Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, diesem Opfer beizuwohnen. Als Teil der Opferprozession war ich zum Tempel des Ianus am gleichnamigen Bogen gelaufen, hatte mich gereinigt und den Tempel betreten, um zunächst dem Voropfer beizuwohnen und im Anschluss dem Blutopfer, das die Dringlichkeit der Bitte Lupus' noch untermauern sollte. Als potentiell neuer haruspex ließ sich Lupus nicht nehmen, die etruskische Disziplin der Eingeweideschau selbst durchzuführen, und mich überraschte in keinster Weise der gute Ausgang dieses Opfers.


    Als wir den Tempel wieder verließen, klopfte ich Lupus auf die Schulter. "Gut gemacht. Wann wirst du zum haruspex primus gehen und um die Aufnahme ersuchen, Sextus? Hast du bereits einen Termin im Sinn und die Fürsprache Flavius Gracchus' gewinnen können?"

    Celerinas Anspielung war natürlich als solche zu verstehen. Ich knirschte mit den Zähnen, gab mir jedoch Mühe, weiterhin betont freundlich dreinzusehen. "Danke der Nachfrage, sie sind besser geworden", erwiderte ich besonders höflich, was dann sogleich wieder leicht sarkastisch klang - besonders mit dem aufspießenden Blick hin zu Celerina, den ich nicht vermeiden konnte. Schnell richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Zwillinge. Flora und Narcissa wirkten nicht eben gesprächig, was ich ihnen angesichts der vorgefundenen Situation allerdings auch nicht verdenken konnte. Kurz darauf purzelte Prisca herein und gab sich auch ersteinmal herzlich. Sie nahm Platz, und es blieb nicht viel Zeit für eine Erwiderung - ich lächelte sie ohnehin nur grüßend an, da ich nicht recht wusste, wie ich ihr nach unserem Gespräch am geschicktesten begegnen sollte - bis auch Imbrex sich zu uns gesellte. "Publius, schön dich zu sehen", grüßte ich den Reisenden. Er war auf Sardinien gewesen, nachdem der Familiensitz in Mantua mit Laevinas Hochzeit an die Tiberier übergegangen war und eine ungestörte Erholung darob im Norden Italias nicht mehr so einfach war. "Natürlich, nur zu", fuhr ich fort. Liegen standen in ausreichender Anzahl parat, lediglich die Auswahl musste er noch treffen.


    Ich sah hernach kurz in die Runde. "Ich denke, wir können dann auch anfangen", bemerkte ich und nickte einem Sklaven zu, damit er in der Küche bescheid gab. Lupus und Avianus würden vielleicht später noch dazustoßen, wenn sie Zeit für ein gemeinsames Essen fanden. Pegasus hingegen hatte ich schon lange nicht mehr beim Essen gesehen. Derweil fiel mein Blick wieder auf die dicke Schriftrolle neben mir. Sie war mir heute Mittag zugestellt worden, als Celerina in Ostia weilte, sonst hätte ich vorab mit ihr darüber geredet. Doch nach dieser Anspielung von eben war es mir durchaus eine kleine Genugtuung, sie nicht in Kenntnis gesetzt zu haben. Obgleich mir selbst der Inhalt dieses Briefes durchaus zu schaffen machte, womöglich sogar mehr als ihr selbst. Dieser Tage schien einfach alles zusammenzukommen. Ich seufzte tief. "Während wir warten, will ich euch gern etwas vorlesen. Septima hat geschrieben und bat mich darum." Schweren Herzens griff ich zu der Schriftrolle, und während ich sie erneut öffnete - das Siegel war schließlich bereits gebrochen - warf ich Celerina einen langen Blick zu. "Liebe Familie", begann ich. "Bitte verzeiht, dass ich euch nicht schon viel früher geschrieben habe, doch es gibt hier so viel für mich zu tun, dass mir einfach die Zeit zwischen den Fingern zu zerrinnen scheint. Das Praetorium im Castellum ist ein hoch herrschaftliches Domus, nur leider fehlt ihm die Gemütlichkeit der Villa Aurelia oder Tiberia, weshalb ich bemüht bin, es wohnlicher einzurichten und viel Zeit auf den hiesigen Märkten verbringe, um die, meiner Meinung nach, geeigneten Möbel zu finden. Deine Bank, Corvinus, hat einen schönen Platz in unserem Garten gefunden und ab und an finden Titus und ich sogar gemeinsam Zeit sie zu nutzen. Meistens reden wir in solchen Momenten von unseren Familien und denken an euch. Es ist schön etwas von euch hier zu haben, denn selbst wenn ich den lieben langen Tag beschäftigt bin, so fehlt mir die gemeinsame Cena und das Gespräch mit euch allen. Wir habe auch noch eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Die schlechte zu erst: Ich werde nicht so oft nach Rom kommen können, wie ich gerne würde. Die Gute..." Ich machte unweigerlich eine kurze Pause, um aufzusehen und den Blick meiner Frau zu fangen, ehe ich rasch weiter las. "Weil ich schwanger bin. Oh, was würde ich jetzt dafür geben eure Gesichter zu sehen, doch ich konnte unmöglich bis zu meiner ersten Reise zurück nach Rom warten, um es euch zu sagen, denn bis dahin ließe sich mein Zustand kaum unter den Kleidern verbergen. Den Winter werden Titus und ich hier in Mantua verbringen, denn kurz vor der Niederkunft werden wir nicht mehr reisen. Wie ergeht es dir, liebe Celerina? Ich würde mich freuen etwas von dir zu lesen. Bitte schreib mir, damit ich in der Ferne nicht völlig von allen Informationen abgeschnitten bin. Und du, Prisca? Triffst du dich ab und an mit den anderen jungen Frauen? Was gibt es bei dir oder Serrana neues zu berichten? Nicht zu vergessen die Blümchen. Ja, ich weiß, ihr mögt es nicht Blümchen genannt zu werden, aber dieser Name ist absolut passend für euch, denn ihr seit wunderschöne Blumen, die erblühen und gewiss den jungen Männern in Rom die Köpfe verdrehen. Bitte schreibt mir und berichtet von euren Erlebnissen auf Festlichkeiten, insofern euer Bruder euch solche Besuche erlaubt. Was gibt es neues von dir zu berichten, Lupus? Hast du bereits deine Fühler ausgestreckt und eine oder mehrere unschuldige Damen der höheren Gesellschaft in deine Fänge gezogen? Bitte verzeih meine freche Art, doch du erwecktest in mir den Eindruck, dass du deinem Namen alle Ehre machst. Ich würde mich über einen Brief von dir ebenso freuen, und lese gerne über deinen politischen Werdegang, solltest du in dieser Hinsicht Ambitionen pflegen. Titus würde sich gewiss ebenfalls über Informationen in derlei Richtung freuen. Selbiges gilt auch für Pegasus, Imbrex und Avianus. Oder aber du, Corvinus, schreibst stellvertretend für alle männlichen Familienmitglieder und berichtest uns von ihren Heldentaten. Während ich diesen Brief an euch schreibe, ist es fast, als wäret ihr alle bei mir, was ich in vollen Zügen genieße. In freudiger Erwartung zahlreicher Antwortbriefe verabschiede ich mich von euch.... Nun ja." Ich ließ den Brief sinken und warf einen Blick in die Runde, ohne jedoch diesmal Celerina anzusehen.

