernen wollte oder nicht. Eine Pause, die nicht lange dauern sollte, immerhin würde es ihm erlauben einen Blick auf diejenigen zu werfen, die Helena wohl am nächsten waren.
    Nickend fügte er an, immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen tragend:


    „Ja ich würde gerne deinen neuen Scriba kennen lernen. Auch wenn ein einfacher Miles vielleicht nicht so sehr viel Interessantes zu berichten weiß.“


    Es klang durchaus nicht wie eine ablehnende Geste des Iulliers im Bezug auf das angedachte Gespräch. Vielmehr klang in seiner Stimme eine unterschwellige Besorgnis, ein tief verwurzeltes Anliegen mit, Helena vor den Augen ihres Untergebenen keine Schande zu bereiten. Es war leicht durch Taten den stolzen, warmen Glanz in ihre Augen zu zaubern. Es war leicht für Constantius jene Taten zu planen und ehrgeizig durchzuführen – auch wenn es manchmal nur ein schneller Sprint war, den er als kleiner Bursche, beladen mit einer Schale Meeresfrüchte, in ihr gemeinsames Versteck gemacht hatte. Doch die richtigen Worte in Gegenwart fremder Personen zu finden, erschein ihn all zu oft deutlich schwerer.


    „Es würde mich freuen, wenn wir Abends einmal ausgehen würden. Es würde unserer beiden Gedanken von der Arbeit ablenken. Hast du bereits eine genaue Vorstellung von einem Ziel? Oder soll ich nach etwas angemessenem Ausschau halten, wenn ich… durch die Stadt patrouilliere?“


    In Gedanken zählte er bereits die Sesterzen, die er bis heute gespart hatte und schätzte ab, für welches der besseren Etablissements diese Summe wohl reichen würde.
    Doch die Erwähnung eines angestrebten Gastmahls, ließen diese übereifrigen Gedanken schnell versiegen.
    Innerlich hoffend, dass Helena ihn nicht bitten würde, selbst einige Bekannte zu dem gerade erwähnten Mahl einzuladen, erwiderte er nicht minder von der Idee angetan:


    „Schon zu lange ist es wohl her, dass in unserer Casa ein angemessenes Gastmahl gegeben wurde. Ich halte es für eine besonders gute Idee. Aber..“


    Mit deutlich leiserer und damit verräterischer Stimme sollte er seinen Satz beenden
    „..ich weiß nicht, ob ich selbst Bekannte einladen kann. Immerhin könnten sie Dienst haben.“
    Es war eine Lüge. Doch im Grunde wusste er, dass Helena es mehr als deutlich erkennen würde. Sie hatte es stets getan. Und damit hatte er die Wahrheit auf einem kleinen Umweg mitgeteilt.

    Constantius griff in den Korb, der die verheißungsvollen Meeresfrüchte enthielt. Leider musste er feststellen, dass jener Schatz, der vorhin noch einen aromatischen, verheißungsvollen Duft verströmt hatte, nun geplündert war. Auch der letzte köstliche Happen war verspeist.
    Auch wenn sein Magen reichlich gefüllt war, schaute er betrübt zu Helena um darauf aber wieder erheitert zu lächeln.


    „Ich glaube bei unserer beiden Leibspeise wird nie ein Stückchen übrig bleiben“


    Sich zufrieden zurücklehnend verschränkte Constantius die Arme hinter seinem Nacken. Atmete tief ein und aus und betrachtete Helena einen Moment lang aus seiner nun etwas zurückliegenden Position. Gewährte sich einen ernsten Blick, einen nachdenklichen Blick. Einen Blick der dennoch frei von Kummer sein sollte.

    Der Dienst war für den heutigen Tag beendet, würde bis zum nächsten Morgen ruhen. Hatte den jungen Mann für diesen Abend aus seinen Fesseln entlassen und in einen nicht minder aufregenden Abend entlassen. Das Herz in der Brust Constantius’ schlug mit einem lauten Pochen, als seine Schritte ihn durch das Tor der Kaserne führten. Erhöhte die Schlagfrequenz und die Intensität mit einem jedem Schritt.


    Er hatte ihren Aufenthaltsort erfahren und war während seiner Patrouillen den Mercatus Traiani auf und ab geschritten, und wie ein Kind um einen frisch gebackenen Kuchen, in einem großen Bogen immer wieder um das gleich Gebäude gelaufen. War sein Gesichtsausdruck bei der Entdeckung jenes verheißungsvollen Ortes noch voller Freude gewesen, sollte jeder Mann, der das Gebäude betrat, dem jungen Iulier schmerzen und etwas weniger freudig lächeln lassen. Der Gedanke, dass nun ein Fremder Samira besuchen würde....
    Wie dutzende kleine Nadelstiche bohrten sich jene Gedankenbilder in seine Seele und hinterließen einen bekümmerten, dumpfen Schmerz..


