Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Ich hoffte wirklich, dass meine Worte ein wenig gefruchtet hatten, aber allzu viele Hoffnungen machte ich mir nicht. Sie war immerhin eine Patrizierin, von hoher Abkunft, mit allen Gaben gesegnet, die sich ein Mensch nur im Leben wünschen konnte, und, was die Sache noch komplizierter gestaltete, sie war eine Frau, und die wenigsten Frauen verziehen es, wenn sie über längere Zeit hinweg uglücklich waren, ohne dass es der Mann, der es bemerken sollte, bemerkte. Ihr fröhliches Lachen, diesen gekünstelten Tonfall, der alles andere bedeutete, als dass nun wieder allesi n Ordnung war, kannte ich nur zu gut von meiner eigenen Mutter, die auf diese Weise versucht hatte, mit den Unzulänglichkeiten meines Vaters zurecht zu kommen, die sie nicht ändern konnte, und wahrlich, es waren reichlich viele gewesen, sodass ich selten geglaubt hatte, sie wirklich lächeln zu sehen.


    "Ich werde Dir gerne helfen, wann immer es nötig sein sollte, Antonia, solange das Licht in meinem Arbeitszimmer oder im cubiculum brennt, bist Du auch willkommen mit Sorgen und Fragen - aber auch mit einem Lächeln, wenn Du denn eines zu mir tragen willst," erwiederte ich leiser nun und blickte ihr in die Augen, diese tiefen, schimmernden Augen, in denen ein Mann sich allzu leicht verlieren konnte. In diesem Augenblick ahnte ich auch, ihr wahres Gesicht zu sehen, fern des Patriziercodex, sich stets zu verbergen, selbst jenen gegenüber, die einem vielleicht nahe standen. Zumindest hoffte ich, dass es nun ihr wahres Gesicht war, denn wissen konnte ich es nicht, konnte ich doch nicht in ihren Kopf blicken. Als sie die Hand zu mir ausstreckte, erhob ich mich und bot ihr wie zuvor den Unterarm, um sie beim Gehen zu stützen, gedachte ihr ein leichtes Lächeln zu und meinte: "Du hast Recht, sprechen wir von etwas, das diesem strahlend hellen Tage angemessener ist. Gibt es etwas, worüber Du Dich unterhalten möchtest? Ich bin zu fast jeder Schandtat bereit."

    Vielleicht sollte ich ein Honorar verlangen. "Du fragst, Onkel Aquilius antwortet" oder etwas in der Art, vielleicht als Kolumne der Acta Diurna oder etwas in der Art. Ich würde als Berater in Eheproblemen und sonstigen kleineren Streitigkeiten reich werden, mir mein Landgut kaufen und als schrulliger alter Herr langsam aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit schwinden, mit einem Haufen hübscher Sklaven und Sklavinnen, die im Nachlass freigelassen würden. Im Augenblick fühlte ich mich jedenfalls ausgesprochen seltsam, als Eheberater zu fungieren, während ich gleichzeitig die Ehe mied wie ein Gesunder einen Aussätzigen zu meiden hatte, um sich nicht anzustecken. Ehefrauen waren so ungleich verlockender, wenn es nicht die eigenen waren. Also ergab ich mich in mein Schicksal und versuchte, meinem Kopf eine passende Lösung herauszuzwingen, die das Dilemma zwischen Gracchus und seiner Gemahlin lösen konnte.


