Beiträge von Caius Iulius Constantius

    Es mochte nur in Constantius Einbildung geschehen, doch er hatte das Gefühl, dass der Raum plötzlich dunkler wurde und die Temperatur sich abkühlte. Scheinbar wagte es niemand in diesem Moment zu atmen, denn plötzlich war es noch stiller als zuvor und die anderen Probati starrten noch angestrengter auf die kargen Wände der Unterkunft.
    Auch wenn sie es nicht wagten offen die Szenerie zu verfolgen, so bemühten sie sich wenigstens aus den Augenwinkeln so viel wie möglich zu erhaschen ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.


    Die innere Stimme der Vernunft klopfte an Constantius Geist und hob warnend den Zeigefinger. „Hüte wenigstens jetzt dein verfluchtes Temperament.“


    Das Lächeln des Tribuns weckte in ihm böse Vorahnungen. Dieses Lächeln bedeutete nichts Gutes. Jedenfalls nicht für ihn, da war sich Constantius doch ziemlich sicher.


    „Caius Iulius Constantius ist mein Name, Tribun!“

    Die Götter haben der Welt des zwischenmenschlichen Zusammenlebens in ihrer Schöpfungsphase viel Zeit gewidmet. Sie statteten es mit einer so immensen Anzahl von unterschiedlichen Gefühlsregungen aus, dass ein junger Geist stets mehr damit beschäftigt ist die neuen Facetten zu begreifen und einzuordnen, als das er in den richtigen Momenten auf bereits Erlerntes zurückzugreifen
    Die Skala reicht dabei von brennender Leibe auf den ersten Blick bis hin zu abgrundtiefen, unerklärlichen Hass und Abneigung. An diesem Tag wußte Constantius jedoch sehr schnell, dass es definitiv keine zuneigung war, die er empfand.


    Als der Tribun lautstark und mit düsterem Blick seine Ansprache in der Unterkunft der Mannschaften hielt, straffte Constantius seine Körperhaltung und richtete den Blick starr nach vorne. Im Übrigen eine Körperhaltung, die in dem natürlichen Überlebensinstinkt eines jeden Probatus verankert sein musste, denn ein Jeder starrte mit durchgedrückten Rücken und wilder Entschlossenheit an die gegenüberliegende Wand.
    Oft benutzen die Menschen das Sprichwort „Wenn Blicke töten könnten..“ sehr leichtfertig zur humorvollen Umschreibung angespannter Situationen. Einem jeden Probatus lag dieses Sprichwort in diesem Moment wie ein Stein so schwer im Magen und keiner wollte ausprobieren ob etwas wahres an dieser Redensart dran sei. Sicherheitshalber mieden sie deshalb mit großer Anstrengung den Blick des Tribuns.


    Ein Talent, dass Constantius schon in frühen Tagen seiner Kindheit entdeckt hatte, war es, dass er mit beeindruckender Gleichgültigkeit auch die schlimmste Standpauke über sich ergehen lassen konnte. Oft verblassten die tadelnden Worte einfach im Hintergrund, während der Junge bereits über neue „heldenhafte“ Abenteuer und Taten nachdachte. Zwar hatte er oft schmerzlich erlernen müssen, dass ein Grinsen über die neuen Pläne in diesen Momenten nicht angebracht war. Eine Lektion die sich auch hier in den Unterkünften der cohortes urbanae auszahlte.


    Lediglich als er bemerkte, dass er leise und dennoch trotzig die Antwort „Noch nicht, Tribun“ auf dessen abschließende Frage gesprochen hatte, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Das Grinsen des gegenüberstehenden Probatus war ein eindeutiger Beweis dafür, dass zumindest er die Worte verstanden oder erahnt hatte.

    Constantius salutierte als er die Stimme des Princeps Prior vernahm – Eigentlich wäre es ein perfekter Salut gewesen, wäre ihm zuvor aus Überraschung das Pilum aus der Hand gefallen –


    Mit lauter Stimme antwortete Constantius – was das scheppernde Geräusch des zu Boden fallenden Pilums recht gut übertönte –


    „Zu Befehl, Princeps Prior!“


    Nachdem er die Waffe wieder aufgehoben und ordnungsgemäß verstaut hatte, lief er mit schnellen Schritten zum Princeps Prior.