    Ohne es zu wissen, ging es mir nicht anders als ihr. Ich schwieg, weil ich es leid war, mit ihr zu streiten. Zumal über Dinge, die ich nicht zu ändern imstande war. Auf der anderen Seite hatte der Verlauf des heutigen Morgens alles verändert. Ich fühlte mich ob dessen immer noch wie gerädert und kaum zu einem klaren Gedanken fähig. Es tat gut, sie an meiner Brust zu wissen, zu wissen, dass ihr diese kleine Geste ebenso gut tat wie mir selbst. War dort zuvor noch dieser zerfaserte Krater gewesen, so verschloss Siv ihn schlicht mit ihrer bloßen Anwesenheit. Und doch war es mir bald ein Bedürfnis, etwas zu sagen.


    "Sie ist hinfällig", sagte ich. "Die Abmachung." Kurz überlegte ich, ob ich den Rest ebenfalls erzählen sollte, entschloss mich dann jedoch dagegen. Siv hatte gestern schon alles andere als glücklich gewirkt, und war es nicht besser, wenn man alles daran setzte, geliebten Personen Leid zu erparen, wenn man es konnte? Solange sie keine dahingehende Frage stellte, würde ich diesen Teil vorerst für mich behalten, auch wenn sie mich vielleicht hinterher dafür umso mehr verachtete. Ich berührte mit den Lippen flüchtig ihren Schopf, zog sie noch etwas näher zu mir heran. "Bleib bei mir." Denn was geschehen würde, wenn sie ging, konnte ich erahnen. Ich würde wohl den letzten Rest Emotion verlieren, ihn so tief in mir wegsperren, dass ich ihn selbst nicht mehr wiederfinden würde.

    Zitat

    Original von Decima Seiana
    Der Aurelier grüßte zurück und lächelte, und dann sagte er ein Wort, das Seiana für einen winzigen Moment erstarren ließ. Ihre Augenbrauen schnellten nach oben, während sie ihn ansah – aber zunächst schwieg, weil sie nicht ganz sicher war, ob sie ihrer Stimme gerade trauen konnte. Ein Augenblick verstrich in Schweigen, auf ihrer Seite, während ihr Patron schon weiter sprach. Dann noch einer. Sie setzte sich hin, nahm den Becher entgegen, trank einen Schluck, alles schweigend. Und dann: „Auctrix?“ fragte sie nach. „Dann hat der Senat tatsächlich für mich entschieden?“ Die Frage war im Grunde müßig, Corvinus’ Worte waren eindeutig gewesen. Das hier würde nun ihr Büro sein. Ab heute. Ab jetzt. Irgendwie konnte sie es noch nicht so wirklich fassen, denn begann sich langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht auszubreiten, eines der wenigen wirklich ehrlichen, die sie zeigte. „Das ist…“ Sie verstummte und setzte neu an: „Ich glaube, ich brauche noch ein bisschen. Und du ist bereits fertig?“


