Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    "dominus, es ist eben ein Brief von Tiberia Septima gekommen. Per Bote, es scheint wichtig zu sein", informierte mit Caecus, der soeben den Kopf zur Tür hinein steckte. Septima schickte einen Boten? Ich überlegte, wann ich den Brief hatte verschicken lassen. Sie musste sofort geantwortet haben. Ich winkte ihn hinein. "Zeig her", sagte ich, und Caecus trat ein, um mir den Brief zu lesen zu geben.


    Als ich ihn sinken ließ, war ich nachdenklich. Caecus wartete geduldig, bis ich mich gesammelt hatte. Septima war also bereits auf dem Weg hierher. Natürlich, was sie schrieb, machte Sinn. Dennoch bot dieser Besuch Konfliktpotential zwischen Celerina und ihr. Ich seufzte tief. "Caecus, suche meine Frau und sage ihr, dass ich sie sprechen muss. Ich werde hier auf sie warten", wies ich ihn an, und der Sklave verschwand. Das Opfer war für morgen geplant, ich hoffte, dass diese Neuigkeit nun nicht alles durcheinander würfeln würde.

    Ich nickte dem Opferdiener zu, bot meiner Frau hernach den Arm, um sie die Stufen empor und zum Tempel zu geleiten. Über Rom spannte sich heuter ein hellblauer Himmel, nur durchzogen von weißen, kleinen Wolken, die wie Nebelfetzen herab hingen. Es würde ein schöner Tag werden. Stufe um Stufe erklommen wir, bis wir alsbald durch den Eingang des Tempels schritten. Nur wenige Schritte entfernt ragte das Wasserbecken empor, herrliche Fresken bedeckten den marmornen Sockel mit der auf Hochglanz polierten Silberschale. Sie zeigten die Göttin in verschiedenen Situationen, als Heilspenderin, Wächterin, Königin. Ich tauchte meine Hände in das klare, kühle Wasser, verweilte einen Moment gedankenversunken in dieser Position. Erst einen Moment später sprach ich leise die rituelle Formel. "Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. ita est." Es plätscherte leise, als das Wasser meine Hände wieder freigab und Celerina Platz machte. Ein fröhlicher Laut, schoss es mir durch den Kopf. Ein kleines Wasserspiel im aurelischen Garten fehlte dort eigentlich noch.


    Die Sklaven hatten derweil die Opfergaben auf einem Nebentisch platziert. Celerina und ich würden sie abwechselnd der Göttin darbieten, so hatten wir es abgesprochen, denn eine gemeinsame Bitte bedingte gleichsam auch gemeinsame Interaktion. Leises Summen war zu hören, ein Singsang, der ein anderer Opfernder wie in Trance von sich gab. Nur wenige Worte waren zu verstehen, und doch klang es klagend, und in dieser Situation bescherte mir diese Tristess ein ungutes Gefühl. Weihrauch schwängerte die Luft, Myrrhe war zu riechen und andere Kräuter. Dies hier erschien mir plötzlich unwirklich.

    "Sehr schön. Gut, dann hätten wir alles geklärt, was mir wichtig war, Iunia, und wenn du sonst keine weiteren Fragen hast, würde ich sagen, dass wir uns spätestens bei einem Besuch meinerseits wiedersehen." Denn hin und wieder kam ich schließlich bei den Ausbildern und ihren Schützlingen vorbei, um den Stand der Ausbildung zu beurteilen. Ich erhob mich, um Serrana zur Tür meines Arbeitsraumes zu bringen. "Ich danke dir für dein Kommen. Und ich wünsche dir natürlich alles Gute", fügte ich hinzu und deutete dabei auf ihren flachen Bauch, der schließlich bald eine stattliche Wölbung vorweisen würde, wie ich annahm. Ich ging um meinen Schreibtisch herum und blieb zwischen Serrana und der Tür stehen. Eine angenehme junge Dame, wie ich fand.