    Der Schmerz in seinem linken Arm hatte Constantius bereits früh aus den Unterkünften getrieben. Es würde noch eine Weile dauern bis er zum morgendlichen Appell würde antreten müssen. Deshalb begab sich der junge Iulier auf den Exerzierplatz, der in der morgendlichen Frühe, so friedlich im Zwielicht des anbrechenden Tages dalag.
    Mit dem Pilum in der rechten Hand machte er sich daran die Zielübungen zu wiederholen, bei denen er bisher nur geringes Talent offenbart hatte. Der Princeps Prior hätte ihn nicht einmal zu zusätzlichen Übungsstunden auffordern müssen. Der Ehrgeiz des jungen Mannes würde eine solche Blamage nicht dulden und ihn so lange üben lassen, bis ein jeder Wurf einen Treffer nach sich ziehen würde.
    Zudem muste er dabei nicht seinen linken Arm belasten und die Kühle des Morgens schien den flammenden Schmerz langsam aber sicher verstummen zu lassen.


    Wurf um Wurf übte sich der junge Probatus mit dem Pilum. Seinen Zielen langsam aber sicher näher kommend.

    Dunkelheit durchflutete die Unterkünfte. Obwohl man sich unter Dunkelheit sicherlich eine tiefe schwärze Vorstellen mag, so tauchte diese Dunkelheit die Räumlichkeiten in ein Meer aus den unterschiedlichsten Grautönen. Hier und dort zeichneten sich in der Ferne die Umrisse anderer Liegen, schemenhaft die Silhouetten anderer Regruten ab. Die Stille wurde durch gelegentliches Husten, durch leise Stimmen und schweres Atmen hin und wieder unterbrochen. In Mitten dieser Umgebung lag Constantius auf seiner Liege. Die Augen hatte er weit geöffnet und starrte an die Decke. Oder vielmehr in die Richtung, in welcher sich die Decke der Unterkünfte hätte befinden müssen. Die Dunkelheit verweigerte dem jungen Probatus den Anblick seines Zieles.
    Im Grunde war es auch unwesentlich, ob er sein Ziel sehen konnte oder nicht. War doch sein Blick von schweren Gedanken vernebelt. Sein linker Arm brannte innerlich. Die Muskeln verkrampften immer noch von Zeit zu Zeit. Hatte er sich noch bei dem Besuch Helenas nichts anmerken lassen, so verriet sein Gesichtsausdruck nun den Schmerz, der in ihm brannte. – Manchmal war die Dunkelheit Constantius liebster Begleiter -


    Den stolzen Blick seiner Schwester in Gedanken behalten, schlief Constantius irgendwann im Laufe der Nacht ein. Doch es sollte nur ein kurzer Schlaf von wenigen Stunden sein, bis er sich wieder bereit machte für einen weiteren Ausbildungstag.

    Constantius sprang freudestrahlend vom Streitwagen, als dieser zum Stehen kam. Die braunen Augen des jungen Iuliers schienen mit der Sonne um die Wette zu funkeln. Ein wagemutiges, euphorisches Lächeln zierte noch immer sein Gesicht. Das selbst unter der Schicht aus Staub, die ebenfalls sein Gesicht bedeckte. noch gut zu erkennen war.
    Während die beiden anderen Fahrer die Quadrigen verließen, öffnete Constantius den Verschluss seines Helmes und streifte diesen ab. Das warme Licht der goldenen Himmelsscheibe umrahmte den jungen Manne als dieser, den Helm in der linken Hand haltend, mit der rechten Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Das Herz schlug voller Inbrunst in seiner Brust und es war scheinbar das Leben pur, dass in diesem Moment durch seine Adern strömte.