    Es war tatsächlich ein Grinsen, welches sich kurz auf meinem Gesicht ausbreitete, als ich Seiana so vollkommen fassungslos sah. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich diesen Anblick noch nie genießen können. Ich rettete mich mit einem neuerlichen Schluck Wein und stellte den Becher dann wieder fort. Seiana musste sich setzen, und auch das nahm ich amüsiert zur Kenntnis. Ich schob die gepackte Kiste ein wenig zur Seite und setzte mich dann ebenfalls. "Ich schließe aus deinen Worten, dass man es versäumt hat, dich darüber zu informieren", bemerkte ich und wunderte mich zugleich, dass auf den flavischen consul so wenig Verlass zu sein schien. "Aber so ist es. Und du kannst umziehen, sobald du fertig bist. Ion kann dir helfen", fuhr ich fort und ließ den Blick dann kurz über die halbgefüllten Regale im Raum gleiten. Abschriften von Gesetzestexten fanden sich dort und allerlei allgemeine Abschriften, sowie Kopien von den Artikeln des letzten Jahres, die erst nach Ablauf dieses Jahres ins Archiv gebracht werden würden. "Ich hatte nicht viel Persönliches hier", erwiderte ich auf ihre Frage hin und deutete auf die Kiste.

    Kurz darauf erschien Seiana, ich stellte eben den Krug zurück. Nach einem kurzen Blick zu ihr nahm ich die beiden Becher auf und wandte mich ihr vollends zu. "Salve", sagte ich und schmunzelte sie an. "auctrix." Ich hielt ihr einen Becher hin. "Meinen herzlichen Glückwunsch zu diesem Büro. Ich habe hier immer gern gearbeitet, es ist der ruhigste Raum im ganzen Haus, wenn du mich fragst." Ich ging davon aus, dass ich nicht der erste war, der Seiana gratulierte. Immerhin war die Senatssitzung schon zwei Tage her, und die Pflicht der Konsuln wäre es gewesen, Seiana über das Abstimmungsergebnis zu informieren. Ich ging ganz automatisch davon aus, dass dies geschehen war, und hob ihr prostend einen Becher entgegen. "Zum Wohl." Anschließend bedachte ich das Gefäß mit einem anerkennenden Blick und stellte es ab. "Nun, du hast deine Sachen schon zusammengepackt? Ich bin hier fertig, du könntest also gleich die Aussicht von deinem neuen Schreibtisch aus genießen." witzelte ich gut gelaunt.

    Mir blieb nur ein Kopfschütteln. Es wäre taktisch unklug gewesen, nun noch zu sagen, dass ich diesen Artikel selbst dann veröffentlich hätte, wenn mir der Name des procurator geläufig gewesen und ich die Verbindung zwischen dem Artikel und ihm hergestellt hätte. Er enthielt Mutmaßungen und Vermutungen, keine Anschuldigungen, doch mein Senatskollege erschien mir zu subjektiv, um darauf einzugehen. Ich erwiderte daher nur seinen Blick, nicht aber seine Worte, und die darauf folgenden waren ohnehin interessanter, da er nun offensichtlich auf den eigentlichen Grund des Gesprächs kommen wollte. "Das wäre auch in meinem Sinne", erwiderte ich und wartete, was nun kommen mochte. Wenn Modestus die Angelegenheit im Grunde egal war und er nun auf die gleichen Ansichten im Senat zu sprechen kam, so verfolgte er ein Ziel damit, und ich wartete ab, welches das war.

    Priscas neckendem Tonfall begegnete ich mit ernster Miene. Es mochte vielleicht schwer sein für sie, das zu glauben, doch war es tatsächlich so gewesen. Celerina zwar war in die Vollen gegangen, mit diesem Pomp in Rosé, den Sklaven, den Musikern und was sie sonst noch alles aufgefahren hatte, doch letzten Endes war und blieb es eine Unterhaltung, die dort stattgefunden hatte. Unter dem Vorwand, mir den flavischen Garten zeigen zu wollen. Bei Priscas darafuffolgenden Worten musste ich wohl reichlich verwirrt aussehen. Im Gras liegend? Und um sie gekämpft? Mir blieb nur, den Kopf zu schütteln. "Nein, Prisca, du liegst falsch. Es war tatsächlich eine Unterhaltung, doch offenbar ohne Kenntnis des Hausherren oder sonst eines Verwandten. Im Hinblick auf Celerina, die zu diesem Zeitpunkt schließlich heiratsfähig war, war mein Besuch daher unangemessen. Ich kann Gracchus' Reaktion daher sogar nachvollziehen - auch wenn wir nicht im Gras gelegen haben. Er hat sich um das Ansehen seiner Verwandten gesorgt, und nichts anderes tue ich ebenfalls", bemerkte ich mit einem kurzen Seitenblick auf Prisca, und ein flüchtiges Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel, endete schließlich in einem Seufzen. "Wie du es sagst, klingt es romantisch und abgedroschen", sagte ich. "Weißt du, damals zählte für mich im Grunde nur eine Heirat an sich, und die Familie meiner zukünftigen Frau. Mit Aquilius als meinem besten Freund und dem Einfluss der Falvier lag es nahe, eine Flavia zu wählen. Welche das war, war mir im Grunde gleich." Und das war der einzige Grund, aus dem man eine Ehe eingehen sollte: Um politischen Nutzen zu haben, um sich Stimmen im Senat zu sichern, um einflussreiche Köpfe hinter sich zu stellen. Prisca schien das nicht zu verstehen. Doch sie war auch eine Frau, und die waren nun einmal anders gestrickt als wir. Ich hoffte dennoch, dass meine Sicht und meine Erzählung ihr vielleicht helfen mochten, den richtigen Weg zu erkennen.


