Zwei.
“Sag es mir, Brix!“ verlangte ich barsch von ihm. Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die Lippen. Brix stand auf wackligen Beinen vor mir und sah mich an. Es war kein Hass in seinem Blick, aber doch etwas, das mich wissen ließ, was er von mir hielt. Von dem, was ich in diesem Moment darstellte. Es vergingen einige Augenblicke, und ich wollte meine Frage eben mit noch mehr Nachdruck wiederholen, als ich mir wiederholt vor Augen führte, was ich hier eigentlich tat.
Am Morgen, noch vor der salutatio, hatte Brix mir gesagt, dass Siv ihn gebeten hatte, alles für ihre Abreise vorzubereiten. Sie hatte das Haus zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Und ich hatte, blind vor Wut, seine Auspeitschung befohlen. Dass er seinen Posten noch hatte, lag einzig und allein daran, dass im atrium meine Klienten gewartet hatten. Wie hatte er ihr auch helfen können? Nach allem, was er wusste, und mit den Befugnissen, mit denen ich ihn ausgestattet hatte? Es war mir wie ein feiger Verrat vorgekommen. Der Klientenempfang war desaströs verlaufen, und auch nach meiner Flucht aus dem atrium war es mir nicht besser gegangen. Innerlich aufgewühlt und rastlos war ich durchs Haus gelaufen ohne jemandem zu begegnen, bis ich mich schließlich im Garten wiedergefunden hatte. Selbst das hatte mir nicht die Ruhe verschafft, die mich hier sonst überkam – auch wenn ich nicht einmal wusste, weshalb genau ich mich fühlte, als trüge ich ein klaffendes Loch in meiner Brust mit mir herum. Ich hatte doch gewollt, dass sie ging. Zumindest eines hatte der Aufenthalt im Garten zur Folge gehabt. Ich hatte an mein Gespräch mit Brix gedacht, den Affekt meines Befehls erkannt und ihn widerrufen, nachdem vermutlich das halbe Haus bereits davon Wind bekommen hatte.
“Sie wollte, dass ich die Wiege verkaufe“, sagte der Germane plötzlich und antwortete damit nicht direkt auf meine Frage. Dennoch hing ich an seinen Lippen. Es fehlte mir an Selbstdisziplin, dessen war ich mir wohl bewusst, doch außer mir und Brix bekam dies hier niemand mit, denn wir waren allein, und ich musste mich nicht anstrengen, eine Maskerade aufrecht zu erhalten. Die Wiege. Die ihr so gut gefallen hatte. Wie sie sich gefreut hatte, war mir noch gut in Erinnerung. Bedeutete das nicht, dass sie darüber hinweg war? Dass ich erreicht hatte, was ich hatte erreichen wollen?
“Ich hab sie ins Gesindehaus gebracht.“ Verklärt blinzelnd tauchte ich erneut aus meiner Gedankenwelt auf und versuchte, einen Sinn hinter diesen Worten zu erkennen. Dachte er etwa, sie käme zurück? Nein, sicherlich wollte er mir die Entscheidung überlassen, da die Wiege ein Geschenk von mir an sie gewesen war. Oder Brix hatte praktisch gedacht und wollte Celerina die Wiege zur Verfügung stellen, wenn es soweit war. Wenn.
Das Schweigen zog sich in die Länge. Ich stand immer noch vor Brix, der an die Wand neben der Tür gepresst da stand. Erst da fiel mir auf, dass ich so dicht vor ihm stand, dass es wie eine Drohung wirkte. Ich trat zurück. “Geh“, wisperte ich. Ich hatte meinen Weg verloren. Ich musste acht geben, dass ich mich nicht verlor. Brix blieb noch einen Moment, wo er war. Sein prüfender, leicht mitleidiger Blick, mit dem er mich musterte, entging mir nicht. Etwas von dem kalten Zorn vom Vormittag keimte erneut in mir auf, und ich wandte mich ab. “Sie ist bei Uland Ereksson und seiner Familie untergekommen. Sie wollen im Frühsommer zurück nach Germanien ziehen“, sagte Brix leise, dann hörte ich, wie die Tür leise geschlossen wurde. Ich blieb allein zurück. Die anderen würden bald zur cena beisammensitzen. Heute mussten sie ohne mich auskommen.
Wer bin ich schon – das konntest du mir niemals zeigen.
Bin ich ein Blatt, das noch beschrieben werden muss,
bin ich der Schmerz in dir nach einem Abschiedskuss?
Sag, bin ich dein, auch wenn sich unsre Tage neigen?
Bin ich ein Meer, das blauer ist als jedes Sehnen,
Bin ich das schönste Muster im Kaleidoskop?
Bin ich ein Wunsch, der sich dank dir zum Stern erhob,
sag, bin ich das versteckte Lächeln unter Tränen?
Du kennst mich nicht, so wie ich selber mich nicht kenne
und niemals könnte ich je deine Muse sein.
Warum kann ich dir keine Fantasien bringen?
Ich bin wohl nur ein Licht am Nachttisch und ich brenne
für deinen Schöpfergeist, bin nachts dein Kerzenschein.
Ach, könnt’ ich deine Träume wie Sirenen singen.