    Umso schneller wollte er nun, da er nicht mehr seine Uniform trug, zu Samira eilen, bevor ein Anderer wohlmöglich vor ihm eintraf. Mit einem zügigen, raumgreifenden Schritt bahnte sich Constantius deshalb den Weg durch die noch sehr belebten Gassen Roms. Sollte seiner Umgebung keinen Blick schenken und stattdessen starr auf das Ziel blicken, bis er es schließlich erreicht hatte.


    In der ganzen Eile, in der Hast durch die Gassen, galten seine Gedanken nur dem Erreichen des Ziels. Jetzt, wo er es erreicht hatte, fiel ihm schmerzlich auf, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, was er sagen würde, wenn er es erreicht hatte. Der schnelle Schritt hatte seinen Atem beschleunigt, doch merkwürdigerweise fühlten sich Constantius’ Knie ebenfalls weich und zittrig an. Nicht einmal in der Grundausbildung hatte er sich nach einem Lauf so schwach und elend gefühlt. Sein Herz raste, das Pochen des donnernden Herzschlages lag wie ein Dröhnen in seinen Ohren.
    Trotz der sonnengebräunten Haut, wirkte der junge Iulier deutlich blasser um die Nase herum, als er an die Tür des Lupaner herantrat.


    Trotz eines tiefen Atemzuges, breitete sich das Zittern der Knie bis in seine Hände aus. Raubte seinen Hand die Kraft, als er gegen die Tür klopfte. Das beabsichtige laute Pochen an die Tür wurde zu einem zaghaften Klopfen.


    Als ihm doch jemand die Tür öffnete, sprach der kräftige, großgewachsene, junge Mann mit belegter Stimme.


    „Ich ..würde gerne mit Samira..reden. Ich hörte. „
    Er zögerte einen Moment
    „ich hörte sie würde hier…leben.“

    Betrübte ihn gerade noch der Gedanke, dass Livilla sich in seiner Gegenwart unwohl fühlen könnte, sollte sein Herz nun mit Freude erfüllt werden.


    „Es ist nur die Uniform eines einfachen Miles der Cohortes Urbanae. Doch wenn sie dir gefällt, trage ich sie noch mit etwas mehr Stolz.


    Er drückte behutsam ihre Hand und schenkte ihr ein ehrliches, warmes Lächeln.


    „Ich werde dir noch eine Weile erhalten bleiben. Das versichere ich dir. Und so schnell wirst du mich auch nicht loswerden. Mein Dienst bindet mich an Rom. Sollte der Tag einmal kommen, da ich der Legion beitreten werde, so liegt dieser Zeitpunkt noch in einer fernen Zukunft verborgen. Bis dahin wirst du mich noch eine Weile ertragen müssen.“


    Der folgende Kuss überraschte Constantius. Ließ ihn einen Moment mit einem offenen Mund dastehen. Doch war es keine unglückliche Überraschung, die ihn für einen Augenblick erstarren ließ. Ein glücklicher Schauer strich einer Feder gleich über seine Haut, ließ seine Lippen ein besonders herzliches, dankbares Lächeln formen.


    Seine Reaktion mochte zwar nicht annährend so zärtlich sein, doch nicht minder herzlich. Ohne große Mühe nahm Constantius Livilla in die Arme und hob sie ein Stück an. Schweigend drückte er sie an sich und entließ sie erst nach weiteren Sekunden des Verharrens wieder aus seinem Griff.


    „Ich bin froh, dass ich dich etwas glücklich machen konnte.“


    Gelöst und glücklich führte er Livilla zurück zur Casa

    Waren die Blicke der übrigen Männer, die mehr oder weniger freiwillig diesen Stand umrundet hatten, im besten Fall von gelangweilter Gleichgültigkeit geprägt, spiegelte sich in den Blicken des jungen Iuliers durchaus Interesse. Nicht nur, dass der die exotischen Waren wie ein kleines Kind betrachtete, dass zum ersten Mal in seinem Leben die Verlockungen einer Schlammpfütze entdeckte, sondern die Hoffnung, dass Livilla etwas von Interesse finden könnte, ließ ihn doch glücklich lächeln.