    Ihre anschließende Anspielung darauf, dass ich wohl kaum als Berater in romantischen Angelegenheiten fungieren konnte, traf mich durchaus ein wenig. Nachdenklich verfolgte mein Blick eine schiefe Fuge zwischen den Steinen des Bodens, während ich einen Seufzer unterdrückte und einen Augenblick verstreichen ließ, bevor ich Prisca wieder ansah. "Nein, es wäre wohl vermessen, das zu behaupten. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass dies der falsche Weg ist. Und das sollte nicht nur deinem Flavius bewusst sein, sondern auch dir, Prisca." Ich war seltsam ruhig, während ich mit meiner Nichte sprach, und das verwunderte mich selbst. Ich hatte damit gerechnet, wirklich wütend zu sein, doch irgendwie setzte diese Emotion derzeit aus. Stattdessen war ich ernst, beratend und argumentativ - und fühlte mich darob sogleich wie ein alter Mann am Ende seines Weges.


    Ich hatte damit gerechnet, dass Prisca mein Verbot nicht gefiel, dass sie aufbegehren würde, doch nicht damit, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie sah verzweifelt aus, was wiederum mich erschreckte, schließlich hatte ich sie ganz sicherlich nicht zum Weinen bringen wollen. "Ja, Prisca", gab ich zurück. Ich verzichtete darauf, sie trösten zu wollen, was mir wohl ohnehin nicht geglückt wäre. "Das hätte ich, wenn Gracchus es so gewollt hätte. Verstehst du denn nicht, warum es euch Frauen untersagt ist, solche Entscheidungen allein zu treffen? Diese Regelung dient einzig und allein eurem Schutz. Wenn Flavius Gracchus mir damals den Umgang mit seiner Verwandten untersagt hätte, wäre ich dem selbstverständlich nachgekommen." Ich seufzte erneut und schüttelte den Kopf. "Solche Dinge geschehen nicht aus romantischen Gründen, Prisca. Nicht, wenn sie integer sind." Und wo ich bisher weitestgehend ruhig geblieben war, fachte sie mit ihrem Trotz nun das kleine Flämmchen an. Meine Unzufriedenheit über ihrer Uneinsichtigkeit äußerte sich zunächst in einem verdrießlichen Gesichtsausdruck samt Stirnrunzeln, anschließend dann in grimmigen Worten. "Das wird er nicht", sagte ich postwendend. Ich würde alles tun, um Prisca diese Enttäuschung zu ersparen. Letztendlich blieb mir nur ein erneuter tiefer Seufzer. "Ah, Prisca! Ich bitte dich!" Warum strengte sie ihren Kopf nicht an und dachte einmal nach? Sie war uneinsichtig und bockig, das kannte ich gar nicht von ihr. Und zudem führte jeder der Wege, von denen sie sprach, zunächst einmal an mir vorbei. Das war der Vorteil, den ich hatte. Zumindest, sofern der Flavier ein gewisses Maß an Respekt und die Fähigkeit zu denken mitbrachte.

    Als Siv erwachte, saß ich mit ausgestreckten Beinen in meinem Sessel, das Kinn auf die Hand gestützt, und beobachtete sie. Verschlafen und müde sah sie aus, wie sie sich aufsetzte und meiner gewahr wurde. Sie nahm, ob bewusst oder unbewusst, eine Abwehrhaltung ein. Ich sah sie mit unbewegter Miene an, wie sie trank, den Becher dann in den Händen hielt und mich nicht länger ansehen konnte. "Eine Weile", sagte ich. Genau genommen hatte ich keine Ahnung, seit wann ich da war, wusste nur, dass diese Ruhe, das einfache Sitzen und Beobachten, mir gut getan hatte. Ich selbst war nun ruhiger - und merkte die Müdigkeit.


    Tief atmete ich ein, dann stand ich auf und ging zu ihr hin, um mich neben sie zu setzen. Ich nahm ihr den Becher fort und stellte ihn zurück, dann legte ich einen Arm um sie, zog sie zu mir, und schloss sie vollends in eine Umarmung ein, als ich auch den zweiten Arm noch dazunahm und um ihre Schienbeine legte. Finn lag schräg hinter uns und schlief selig. Ich lehnte meinen pochenden Kopf an ihren und schloss die Augen. Eigentlich gab es nicht viel zu sagen. Ich war noch nie der große Romantiker gewesen, denn Romantik war etwas für Verblendete, Liebe etwas für Schwache - zumindest wenn man sie offen zeigte. Ich hatte das bereits gelernt, damals, als ich mich um ein Haar bereitwillig verschenkt hätte. Seitdem waren solcherlei Gefühle tief vergraben, meine Meinung gebildet und endgültig, unumstößlich. Gefühle machten angreifbar. Und so kam nicht das, was Siv vielleicht erhoffte, sich vielleicht auch wünschte. Ich hatte ohnehin stets Probleme damit gehabt, mich dahingehend zu öffnen. Also beschränkte ich mich darauf, sie so zu halten und zu schweigen, auch wenn es vieles gegeben hätte, das sinnig zu sagen gewesen wäre.