    Als Durus endlich sprach, verschluckte ich mich kurzerhand am Wein. Mit einem Klacken platzierte ich den Becher auf dem Tisch, ehe ich die Contenance verlieren und ihn ob dieser Neuigkeiten gegen eine der wunderschön bemalten Wände werfen konnte. Dennoch gelang es mir für Sekunden nicht, meine Fassungslosigkeit zu verbergen. Laevina war also mit einem fremden durchgebrannt, gen Osten. Wütend presste ich die Kiefer zusammen, dennoch versuchend, selbige Rage zu verbergen, was mir angesichts der Thematik kaum möglich war. Durus' entschuldigende Miene kam mir nicht aufgesetzt vor, doch fand ich sie fehl am Platz. An seiner Stelle wäre ich außer mir vor Zorn. Nun, ich war es auch an meiner Stelle. Dieses undankbare Gör! Hatte sie denn keinen Verstand im Kopf? Einen Consular derart vor den Kopf zu stoßen, die Familie, das Bündnis damit in Gefahr zu bringen! Blinzelnd sah ich nun selbst zu Boden, sprachlos ob dieser Offenbarung - obgleich Durus mir ein wichtiges Detail verschwiegen hatte, was ich weder bemerkte noch vermisste. Im Geiste gab ich Brix bereits die Anweisung, einen Trupp Männer zusammenzustellen, der sie aufspüren und hierher bringen sollte, koste es, was es wollte. Sie würde sich dieser Verantwortung nicht entziehen, selbst wenn Durus die Scheidung wollte - was ich nur als absolut legitim, sondern auch als absolut verständlich betrachtete.


    Als ich wieder aufsah, stand nurmehr eine steile Falte auf meiner Stirn. "Ich verstehe", erwiderte ich zunächst. Vielleicht klang es reserviert für Durus, doch resultierte dieser Ton lediglich aus meinem Ärger über die undankbare, naive Laevina. Nun, immerhin würde die Ehe von Ursus und Septima weiterhin Bestand haben, und Arvinia und Orest würden, so sich Orest endlich wieder in der Öffentlichkeit zeigte, auch bald das Bündnis stärken. Dennoch, der Consular würde wieder heiraten wollen, davon ging ich aus. Ich räusperte mich und sah Durus an. "Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich ihr Verhalten erbost, Durus. Sie wird aufgespürt werden und die Konsequenzen ihres Verhaltens tragen. Nichtsdestotrotz verstehe ich deine Entscheidung." Prisca erschien vor meinem inneren Auge, dann Flora. Ich seufzte leise, schüttelte ansatzweise den Kopf und wirkte mit einem Mal so, wie ich mich fühlte: Müde. "Ich biete dir selbstverständlich einen Ersatz an." Dass dies der Bündnispolitik dienlich sein sollte, musste ich nicht explizit erwähnen, erst recht nicht bei einem Mann wie Durus.

    Schon bei unserem ersten Aufeinandertreffen hatte ich unterbewusst nach Dingen gesucht, die mir an diesem Sklaven missfielen. Nach den Worten Aedans hatte ich mir vorgenommen, den Sklaven näher unter die Lupe zu nehmen. Es war mir bereits sauer aufgestoßen, wie er sich verhalten hatte, als ich zu Celerina hinzugestoßen war an jenem Tage, da sie ihn zum Geschenk erhalten hatte. Nun trat der Sklave ein, sprach mich auf Griechisch an, und sogleich missfiel mir erneut etwas. Er nannte mich beim cognomen, wie es Freunde taten oder auch - wohlgemerkt - langjährige und treue Sklaven. Mit ihm jedoch hatte ich bisher kaum mehr als fünf Sätze gewechselt. Ich deutete auf den runden Tisch vor dem Fenster mit seinen vier Stühlen. "Setz dich", forderte ich ihn auf. "Ich möchte von dir wissen, für welche Aufgaben dich meine Frau vorgesehen hat", erklärte ich, ohne etwas an meiner Haltung zu verändern. Zwar sprach ich Griechisch, da ich es dank meiner Abstammung und der damit verbundenen, hervorragenden Ausbildung recht gut beherrschte, doch würde dieser Sklave schnellstmöglich sein Latein aufbessern müssen. Ob ich ihn auf Latein antworten lassen sollte?