    Ein Lächeln, dass umgehend Erstaunen weichen sollte, als Livilla sich plötzlich umwandte.


    „Aber,,,“
    Im Grunde wollte er ihr sagen, dass es ihm durchaus nicht unangenehm war, wenn sie hier etwas Brauchbares finden würde. Ja es würde ihn sogar freuen, sollte eine dieser…fremdartigen Pasten ihr ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern und die schweren Gedanken für einen Moment vertreiben können. Allerdings war die Fülle der Gedanken nicht zu erahnen, als er nur ein Wort vorbrachte. Und sollte auch nicht deutlicher werden, als er in einem zweiten Versuch ein
    „Ich..“
    hervorstammelte.


    Schließlich sollte er nur zu ihren Worten nicken. Scheinbar war es wohl doch keine gute Idee gewesen Livilla auf den Markt zu führen. Zu oft fand er wohl die falschen Worte, konnte ihre schweren Gedanken nicht vertreiben. Was sie wohl bedrückte? Im Grunde drängte die durchaus vorhandene Neugier Constantius die Frage nach der Ursache zu stellen, wollte der Angelegenheit auf den Grund gehen. Aber wie sollte ein junger Mann, der oft nichtmal seine eigene Gedanken in Worte kleiden konnte, eine solch neugierige Frage an so einem Ort stellen?


    „Später…vielleicht später“, dachte er sich und bot Livilla wieder seinen Arm an.


    Mit einer freundlichen Stimme sollte er ihr schließlich antworten:
    „Natürlich werde ich dich in die Casa zurück begleiten. Es ist meine Mittagspause und deine kostbare Zeit. Du hast einen einfachen Miles sehr glücklich gemacht, in dem du ihn hier her begleitet hast.“
    Und seine Worte sollten nicht echter Aufrichtigkeit entbehren. Gemächlich führte Constantius Livilla zurück zur Casa und atmete selbst auf, als er die größere Menschenmenge hinter sich wusste.

    Im Grunde hatte Constantius nur auf das charakteristische Geräusch kindlicher Unbeschwertheit und Ausgelassenheit gewartet. Als dann schließlich ein feines, aber deutliches Klirren zu vernehmen war, musste Constantius leise auflachen und drückte einmal Livilla an seine Seite.
    „So etwas wäre uns nie passiert“, sprach fröhlich mit einem ironischen Unterton gen Livilla


    Auch wenn die Erinnerung an die damalige Zeit so erheiternd erschien, waren es die abendlichen Standpauken eigentlich nicht gewesen. Doch im Rückblick auf vergangene Taten, erschienen die strafenden Worte wie herrliche Lobpreisungen besonderer Erfolge. Und um ehrlich zu sein, der kleine Constantius sollte sich niemals durch mahnende Worte von etwas abhalten lassen.


    Mit einem fröhlichen Funkeln schritt er langsam neben Livilla her. Führte sie sicher durch die Menge und schirmte hier und dort einen zu eiligen Besucher des Marktes ab, der sie wohl eher unsanft angerempelt hätte.


    „Ach liebste Livilla. Du glaubst doch nicht, dass du für mich auch nur eine Tunika bekommen würdest. Immerhin habe ich meinen Helm und meinen Schild nicht mit mir. So bin ich höchstens ein paar Trauben oder Datteln wert.“, vergnügt zwinkerte er ihr zu.


    Denn süßlichen Duft vernahm selbst Constantius, der von den Göttern nicht den feinen Geruchsinn der weiblichen Iulier erhalten hatte. Vermochte sein Geruchsinn den aromatischen Geruch noch mit einiger Mühe einzuordnen, sollte Constantius das Glück verlassen, als er die angebotenen Salben betrachtete. Das Sortiment war reichhaltig und zog dutzende von Frauen aus scheinbar allen Schichten an. Im Hintergrund warteten geduldig zahlreiche Diener, Dienerinnen und andere unglücklich dreinschauende Männer.


    Constantius hingegen lächelte Livilla zu. Löste sich von ihrer Seite und stellte sich hinter sie, um ihr einen besseren Blick auf die Waren zu ermöglichen. Waren, die ihm so fremd erschienen, wie einem Germanen wohl ein tägliches Bad als etwas Unfassbares erscheinen mochte. Was man wohl mit dem ganzen Zeug anzustellen vermochte? Constantius wusste es jedenfalls nicht und schaute dennoch interessiert lächelnd auf das exotische Gut. Dabei stets in Livillas Nähe bleibend.

