Beiträge von Tiberius Duccius Lando

    Lando konnte die Gedanken des jungen Vala durchaus verstehen. Er selbst hatte die ersten Jahre nach seiner Flucht ins Reich erst einmal die Schnauze gestrichen voll von den wirren Reibereien seines Stammes, die letztendlich zum Tod seiner Familie geführt haben. Doch je mehr er in Mogontiacum merkte, wie anders er war, desto sicherer wusste er, was er war. Und das war, seit heute, ein Duccius. Durch und durch. Keine Adoptionssache mehr, keine fehlende Blutsverbindung. Er war es einfach. Und das machte ihm das Leben um einiges einfacher...


    Irgendwann wurden sie alle müde, und nachdem Vala sich verabschiedet hatte, tauschte Lando mit Silko und Witjon noch ein paar ernste Worte, bevor sie sich selbst unter Fell und Wolle vergruben, um die Nacht am Feuer zu verbringen. Das nach kurzem Schlaf folgende Erwecken durch die Seherin war nicht herzlich, aber irgendwie hatte Lando sich mit der Ablehnung der Frau abgefunden, alles andere wäre ihm wahrscheinlich noch unheimlicher gewesen. Die seltsame Paste der Seherin hatte zumindest den Schmerz in seiner linken Seite abklingen lassen, nachzuschauen wie es mit der Wunde an sich aussah, wollte er jetzt so kurz vor ihrer Abreise nichtmehr. Das karge Frühstück vertilgte er schnell, denn so sehr die alte Frau wollte, dass sie wieder verschwanden, desto eher wollte er das selbst. Er warf sich einen Schlag kaltes Wasser ins Gesicht, lieh sich von Witjon das Stück Seife und schrubbte die Zähne mit einem Stück Weichholz (ja, Germanen waren wirklich reinlich) und kleidete sich warm für die Rückreise. Als sie allesamt aufgesessen hatten, der junge Vala bekam das Packtier, dessen Ladung jetzt auf die paar Männer aufgeteilt worden war, folgte eine recht frostige Verabschiedungszeremonie.


    "Lebe wohl, Seherin.", war das einzige und letzte Worte, was Lando an diesem Tag noch zur Seherin zu sagen hatte.

    "Ja, noch eine Frau.", zog Lando die Luft zwischen den Zähnen ein, und sah Sontje verschwörerisch an, er konnte verstehen, dass sie das etwas überrumpelte. Obwohl in der Casa eigentlich nichts geheim blieb, da hier wirklich jeder jeden am Tag mindestens fünfmal zu Gesicht bekam, "Es ist etwas... komisch, das muss ich zugeben. Bisher hatten wir in der letzten Zeit nur Katastrophen und Trauerfälle gehabt, da ist eine Hochzeit... und dann gleich zwei... schon etwas anderes. Aber naja, das Leben geht weiter, und wir sollten uns freuen, dass es das für uns auch tut."


    Er griff an seinen Gürtel, und zog aus einer kleinen Lederrolle ein Stück Olivenholz hervor, auf dem er sofort genüsslich herumzukauen begann.


    "Eine Kline? In diesem Haus? Wie jetzt? Reichen die im Kaminzimmer nicht?", Lando hasste die Dinger. Und die anderen auch. Entweder man hockte auf stumpfen Bänken, über die einige ältere Felle geworfen wurden, oder man saß in einfachen Sesseln, die für Landos Geschmack schon römisch genug waren. Die drei Klinen, die für römische Gäste im Kaminzimmer standen, waren die meiste Zeit in einem Abstellraum daneben verfrachtet, weil niemand sich daran gewöhnen wollte, auf diesen Dingern zu liegen.

    Mit einem Grinsen im Gesicht reichte Lando den Brief schließlich seinem sichtlich gehetzten Vetter, und ließ ihn erst einmal eine Weile in Ruhe darin lesen.


