"Äh ja, Großmutter ..." Unsere Familienverhältnisse, so verworren und diffus wie stets, hatten mich wieder einmal auf den Holzweg geführt, aber was machte es schon, Agrippina war Serenus so nahe gewesen, dass die Grenzen zwischen Mutter und Großmutter sicherlich verwischt waren. Wie auch immer, sie hatte eindeutig zuviel Einfluss auf ihn ausgeübt, und sicherlich nicht nur zu seinem Vorteil. Kaiser zu werden mochte für einen Patrizier ein hohes Ziel sein, aber man sollte sich stets vor dem Fehler hüten, es zu laut auszusprechen.
"Sie waren ineinander verliebt, Manius, das war meines Erachtens nach der einzige Fluch, an dem sie litten. In Arrecinas Alter ist es nicht erstaunlich, sich in einen stark wirkenden Mann zu verlieben, und dass Rutger alle Gelegenheiten nutzte, seinen Vorteil zu erhalten, dürfte ebensowenig erstaunen. Sie ist nicht die erste Frau, die sich in einen Sklaven verliebte, und er ist sicher nicht der letzte Mann gewesen, dem dies zu schmeicheln wusste." Ich hob etwas die Schultern, mehr gab es für mich zu dieser Sache im Grunde nicht zu sagen, es war gewöhnlich genug, und es passierte Tag für Tag.
"Ach Manius, nimm dies doch nicht so schwer. Nicht jedes unschuldig wirkende Geschöpf ist dies auch, das ist alles - und auch Patrizierinnen sind vor unpassenden Liebschaften nicht gefeit. Glaube mir, ich bin nicht ohne Grund misstrauisch, wenn mir die Unschuld einer Frau beschrieben wird, die meiste Zeit steckt recht wenig dahinter - ebensowenig, wie die meisten als tugendsam beschriebenen Männer dies wirklich sind. Die meisten verstecken ihre Untugenden nur sehr geschickt. Nimm den Menschen ihre Schwächen nicht zu krumm, Manius, es ist einfach viel zu oft viel zu leicht, schwach zu sein und Fehler zu begehen. Niemand ist perfekt, Perfektion ist allein den Göttern vorbehalten."
Es war eine traurige Einsicht, aber doch eine realistische, und ein wenig wunderte ich mich schon, dass sich mein Vetter bisher anscheinend seinen Glauben an die Menschheit bewahrt hatte - bei alledem, was ihm bisher zugestoßen war, war das höchst erstaunlich. Aber vielleicht gehörte er auch zu den Menschen, deren Hoffnung schwer zu zerstören war - ich war über diesen Punkt allerdings inzwischen weit hinaus.