Es hatte eine lange Weile gedauert, bis Lando sich dazu durchgerungen hatte mal wieder etwas für seine Wehrtüchtigkeit zu tun. Seitdem er ins Reich gekommen war hatte sein Interesse am Waffengang stetig nachgelassen, und von der Expedition nach Magna mal abgesehen war Landos paramilitärisches Können nie in Anspruch genommen worden.
Doch Vorsicht war die Mutter der Feinkeramikkiste, und so packte sich Lando eines Tages sein altes, mittlerweile schon arg angerostetes Sax und machte sich auf zum Schleifstein der hinter dem kleinen Stall der Hros stand, und an dem normalerweise nur Messer und Ledergeschnüre geschleift wurden. Es dauerte nicht lange und Lando hatte den Bogen mit dem Schleifen wieder heraus, Erinnerungen wie sein Vater das Sax seines Vaters stets mit neuer Schärfe versah kamen in ihm hoch, und mit einem Lächeln im Gesicht schliff er jegliche Spur von bräunlichem Rost von der Klinge, bis sie schließlich wieder scharf genug wirkte um seinen Zweck zuverlässig zu erfüllen.
Der Übungsbaum von Silko stand immernoch in einer Ecke des Anwesens, und Lando stand lange davor und dachte nach. Nur mit einer schlichten Hose und sonst nichts bekleidet wirkte der Magister Scriniorum, der sich sonst Mühe gab nicht allzu und doch klar erkennbar germanisch zu wirken, wie das was er vor Jahren einmal gewesen war: ein einfacher Bauer, der von der Not und dem Schicksal seiner Stammesleute immer wieder dazu gezwungen wurde sich mit der Waffe zu verteidigen.
In diesem Moment endete das römische Reich vor den Toren der Casa seiner neuen Familie, hier war er Lando, Landulfssohn.
Er hob die Klinge und senkte den Kopf, still betete er lange Minuten zu Theiwaz, bat darum ihm die alte Stärke die ihm mal innewohnte wieder zu geben, bat darum ihn seine Familie sicherer führen zu lassen als es sein Vater getan hatte, bat darum Freund von Feind unterscheiden zu können... als er geendet hatte, schlug er zu.
Schlag um Schlag ging auf das feste Holz nieder, von unten, von oben, fest von der Seite. Aus- und Rückfalleschritte paarten sich zu Drehern und Finten, aus anfänglich stakkatohaften Fehltritten wurden langsam flüssige Kampfszenen, er fand sich wieder.
Vor seinem inneren Auge spielten sich blutige Szenen seiner Vergangenheit ab, der Einfall einer Rotte marodierender Fosi die der Hunger in fremde Lande getrieben hatte, friesische Piraten auf der Ems oder Grenzverletztende Angrivarier. Alles sehr sehr kurze, aber dafür auch sehr blutige Intermezzos, die Lando das Kriegshandwerk im Kampf lehrten wofür die Römer jahrelang trocken trainierten. Niemand war wirklich Zivilist, alle kämpfen um ihre Haut, und ihre Familie...
Lando hielt inne...
Seine Familie. Seine Eltern weilten bei den Göttern, das war sicher, denn keiner von ihnen wurde im Schlaf erschlagen, und letztendlich war es ihnen gelungen ihnen auch ein würdiges Begräbnis zukommen zu lassen, auch wenn es Eila beinahe das Leben gekostet hätte. Und nun stand er hier, aufgenommen in eine neue Familie, in eine neue Welt, und wurde das Gefühl nichtmehr los dass die Geschichte die Angewohnheit hatte sich zu wiederholen.
Verschwitzt und dreckig vom aufgewirbelten Staub ließ Lando sich nieder und starrte gedankenverloren auf den Baumstamm, der nun einige viele Kerben mehr hatte.