    "Ich würde fast vermuten, dass ihr beide euch gegenseitig meidet, weil ihr nicht wisst, wie man mit dem anderen umgehen soll, und lieber aus dem Weg geht, bevor ihr den anderen verletzt oder selbst etwas falsch macht, das der andere nicht schätzt und mit Ablehnung reagiert," überlegte ich laut und blickte zu ihr. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass er Dich vorwurfsvoll anblickt, Antonia, denn wenn ich euch beide miteinander erlebt habe, wirkte er eher überfordert, denn strafend, ein strafender Gracchus benimmt sich gänzlich anders als er, wenn man euch gemeinsam sieht. Ihr seid vielleicht verheiratet, aber ich glaube kaum, dass ihr euch gut kennt - nenne mir doch einmal eins der Bücher, die er gern liest, eins seiner Lieblingsgerichte oder was er gern tut. Ich bin mir sicher, dass Du es nicht weisst, und dass er es nicht wüsste, würde ich ihn nach Dir befragen - weil ihr dasselbe Problem habt und es nicht leicht ist, eine aus Vernunft gegründete Ehe in die Ebene der Freundschaft zu heben. Versuche, etwas über ihn herauszufinden. Sein Leibsklave weiss viel über ihn, vielleicht kann er Dir weiterhelfen. Ich würde Gracchus ein Geschenk machen - oder viele kleine - die beweisen, dass Du Dich mit ihm beschäftigst, und dass er Dir nicht gleichgültig oder widerwärtig ist. Auch Männer fürchten ein solches Urteil von einer Frau, das kannst Du mir glauben. Vor allem Männer, die sich mit dem anderen Geschlecht ein wenig schwertun und allgemein eher distanziert sind."

    Innerlich seufzte ich, denn die Erklärung, warum ihr Gemahl so anders mit ihr umging, war simpel, schnell gesprochen und vollkommen unmöglich ihr zu entdecken. Ich musste also einen Weg finden, sie zu beruhigen, ohne dass ich dieses Geheimnis berührte - dass es einer Lösung bedurfte, verriet ihr Verhalten, es schien sie wirklich zu beschäftigen, aber wen wunderte das schon, wenn man bedachte, dass sie seit vielen Wochen nur Ehefrau war, und eine Ehefrau noch dazu, deren Gemahl sie offensichtlich scheute?
    "Nein, ich sah ihn mit beiden nicht, aber denke doch einmal nach, Antonia: Leontia ist mit ihm verwandt, und er kennt sie schon sehr lange. Dass sich dort ein Verhältnis zueinander entwickelt, das von Lockerheit und Freundlichkeit geprägt ist, ist doch nicht erstaunlich, ich gehe mit Manius auch anders um als mit jedem anderen Menschen in Rom, eben weil wir uns schon lange kennen und nicht viel gegenseitig erklären müssen. Tiberia Livia ... nun, ich habe sie auf irgendeinem Empfang einmal beobachtet, und sie scheint mir von derselben distanzierten Natur wie Gracchus selbst. Würdest Du nicht eher mit einem fremden Menschen zurecht kommen, wenn Du ahnst, dass er oder sie Dir ähnelt? Er tut sich einfach schwer mit anderen, deren Temperament dem seinen gegensätzlich oder unähnlich ist, Antonia, und das ist bei euch beiden, wenn ich es recht bedenke, der Fall."


    Ihre Finger waren angenehm warm, die Berührung prickelte auf meiner Haut, deutlicher und lebendiger, als ich es vermutet hätte, eine so spontane, arglose Geste war es, dass ich mich fast für das jäh aufflammende Begehren dieser leidenschaftlichen Frau schämte. Wäre sie die meine, würde sie sich über dergleichen sicherlich niemals wieder Gedanken machen müssen. "An Dir ist alles richtig, Antonia, glaube es mir, ihr kennt euch nur noch nicht lange genug, wisst zu wenig voneinander, um euch miteinander groß angefreundet zu haben. Vielleicht werdet ihr euch nie lieben, aber das ist für das Funktionieren einer Ehe auch weit weniger wichtig als die Tatsache, sich gegenseitig zu respektieren und anzuerkennen, was der andere ist und kann. Und um das zu tun, muss man den anderen erst kennenlernen. Was weisst Du über Manius' Interessen? Weisst Du, was er gerne liest, was er gerne tut, wenn er nicht arbeitet? Quäle Dich nicht zu sehr, denn ich werde Dir helfen, einen Weg zu finden, dass ihr beide miteinander auskommt und euch schätzen lernt, denn ich bin euch beiden wahrlich verbunden." Und wie, dachte ich still bei mir und seufzte innerlich darüber, dass ich mir gerade wahrscheinlich selbst überhaupt keinen Gefallen getan hatte. "Komm, setz Dich wieder zu mir, dann wollen wir überlegen, wie wir diese Schlacht angehen." Damit tippte ich einladend auf die Steinbank und den freien Platz neben mir.