    "Soweit sieht es ganz gut aus... meinst du, wir können dir die Haare färben, deine Stimme verdunkeln und dich ein wenig tolpatschiger machen? Dann wärst du deinem Bruder noch ähnlicher...", das Grinsen breitete sich bis zu beiden Ohren aus, "Das was Balbus da von der Verlobung schreibt werde ich gleich in Angriff nehmen, also, die Rückantwort, ich brauche allerdings eine Bescheinigung von dir, wie du weißt (und was du ja eigentlich schon hast :D). Die genaue Organisation überlasse ich dir, das ist mir zuviel. Ich hab mit meiner eigenen schon genug zu tun, ich würde nur darauf pochen, zwei Termine zu finden, die kurz voneinander liegen. Wegen der Gäste, du weißt schon. Wie war das mit Glück im Spiel? Bei dem Glück, eine Prudentia heiraten zu dürfen, ist sie wahrscheinlich fett und hässlich. Ich hab die unsäglichsten Geschichten über Römerinnen gehört... das soll von der ganzen Klinenliegerei kommen."

    Bei den Göttern, was ein Pathos!


    "Und die deinen werden es dir nicht vergessen.", nahm Lando den Schwur ab, und winkte daraufhin mit einer lässigen Handbewegung, damit der Mann sich setzte, "Junge, du redest schon wie ein Römer. Viel fehlt da nichtmehr."


    Argwöhnisch beobachtete er, wie die alte Seherin Phelan zur Seite nahm, und sich mit ihm über gewisse Dinge zu unterhalten begann, und zwar so leise, dass es Lando unmöglich war, das Gespräch auch nur ansatzweise mitverfolgen zu können. Als es klar wurde, dass er da sowieso nichts machen konnte, wandte er sich dem Feuer zu, warf einen neuen Scheit drauf und zog den Bärenpelz enger um die Schulter, fischte ein Stück Olivenholz aus einer Tasche, die neben ihm lag (irgendwann hatte er begonnen stets einen kleinen Vorat des bitteren Holzes mit sich zu führen), und begann die Anmerkungen von Witjon fortzuführen. Was für Unterschiede es im römischen Reich zu beachten gab, wie man sich Ruf und Ansehen erwarb, wie man sich Freunde, und vor allem Feinde schuf (etwas, über das Lando bestens bescheid wusste), und erklärte ihm, was die Sippe im Moment eigentlich tat.
    Sie konsolidierte sich, schuf sich Verhältnisse, in denen römische Sippen, und sogar germanische, die viel früher über die Grenze gekommen waren, oder noch länger mit den Römern lebten, schon seit Menschenleben wirkten, baute sich einen Wall an Sicherheit auf, damit so Katastrophen wie die Vernichtung ihres Stammes zumindest ihrer Selbst nichtmehr geschehen konnten.
    Und natürlich die Dankbarkeit für die Chancen, die sie bekam. Er erzählte von seinem Ritterschlag, von den Laufbahnen die vergangene Duccii unternommen hatten, und davon wie die jetzigen sich im Reich für das Reich um das Reich und dessen Kaiser verdient machten.
    Und welche Probleme immernoch ihrer harrten, die Zerstrittenheit der Römer untereinander, Landos Ekel vor der Beförderungspraxis für persönliche Günstlinge und davon, wie man überhaupt weiterkam. Was er tun könne, wenn er tatsächlich das Erbe seines Vaters beanspruchen wollte, und was er eben NICHT tun sollte, Negativbeispiele gab es in einer so großen Gens natürlich auch.


    Die ganzen Erzählungen vom Leben als Germane im römischen Reich, als römischer Bürger, dauerten so ihre Zeit, und auch Lando wurde irgendwann müde von den Strapazen der Reise. Bis er schließlichlich endete, ohne irgendwelche Ratschläge zu geben, der junge Mann würde schon früh genug merken wie der Hase läuft, dumm schien er ja nicht zu sein. Nur zu ehrgeizig und unbesonnen. Ein Wunder, dass der Mann die Scharmützel und Kämpfe, von denen er erzählt hatte, überhaupt überlebt hatte, denn normalerweise fielen die Unbesonnenen in diesen als erste. Entweder war man schnell tot, oder nachher ein Held. Hatte er tatsächlich zweiteres vor sich sitzen?