    Es hatte kaum einen halben Tag gebraucht, bis die Worte des gallischen Sklaven Aedan sich soweit in mich hinein gefressen hatten, dass ich den Ägypter zu mir rufen ließ. Während ich wartete, lehnte ich rückseitig an meinem Schreibtisch, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick auf die nur angelehnte Tür gerichtet. Ungeduldig tippte ich ab und an mit der rechten Fußspitze auf den Boden. Vielleicht würde ich auch mit Celerina darüber noch reden, obgleich mir nach allem anderen der Sinn stand außer nach dieser Unterhaltung. Ich war es so müde, immer wieder davon zu beginnen.

    "Vielleicht", antwortete ich mehr ausweichend als bestätigend. Ein Legat sollte seine Legion nicht lange allein lassen, und die Reise lohnte sich nicht, um sie für wenige Tage zu unternehmen. Irgendwann würde Ursus wohl wieder nach Rom kommen und dann sah man weiter, doch ich vermutete ehrlicherweise, dass er mehr als froh war, insbesondere mich nicht mehr sehen zu müssen. Wie dem auch immer war - ich konnte dem Sklaven keine Antwort darauf geben, die unweigerlich stimmte. Was der Sklave dann sagte, ließ mich im übertragenen Sinne die Ohren spitzen. Okhaton, so hieß der Ägypter, war also häufiger bei Celerina. Er war immerhin ihr Sklave, sagte ich mir. Und dennoch keimte in mir dasselbe Gefühl auf, das Phraates damals dort hineingepflanzt hatte. Ich schwieg und sah Aedan forschend an, nachdenklich. Der Ägypter übte aufpassen. Das war interessant. Ich verschob grimmig den Unterkiefer gegen den oberen und atmete langsam aus. Was musste ich denn noch tun, um Celerinas Umfeld sicher zu wissen? Ich richtete den Blick auf die zarten Blüten zu meinen Füßen, seufzte schlussendlich und überlegte, was ich dazu sagen konnte.


    "Nun", begann ich dann, darauf bedacht, Aedan nicht unbedingt wissen zu lassen, dass seine Worte eine gewisse Befürchtung in mir hatten aufkeimen lassen. "Ich selbst bin sehr häufig unterwegs. Wenn sie dich offensichtlich nicht benötigt oder dich entbehren kann, könntest du auch mich begleiten." Ich warf ihm einen seitlichen Blick zu. "Und ich empfehle dir, Brix aufzusuchen und ihm das zu erzählen, was du mir eben sagtest. Vielleicht hat er andere Aufgaben für dich." Ich warf einen erneuten Blick zum Haus, seufzte tief und hob eine Schulter. "Wie mir scheint, braucht Siv noch eine Weile. Ich habe allerdings gleich einen Termin, also werde ich dir erklären, was ich für eine Aufgabe für euch habe. Ich habe neulich einer Inspektion des atrium Vestae beigewohnt, und es ist mir ein Anliegen, den Vestalinnen eine kleine Freude zu machen - zumal Narcissa unter Umständen bald eine von ihnen sein könnte. Ich möchte, dass ihr drei der Orchideen ausgrabt und dorthin bringt. Nehmt diese hier, diese violette und die weiße dort drüben." Ich deutete nacheinander auf die Pflanzen, die allesamt keine einzigartigen Pflanzen, sondern mehrfach vertreten waren, und sah anschließend Aedan wieder an. "Ihr solltet sehr vorsichtig damit umgehen. Siv weiß bescheid. Ich möchte, dass ihr die Pflanzen einer gewissen Claudia Romana übergebt. Sagt ihr, dass sie sie als kleine Aufmerksamkeit meinerseits verstehen soll, die sich in die Vollkommenheit des Gartens des atrium Vestae einreihen soll. Mir hat er sehr gefallen."


    Ich hielt kurz inne, mein Blick ruhte auf Aedan, als mir etwas einfiel. "Sag, Aedan, besitzt du ein gutes Namensgedächtnis?"

    Es war beunruhigend gewesen, zu hören, was Minus aufgeregt erzählte. Dass ich zu jenem Zeitpunkt bei Celerina lag und wir einen weiteren Versuch unternahmen, einen Erben zu produzieren, war dabei nur zweitrangig. Ich zog mich unvollendeter Dinge zurück, denn es erschien mir äußerst verdächtig, dass Durus in Trauerkleidern hier auftauchte, wo er mit Laevina verheiratet war. Ich brauchte nicht lang, bis ich angekleidet war und Celerina verlassen konnte, nicht ohne eine halb ernst gemeinte Entschuldigung und dem Angebot, hinzustoßen zu können, wenn sie mochte. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei dieser Sache und ging davon aus, dass Laevina etwas zugestoßen sein musste.