    Was für eine Fahrt. Was für ein Gefühl. Welch Nervenkitzel. Die Begeisterung des jungen Mannes war ihm mehr als deutlich anzusehen, als er von den beiden Fahrern flankiert, auf Helena und Victor zuging. Ein großer Feldherr hätte sich wohl nach einem erfolgreichen Feldzug nicht wohler fühlen können, auch wenn Constantius nun nicht einmal siegreich gewesen war. Doch die Last der Niederlage wurde in diesem Moment mit Leichtigkeit von den euphorischen Gefühlen getragen, die in ihm geradezu brodelten.


    Als Helena seine Hand drückte und er ihre Begeisterung in ihren Augen erkannte, wäre er ihr am liebsten um den Hals gefallen. Auch wenn er ihr so viel hätte erzählen wollen, so hätte er außer ein paar gestammelten Worten wohl keine zusammenhängenden Sätze hervor gebracht. Dafür erforderte die Beherrschung seiner Gefühlswelt einfach ein zu hohes Maß an Aufmerksamkeit.


    Als er die lobenden Worte der anwesenden Männer vernahm, richtete Constantius einen kurzen Moment den Blick auf den Boden und sein stolzes, euphorisches Lächeln verwandelte sich fast in das Lächeln eines verlegenen Kindes.


    Er blickte zu Helena. Sie schien keine Furcht zu empfinden. Nein, sie schien sich auf ihre Fahrt zu freuen. Wie ein kleiner Bruder beobachtete er seine große Schwester. Damals als er noch aufgrund seiner Körpergröße zu ihr aufblicken musste, hatte er bereits ihre Tapferkeit und ihre Entschlossenheit bewundert. Es war nie leicht für ihn gewesen, ihren Wagemut noch zu übertreffen. – und Constantius versuchte fast alles um dies zu erreichen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen – Jetzt, da er sie an Körpergröße überragte, musste Constantius dennoch feststellen, dass er noch immer bewundernd zu ihr aufblickte.


    Der wehmütige Blick in seinen Augen blieb den Beobachtern zum Glück verborgen, als Victor und Helena zu ihrer Fahrt aufbrachen.
    Constantius war sich sicher, dass es ihm das Herz brechen würde, wenn Helena ihn bald wieder verlassen würde. Doch dankte er den Göttern in diesem Moment, dass er ihr noch mal so nah sein durfte.
    Hätte Hermes dem jungen Iulier nicht freundschaftlich auf die Schulter geklopft, wäre das Lächeln vielleicht vom Gesicht Constantius für einen Moment verschwunden. Doch nun galt es einen guten Platz zu finden, um die Fahrt Helenas beobachten zu können. Trauer und Schmerz würden schon früh genug wieder zurückkehren.


    Lachend und losgelöst folgte Constantius dem jungen Hermes hinterher

    Constantius hatte sich noch nie Namen gut merken können, doch der Name des Hauses der Sergier war ihm im Gedächtnis geblieben. Lag doch seine Begegnung mit Spurius Sergius Sulla in der heimischen Casa noch nicht lange zurück. Eine Begegnung, die nicht gerade von besinnlicher Harmonie geprägt gewesen war. War dies nun eine seiner Schwestern, von denen Helena ihm einst berichtet hatte? Die Götter mussten wirklich Sinn für Humor gehabt haben. Hatte nicht er selbst noch alles getan um Sulla von Helena fernzuhalten? Und nun lief er Tölpel praktische eine Angehörige des Hauses der Sergier um. Und das auf einem Markt, wo hunderte Menschen zugegen waren. Ebenso hätte er einem Senator auf die Füße treten können.
    In der Tat die Götter hatten Sinn für Humor.


    Was sollte er nun tun? Ihr in möglichst höflicher Form vor den Kopf stoßen und das Weite suchen? Oder ihr Angebot annehmen? Sie würde sich bestimmt besser auf dem Markt auskennen als Contantius. Doch würde es nicht vielleicht zu unüberschaubaren Verwicklungen führen? Würde er nicht neues Holz in das schwelende Feuer zwischen ihren Familien werfen?