    Zitat

    Original von Octavia Severa
    Was bringt mir ein Buch über die Liebe? Ich will nicht über die..über die Sexualität erfahren, sondern mehr über den Glauben, über seine tiefen Wurzeln. Ist das eine Einstellung? Ist das ein Gefühl? Es gibt so viele Fragen, so viel, was man lesen kann. Warum gerade Ovid? Severa wurde leicht wütend und die Augen funkelten zornig, was sie leider nur hübscher machten. Eine Eigenschaft, die nicht alle Frauen besitzen. Nicht, dass Severa dumm war, sie war nur ungeduldig, eine nicht gerade octavianische Eigenschaft, wie ihr Großonkel Detritus sagen würde. Sie verstand Flavius Aquilius einfach nicht. Bei ihr stand gleich das Bild, dass sie mit der geschlechtlichen Liebe auseinandersetzen mußte, noch mehr, sie verstand es so, als ob der Priester dabei ihr ihre Unerfahrenheit und Unwissenheit vorwarf. Stattdessen seinen Worten bis zuletzt zuzuhören, hackte dieses "Sicherlich, die Passagen über die praktische Liebeskunst selbst kannst Du überspringen" in ihrem Kopf und blockierte alles. Wahrscheinlich verstand Aquilius selbst nicht, was Severa dazu brachte, so zornig zu sein. Er spürte regelrecht, wie die Wut den Besitz über ihr Denken ergriff. Ihre feinen Nasenflügel zitterten niedlich. Nach und nach beruhigte sich Severa. Sie lief rot. Ihr Benehmen war wieder nicht akzeptabel und Detritus hätte seine spöttische Bemerkungen, die eigentlich nur in seinem Inneren liefen. Er war zu gemütlich oder auch zu erzogen, oder auch zu gleichgültig, um sie auszusprechen. Aber vielleicht wollte er einfach die junge Dame nicht in eine konfuse Situation bringen. Verzeih für meine.. für meinen Ausbruch murmelte Severa letztendlich. Ich bin doch zu aufgeregt und brauche ein wenig Zeit, um meine Gedanken zu beruhigen. Heute war ein zu ereignisreicher Tag. Ich hoffe, diese Nachsicht wirst du mir gewehren. Sie schaute fragend zu Flavius Aquilius.


    Herrjeh, da hatte ich mir aber eine streitbare junge Frau eingehandelt - aber es war mir nicht unrecht, denn mit stillen Jasagern konnte ich nicht viel anfangen, und ich würde es wohl nie können. Wahrscheinlich war das der Grund, wieso mich die Aussicht auf eine politische Karriere so erschreckte - zuviele Speichellecker um einen herum, denen man dann kaum mehr entkommen konnte.
    "Octavia Severa, wenn Du Menschen verstehen willst, musst Du bei ihren Grundbedürfnissen beginnen, nicht bei der süßen und klebrigen Nachspeise des zehngängigen Abendessens. Menschen werden von ihren Bedürfnissen geleitet, und ein jeder Mensch trägt dies in sich, ob er will, oder nicht. Nahrung, Wasser, Schlaf - um die wichtigsten zu nennen - halten den Menschen am Leben. Fortpflanzung sichert den Bestand unserer Art, wie es auch bei allen Tieren der Fall ist. Alles, was darüber hinaus geht, geistige Beschäftigungen, die Liebe zu den Musen, das Gefallen an Spiritualität, dies sind Dinge, die man zum Überleben nicht notwendig braucht, die sich aber immer wieder entwickeln, wenn genug Muße vorhanden ist - aber sie bauen auf dem Grundkonstrukt der befriedigten Bedürfnisse auf. Ein hungriger Magen taugt nicht zum lernen, verdurstest Du, kannst Du nicht denken, schläfst Du nicht, wirst Du nach kürzester Zeit keine Ruhe mehr finden, um zu studieren, stillst Du das Bedürfnis Deines Leibes nach Entspannung nicht, wirst Du ebenso ruhelos sein und Dich nicht auf das Wesentliche konzentrieren können. Bevor Du also Deinen Geist den Musen, dem Glauben und allem zuwendest, das uns vom bloßen Menschen zum bewußten Menschen erhebt, musst Du Dich mit dem beschäftigen, was den Menschen verwirren und hemmen kann - und dazu gehört auch der Umgang mit Gefühl und Begierden."