    Im Grunde seines Herzens wollte er ihr antworten. Wollte ihr das Richtige sagen. Sie einfach in die Arme nehmen und was immer sie bedrückte von ihr nehmen. Doch nichts von alledem sollte geschehen. Vielleicht wäre der Abend auf dem Hügel, an einem ruhigeren ort, weitaus geeigneter, um ihr nochmals Mut zu machen.


    Als Livilla ihm ihre Hand entzog, seufzte er innerlich. Er hatte wohl eindeutig die falschen Worte gefunden. Sollte es ihn überhaupt wundern? Er beherrschte diese Disziplin immerhin wie kein anderer.


    Seinen Gedanken nachhängend sollte seine Antwort merklich verspätet erklingen.


    „Livilla. Was sollte mich denn verärgern? Und selbst wenn wir jeden Stand zweimal besuchen sollten, ich könnte den ganzen Tag mit dir über diesen Markt schlendern. Lass uns doch einfach sehen, ob wir nicht durch Zufall etwas finden, das auch dir gefällt.“


    Er blickt an sich herab und lächelte nicht mehr so zaghaft wie noch in dem Moment, als sie sich von ihm löste.
    „Außerdem habe ich doch diese wunderschöne Uniform. Wie könnte ich da noch eine weitere Tunika brauchen?“
    Als er wieder zu ihr Blickte, erfüllte ein schelmischer Glanz seine Augen.


    „Komm. Führe einen einfachen Miles über den Markt und lass uns einen gemeinsamen Blickk riskieren.“


    Wie vor der Casa bot er ihr wieder seinen Arm an.

    „Flammeus Libitus“


    Es war nur ein Flüstern, ein Säuseln im schwachen Wind. Doch er hatte den Namen des Aufenthaltsortes Samiras ausgesprochen. Hatte den Namen mit eigenen Worten wiederholt, um ihn nicht, wie die vielen anderen Namen sehr bald wieder zu vergessen.
    In einem Lupaner hielt sie sich also auf, arbeitete sie. Arbeitete – ein flaues, ungutes Gefühl ergriff Besitz von Constantius, ließ ihn den Blick senken. Nicht lange, doch deutlich erkennbar. Er wusste doch welchem Beruf sie nachging. Wusste, dass auch er wohl nicht mehr als Arbeit gewesen war, und dennoch schmerzte die ausgesprochene Wahrheit, obwohl er es die ganze Zeit bereits gewusst hatte.
    War er es nicht, der ihr einen Beutel mit Gold hinterlassen hatte, anstatt ihr die notwendigen Worte mitzuteilen?


    Kleine Falten auf der Stirn des jungen Mannes deuteten an, dass ein Stück einer Erinnerung es wert wahr, länger darüber nachzudenken. Hatte sie nicht den Geldbeutel zurückgelassen? Hatte sie..würde sie vielleicht..empfand sie..?


    Verlegen blickte Constantius wieder zu Helena, als er gewahr wurde, dass er einmal mehr den Rasen anstarrte.
    „Ich werde nur einmal mit ihr reden.Mehr möchte ich wirklich nicht von ihr. Sie soll….“
    Wieder senkte er kurz den Blick. Ein flüchtiger Blick der Verlegenheit gen Boden
    „Sie soll mich nur in guter Erinnerung behalten……“
    Die Worte, zu Beginn des Satzes noch in verständlicher Lautstärke gesprochen sollten zum Ende hin an Kraft und Hörbarkeit verlieren.


    Er atmete tief ein und aus, blickt zu Helena und….lächelte.
    Ob tapferer Bruder, furchtloser Miles, wagemutiger Kriegsheld oder immerwährender Beschützer, all diesen Idealen zum Trotz legte er seinen freien Arm um Helena und drückte sie herzlich, wie in den Tagen in Hispanien, als er sie über Minuten so halten konnte – auch wenn er damals seine kleinen Armen nicht ganz um ihren Körper schließen konnte –


    „Ich danke dir Helena.“


    Es sollte noch ein paar Sekunden dauern, bis er sie schließlich wieder frei gab und nur noch ihre Hand hielt. Die Fröhlichkeit, die er offenbart hatte, als er sie im Park hatte sitzen sehen, kehrte wieder zurück.