    Schließlich erklärte er mit nachdenklicher Stimme


    „Ich bin eigentlich auf der Suche nach einem kleinen Geschenk. Den Großteil meines Soldes habe ich inzwischen für andere Dinge ausgegeben, doch möchte ich mit den paar Sesterzen, die mir verblieben sind, jemanden noch eine Freude machen. Vielleicht weißt du ja wo eine ansehnliche Stola zu erstehen ist?“


    Ein entschuldigendes Lächeln trat auf sein Gesicht


    „Ich kenne mich in diesen Dingen nicht sonderlich gut aus“

    Er nickte zustimmend bei ihren Worten.


    „Ja träumen sollte man hier wohl eigentlich wirklich nicht. Viel zu viele Menschen sind hier, die man umlaufen könnte. Und viele verzeihen sicherlich nicht so schnell wie du mir. Außerdem bewegt sich mit Sicherheit auch der eine oder andere Langfinger im Schutze der Massen und würde nur zu gerne ein paar Sesterzen von einem unaufmerksamen..Träumer..erstehen.“


    Constantius tastete vorsichtig prüfend nach seinem eigenen Geldbeutel. Sich versichernd, dass ihm seine Tagträumerei nicht bereits zum Verhängnis geworden war. Glücklicherweise sollte sich herausstellen, dass er noch nicht ein Opfer der vielen Diebe in Rom geworden war.
    Sein Blick wanderte über die Menschen in der näheren Umgebung.


    „Besuchst du den Markt ganz alleine?“

    Ein kurzes Schmunzeln huschte über seine Lippen. Immerhin war er eindeutig größer und kräftiger gebaut als die junge, zugegebenermaßen hübsche junge Frau, die sich gerade bei ihm entschuldigte.


    „ Ich denke mir ist nichts Schlimmes geschehen. Außerdem war es mein Fehler. Immerhin hätte ich auf den Weg vor meinen Füßen schauen sollen, anstatt mich auf die beeindruckenden Waren hier zu konzentrieren. Aber ich kann dich verstehen, dieser Ort lädt praktisch zum träumen ein. Ich hoffe du wirst es mir nachsehen, dass ich selbst wohl etwas...geträumt habe.“


    Constantius fand, dass es war eine nette Umschreibung für „Ich habe geschlafen“ war und ihn nicht ganz so dumm dastehen ließ.


    „Oh..ich heiße im übrigen Caius Iulus Constantius.“, fügte er schnell und mit sich fast überschlagenden Worten an. Wo waren nur seine Manieren geblieben

    Bisher hatten es die Götter mit dem jungen Mann gut gemeint. Hier und dort hatte er die Schulter eines Passanten lediglich leicht berührt und schnell war eine Entschuldigung ausgesprochen oder ein entschuldigendes Lächeln geschenkt.
    Doch diesmal hatte er wohl den Blick zu lange auf den ausgelegten Waren ruhen lassen, als er, einem tölpelhaften Ochsen gleich, fast eine junge Frau überrannt hätte.


    „Verzeiht. Ich..ich.“,stammelte Constantius. Wie entschuldigte man sich wohl am besten für ein tölpelhaftes Verhalten bei einer Frau?


    „Verzeih. Ich war wohl in Gedanken. Ich hoffe dir ist nichts geschehen.“


    Hatte sie sich gerade bei ihm entschuldigt? Constantius bemühte sich zu lächeln. Ein Lächeln, dass eine gewisse Spur an Unsicherheit verriet. Unsicherheit über den Verursacher des Zusammenstoßes.

    Das Angebot auf dem Mercatus Traiani war überwältigend. Einen vergleichbaren Markt hatte er in seiner Jugend in Tarraco nicht zu Gesicht bekommen. Von erlesenen Stoffen bis hin zu Früchten, deren Name er nicht einmal kannte, war scheinbar alles vorhanden. Die Geschichten über Rom, denen er als Kind mit großen Augen aufmerksam gelauscht hatte, schienen sich jeden Tag aufs Neue zu bewahrheiten.
    Es verwunderte Constantius auch nicht, dass dieser Ort die Menschen nur so anzuziehen schien. Obwohl der junge Mann den durchschnittlichen Römer mit Leichtigkeit an Körpergröße überragte, musste er sich oft durch eine fast undurchdringlich wirkende Wand aus Menschen schieben, um einen Blick auf die verschiedenen Stände werfen zu können


    Hin und wieder stellte sich Constantius die Frage, ob er sich auch so durch die Massen würde kämpfen müssen, wenn er als Teil der cohortes urbanae unterwegs sein würde. Oder würden die Menschenmassen einer Uniform eher eine Lücke lassen und sie nicht so bedrängen? Und würde er sich dann auch immer noch für jedes ungewollte Anrempeln entschuldigen müssen?


