Nachdenklich wirkte er, und nachdenklich war auch ich. Hatte mein Vater mir wirklich so viele Steine in den Weg gelegt, wie es mir schien? Der Ruf des hispanischen Zweigs der Flavier war desolat, und ich hatte Zeit meines Lebens dagegen ankämpfen müssen - früher war es mir egal gewesen, jetzt war es dies nicht mehr. Aber so vieles lag in einem dunklen Nebel des Vergessens, und war meiner Erinnerung vollkommen entglitten. Letztendlich würde ich mich an meinen eigenen Rat halten müssen, um irgendwo einen Halt zu finden, denn im Augenblick schien ich eher der Haltepunkt für andere geworden zu sein. "Ich bin mir sicher, wenn sie auch nur einen geringen Teil Deiner Begabungen besitzen, werden sie sehr erfolgreich sein." Seine Worte über seine Hoffnung, irgendwann seine Last nicht mehr alleine tragen zu müssen, ließen mich melancholisch lächeln - denn ich glaubte inzwischen nicht mehr daran, dass es so etwas geben könnte. Selbst Gracchus war eine solche Ehe nicht vergönnt gewesen, und er schien mir durch diese Verbindung mit Claudia Antonia nur noch sorgenschwerer als zuvor. Mochte meinem Freund ein anderes Schicksal beschieden sein, ich wünschte es ihm wirklich - und so behielt ich meine Zweifel am Leben allgemein und an der Ehe im besonderen für mich.
Für einige längere Momente tauschten wir Blicke, und ich musste wieder einmal feststellen, wie sehr er vom Jungen zum Mann geworden war. Fast beneidete ich ihn um die Gelegenheiten, die erst vor ihm lagen, und die ich längst verschenkt hatte. Die andere Erinnerung, die blitzartig zurückkehrte, war gänzlich anderer Natur, schmeckte vertraut, verlockend und doch vollkommen ungenießbar, gerade diese Erinnerung musste ich unterdrücken, so willkommen sie vielleicht auch gewesen sein mochte:
Das Gefühl seiner Lippen auf den meinen, im Heim seiner Eltern, an einem heißen Sommertag, ein Ausritt, aus dem mehr hätte werden können ... nein, nicht mehr, nicht jetzt. Ich blinzelte einige Male, fühlte dem Druck seiner Hand nach und quittierte sein Lächeln mit einem leichten Nicken. Vielleicht war es ganz gut, dass er seine Hand schließlich fortnahm und mir die Qual ersparte, mich vor Erinnerungen schützen zu müssen, die ich mir verbieten musste. Dennoch, ein Teil von mir wünschte, er hätte es nicht getan.
"Warum nicht? Eine private cena bietet sicherlich mehr Gelegenheit, sich ein wenig kennenzulernen als eine lärmende Festivität mit was weiss ich wievielen anderen, bei denen man dann neben dem Knüpfen neuer Kontakte auch dauernd glänzen und interessant wirken muss. Manius und seine Gemahlin sind sicherlich gerne mit von der Partie, ich werde sie gleich nachher fragen - oder möchtest Du ihnen schreiben?"