    „Weißt du Helena. Von mir aus könntest du jeden Tag mit mir hier meine Mittagspause verbringen. Doch ich denke, beim nächstenmal sollte ich dich in Ostia mit den gleichen Köstlichkeiten überraschen, wenn ich zur Nachtwache in der Kaserne eingeteilt worden bin.
    „Fühlst du dich in Ostia wohl?“
    Und nicht ohne Stolz fügte er an „Magistrata von Ostia“

    Constantius verharrte still vor Livilla stehend. Hielt nur ihre Hand und betrachtete sie mit einem mitfühlenden Blick. Er wusste nur zu gut, wie schwer es sein konnte über Gefühle, Wünsche oder Absichten zu reden. Wie oft stand er bereits sprachlos dar, gewillt sich zu offenbaren und doch nicht die richtigen Worte findend.


    Die richtigen Worte. Was waren wohl nun die richtigen Worte. Wie konnte er sie ermutigen? Ihr etwas von der Last nehmen. Was immer die richtigen Worte sein mochten, er sollte sie nicht finden. Schweigend lächelte er ihr zu, während er mit seiner Hand, die noch immer Livillas Hand umschloss, die Ihre behutsam drückte, strich er ihr mit der anderen Hand über ihre Wange. Nur kurz., vorsichtig und sehr zurückhaltend.


    „Wer immer es ist. Er wird sicherlich an dich denken…und auf dich warten.“


    Welch profanen Worte. Hätte er nicht etwas Aufmunterndes sagen können? Musste er nur immer und immer wieder den Kampf mit dem gesprochenen Wort verlieren?


    Ein Moment des Schweigens trat ein, als sie auf ihre Tunika blickte und Constantius unsicher an ihr in die wogende Menschenmasse spähte. Wie eine Insel der Verlegenheit im Meer der eifrigen Menschenmenge mussten sie wirken.


    Sekunden verstrichen, wurden zu einer Minute. Wie so oft lächelte Constantius bevor er vorsichtig das Wort ergriff.


    „Vielleicht schauen wir doch noch mal nach einer neuen Tunika für dich? Ich kenne da einen guten Stand. Und heute Abend werden wir einen wunderbaren Ausblick genießen“


    Nicht gerade eine Meisterleistung des jungen Iuliers. Würde er ebenso schnell und gut in einer Debatte im Senat reagieren, würde er gewiss höchstens mit einem Fußtritt die Stufen des Senats hinab geschickt werden. Doch immerhin war das Schweigen gebrochen. Für einen einfachen Miles, für Constantius durchaus ein Grund noch mal zu lächeln. Und das aufrichtig und freundlich.

    Constantius wandte sich nun völlig wieder Livilla zu und musste durchaus erheitert schmunzeln, als sie ihm die Trauben abnahm. Hatte er sie zwar Livilla zu Liebe gekauft, war er doch dankbar, als sie ihm noch ein paar der wirklich köstliche schmeckenden Trauben wieder anbot. Während er sich eine Handvoll der Früchte nahm und sie langsam zu genießen begann, lächelte er Livilla warmherzig zu.


    „Danke dir. Meistens muß man nicht füttern. Nur wenn ich jemanden nichts wegnehmen möchte.“
    Er zwinkerte ihr erheitert zu
    „Und du weißt ja nur zu gut, dass ich beim Essen damals in Hispanien fast jedem etwas weggegessen habe.“


    Die Anspannung fiel mit jedem Wort mehr von ihm ab und sollte gänzlich verschwinden, als sie sich kurz an ihn drückte.


    „Du wirst sehen, dass es den weiten Weg wert sein wird. Die Luft, die Aussicht, alles ist wundervoll dort oben. Ich…“


    Er sollte den letzten Satz nicht beenden, sondern mit einem nachdenklichen Blick inne halten. Er bemerkte die Traurigkeit in Livillas Blick. Bemerkte ihre bedrückte Stimmung, die so plötzlich Besitz von ihr ergriffen hatte. Behutsam drückte er ihre Hand und sprach mit gedämpfter, sachte Stimme:


    „Vermisst du etwas hier in Rom? Hast du Heimweh?“

    Trotz eines immer grimmiger werdenden Blickes des Miles, fand sich auch in der verbliebenden Menge, keine Spur des Attentäters mehr. Irgendwie musste es diesem Schurken wohl gelungen sein ihren wachsamen Augen doch noch zu entkommen.
    Diese Nachricht würde den Tribun sicherlich nicht erfreuen und in ungutes Gefühl begann sich in der Magengegend des Iuliers auszubreiten, als er sich auf den weg zum Tribun machte.


    Dort angekommen, salutierte er zackig, in dem er seine rechte Faust auf die linke Brust führte.