    An diesem Tag tat er es zumindest noch. Was dazu führte, dass er sich mit einem beständigen „Entschuldigung.“ oder “Verzeihung“ von Stand zu Stand bewegte.


    So anstrengend hatte sich der junge Mann sich sein Vorhaben nun nicht vorgestellt.

    Rufe dich nicht zum Sieger aus, bevor die Schlacht geschlagen ist. Heißt es nicht so im Volksmunde? Constantius hätte sich wohl an diese Worte erinnern sollen, als die beiden Quadrigen auf die letzte Kurve zu hetzten.
    Die beiden stolzen Pferde ließen den Boden unter ihren Hufen erzittern, um den Wagen der beiden Männer in Führung zu halten. Deutlich zeichneten sich Muskeln und Sehnen unter den makellosen Fellen der Tiere ab. Schwer atmend rangen sie um jeden Meter, um den kleinen Vorsprung, der ihnen noch verblieb. Trotz ihrer Mühen, trotz der Versuche des jungen Fahrers die Pferde nochmals anzuspornen und trotz des Hoffens des jungen Constantius schob sich der Wagen des Dareios immer näher.


    Mußte Constantius wenige Sekunden zuvor noch den Kopf wenden, um ihren Verfolger zu beobachten, so nahm er dessen Silhouette vor der Einfahrt in die Kurve aus den Augenwinkeln war, Das Gespann ihres Verfolgers bot ein fast Furcht einflössendes Bild dar. Wild und entschlossen sahen die kräftigen Pferde aus, die den imposanten Streitwagen zogen. Unter ihren Hufen stoben Wolken aus Staub davon. Fast schien es, als würden ihre Hufe den Boden gar nicht mehr berühren und das Donnern, das man vernahm, wäre der Zorn des Iupiters selbst gewesen. Der verbissene Blick des Fahrers ließ ihn wie einen himmlischen Rächer wirken und vollendete das Bild.


    Die Wagen kamen sich näher und näher und als sie schließlich die Kurve erreicht hatten, war es Dareios gelungen an Hermes und Constantius vorbeizuziehen. Nicht viel, doch ausreichend genug um den entscheidenden Schachzug auszuführen. Während Constantius sich auf ein weiteres waghalsiges Manöver vorbereitete, schnitt das führende Gespann ihre Bahn.
    Was dann folgte geschah so schnell, dass Constantius es für einen bösen Alptraum hielt. Es gelang ihnen nicht mehr das Gespann auf einem Rad durch die Kurve zu führen. Im Kampf um die Kontrolle des Wagens verloren sie an Geschwindigkeit. Protestierend schienen sich die Pferde gegen die Befehle ihres Fahrers zu wehren.
    Constantius hatte Mühe sich im Wagen zu halten, als sie, um die Kontrolle kämpfend, um die Kurve drifteten.

    Auch wenn Hermes die Tiere nun mit den Zügeln und einer lauten Stimme antrieb, sie lagen hinter Dareios und würden es auch bleiben. Selbst der verbissene Blick des jungen Constantius vermochte daran nichts mehr zu ändern. Und so geschah, was geschehen musste. Sie erreichten das Ziel eine Wagenlänge hinter dem Gespann des Dareois.


    In dem Moment, als die Fahrer die Pferde auslaufen ließen, fühlte Constantius die Anspannung seines Körpers, die sich während der beeindruckenden Fahrt in ihm aufgebaut hatte. Sie hatten das „Rennen“ verloren und dennoch empfand Constantius das Gefühl der Niederlage, welches er stets so gehasst hatte, nicht. Nein im Gegenteil. Er schien vor Freude und Euphorie zu strahlen, als die Wagen ihre letzte Runde drehten.