    "Da deine Eltern dich auch schon in römischer Kultur unterrichtet haben, gehe ich davon aus, dass sie dir auch schon einen römischen Namen gegeben haben. Dein Vater hat deine Rückkehr ins Reich, zu deiner Sippe, von langer Hand geplant... ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas wichtiges wie den Namen vergessen hat."

    Das Übertragen heutiger Denkmodelle auf die Entscheidungstreffung des Mannes Arminius ist schon so oft gescheitert, man könnte mit den ganzen Überstilisierungen und Verdammungen komplette Buchbände füllen.
    Hat man im Endeffekt ja auch, die Literatur des 19. Jhrh. ist voll davon Arminius und sein Streben im Sinne der Nationwerdung umzudeuten, während hingegen die Zeit davor von einem Germanenbild geprägt war, das klischeehafter nicht sein könnte.


    Wenn man drüber nachdenkt: wieso eigentlich Verräter? Weil der Mann als Geisel nach Rom kam, dort einen ritterlichen Aufstieg erfuhr und schließlich sogar mit einem Kommando beehrt wurde, soll ihn automatisch zum überzeugten Römer gemacht haben? Kaum war der Mann wieder in Germania, und hat die Verwaltungspraxis des Varus gesehen, war er recht fix wieder Cherusker, und einer, der die seinen zum tödlichen Stoß geführt hat. Ob es ohne ihn ebenso weit gekommen wäre, ist fraglich, aber wahrscheinlich. So wie die Römer von ihren Gegnern lernten, was das Militär am Ende so effektiv gemacht hat, so haben die germanischen Stämme weniger als 60 Jahre nach dem ersten Grenzkontakt mit den Römern (Kimbern und Teutonen lasse ich mal aus) gecheckt, dass einer Legion nicht in der offenen Feldschlacht beizukommen sei. Das hätten sie auch ohne Arminius hinbekommen, und so ist Arminius einer von vielen, aber derjenige, der überliefert wurde, weil er halt vorher... ihr wisst schon.
    Auch Caesar hätte seine Mühen gehabt, diesen Guerillakrieg zu bewältigen.


    Und bei aller Ideologie, zu denken, dass man automatisch bei zunehmendem Lebenswohlstand seine Wurzeln und die Wertegemeinschaft vergäße, aus der man kommt, wird selbst im wertelosen einundzwanzigsten Jahrhundert immer wieder als Falsch bewiesen: ein Flüchtling aus einem dritte Weltland wird in einem erste Weltland nicht sofort zum Erste-Welt-Länder. Ganz im Gegenteil, die Statistik zeigt dass die Fremde meist mehr zur eigenen Identitätsbildung beiträgt, als es ein Verbleib in der Heimat könnte.
    Zwar kann man bei Arminius nicht davon ausgehen, dass er seine kulturelle Identität auf ein Großgermanisches Reich bezog, aber auf seinen Stamm, vielleicht auch sogar nur auf seine Sippe. Und das war dann wohl letztendlich der ausschlaggebende Punkt für seine Entscheidung.


    Dass er machthungrig gewesen war, möchte ich hier garnicht absprechen, er war von einem System geprägt, dass eine für einen Germanen unbekannte Hierarchie darstellte (zu der Zeit waren die Stämme noch sehr lose organisiert, Anführer wurden nur in Krisenzeiten gewählt, wichtige Entscheidungen quasi-aristokratisch auf dem Thing gefällt), und wollte dieses auf seine Heimat übertragen. Den Umsturz, den er herbeiführen wollte, hat er nicht überlebt. Seine Idee hingegen schon, aber es brauchte zwei Jahrhunderte bis die germanischen Stämme sich so weit in ihren Machtstrukturen konsolidiert hatten, dass sie eine wahre Bedrohung für das römische Reich darstellten.
    Wie hat Tacitus noch geschrieben? Das größte Glück des römischen Reichs, ist die Zerstrittenheit der germanischen Stämme.