    „Salve Tribun! Wir haben den Attentäter nicht mehr in der Menge entdecken können. Lediglich ein paar Gegenstände, die er verloren hat und sich bei Princeps Prior Sura befinden, sind alles was wir haben!“

    Im Grunde war Constantius davon ausgegangen, dass Livilla ihm sofort folgen würde und war deshalb wohl gedankenverloren ein Stück voraus gegangen. Erst als er aus dem Augenwinkeln wahrnahm, dass Livilla nicht dort war, wo er sie doch vermutet hatte, wendete er panisch den Blick.


    Noch bevor er sich vollständig umgedreht hatte, spürte er bereits den beruhigenden Druck ihrer Hand in der Seinen. Der angespannte Gesichtsausdruck sollte sich ebenso schnell wieder erhellen, wie er sich zuvor verdunkelt hatte.


    „Verzeih Livilla. Ich fürchte ich bin schon zu oft im Marschschritt über diesen Platz gelaufen. Ich war wohl etwas unaufmerksam. Nur gut, dass ich dich nicht verloren habe. Hier findet man sich kaum wieder.“
    Ehrliche Sorge klang noch immer in seiner Stimme mit.
    „Und der eine oder andere Dieb treibt sich gewiss hier herum und wartet nur auf Opfer“


    Sich selbst ebenfalls eine Traube nehmend, bot er daraufhin lächelnd Livilla den Rest der Trauben an.


    „Nimm ruhig. Sie scheinen dir gut zu schmecken. Ich habe im Moment gar keinen so großen Hunger“


    Unbewusst wandte Constantius den Blick in die Richtung des Hügels Quirinal. Kurz ertappte er sich bei dem Gedanken, ob er Samira dorthin führen wollte und sollte lediglich feststellen, dass er darüber noch nicht einmal nachgedacht hatte. Gedankenvoll schüttelte er sein Haupt.
    „Nein. Bisher war ich stets alleine dort. In den Tagen meiner Grundausbildung musste ich abends meine Gedanken ordnen und mich erholen. Entweder ging ich in die Thermen oder dort oben hinauf. Ich wollte erst zum Abendessen zu Helena zurückkehren, wenn man mir die Strapazen nicht mehr so ansieht.“


    Sein Kopf fuhr ruckartig zu Livilla zurück. Erst jetzt merkte er, dass er einen bisher geheim gehaltenen Teil seines Ichs preisgegeben hatte. Und das nur wegen einer Unachtsamkeit. Vielleicht wäre es nicht einmal sofort aufgefallen, hätte er nicht überhastet angefügt:


    „Die Ausbildung war meistens gar nicht so anstrengend. Der Ausblick ist nur sehr schön dort oben.“

    Mit dem gutmütigsten Lächeln, das der Verkäufer in seiner langen Geschäftszeit vorbildlich einstudiert hatte, betrachtete der Ägypter die beiden Iulier.


    „Für solch angenehme Kunden und vor allem für eine so liebreizende Frau, kosten diese Trauben nur 5 Sesterzen.“


    Erstaunlicherweise behielt er jenes Lächeln auch bei, als sich die Augen Constantius’ weiteten.


    „5 Sesterzen willst du für diese annehmbaren Trauben haben? Wenn ich richtig probiert habe, waren sie köstlich, aber nicht aus Gold!“,


    Constantius Überraschung über den geforderten Preis war ihm sichtlich anzumerken. Auch wenn er im Grunde nicht genau wusste, was ein fairer Preis war – denn eigentlich kümmerte sich ja Helena um diese Angelegenheiten, gerade weil Constantius die eine oder andere Sesterze zu viel ausgab - doch dieser Preis erschein selbst ihm zu hoch zu sein.


    „Sagte ich 5 Sesterzen? Ich meinte natürlich 5 Sesterzen für die köstlichsten Trauben und dieses besonders wohlschmeckende Obst hier“
    Auf wundersame Weise hatte es der Verkäufer geschafft eine kleine Auswahl von weiteren Früchten zusammenzustellen und zu den Trauben zu legen. 5 Sesterzen und ihr werdet es nicht bereuen.“


    Constantius blickte einen Moment lang zu Livilla, Offenbarte ein fragendes Lächeln und wandte sich dann wieder dem Verkäufer zu. Der Umstand, dass der junge Iulier vor den Augen Livillas nicht um jede Sesterze feilschen wollte und durch das erweiterte Angebot nun den Überblick über einen fairen Preis verloren hatte, sollte dem immer noch sehr vertrauensvoll lächelnden Ägypter zu Gute kommen.
    „Nun gut. Das Obst und die Trauben. Ich nehme es“


    Nachdem 5 Sesterzen aus dem kleinen Geldbeutel Constantius in den Besitz des Ägypters gewechselt waren, gingen Constantius und Livilla ein paar Schritte von dem Stand fort.