    Der Blick des jungen Constantius wanderte immer wieder nach hinten. Ähnlich einem gejagten Tier, dass den heißen Atem seines Verfolgers im Nacken spürte.
    Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Dareios wieder aufholte. Diesmal war er es, der sich Zentimeter für Zentimeter heran schob.


    Die Kurve, die Kurve könnte erneut ihr Verbündeter sein. Constantius deutete Hermes an, dass er für das gleiche Manöver bereit sei. Immerhin war es bereits einmal gut gegangen, warum also sollte es diesmal schief gehen? Würden die Götter ihm ein weiteres Mal ihre Gunst erweisen oder würde er diesmal im Staub der Rennbahn enden? Begraben unter den Trümmern des Streitwagens? Schneller als die leisen Zweifel entstanden waren, waren sie auch bereits wieder zur Seite gedrängt.


    Diesmal wusste Constantius was auf ihn zukam. Hermes führte das Gespann in einem engen Bogen um die Kurve. Der Streitwagen beugte sich der einwirkenden Fliehkraft und begann zu kippen. Das innere Rad verlor den Kontakt zur Rennbahn und fast hätte man das Holz des Wagens unter der Belastung ächzen hören können. Wild entschlossen warf Constantius auch dieses Mal sein Gewicht in die Waagschale. Die Götter schienen in dieser Kurve mehr Zeit für ihr Urteil zu benötigen. Eine lange Zeit schwebte das Rad förmlich in der Luft, bevor es hart auf dem Boden aufsetze.


    Noch eine Kruve galt es zu überstehen..nur noch eine Kurve

    Der Gesang einer lieblichen römischen Schönheit hätte in diesem Moment nicht angenehmer klingen können. Der linke Arm des jungen Rekruten zitterte selbst noch einen Moment nachdem er das Scutum abgesetzt hatte. Die Muskeln seines linken Arms hatten sich unter der Anspannung verkrampft und schmerzten als der Arm wieder seine Normalposition einnehmen sollte. Trotzdem salutierte Constantius so, wie er es gelernt hatte und antwortete mit müder Stimme:


    „Zu Befehl, Princeps Prior. 15 Runden laufen“


    Um dann anzufügen:


    „Ich bin völlig gesund und bei Kräften, Prnceps Prior!“


    Und als ob er den Beweis seiner Worte antreten wolle, drehte sich der junge Rekrut um und begann die angeordneten Runden zu laufen. Constantius nutzte die Zeit um seinen linken Arm während des Laufens zu lockern und den Krampf zu vertreiben. Er hatte sicherlich nicht gedacht, dass er sich einmal über das Lauftraining freuen würde.

    War das Nicken Hermes gerade eine Bestätigung gewesen oder nur durch eine der vielen Erschütterungen hervorgerufen worden? Was immer der Grund auch gewesen war, Constantius verblieb nicht sonderlich viel Zeit um darüber zu sinnieren. Die Kurve war erreicht und das, was Constantius sich gewünscht hatte, geschah. Hermes lenkte den Wagen in eine scharfe Kurve, an deren Scheitelpunkt sich der Wagen gefährlich zur Seite neigte. Die Kräfte, die nun auf die beiden Fahrer und das Gespann einwirkten, waren beachtlich.
    Constantius hatte Mühe sich, wie er es geplant hatte, aus dem Wagen zu lehnen, um der Fliehkraft entgegen zu wirken. Trotz seines Einsatzes neigte sich der Wagen weiter zur Seite. Bald würde der Punkt erreicht sein, wo das Gespann umstürzen und sie in den Staub werfen würde.


    Doch an diesem Tag mussten die Götter es gut mit ihm meinen. Der Wagen erreichte den Punkt der größten Neigung noch bevor der kritische Punkt überschritten war.
    Die Zeit schien anzuhalten und der Wagen seine geneigte Position beizubehalten. Die Kurve wurde länger und länger. Minuten schienen zu verstreichen. Erst, als das Rad mit einem harten Schlag den Kontakt mit der Rennbahn wiederherstellte, nahm die Zeit wieder ihre normale Geschwindigkeit auf. Der Aufprall drohte Constantius, der sich weit hinaus gelehnt hatte, aus dem Wagen zu schleudern. Nur der beherzte Griff des jungen Hermes machte diesem Schicksal einen Strich durch die Rechnung.