    Wo gerade noch ein Gefühl von Erleichterung war, war sofort wieder die Anspannung, als dieser Alrik unverhohlene Aggressivität zeigte, und sofort war Silko an seiner Seite, der etwas murmelte was Lando selbst nicht verstehen konnte, noch wollte.
    Lando fixierte den jungen Mann mit festem Blick, und versuchte dessen zu widerstehen, was garnicht mal so einfach war. Der Junge war Konfrontationen gewohnt, das war sicher.
    Schließlich nutzte die alte Seherin ihre Fähigkeit, Situationen an sich zu ziehen, um den Augenblick zu entschärfen, und sorgte gleichsam in den nächsten paar Minuten dafür, dass eine Lagerstatt vor der Hütte errichtet wurde, in der es sich die Gruppe dann bequem machte.


    Die Suppe, die ausgegeben wurde, war wie zu erwarten karg, Lando merkte wie sehr er von der Zutatenvielfalt auf dem Markt in Mogontiacum verwöhnt hatte, das in Wasser gekochte Gemüse mit ein paar Nüssen und Kräutern, sowie Spuren eines zerlegten Kaninchens war aber wohl für diese Gefielde garnicht mal so schlecht. Wie lange musste es her sein, dass jemand die Seherin um Rat konsultiert hatte, und ihr dabei einige Lebensmittel als Geschenk mitbrachte, die man sich hier nicht so einfach ersammeln und erfangen konnte?
    Es blieb Lando nicht viel, darüber nachzudenken, denn die Seherin nahm überraschenderweise für ihn Partei. Sollte er jetzt irgendwas dazu sagen, wäre er dazu nicht imstande gewesen, so perplex war er einen Moment. Diese Worte waren fast zu milde für das, was man sich von der alten Frau erzählte.


    Erleichtert atmete Lando auf, die Seherin würde Alrik seinen Status nicht als Oberhaupt der Familie nicht auf dem Silbertablett servieren. Nicht, dass Lando nicht froh darum gewesen wäre, aber es hätte ohne weiteres zu Zerwürfnissen führen können, und so wie der Kerl sich aufführte, zweifelte Lando keine zwei Sekunden daran, dass er kein Problem damit hatte fünfzig Männer in die Schlacht zu führen, aber gleich eine nicht unbedingt krisenfreie Familie durch die Wirren der römisch-germanischen Zwischenwelt? Nein, dafür würde er noch einiges lernen müssen, davon war Lando überzeugt. Außerdem war die Hierarchie in germanischen Gemeinschaft noch so frisch, dass man auf keinen Fall davon ausgehen konnte, dass man einfach nur durch seinen Status als Erbe einer Manneslinie eine komplette Sippe als Gefolgschaft beanspruchen konnte. Und das würde Alrik verstehen müssen, oder sich selbst schnell ins Aus manövrieren.


    Dass die Seherin nachher darauf pochte, dass Lando ihm den Status seines Vaters anerkennen müsse, nahm er nur allzu willig hin, er träumte schon jetzt von einer ruhigeren Zeit, in der er sich nurnoch um Papiere, und nichtmehr um irgendwelche politischen Querelen kümmern musste.


    "Sollte er sich tatsächlich im Leben jenseits des Landes unserer Väter als würdig erweisen, sehe ich keinen Grund ihm das Erbe seines Vaters zu verweigern.", meinte er daher lapidar, und machte damit vor allem klar, was der junge in Zukunft zu leisten hatte.


    Die nächsten Momente verbrachte er damit, die Schüsseln aus dem Gepäck zu holen, und dafür zu sorgen dass seine Leute etwas warmes in den Bauch bekamen.