    Nur noch leicht erhitzt betrat ich die exedra, erfasste mit einem Blick die Situation und schritt zügig auf Durus zu, deutliche Sorgenfalten auf der Stirn und ausgestattet mit einem ernsten Blick. "Durus", grüßte ich den Consular, Kollegen und Freund, reichte ihm meine Hand zu einem knappen Gruß und setzte mich dann in den Sessel ihm gegenüber. Die Sklavin hatte mir bereits Wein eingeschenkt, und ich griff danach, während ich sprach. "Ich muss sagen, dass mich deine Aufmachung erschreckt - es geht Laevina doch gut?" war meine erste Sorge, und ich nahm rasch einen Schluck Wein.


    Ad
    Tiberia Septima
    castellum legionis I zu Mantua
    Italia



    M. Aurelius Corvinus Tiberiae Septimae s.d.


    Es hat mich gefreut, von euch zu hören, liebe Septima. Ich habe deinen Brief bei einer gemeinsamen cena vorgelesen und soll dir und Titus von jedem herzliche Grüße bestellen, was ich hiermit tue. Dem bleibt eigentlich nichts weiter hinzuzufügen, abgesehen natürlich von der Tatsache, dass ich dir ebenso herzlich gratulieren möchte. Titus wird gewiss platzen vor Stolz.


    Gern würde ich dir wie gewünscht von Heldentaten berichten, doch gibt es bedauerlicherweise nicht allzu viel, was ich dir diesbezüglich schreiben könnte. Orest hat sich zurückgezogen, ebenso wie Avianus und Pegasus es getan haben, ohne dass ich dir hierfür einen Grund nennen könnte. Imbrex allerdings ist aus Sardienien zurückgekehrt, obgleich er mir nur einen mäßg erholten Eindruck macht. Einzig Lupus stürzt sich derzeit in die Arbeit, er assistiert Flavius Furianus bei seinen Aufgaben und bemüht sich, dem collegium der haruspices positiv aufzufallen. Ich selbst wate seit einigen Wochen durch die endlosen Litaneien der Rechtswissenschaften, um mich angemessen auf die Prüfung des cursus Iuris vorbereiten zu können. Zudem habe ich die Führung der Acta Diurna an meine Klientin Decima Seiana übertragen, was es mir ermöglicht, mich anderen Dingen wieder mehr zuzuwenden. Flora ist sehr still geworden, seitdem ihr fort seid, und ich fürchte, ich habe Narcissa etwas von ihrer Lebensfreude genommen, indem ich ihr vom Wunsch ihres Bruders und ihrer Mutter berichtete, sie dem Kaiser für eine Vestalin vorzuschlagen. Prisca hat dir bereits geschrieben und selbst berichtet, so schließe ich aus deinem zweiten Brief. An dieser Stelle möchte ich mich nochmals entschuldigen, dass erst jetzt deinen hungrigen Fingern ein Brief von mir unterkommt. Die Geschehnisse der letzten Zeit waren recht rasant, so dass ich nicht zum Schreiben gekommen bin.


    Celerina und ich werden in der kommenden Woche erneut der göttlichen Iuno opfern, denn uns wurde der Segen bis zum Zeitpunkt dieses Briefes nicht zuteil, was mich zu deiner nächsten Frage bringt. Du bist, liebe Septima, ein gern gesehener Gast in diesem Hause, jedoch kann ich dir nicht sagen, wie Celerina es aufnehmen wird, das Kind unter deinem Herzen sehen zu müssen. Es grämt sie sehr, dass all unsere Bemühungen fehlschlagen, und es wäre ungerecht dir gegenüber, würde ich dir diese meine Sorge verschweigen.