    Ich war nicht gleich nach diesem Gespräch mit Celerina hergekommen. Ich hatte mich zunächst einmal sammeln müssen. Zudem wäre es mir tatsächlich falsch erschienen, wenn ich das eine Zimmer verließ und ein anderes aufsuchte, und das gleichbedeutend mit den Bewohnern war, die sie beherbergten. So war ich eine Weile im Peristyl auf und ab gegangen, darüber sinnierend, was dieser allzu frühe Morgen nun im Einzelnen für mich bedeutete. Ich hatte sogar überlegt, den Moment bis nach Mittag hinauszuzögern, an dem ich Siv begegnen würde. Der Grund war simpel: Ich fühlte mich innerlich wund. Ich glaubte nicht, dass ich noch viel ertragen konnte, auch nach etwas Bewegung im Freien nicht. So wenig Emotionen ich auch zu zeigen imstande war, so verbraucht fühlte sich dieser Teil meiner selbst an, überstrapaziert und aufgerieben. Im Anschluss an den tristen Spaziergang - schließlich war ich nur auf und ab gegangen - hatte ich zumindest die Geistesgegenwart, mir etwas Neues zum Anziehen zu beschaffen. Dina, die seit Sivs Freilassung ihre Aufgaben die Kleidung betreffend weitestgehend übernommen hatte, war zwar irritiert gewesen, dass ich bereits auf war, hatte mir jedoch das Gewünschte gesucht. Ich dankte mit knappen Worten, orderte noch frischen Weidensud gegen den Brummschädel und sagte Alexandros ab, der plötzlich mit dem Rasiermesser und einem frischen Tuch im Zimmer stand. Dina brachte mir das Kopfschmerzmittel, als ich mich gerade umzog. Ich kippte den widerlichen Sud klaglos hinunter, verzog das Gesicht und schüttelte mich.


    Mehr oder minder frisch wie ich war - ich fühlte mich dennoch nicht besser - hatte ich mich dann auf den Weg gemacht. Das würde ebenso wenig ein einfaches Gespräch werden wie das vorangegangene. Ich seufzte tief, klopfte kaum vernehmlich und wartete. Nichts passierte. Ich wartete, runzelte allmählich die Stirn und wollte eben ein zweites Mal klopfen, als der Schrecken in Form einer eisigen Hand mein Herz kalt umschloss. War sie fort? Ich öffente augenblicklich. Die Vorhänge waren noch zugezogen, es roch nach Schlaf im Raum. Das Licht, das durch die Tür und an den Vorhängen vorbei ins Zimmer strömte, offenbarte eine Gestalt im Bett. Ein erleichtertes Seufzen verließ meine Kehle. Ich schloss die Tür und ging zu Siv , die noch da war. Finn lag in dem absturzsicheren Bereich zwischen seiner Mutter und der Wand, an der das Bett auf einer Längsseite stand. Ich setzte mich leise an den Tisch auf einen Stuhl, die schlafende Siv nachdenklich betrachtend, und wartete. Ich wollte sie nicht wecken, selbst im Schlaf sah sie erschöpft aus. Und es kam mir zudem recht gut zupass, dass ich nicht gleich den Kopf anstrengen und nach Worten suchen musste, die hinreichend erklärten, was mich derzeit umtrieb.

    Während ich dort saß und einer Antwort harrte, sah ich sie an. Sie wirkte...ich wusste es nicht. Es war mir nicht möglich, ihre Miene zu deuten. War sie verärgert, verbarg sie das gut, ebenso erkannte ich weder Zustimmung noch Hoffnung oder sonst etwas. Celerina hatte sich gut im Griff. Dies war der Moment, an dem sie sich von mir abwenden konnte, und würde sie das tun, würde ich sie gewähren lassen. Selbstverständlich würde es Celerina nach außen nicht gut dastehen lassen, kinderlos und geschieden, ganz gleich, was sie erzählte. Ob dies der Grund war, aus dem sie schließlich - und vielleicht ein wenig zu schnell - bejahte, konnte ich nicht sagen. Das, was sie sagte, war eine direkte Anspielung auf das Versprechen, das sie mir am Tag zuvor abgerungen hatte. Ich hätte nun erwidern können, dass diese Vereinbarung unter ganz anderen Umständen getroffen und die Karten nun neu gemischt worden waren, obdessen ich mich nicht dazu verpflichtet fühlte, mich an sie zu halten. Doch ich schwieg, ein Zeichen für die Akzeptanz, vielleicht eines guten Willens ihr gegenüber. In gewisser Weise war ich sogar erleichtert.