    Und genau das zerstreute Landos Zweifel. Nicht nur, dass der Mann die Wildschweinhauer hatte, die Tjaard zu seinem Status als Führer des Stammes nach dem Tod seines Vaters geholfen hatten, nein, er sprach wie ein Römer. Und vor allem perfektes Latein, wie es nicht einmal Lando nach Jahren im Reich zu sprechen vermochte. Dies, und die Anwesenheit der Seherin ließen in ihm keinen Zweifel mehr, einen vom Blute Wolfriks vor sich zu haben.
    Beinahe augenblicklich machte sich ein Gefühl von Erleichterung in ihm breit, die Erleichterung, die enorme Verantwortung für seine Familie nichtmehr schultern zu müssen, und vor allem sich nicht mehr mit Aufgaben konfrontiert zu sehen, die ihm äusserst zuwider waren. Es war eine enorme Last, die ihm hier von den Schultern genommen werden könnte, und es war Landos Entscheidung, das so zu akzeptieren, oder eben nicht.


    Andererseits war der Mann ein Niemand. Sohn des Leif, nun gut, das war ein Erbe, dass man für die Familie nicht zu gering schätzen durfte. Immerhin wurden die letzten Richs der Sippe sehr geradlinig von ein und derselben Manneslinie gestellt, und demzufolge wäre Alrik der Anspruch durchaus zuzugestehen. Auch wenn es lächerlich wirkte, in einer so kleinen Familie solche hierarchischen Strukturen zu haben, es war genau das, was die Familie aus ihrem Leben rechts des Rhenus mitgenommen hatte, eine germanische Sippe, auf das Leben im römischen Reich übertragen.
    Und wenn es schon so war... Lando konnte sich nicht auf einen Schlag von seiner Verantwortung zurückziehen, und sie einem neuen übergeben, der dazu historisch nicht unbelastet war. Und auch deshalb galt es, das Anliegen des Mannes zurückzuweisen.


    "Nun, junger Alrik.", murmelte Lando, bevor er wusste was er sagen wollte, und dem jungen Mann dies auch ins Gesicht, "Auch wenn die Leistung deines Vaters unbestritten ist, und du dir und deiner Familie auf dieser Seite der Grenze sicherlich einiges an Ruhm und Ehre erstritten hast, Modorok war nicht zuletzt eine der gefährlichsten Stammesfürsten der letzten Jahrzehnte, so fehlt es dir doch in dem Leben, das du anstrebst. Die Familie würde niemandem folgen, der sich nur in der Vergangenheit ihrer selbst verdient gemacht hat, im Reich warten Herausforderungen auf dich, die dir kein Vater und keine Mutter am Kinderbett erklären könnte. Als einen der unseren erkennen wir dich, gerade durch dein Wort und das was du bei dir trägst, gerne an. Als Erbe Wolfriks wirst du dich beweisen müssen."

    Es ist eine Serie. Er meint die Szene der ersten Folge, wo Titus Pullo (nein, nicht unser) und Lucius Vorenus (auch nicht unser) mitten im Schlachtgetümmel (irgendwas gegen Vercingetorix, wahrsch. Alesia) aneinander geraten. Hab ich in der Szene auch zum ersten Mal überhaupt gesehen, garnicht für blöd befunden, und wie Macer sagt, wäre machbar gewesen.


    TABERNA LIBRARIA
    CLIO ET CALLIOPE


    [Blockierte Grafik: http://farm1.static.flickr.com/21/26356779_db0cfff076_m.jpg]


    LIBRA, SCRIPTA ALIIQUE EXEMPLARES



    PROPRIETAS DUCCIAE FLAMMAE




    Dies ist der kleine Bücherladen der Duccia Flamma, in einer Seitenstraße am Forum gelegen, aber noch in der Sonnenkehre gelegen, um das Licht im Laden nicht durch Öllampen und andere potentielle Gefahren sicherstellen zu müssen. Das Angebot der emsigen und fleissigen Sammlerin umfasste mittlerweile beinahe alle Klassiker der römischen Kultur, und der zeitgenössischen Literatur.