    Constantius wusste, dass er einmal mehr sein geringes diplomatisches Geschick unter Beweiß gestellt hatte und lächelte Livilla etwas verlegen entgegen.
    „Wenigstens haben wir nun etwas zu essen. Nun darfst du entscheiden wo wir als nächstes einen Blick drauf werfen. Benötigst du noch Sachen? Etwas das du in Germanien vergessen hast oder nicht bekommen konntest? Hier finden wir garantiert fast alles.“

    „Ich hoffe du wirst mir glauben, dass ich dir nicht absichtlich auf die Hand gepinkelt habe.“ Ein amüsiertes Lachen offenbarend, hob er seinen Blick an und richtete ihn auf Helena.
    „Und es war bestimmt auch kein Protest gegen deinen Versuch. Jedenfalls gehe ich davon aus. Denn die richtige Erinnerung an diesen Vorfall scheint aus meinem Gedächtnis gestrichen zu sein. Jedenfalls bin ich froh, dass du es mir all die Jahre nicht nachgetragen hast und mir nicht aus dem Weg gegangen bist.“
    Das fröhliche Lachen wandelte sich in ein warmherziges Lächeln, dass das ihre dankbar vergelten sollte. Ein Lächeln, das seine Kraft aus aufrichtiger Zuneigung bezog und stark genug erschien, eine Ewigkeit zu überdauern. Ein Lächeln, dass bereits sein Gesicht geziert hatte, als er mit tapsigen Schritten seiner großen Schwester folgte und das eine oder andere mal voller Übermut über seine eigenen Füße stolperte, um schließlich von Helenas Armen wieder auf die gleichen, unsicheren Füßchen gestellt zu werden.


    Was hätte er nur alles sagen können, was hätte er alles in diesem Moment offenbaren können, was hätte er alles auf Helenas liebevollen Worte erwidern können. Hätte ihr sagen können, dass er jeden Tag nach ihrer Abreise um der Götter Schutz für sie gebetet hatte. Hätte ihr offenbaren können, dass auch seine Gedanken und Wünsche sie überall hin begleitet hatten und dies auch in Zukunft tun würden. Dass er sich vor dem Tag ihres erneuten Abschieds mehr fürchtete, als vor allen anderen Gefahren des Lebens. Obwohl er den Versuch unternahm, diesen Gedanken durch Worte eine zumindest hörbare Gestalt zu verleihen, sollte er den Mund kurz öffnen und dann wieder zaghaft wieder schließen. Solch schwere Worte, vermochte er nicht auszusprechen, jedenfalls noch nicht und vielleicht würde sie es zumindest erahnen, was in ihm vorging. Jedenfalls hoffte es Constantius und drückte mit sanfter Kraft ihre Hand, als eine verspätete Erwiderung auf ihre Geste.


    Es vergingen nur Bruchteile von Sekunden, bis das ihm zugehörige Lächeln wieder Besitz von seiner Gesichtmimik ergriff und sich ein schelmisches Blitzen seiner Augen dazugesellte.
    „Lobe mich nicht so sehr Helena. Sonst glaube ich noch selbst, dass ich dir ein so guter Bruder bin und höre auf mich weiter anzustrengen. Doch eines Tages, werde ich vielleicht deinen Worten gerecht werden. Ich werde daran arbeiten.“


    „Du weißt wo ich sie finden könnte“, fragte Constantius vorsichtig nach, als die Worte Helenas seinen Gesichtsausdruck ernster werden ließen.
    Obwohl er seine Worte als eine unauffällige, nebensächliche Nachfrage tarnen wollte, stellte er sie derart schnell und mit dem ganz speziellen Ausdruck eines Schafs in den Augen, dass seine Absicht nicht nur misslang, sondern gar das Gegenteil erreichten.