    "Ich habe sie dazu gezwungen", erwiderte ich, nicht ahnend, dass sie dasselbe mit Brix versucht hatte. "Sie hat dich nicht ausspioniert, falls das deine Befürchtung ist. Ich bat sie lediglich, mir in Bezug auf dich behilflich zu sein." Diese Sklavin nahm ich hier nur aus einem Grund in Schutz. Celerina brauchte eine Vertraute, so glaubte ich, und Charis war nun einmal ihre Leibsklavin. Es lag nahe, dass sie diejenige war, der sie am meisten vertraute. Und was die Hilfe betraf - nun, Celerina musste klar sein, dass ich nicht eben ein geschickter Ehemann war, so wie mir das selbst klar war. "Ich denke nicht, dass das weiterhin nötig sein wird." Obgleich Charis gute Dienste geleistet hatte. Ich legte eine Hand auf ihren Unterschenkel. Diese Geste kostete mich einiges an Kraft, insbesondere nach dem, was hier vorgefallen war. "Nimm dir Wachen mit." Weiters kommentierte ich ihr Vorhaben nicht, das Haus zu verlassen. Sollte sie Kurzweil suchen, Ablenkung. Ich misstraute ihr in dieser Hinsicht nicht, obgleich die Befürchtung, sie mochte sich in die Arme eines anderen flüchten, so präsent wie eh und je war. Dann erhob ich mich, sah noch einmal auf sie hinunter und würde dann wohl gehen, wenn es nichts weiter zu erwidern gab. Ich fühlte mich hohl, eine leere Hülse, ausgebrannt. Nicht gut, obgleich ich doch einen Erfolg erzielt hatte.

    Es war der Tag, an dem Decima Seiana ohnehin regulär im domus der Acta Diruna anzutrefffen war, um die korrigierten und überarbeiteten Artikel einzureichen. Die Senatssitzung, bei der man ihr die Führung der Acta übertragen hatte, war nur zwei Tage her. Ich hatte es so eingerichtet, dass ich selbst an jenem Tage ebenfalls hier war - und zwar, um meinen Schreibtisch zu räumen. Selbst wenn ich der Acta erhalten blieb, so diente dieser Raum doch dem auctor - in diesem Fall der auctrix - als Arbeits- und Empfangsbüro, und ich wollte ihn ihr nicht vorenthalten. Viel Persönliches hatte ich hier nicht, weswegen die kleine Holzkiste auch rasch gefüllt war. Ich legte gerade ein Siegel mit meinem Namen und dem Zusatz actor Actae Diurnae in die Kiste, als Ion eintrat. "Sie ist gerade gekommen, Herr", sagte er. "Danke, Ion. Bringst du sie her?" Der Sklave nickte und verschwand, derweil ich Kiste Kiste sein ließ und die beiden vorbereiteten Becher mit Wein aus dem parat stehenden Krug befüllte.

    Sie versprach es. Ich betrachtete sie, fragte mich, ob sie es ernst meinte. Doch ich glaubte nicht, dass sie mich erneut belog - und wenn doch, dann war sie eine grandiose Schauspielerin. Dennoch nickte ich langsam. Ich wusste nicht, ob ich ihr das so schnell verzeihen konnte. Und ich hatte keine Ahnung, wie man herausfinden sollte, ob sie überhaupt noch schwanger werden konnte. Ihr musste ebenso wie mir klar sein, dass ich nicht endlos warten konnte auf einen Erben. Ich verzichtete darauf, ihr das in Erinnerung zu rufen. Allmählich wurde ich ruhiger.


    Schließlich gab es noch eine Sache, die geklärt werden musste, auch wenn sie das nun vollends treffen würde. "Ich werde dich bevorzugen, Celerina. Das habe ich immer getan. Du stehst an meiner Seite. Du wirst die Mutter meines Erben sein. Dir gehört alles, was ich dir bieten kann." Ich sog prüfend die Luft ein und atmete langgezogen wieder aus. "Was ich im Gegenzug verlange, ist Toleranz. Ich habe dir nie einen offensichtlichen Grund gegeben, dich so zu verhalten. Das werde ich auch weiterhin nicht tun. Ich gab dir ein Versprechen gegeben in der Hoffnung, keine Diskussionen mehr führen zu müssen, denn ich bin sie leid, Celerina. Ich war bereit, meine letzte Aussicht auf ein wenig Frieden gegen die Zufriedenheit meiner Frau einzutauschen. Und nun stehen wir hier. Ohne zu wissen, ob eine Schwangerschaft überhaupt möglich ist." Meine Mundwinkel zuckten, mein Kopf pochte dröhnend. "Ich werde mich an diese Abmachung nicht halten. Nicht nach dem hier." Und in jenem Moment ging es mir sehr viel weniger um den Sex denn um den tatsächlichen Frieden. Den Hauch Geborgenheit. Zärtlichkeit, ohne die jeder Mensch auf Dauer abstumpfte. "Du kannst entscheiden. Ich werde der sein, den du dir wünschst, in der Zeit, die wir zusammen verbringen. Ich werde dich respektieren und achten. Und ich werde dir keinen Anlass geben, dich zurückgestellt zu fühlen."

    Vala wählte seine Worte mit Bedacht und Sogfalt. Ich hatte es von ihm nicht anders erwartet. Er war der Kandidat, dessen Antrittsrede ich in diesem Jahr das größte Interesse schenkte, was selbstverständich an unserer gemeinsamen Arbeit gelegen hatte. Er hatte geendet und ein Raunen ging durch den Saal. Hier und dort hörte man Skepsis seiner Abstammung wegen: Ein Duccier im Senat! Wann hatte es das zuletzt gegeben - hatte es das überhaupt schon gegeben? Leise Vergleiche wurden gezogen zu Annaeus Florus, der als Peregriner geboren worden war und nun in unseren Reihen saß.