    Ein letztes noch, das vermutlich weitaus unangenehmer für dich sein wird, so dein Verwandter Durus dich nicht bereits informiert hat. Ich bitte dich inständig, Stillschweigen darüber zu wahren - Titus ist hier selbstredend ausgenommen. Laevina hat, wie du weißt, Durus geheiratet. Nun scheint sie nicht nur mit einem Geliebten auf und davon, sondern gleichsam in anderen Umständen zu sein, was ein Skandal sondergleichen und zudem einen herben Knacks in der Beziehung unserer Familien bedeutet. Doch ist das nicht alles - Durus setzte mich an demselben Tag ebenfalls in Kenntnis darüber, dass das Verlöbnis zwischen Orest und Tiberia Arvinia als gelöst betrachtet werden kann. Es wird dir nicht verborgen bleiben, dass damit eine schwierige Zeit für uns alle anbricht. Ich bitte dich, mich unverzüglich zu informieren, sollte Laevina unerwartet in Kontakt mit dir treten.


    Die Götter mit dir,


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    ROMA, ANTE DIEM XVI KAL SEP DCCCLX A.U.C. (17.8.2010/107 n.Chr.)


    Laute Rufe taten kund von dem Aufmarsch, der sich an jenem Tage zutrug. Sie hallten der Sänfte voraus, die sanft Celerina und mich schaukelte, schufen Platz und sorgten bedauerlicherweise auch für Aufsehen, auf das ich selbst gut hätte verzichten können. Flavier wie Aurelier waren gleichsam hierüber informiert und zugleich eingeladen worden, dem Opfer beizuwohnen, ein Zug aus Klienten, Sklaven und engen Vertrauten begleitete uns. Mir kam der Auflauf beinahe eine Spur zu groß vor. Doch es musste sein, allein schon, um Celerinas Glauben an die große Göttin nicht weiter wanken zu lassen. Sie würde ihren Zuspruch brauchen und ihren Rat, so Iuno gewillt war, uns ein Kind zu schenken. Hatte ich mich am frühen Morgen noch wie ein Schauspieler im Theater gefühlt, durchflochten von Zweifeln und schlechtem Gewissen, so war ich nun, hier in dieser Sänfte, der Mann, der ich sein musste. Ich hatte mir die größtmögliche Mühe gegeben, jedweden Gedanken zu vertreiben, der nicht eng mit diesem Opfer in Zusammenhang stand, und mehr oder minder war mir dies gelungen. So ergriff ich die Hand meiner Frau mit dem Gefühl, dass uns nicht mehr, doch auch nichts weniger verband, als der Wunsch nach einem Kind. Ich schenkte ihr ein Lächeln, das nicht meine Augen erreichte, doch Aufmunterung signalisierte. "Du wirst sehen, es wird alles gut gehen dieses Mal", sagte ich zu ihr.


    Es war alles vorbereitet worden für dieses Opfer. Keine Mühe war gescheut worden, denn das Anliegen war uns ein wichtiges - das wichtigste überhaupt, bedachte man die Geschehnisse der letzten Zeit. Unserer Sänfte folgten drei Sklavinnen. Sie alle trugen Gefäße, die Opfergaben beinhalteten, ausgesucht nach bester Qualität und hervorragendem Aussehen. Die Angelegenheit war mir zu kostbar erschienen, um gewisse Dinge dem Zufall zu überlassen - oder auch nur der Beurteilung eines Sklaven, und so hatte ich mich der Auswahl selbst angenommen. Hinter den Sklaven folgte ein weiterer, ein filigranes Gefäß schwenkend, das den wohligen Geruch nach einer guten Weihrauchmischung verbreitete, und durch den weißlichen Dunst hindurch konnte man das herrlich geschmückte, weiße Tier sehen, welches von einem Sklaven hinterdrein geführt wurde.


    Bald wurde die Sänfte am Rande des Tempelvorplatzes abgesetzt. Ich bot Celerina eine Hand und half ihr aus der Sänfte, nachdem meine toga gerichtet worden war. Nun Zusammenhalt zu zeigen, erschien mir überaus dringlich. Ein flinker Opferdiener kam uns bereits eingegen geeilt. "Es ist alles bereit", verkündete er, als er vor uns inne hielt.