    Sie hatten es geschafft. Mit einem noch flauen Gefühl in der Magengegend blickte Constantius nach hinten. Sie führten. Ja sie hatten sich tatsächlich an die Spitze gesetzt. Voller Euphorie riß er den rechten Arm in die Luft und ballte die Hand zur Faust. Sowohl Hermes als auch Constantius stimmten in einen gewaltigen Jubelschrei ein.


    „Wir gewinnen!“, brüllte Constantius mit euphorischer Stimme.

    Immer und immer wieder trieb Hermes die Pferde an. Die Wagen näherten sich. Zogen gleich. Die Pferde galoppierten, von ihren Fahrern zu Höchstleistungen angetrieben, nebeneinander her. Der andere Wagen war zum greifen nahe. Constantius hätte nur die Hand ausstrecken müssen und hätte ihn sicherlich berühren können.
    Doch lediglich ein längerer Seitenblick war alles was er seinem Kontrahenten widmete.
    Das was vielmehr seine Aufmerksamkeit beanspruchte, war die die Kurve, die in Kürze unweigerlich folgen würde. Eine Kurve, die vielleicht die Führung sichern konnte. Eine Kurve, die auch den Sturz des Gespanns zur Folge haben könnte. Auch wenn er keinen Einfluss auf den Fahrstil des jungen Hermes hatte, so deutete Constantius mit einer Hand einen kippenden Wagen an. Um daraufhin mit seinem Körper eine hinauslehnende Geste anzudeuten. Ob Hermes ihn nun verstand oder nicht, er war bereit das Gegengewicht in der Kurve zu spielen, um das Gespann vor dem sicheren Umkippen zu bewahren, sollte Hermes die Kurve noch enger und schneller nehmen wollen.

    Die Hände hinter dem Rücken verschränkend, beobachtete Constantius mit einem sachten Lächeln auf den Lippen die Tätigkeiten der Sklaven. Er schwieg wenn sie geschäftig in den Raum eilten, etwas auf dem Tisch platzierten und ebenso schnell wieder verschwanden. Er schwieg ebenfallsund lächelte, wenn sie den Raum bereits wieder verlassen hatten. Alles was er tat, war einem jedem Neuankömmling ein fröhliches Lächeln zuzuwerfen.
    Der temperamentvolle Geist des jungen Mannes hatte seine Energie und Kraft in der Kaserne gelassen und nun breitete sich Zufriedenheit mit sich selbst und der Welt in ihm aus.


    Der Ausruf seines Namens erfüllte ihn mit Überraschung. Hatte ihn jedoch die bloße Erwähnung seines Namens schon überrascht, so überwältigte es ihn förmlich, als er plötzlich seine Schwester in seinen Armen wusste. Und hätte er sich nicht mit ihr einmal im Kreis gedreht, wären sicherlich beide auf dem Fußboden gelandet.
    Doch wäre dieser Fall eingetreten, wäre das glückliche Lächeln sicherlich nicht aus seinem Gesicht gewichen. Das glückliche Strahlen in Helenas Augen zu sehen, war mehr wert als jede Sesterze, die er verdienen würde. So verwundert es auch nicht, dass der Protest der ermüdeten Muskeln, der normalerweise in diesen Tagen auf jede Bewegung folgte, diesmal ausblieb.


    Doch was sagte ein kräftiger, junger Probatus in einem solchen Moment, um nicht wie der kleinere Bruder zu wirken, der vor Freude am liebsten in die Luft gesprungen wäre?


    „Gern geschehen!“


    Zugegeben, es war nicht gerade eine rhetorische Meisterleistung gewesen, doch der Blick, der seine Worte begleitete, erzählte einmal mehr all das was seine Worte verschwiegen.

