Es war das alte Motiv einer Melodie, nur dieses Mal in einer anderen, vertrauteren Tonart. Ach, Manius, wenn Du nur wüsstest, wie sehr sich Deine eigene Frau mit ähnlichen Gedanken quälte, wie wenig sich euer beider Furcht unterschied, dem anderen ein Gräuel zu sein, verabscheut zu werden, wäre es nicht so tragisch gewesen, ich hätte über die Ironie dieses Gedankens geschmunzelt. Vielleicht nicht für lange, denn noch ironischer war es, dass ich, der ich ihn liebte, davon erfahren musste, mich so begierig auf dieses Wissen gestürzt hatte, als hinge mein Überleben davon ab, und ich wohl wusste, würde ich versuchen zu vermitteln, würde ich am allerwenigsten dabei gewinnen, eher verlieren, was ich jetzt wenigstens noch erhoffen konnte. Doch wie auch schon bei Antonia tat ich und schob mein eigenes Selbst in irgendeine verlorene Kammer meines Bewusstseins, wo es hoffentlich so schnell nicht mehr den Weg hinaus finden würde.
"Hast Du Dir eigentlich schon einmal überlegt, dass es Antonia nicht viel anders gehen dürfte als Dir?" sponn ich den Faden weiter, den ich vor einigen Tagen im hortus als Parze des Menschen, den ich liebte, und seiner Frau begonnen hatte.
"Selbst mir fällt es schwer, gedanklich neben Dir zu bestehen, und ich kann auf eine Geburt als Flavier, eine gute Ausbildung, eine sichere Tätigkeit und ein gewisses Prestige zurückblicken - Du ragst zwischen den Familienmitgliedern als Fels hervor, an den sich alle stützen, wenn sie ein Problem haben, Du wirst von allen als der vorzüglichste der Flavier benannt, wenn es um Verlässlichkeit und Klugheit geht. Meinst Du nicht, dass eine Frau, die dieses Leben mit Dir nicht wirklich teilen kann, davon eingeschüchtert wird und irgendwann ebenso glauben muss, dass Du sie hasst? Antonia ist nicht glücklich, und Du bist es auch nicht, und ich will nicht dabei zusehen, wie sich zwei gute und aufrechte Menschen in ihrem Unglück gegenseitig bestärken, obwohl es nicht notwendig wäre. Du bist gewiss ihr erster Mann und ihr fehlt die Erfahrung, unser schwieriges flavisches Temperament zu betrachten, ohne sich zurückgesetzt zu fühlen, Manius. Hast Du Dich denn schon einmal damit beschäftigt, was sie im Leben interessant und wichtig findet? Auch wenn Du sie vielleicht niemals lieben wirst, vielleicht kann sie Dir ein Freund sein, eine Stütze in Deinem Leben, und dieses Potential solltest Du nicht verschenken." Hätte ich doch lieber geschwiegen, meinen Kopf gegen das kunstvolle Randmosaik des Beckens geschlagen und die Delphine mit meinem Blut übergossen, hätte ich doch diese Worte niemals gesprochen, die vielleicht helfen würden ... aber sein verzweifelter, bitterer Gesichtsausdruck ließ mir keine andere Wahl.
"Manius, Du musst endlich aufhören, die Schicksalswege anderer als Deinen Fehler anzusehen. Dass Arrecina von meinem Sklaven entführt werden konnte, ist zu allererst meine Schuld, ich wusste, dass er aufsässig war, ich hätte ihm weniger Freiheit geben müssen - und Arrecinas Hang zum Abenteuer liegt nun einmal in der Natur dieser Frau, glaube mir, ich kenne die Frauen ein wenig, und sie sehnt sich nach Aufregungen, von Ereignissen mitgerissen zu werden, und Neues zu erleben. Serenus ist ein verzogenes Gör, das zu lange in der Obhut seiner überbehütenden Großmutter war, und dies ist Aristides' Entscheidung und Sorge, nicht die Deine. Und Deine Geschwister sind erwachsen, und treffen ihre Entscheidungen selbst. Ziehe doch nicht jedes Quentchen an Schuld, das Du vielleicht tragen könntest, mit Gewalt an Dich und lass Dich davon nicht erdrücken - was Deinen Anteil an den meisten Dingen angeht, versuchst Du immer noch am ehesten zu helfen und eine miserable Lage zu verbessern, etwas, das die wenigsten in dieser Familie hinbekommen, weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind!" Doch bevor ich richtig zornig ob seiner Neigung, die Schuld zuerst bei sich zu suchen, werden konnte, lenkte er mich schon wieder mit den Berichten über seinen Bruder ab, es war kaum zu glauben, dass sich so etwas ereignen konnte, aber wenn einer Patrizierfamilie solcherlei passieren musste, dann waren es ohne Zweifel die Flavier. Es passte zu unserer chaotischen Familiengeschichte wie die Faust aufs Auge.
Was er erzählte, war beunruhigend, denn vielleicht sah ich die Schlechtigkeit der Welt ein wenig genauer und deutlicher als er, mir fielen sofort ungefähr hundert Dinge ein, die ein Mann mit seinem Aussehen, der nun sicherlich auch wusste, was er mit dem Namen unserer gens anstellen konnte, tun mochte, um sich selbst ein lockeres Leben zu ermöglichen. Dieser Quintus Tullius war ein Problem, um das man sich kümmern musste, ohne Zweifel. Als er abtauche, blickte ich ihm überrascht nach, hatte ich doch nicht erwartet, dass er seinen Satz so abrupt beenden würde, und sogleich fürchtete ich wieder um ihn, die alte Sorge kehrte zurück, ich dachte nicht nach, sondern handelte - stieß mich von meinem Beckenrand ab, glitt zu ihm und zog ihn in meinen Armen aus der Tiefe, sodass er atmen konnte. "Manius .. Manius! Ist alles in Ordnung?" Dass er in diesem Augenblick auftauchte, als ich ihn mit den Armen umfing, entging mir, denn nun berührten sich unsere Leiber, und ich ahnte, dass ich aus dieser Sache nicht so leicht wieder herauskommen würde wie sonst. Selbst durch das Wasser brannte seine Haut an der meinen, und ich fühlte, wie sich in meinem Körper alles nach ihm sehnte, unübersehbar nun, da wir uns so nahe waren, als könnten wir einander wirklich gehören.