    "Als gewesener Ädil kann ich die geleistete Arbeit des candidatus nur als hervorragend bewerten. Duccius Vala war während unserer gemeinsamen Arbeit verlässlich und belastbar, er koordinierte nicht nur erfolgreich die Organisation der Spiele anlässlich der Megalesia, sondern meisterte auch die übrigen anspruchsvollen Anforderungen mit Bravour. Der Senat würde mit ihm einem engagierten angehenden Politiker zu der Möglichkeit verhelfen, sein Können und sein Engagement dem Wohle der Gemeinheit zu widmen. Ich werde für ihn stimmen."

    Ich verhielt mich nicht besonders nett, das war mir durchaus bewusst. Doch konnte ich nicht anders. Celerina trug die Schuld daran. Es war schlimm genug, dass dieser Pirat sie benutzt und befleckt hatte. Dass er sein Vermächtnis in ihr platziert hatte wie eine Fliege ihr Ei, einem Parasiten gleich, der erst lange Zeit danach dem Wirt zum Verhängnis wurde, ihn langsam von innen zerfraß, bis er an die Oberfläche seiner Zerstörung drang und sich hämisch grinsend offenbarte. Celerina jammerte und klagte gepeinigt, sie musste mich dafür hassen, dass ich sie damit konfrontierte. Doch ich konnte keine Rücksicht nehmen, das hatte ich lange genug getan. Ich musste endlich erfahren, woran ich war, und ich duldete keine Ausflüchte, keine Lügenmärchen mehr.


    Dennoch wirkte sie wie ein Häufchen Elend, schluchzend und aufgewühlt. Sie wünschte sich ein Kind, zumindest sagte sie das. Ob ich ihrem Wort trauen konnte? Ob sie nicht wusste, dass sie nicht mehr fähig war, eines auszutragen? Ob sie es bedauerte? Oder waren uns die Götter nicht gewogen? Ich dachte an das versprochene Opfer. Ich würde dafür sorgen, dass es keine negativen Vorzeichen mehr gab. Das war es, was ich tun konnte, und das würde ich tun. Ich ging langsam auf Celerina zu. Vor dem Bett blieb ich stehen und sah auf sie hinunter. Sie war eine gute Matrone - für die Öffentlichkeit. Doch in privatim war sie eine Katastrophe. Sie spielte ein falsches Spiel nach dem anderen mit mir. Zögernd setzte ich mich auf den Rand des Bettes. Das war alles, dessen ich jetzt fähig war. Ich berührte sie nicht. Ich bemitleidete sie nicht. Ich bedauerte lediglich diese Situation. Ob ich ihr glauben konnte, dessen war ich mir nicht sicher. "Du wirst so etwas nie wieder sagen", sagte ich aufgeräumt und spielte auf die Bemerkung an, die sie gemacht hatte, bevor ich kommentarlos gegangen war.

    Sie redete wirres Zeug. Als hätte ich sie schon einmal geschlagen - wenngleich die Bereitschaft dazu in den letzten Tagen und ob der Vorkommnissen immer weiter angestiegen war. Dennoch - sie war eine Frau. Die meine, um genau zu sein. Fakt jedoch war ebenfalls, dass sie nicht auf meine Frage antwortete. Ich verstand nicht, dass meine fast schon wieder vergessene Formulierung vorhin sie zurück in die Vergangenheit geworfen haben könnte, darob ich sie unverständlich ansah. Ich sagte nichts auf ihre Worte, ich antwortete auch nicht auf ihre Frage. Sie war schließlich nicht blind, sie sah mich, und wer hätte es auch sonst sein können? Die steile Falte auf meiner Stirn nahm noch an Vertiefung zu, während ich die schwache Bewegung ihrer Hand verfolgte. Sie streckte sie nach mir aus, und um ein Haar hätte ich einen Schritt gemacht, ihr entgegenzukommen. Doch ich hielt mich zurück. Wäre die Lage anders gewesen, hätte ich nun vielleicht anders reagiert. Doch ich war diese Possen leid, dieses Theaterspiel, das Auf und Ab der Nerven. Ich würde mich hier nicht länger zum Narren halten lassen, auch ob eines solchen Gebaren nicht. Ich ließ lediglich die Klinke los, die ich noch mit einer Hand gehalten hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust, schweigend, und erneut mit aufkeimendem Ärger. Sie sollte reden!


    Und das tat sie dann auch, doch nicht eben zufriedenstellend. Celerina war kaum zu verstehen. Sie entschuldigte sich, und ich schob mit rasenden Gedanken meinen Unterkiefer ein wenig vor. Bei einer Kurpfuscherin also. Ich sog die Luft mit geschlossenen Augen ein und sah dann zur Decke empor. Es brauchte einen Moment, bis ich sie wieder ansehen konnte. Sie weinte immer noch, und mir wäre auch fast zum Heulen zumute gewesen. "Du kannst keine Kinder mehr bekommen. Ist es nicht so? Du hast mich zum Narren gehalten." Meine Stimme klang bitter, als ich von meinem Platz an der Tür aus das Wort an sie richtete. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Diese Lüge oder die Tatsache, dass es so war. Doch - ich wusste es. Mit der Lüge konnte ich leben.