    Je schneller die Wagen über die Bahn rasten, je schneller das schwere Trommeln der Pferdhufe wurde, je näher sich die Wagen einander kamen, je stärker der Wagen in der Kurve wankte, desto euphorischer wurde Constantius. Hatte ihn zu Beginn seiner ungewöhnlichen Fahrt das Schwanken des Streitwagens noch einiges an Konzentration abverlangt, so begrüßte er inzwischen jedes heftigere Schwanken mit einem innerlichen Jubelschrei.
    Der freudige Gesichtsausdruck tat sein Übriges, um sein Wohlgefallen an der Fahrt auszudrücken. Und da man es in all dem aufgewirbelten Staub nicht sehen konnte, folgte hier und dort ein triumphierender Jubelschrei, wenn sie sich noch etwas schneller durch eine Kurve bewegten.


    Mochte die Kulisse des Circus Maximus noch so beeindruckend sein, Constantius nahm sie nicht mehr wahr. Sie war in den Hintergrund getreten, wirkte wie ein grauer Schleier einer Realität, in die er noch eine Weile nicht zurückkehren wollte. Stattdessen fixierten seine Augen das führende Gespann.


    Constantius bildete sich ein, er könne das Keuchen der gehetzten Pferde vernehmen, als sie Zentimeter um Zentimeter aufholten. Hätte Hermes ihm befohlen auf den anderen Wagen zu springen um dessen Fahrer zu überwältigen, so wäre Constantius wahrscheinlich ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden gesprungen. Denn der Ehrgeiz trieb ihn an. Der Ehrgeiz zu gewinnen, koste es was es wolle. – in seiner Jugend hatte ihn dieser Ehrgeiz einige blaue Flecke und blutige Wunden beschert, die er stets voller Stolz vorgezeigt hatte, als wären sie Orden für besondere Taten gewesen –


    In solchen Momenten tritt die Stimme die vor Gefahren warnt in den Hintergrund und scheint zu verstummen. In diesen Momenten kann der Wagemut zu einer Gefahr heranwachsen, die man nicht mehr erkennen konnte. Constantius Wagemut hatte inzwischen alle Ketten gesprengt und alle warnenden Stimme verstummen lassen. Sie würden einfach siegen müssen.

    Man muss es wohl jungen Männern wie Constantius nachsehen, dass sie sich für wichtiger und stärker halten, als sie es in Wirklichkeit sind. Das junge Blut strömt temperamentvoll durch die Adern und verleiht den irrsinnigen Glauben, man bedürfe keiner Hilfe.
    Es ist wohl somit ein Vorrecht der Jugend zu glauben, man könne die Welt aus den Angeln heben ohne dabei auf eine helfende Hand angewiesen zu sein.


    Als Constantius das Wort „Hilfe“ vernahm, setze sich eben jener Automatismus in Bewegung, der die so nachteilige Blockierung logischen Denkvermögens nach sich zieht.
    Es ist ein Vorgang, dessen Fundament ungebrochener Stolz ist und dessen tragende Säulen Wagemut und Dickköpfigkeit sind. Was übrigens eine Eigenschaft ist, die Constantius oft zur Tugend perfektioniert hatte. Es war auch eben jener Automatismus der die Erkenntnis über den labilen Zustand dieses Gebildes verhinderte. Jedoch an Lebenserfahrung reichere Menschen wussten, dass der Tag kommen musste, an dem nur eine stützende und helfende Hand von außen den totalen Zusammenbruch verhindern konnte.


    So mochte man es dem jungen Mann nachsehen, als er mit jugendlichen Stolz sprach:


    „Dein Angebot ehrt uns. Und ich werde es nie vergessen.“


    „Ich selbst habe mich noch nicht entschieden, welchen Weg ich in Rom einschlagen werde. Die Götter statteten mich nicht mit der Gabe der Diplomatie und der Rhetorik aus, wie sie es bei so vielen meiner Ahnen taten. Doch gaben sie mir Kraft und Wachsamkeit. Vielleicht werde ich deshalb zu den Cohortes urbanae gehen oder doch den Streitkräften der Legion beitreten. Doch eine Entscheidung werde ich wohl erst in Rom fällen.“