    Ich schwieg. Das tat ich eine ganze Weile, auch als Prisca mich fragte, ob es mein Ernst sei, ihr den Umgang mit Piso zu verbieten. Sie bezeichnete sich selbst als Ware, sprach von Marktwert - und traf mich damit, denn genau das war Prisca eben nicht für mich: Ware. Ich liebte sie wie meine Schwester, ich hätte alles getan, um sie zu schützen, und das würde ich auch weiterhin tun. Und wenn ich Flavius Piso mit meinen eigenen Händen würde erwürgen müssen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, nur dazusitzen und Prisca in ihrem Gram anzusehen, nachzudenken. "Prisca", appellierte ich an ihre Einsicht. "Er hatte die Möglichkeit dazu, doch was hat er getan? Er hat abgelenkt! Nicht ein Wort der Entschuldigung kam über seine Lippen." Ich hätte sie vermutlich ohnehin nicht hören wollen, aber dennoch - er hatte sich entschuldigt, salopp und bei Prisca. Doch nicht bei mir. Mir hatte er gedroht."Im Gegenteil, er reagierte sogar noch schnippisch. Was soll ich davon halten, Prisca? Ein Mann von Ehre hätte es gar nicht erst so weit kommen lassen. Ein Mann mit Anstand hätte zumindest die Geistesgegenwart besessen, sich angemessen zu entschuldigen und darauf verzichtet, mir zu drohen." Erneut schüttelte ich den Kopf. Das Bedürfnis, aufzustehen und erneut hin und her zu gehen, wurde immer stärker. Ich zwang mich dennoch, sitzen zu bleiben, und als Prisca von Begierde sprach, wich die Anspannung schlagartig aus mir. Begierde! "Ja", erwiderte ich zutiefst sarkastisch. "Das kann ich mir vorstellen, danach sah es aus." Ich warf Prisca einen enttäuschten Blick zu. Rosaroter Nebel umwölkte ihren Verstand, anders konnte ich mir die Uneinsichtigkeit nicht erklären.


    Ich erhob mich nun doch, machte zwei Schritte in die eine, dann zwei in die andere Richtung. Anschließend blieb ich vor meiner Nichte stehen. "Du glaubst, es sei mir nicht wichtig, wie sich deine Zukunft gestaltet? Glaubst du das wirklich?" Ich sah sie kopfschüttelnd an, zutiefst enttäuscht, und ließ ihr keine Möglichkeit für eine Erwiderung. "Dann dürfte es dir nicht schwer fallen, meine Entscheidung bezüglich deines Buhlen zu akzeptieren. Du wirst ihn nicht noch einmal treffen, Prisca. Er wird dich nicht benutzen und fortwerfen." Verstand sie denn nicht? Irgendwann würde ein Mann kommen, dem ich Prisca guten Gewissens würde geben können. Der anständig war und aus gutem Hause kam. Bis dahin musste ich sie in Schutz nehmen, wann und wo immer ich konnte.

    Dass der Tiberier ob meiner kurzen Antwort die falschen Schlüsse zog, war mir natürlich nicht klar. Es war nur stets schwer, ein Gespräch am Laufen zu halten, wenn man selbst stets bereit war, ausführlich auf eine Frage zu antworten oder überhaupt auf jemanden einzugehen und jener Gesprächspartner einen dann selbst kurz und knapp abfertigte. Gerade von einem Tiberier hätte ich in dieser Richtung mehr erwartet. Genervt war ich daher nicht, jedoch nicht bereit, den jungen Mann vor mir zu unterhalten, wo er selbst sich außerstande sah, seinen Teil beizutragen. ;)


    "Nein, mehr gibt es nicht zu wissen, Tiberius", erwiderte ich. Grundsätzlich konnte jeder über alles schreiben, sofern er der Redaktion kurz das Thema bekannt gab, damit kein Artikel zweimal geschrieben wurde. Bald würde Seiana die auctrix sein, doch das wusste ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht, insofern gab es hierzu nichts weiter zu bemerken.

    Meine Brauen rutschten hinauf, als Aedan sprach. Einerseits irritierte mich, dass er mir das erzählte und nicht seiner Herrin oder Brix, der schließlich deswegen seinen Posten inne hatte, um sich darum zu kümmern - anderersetis hatte ich ihn gefragt und er antwortete lediglich. Insofern schenkte ich ihm meine Aufmerksamkeit, auch wenn ich mich selbst für den falschen Ansprechpartner in dieser Angelegenheit hielt.