    Jeder Schritt brachte mich ihr näher, jeder Schritt brachte mich der Wahrheit näher. Was würde ich tun, wenn sie es gestand? Ich wusste es nicht. Würde ich mich beherrschen können? Würde ich erneut außerstande sein, dazu etwas zu sagen? Ich dachte an alles und nichts, denn ich war des Denkens kaum noch fähig. All das Theater, alles Buhlen und Streiten, all die Tiefen und der Gram - umsonst. Nichtig, angesichts dieser Eröffnung, die ich auch so schon als gegeben annahm. Wieso auch hätte sie dies sonst sagen sollen?


    Ich hielt mich nicht einmal mit einem Klopfen auf - die Tür stand ohnehin noch in derselben Position wie ich sie zurückgelassen hatte. Ich trat direkt ein und schloss die Tür nicht eben sanft, ließ atemlos eine Hand an der Klinke und starrte zum Bett, auf dem meine Ehefrau lag, vergraben in den Kissen und Decken. Sollte sie heulen - es war mir gleich. "Du sagst es mir", stieß ich hervor, und meine Stimme klang weitaus weniger fest, als ich es mir gewünscht hätte, doch fordernd, und ich sagte es endgültig, denn eben dies war es. Ich war mir sicher, dass Siv sofort gewusst hätte, dass mir diese Worte nicht leicht fielen und dass ich zerrüttet war, innerlich. Doch von Celerina konnte ich wohl kaum erwarten, dass sie das erkannte - dass sie mich auch nur ansatzweise kannte und verstand. "Du wirst mir sagen, was du getan hast. Auf der Stelle. Oder ich schwöre beim Stein des Iuppiter, dass ich...." Ich endete in einem langsamen Kopfschütteln, um ein Haar wäre mir gar die Stimme versagt. Celerina würde sich ausmalen können, was geschehen würde. Es war nicht selten, dass ein Mann seine Ehefrau verstieß, weil sie sich als unfähig erwies, ein Kind zu tragen. Ich musste an mich halten, ihr nicht zu zeigen, wie es mir damit ging.

    Ich ging einfach weiter. Ich sah mich nicht um, ich reagierte nicht auf ihre Fragen und ich ließ sie allein. Ich wollte nur noch hinaus aus diesem Zimmer, hinaus aus ihrer Gesellschaft, die mir unerträglich geworden war. So viel Sinn diese Ehe noch gehabt hatte, so wenig bedeutete sie mir nun noch. Einzig die Familie, die hinter Celerina stand, war ein Grund, sie weiterhin zu ertragen. Sie enthielt mir meinen Erben vor, hatte es womöglich die ganze Zeit schon getan, ohne dass ich Lug und Trug durchschaut, ja auch nur vermutet hatte! Siv hatte die ganze Zeit über richtig gelegen. Warum wohl hatte die erste Ehe Celerinas keine Kinder hervorgebracht? Weil sie es zu verhindern gewusst hatte!


    Blindlings lief ich durch das Haus zum Peristyl, stieß die Tür regelrecht auf und floh hinaus. Ich schien mich nicht weit genug von ihr entfernen zu können, nicht genügend Abstand zwischen und bringen zu können. Da war diese Blockade in meiner Kehle, ein beklemmendes Gefühl um die Brust herum. Und da war der Wunsch, diese Ehe niemals eingegangen zu sein. Ich wäre frei gewesen, ungebunden, ich hätte mich niemals in diese Lage bringen müssen, vor allen anderen diese Misere verschleiern zu müssen. Ich hätte nie diese Enttäuschung gespürt, die unendliche Frustration, die mich ohnmächtig und wütend machte, die mich bereuen ließ, mir ausgerechnet dieses Weibsstück ausgesucht zu haben. Das ging so weit, dass ich an meinen Sohn dachte, den einzigen, den ich hatte - vielleicht jemals haben würde. Der einzige, der meinen Namen vielleicht forttragen würde, und mochte der Skandal noch so groß sein, mochte sich der Pöbel das Maul zerreißen über den senatorischen pontifex, der den Sohn einer Freigelassenen annahm.


    Unter meinen Fingern spürte ich die knorrige Rinde eines Baumes, ebenso unter meiner Stirn, da ich an ihm lehnte und selbst Mühe hatte, zu atmen. Irgendwo auf dem Weg hierher hatte ich mir zumindest die tunica übergezogen. Es war sehr früh, zu früh für die Familie, zu früh vielleicht für die meisten Sklaven. Ich war allein; und ich realisierte in diesem Moment, wie allein ich wirklich war. Ein gequältes Keuchen durchschnitt die Luft - es war meines. Wie viel Leid konnte ein Mensch ertragen, bis er endgültig zerbrach? Es riss mich ohnehin schon entzwei, und allein die Vorstellung davon, dass Celerina mich während all der Monate betrogen hatte, mich um meinen Erben betrogen hatte, war kaum zu ertragen.


    Ich wusste nicht, wie lange ich hier stand, an den Baum gelehnt. Die Sonne war bereits hinter den Wipfeln erschienen. Doch irgedwann wusste ich, was ich zu tun hatte, und ich wappnete mich dagegen, gegen die Offenbarung, die Bestätigung seitens Celerinas. So sehr es mich zu Siv zog, in ihre Arme, um mich zumindest ein wenig geborgen zu fühlen - auch wenn dies wohl nach dem gestrigen Tage auch nur Illusion war, so entschlossen war ich, Celerina nun zur Rede zu stellen. Mit unbewegter Miene machte ich mich auf den Weg zurück in Haus.