    „Ich meine…Nein..ich will ihr nur noch etwas sagen, etwas was ich versäumte.“
    Waren seine Worte gerade noch so schnell erklungen, dass sie sich mit der Geschwindigkeit eines abgefeuerten Pfeils hätten messen können, kamen sie nun sehr holprig und langsam über seine Lippen, wie man es eben von ihm gewohnt war, wenn er einen Teil von sich offenbaren musste.
    Ein Kopfschütteln seinerseits kündigte einen weiteren mühevoll vorgetragenen Satz an:


    „Ich will sie nicht…dafür bezahlen…“, langsam aber sicher stieg erneut die Röte der Verlegenheit in seine Wangen.
    „Ich meine…ich muß ihr wirklich nur..noch etwas mitteilen.“


    Obwohl er selbst wusste, dass Samira keine Frau sein würde, mit der er sein Leben würde teilen können, entmutigten Helenas Worte Constantius zu seiner eigenen Überraschung. Bisher hatte er nur einmal so empfunden, damals in Hispanien mit Clara, als Herz und Verstand sich nicht miteinander vereinbaren ließen.

    Auch wenn der kleine Ägypter noch so freundlich lächelte, Constantius Blick sollte die angepriesene Frucht sehr kritisch betrachten. Doch noch bevor der junge Iulier etwas sagen konnte, erhob der tüchtige Geschäftsmann erneut das Wort.


    „Hier, probiert einmal eine. Eine Kostprobe wird euch überzeugen. Einer ein Traube für euch und eine für eure liebreizende Begleitung“


    Bevor Constantius die angebotene Frucht entgegen nahm, sollte er Livilla einen fragenden Blick schenken. Ein Blick, der recht schnell offenbarte, dass die angepriesene Ware in ihr durchaus Interesse geweckt hatte.
    Ein Umstand, der ihn dazu bewegte, die Kostprobe entgegen zu nehmen, kritisch zu betrachten, und vorsichtig zu probieren. Der süße, fruchtige Geschmack der reifen Frucht, ließ recht schnell seinen kritischen Blick erweichen und schließlich verschwinden. Eine Reaktion, die ein erfahrener Käufer gewiss vermieden hätte, um den Preis niedrig zu halten, jedoch für Constantius nur zu natürlich war.
    Eine Reaktion, die den kleinen ägyptischen Verkäufer noch intensiver lächeln ließ, als den jungen Iulier selbst.


    Constantius nickte Livilla lächelnd zu:


    „Sie schmecken wirklich köstlich. Du musst sie probieren.“


    Die Begeisterung in der Stimme Constantius’ war nicht zu überhören. Hinter der Fassade einen vertrauensvollen Lächelns, begann der Verkäufer bereits den Preis für die Trauben um einige Sesterzen zu erhöhen.

    In der Hitze der Mittagssonne gingen Constantius und Livilla gemächlichen Schrittes durch die Gassen Roms. Ihr Ziel, den Mercatus Traiani sollten sie schon bald erreichen und schon viel früher hören. Einmal mehr war der Platz von unzähligen Händlerständen und noch weit mehr Besuchern gefüllt. Geschäftiges Treiben herrschte, als Verkäufer und Käufer um den besten Preis feilschten und emsige Geschäftsleute ihre Waren bis in den Olymp der Götter erhoben und anpriesen.
    Kurz sollte Constantius verharren und seinen Blick über die Menge schweifen lassen. So viele Menschen. Und dabei waren ihm doch eben jene Ansammlungen unzähliger Bürger, die alle gleichzeitig sprachen, lachten, sich wie eine Masse hin und her bewegten nicht besonders angenehm. Noch weniger, wenn er um das Wohl einer ihm lieben Person fürchtete. Doch am heutigen Tage holte er einmal tief Luft, richtete den Sitz seiner Uniform, ließ erneut sein Lächeln erstrahlen und führte Livilla auf den Marktplatz.


    Constantius wandte sich seiner Cousine entgegen. Schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln und fragte sie schließlich:
    „Dies ist als der Mercatus Traiani. Warst du schon einmal hier?“

    Eigentlich wollte er nur ein paar einführende und erklärende Worte an Livilla richten, doch hatte er bereits gegen die wichtigste Regel beim Besuch des Marktes verstoßen. Um nicht inmitten der Menschenmasse zu stehen, hatte er Livilla in die Nähe eines Standes geführt. Und, wie sollte es anders sein, die Nähe möglicher Kunden, ließ den tüchtigen Geschäftsmann, in Form eines kleineres Agypters, das tun, was wohl jeder seines Berufstandes selbst im Schlafe wohl machen würde. Er witterte eine Geschäftsmöglichkeit und pries seine Waren an:


    „Salve!Hier seid ihr genau richtig. Ich habe nur die frischesten Früchte. Was sage ich, die frischesten Früchte ganz Roms. Ach, verzeiht..ich meine natürlich des ganzen Reiches.“
    Um seine Worte zu unterstreichen, hielt er bereits einige Weintrauben den Iuliern entgegen.