    "Nun", begann ich, durchaus ein wenig ratlos, was ich erwidern sollte. Wenn der Sklave eine Freundschaft pflegte, konnte er das tun, solange er seine Aufgaben dabei nicht vernachlässigte. Darauf zu hoffen, dass ihn jemand freistellen würde, wäre unangemessen und töricht, immerhin war er kein Angestellter, sondern ein Sklave. "Ich kann nicht beurteilen, weshalb du dich mit den anderen nicht gut verstehst. Fakt jedoch ist, dass die Sklavenschaft meines Neffen nicht wieder hierher zurückkommen wird, und damit musst du dich abfinden. Manche Dinge geschehen im Leben nicht so, wie man es sich wünscht." Wie philosophisch, ausgerechnet von mir! Ich dachte ohne Umschweife an meine Ehe, drängte den Gedanken jedoch beiseite. "Was ist mit dem Ägypter meiner Frau?" Mir war der Name entfallen. "Oder mit dem Griechen, der meiner Nichte gehört, Patraios?" Jenen Namen indes hatte ich mir gemerkt. Ich warf dem Sklaven einen forschenden Blick zu. "Ich nehme an, du hast mit meiner Frau nicht darüber gesprochen", stellte ich mehr fest als ich nachfragte. "Vielleicht kann man dir andere Aufgaben zuweisen, obgleich mir deine handwerkliche Begabung durchaus schon Verwendung gefunden zu haben scheint, wenn es stimmt, was du sagtest." Meinetwegen würde Aedan auch mich einmal begleiten können, mir war es gleich, wie der SKlave hieß, solange er nur seine Aufgabe erfüllte. Doch das zu entscheiden, lag bei Celerina, und ich wollte nicht ein neuerliches Problem heraufbeschwören, indem ich Aedan mitnahm, wenn Celerina ihn vielleicht gerade brauchen würde.

    Ich saß in meinem Arbeitsraum, dumpf vor mich hin brütend. Eine Wachstafel lag vor mir, unberührt und jungfräulich, der Griffel direkt daneben, unangetastet. Ich hatte nicht einmal den Anflug einer Ahnung, was ich aufzeichnen wollte, ohnehin schweiften meine Gedanken ständig ab, zogen Kreise, die meine Ehe, meine Liebschaft umrundeten, meine Familie, Karriere, Zufriedenheit. In bunten Schlingen mäanderten meine Gedanken umher, ich selbst unfähig, länger über eine Sache nachzudenken oder gedanklich auch nur an einem Ort zu verweilen. Insofern kam die Ablenkung gerade recht. "Herein", sagte ich zerstreut, seufzte und stützte einen Ellbogen auf die Tischplatte vor mir, das Kinn auf die Handfläche gelegt, gerade als Avianus eintrat.

    Sie hatte geschwiegen? Interessant. Ich häte eher angenommen, dass Celerina ihre Wut über mich lautstark kund tun würde. Sie schaffte es immer wieder, mich dahingehend zu verblüffen. Ich erwiderte darauf nichts, was hätte ich dazu auch sagen sollen? Stattdessen griff ich nach meinem Becher und nippte nachdenklich daran, innerlich eine gewisse Gleichgültigkeit keimend. Die sich allerdings mit sofortiger Wirkung in Wohlgefallen auflöste, als ich näher über Charis' darauffolgede Worte nachdachte. Sie dachte also intensiv daran, schwanger zu werden. Wieder. Wieder? "Tut sie das", murmelte ich und ließ dabei offen, ob ich diese sinnlose Reise nach Puteoli meinte oder die Schwangerschaft an sich, denn ich bekam ohnehin nicht recht mit, was ich in jenem Moment von mir gab. Celerina wollte wieder schwanger werden. Was bedeutete, dass sie es bereits einmal gewesen war. "Charis", sagte ich in verlangendem Tonfall und sah sie ernst an. "Erklär mir das. Hat Celerina ein Kind verloren in ihrer vorangegangenen Ehe?" Eine andere Erklärung gab es schießlich nicht, nicht für mich. Und wenn sie mir das verschwiegen hatte, dann wohl nur aus einem einzigen Grund. Viele Frauen wurden danach nicht mehr schwanger, entweder niemals mehr oder aber sehr, sehr spät. Ich presste die Lippen zusammen und starrte Charis an.