    Eine zeitlang glotzte Lando einfach nur ungläubig, das, was die alte Frau ihm da auftischte war mehr als fantastisch. Aber dann diese ganzen Details, die ganzen Lücken, die sich mit den Erzählungen der alten Seherin logisch schlossen. Lando stützte sein Kinn auf die rechte Hand, lehnte sich gegen den Rücken von Witjon, und hörte einfach nur zu. Die dramatische Geschichte Wolfriks und die des Scheiterns seiner neuen Familie kannte er ja schon, nur hier und da kamen Anekdoten über Tjaard, anscheinend Runhilds Bruder, und seinen Zeitgenossen hervor. Das, was ihn aber noch am brennendsten interessierte, war die Sache mit seiner Großmutter. Sie soll eine Schwester dieser Frau, und damit Tjaards gewesen sein? Absolut unmöglich, wie er fand, aber so langsam kamen ihm Zweifel. Die Herkunft seiner Großmutter, die schon relativ früh an einem Fieber starb, wurde so gut wie nie thematisiert, sie gehörte einfach zur Sippe, und zu fragen hatte man sie nie getraut, gab ja genug zu tun, und die Linke des Großvaters war zu saftigen Ohrfeigen imstande. Aber wie lange war das her? Jahrzehnte, sicherlich. Aber es machte Sinn. Seine Großmutter war am selben Fieber gestorben, dass bekannterweise bisher schon einige andere duccische Frauen niedergerungen hatte, und es ward gesagt worden, dass sie nicht aus dem gleichen Stamm kam, wie sie es taten, sondern von weiter nördlich.
    Lando begriff. Wenn das wahr war, waren die Duccii, der Stamm Wolfriks, garnicht seine neue Familie, sondern nur ein neuer, unbekannter seiner alten Sippe. Oder anders gesagt: der mütterliche. Ein Viertel Amsivarier. Großartig, wie dermaßen kitschig es klang... aber es reichte, um Lando begreifen zu lassen, dass er nichtmehr illegitim die Nachfolge des letzten Richs angetreten hatte. Auch wenn ihm nie ganz wohl in der Rolle war, und er sie eher widerwillig ausfüllte, irgendjemand musste es schließlich tun.


    Und wie es schien, hatte irgendjemand dafür gesorgt, dass er sich in Zukunft keine Sorgen mehr um das Problem machen musste. Denn das nächste, was geschah, bevor Lando irgendwie kommentieren konnte, was er gehört hatte, war das Auftauchen eines weiteren, gänzlich unbekannten Kerls. Der Größe nach zu schließen war der Mann schon voll ausgewachsen, keinen Kopf kleiner als Lando. Und wie er aussah, sprach Bände über das Leben, das er zuvor geführt hatte. Das Gesicht hager, die Knochen prägnant vorstehend, wohlgenährt sah anders aus. Und überhaupt, das einfache Hemd und die Hose konnten nicht verbergen, dass der Mann bisher ein karges Leben geführt hatte, eine feine Narbe unter dem Auge zeugten von Kampferfahrung, und der Blick, den der Mann seinen vermeintlich Verwandten zuwarf, sprach Bände.
    Und dennoch, auch wenn Silko sich nen Wolf dachte (:D), diese Frau war die Seherin, und Lando war noch zu sehr in der Wertewelt seiner Heimat, um auch nur ein Wort zu bezweifeln, was sie, und damit, was dieser junge Mann sagte.


    Und doch...


    "Was zeichnet dich als einen der unseren aus, Alrik, Sohn des Leif, und warum genau sollten wir dich als jenen anerkennen, was dein Vater sich im Leben erworben hat? Leif, Sohn des Landogar, ging im Felde verloren. Du kannst nicht sein Sohn sein..."