    Ja. Jeder freute sich auf Nachwuchs. Natürlich. Ich wollte auch mich endlich dazu zählen. Ich dachte an Finn, meinen Sohn. Den, den ich nicht annehmen konnte, obgleich die Vorstellung stetig angenehmer wurde, obgleich sie doch eine Illusion blieb. Selbstverständlich ging das nicht - nicht ohne einen Skandal sondergleichen. Ich hob die Hand und rieb mir abgespannt über die Augen, seufzte dann leise. Ich hielt dieses Strahlen seitens Serrana kaum aus, und auch wenn es unhöflich war, so zu denken, so wollte ich sie nach dieser Neuigkeit nur noch schnell loswerden. Ich hatte das Gefühl, nirgendwo anders mehr hinsehen zu können denn auf ihren flachen Bauch, und darob heftete ich meinen Blick auf ihr Gesicht. "Nun ja, es ist sicher nicht verkehrt, die Suche aufzuschieben, doch wirst du sicherlich noch ein wenig mehr Zeit dazu haben", erwiderte ich und lehnte mich wieder zurück.


    "Nun, kann ich dir denn sonst noch behilflich sein? Gibt es noch Fragen deinerseits, die du beantwortet wissen möchtest?" fragte ich sie freundlich. Ihre Augen strahlten regelrecht. Ich entwickelte einen vollkommen absurden Neid auf den Germanicus, der seine Iunia schließlich erst vor kurzem geheiratet hatte. Celerina und ich versuchten es nun schon eine ganze Ewigkeit.


    Ad
    Quintus Flavius Flaccus
    villa Flavia in Roma



    M Aurelius Corvinus Q Flavio Flacco s.d.


    Bezug nehmend auf unser Gespräch teile ich dir hiermit den Namen des Ausbilders mit, der für deine Ausbildung in kultischen Belangen des cultus deorum Sorge tragen wird. Die aeditua heißt Iunia Serrana, sie ist die Gattin des Senators Sedulus von den Germanicern, du findest sie darob in der domus der Germanicer. Eine Kontaktaufnahme deinerseits ist gewünscht, um Organisatorisches vorab zu klären und dich mit deiner Lehrerin abzustimmen.


    Eine Abschrift der Urkunde zu deiner Ernennung zum discipulus des stadtrömischen Kultes liegt diesem Schreiben an.


    Mögen die Unsterblichen dich behüten.


    Für den cultus deorum
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    - senator et pontifex -




    ROMA, ANTE DIEM XVII KAL SEP DCCCLX A.U.C. (16.8.2010/107 n.Chr.)




    - ABSCHRIFT -


    IN NOMINE IMPERII ROMANI
    ET IMPERATORIS CAESARIS AUGUSTI


    ERNENNE ICH


    QUINTUS FLAVIUS FLACCUS


    ZUM


    DISCIPULUS
    - pro Italia -


    - DCCCLX AB URBE CONDITA -



    gez. i.A. des pontifex pro magistro
    Marcus Menenius Lanatus

    - REX SACRORUM -

    Es schien mir so, als ob der Flavius sich nicht länger mit mir unterhalten wollte als unbedingt nötig. Nun, da es mir fern lag, ein Gespräch zu erzwingen - obgleich ich den jungen Verwandten meiner Frau allein schon ob dieses Umstandes gern näher kennengelernt hätte - lag es mir doch fern, ihm ein Gespräch aufzuzwingen. So nickte ich denn und erhob mich, um den Besucher zu verabschieden. "Du wirst in Kürze Kenntnis darüber erhalten", versicherte ich ein letztes mal. "Es war schön, dich kennenzulernen", fügte ich alsdann höflich hinzu, obgleich ich doch nicht mehr über den Flavier wusste als zuvor. Ein Sklave trat heran, um den Gast hinauszugeleiten. "Grüße mir Flavius Gracchus."