    Ich betrachtete sie eine Weile und schmunzelte innerlich - hatte sie mich denn so falsch verstanden? Dass eine Frau sich über die bloße Tatsache ärgerte, dass man sie mit Lesestoff über sinnliches Vergnügen konfrontieren konnte, war irgendwie sehr amüsant. "Es geht nicht darum, dass Du Dich mit der ars amatoria nun durch Rom begibst und versuchst, die Vorschläge anzuwenden, es geht darum, dass Du versuchst herauszufinden, von welchem persönlichen Standpunkt aus der Autor die Liebe, das Gefühlsleben des Menschen betrachtet, wie er vielleicht selbst empfunden haben muss, um zu schreiben, was er schrieb. Diese Methode ist eigentlich für jedes Schriftstück notwendig, um es sinnhaft zu reflektieren, aber Ovid macht es uns leicht und versteckt seine Ansichten nicht so sehr wie es vielleicht andere tun würden. Er ist, zumindest was das anbelangt, eine gute Lektüre für den Beginn - und wenn Du ernsthaft damit beginnen willst zu lernen, musst Du auch lernen, die eigenen Empfindungen zu einem bestimmten Thema zurückzustellen, damit sie nicht die wesentliche Information überdecken." Lächelnd blickte ich sie an, und wich auch ihrem Blick nicht aus, bis sich unser beider Blicke direkt treffen mussten, ihr grünblitzendes Funkeln von meinem Himmelblau reflektiert wurde. "Widersprechen darfst Du, solange Du Deine Meinung stichhaltig begründen kannst. Also, spricht nun immernoch so vieles gegen Ovid?"



    "War es nicht die mächtige polis Athen, die einst selbst andere Städte wie einen Spielball nutzte, sie von sich abhängig machte, um dann als die größte aller Städte zu gelten und sagenhafte Kämpfe mit den Persern zu führen? War es nicht jene polis Athen, die damals als die fortschrittlichste, besonderste und philosophischste Stadt galt, die Geistesgrößten wie Sokrates und Platon, Aristoteles und viele andere hervorbrachte? Vielleicht gibt es für jede Stadt und jedes Volk ein Zeitalter ihrer Macht, und nun ist das Zeitalter der Römer, wie einst das Zeitalter der Athener war. Spuren jener einstigen Größe gibt es doch heute immernoch überall zu finden, und welches Volk wird nicht ob seines Wissens und seiner Bildung so bewundert wie das Deine? Ich glaube nicht, dass alles so gänzlich erloschen ist, wie es Dir scheinen mag, die Stärke der Truppen ist dcch nicht immer das wichtigste Kriterium zur Bewertung einer Zivilisation - bedenke die Besonderheit Aegyptens, das nun eine Provinz Roms ist und doch um so viele Jahrhunderte älter die Größe eines Reiches atmet, mit dessen Gottgleichheit wir uns kaum messen können,"
    hielt ich dagegen und gewann mehr und mehr Spaß an diesem Diskurs. Wie hatte ich es vermisst zu diskutieren, die Gedanken schweifen zu lassen und wieder einzufangen, wenn sie gar zu wild durch die Gegend fluteten.


    "Die Frage ist doch, würden wir zwischen Instikt und wachem Bewusstsein wählen können, was würden wir wählen? Würdest Du in der Unschuld Deiner Triebe leben wollen oder wäre Dir reflektiertes Handeln lieber? Sicher, es birgt mehr Fehler, aber doch umso mehr Erkenntnisse und Einsichten. Verletzlich zu sein und darob zu wissen bedeutet doch auch, sich gegen diese Form der Verletzlichkeit besonders zu wappnen, da man um seine Schwäche weiß, wie es die milites im Krieg ebenso tun, um zu überleben." Behutsam stellte ich meinen Becher Wein vor mir ab, da ich fühlte, dass er sich langsam in meinen Adern auszubreiten begann - ich konnte mich schließlich nicht am hellen Tage betrinken, nicht im Tempel - auch wenn ich vermutete, dass Mars mich verstehen würde. "Nun, ich werde wohl noch drei Stunden hier zu tun haben, aber nach Sonnenuntergang solltest Du mich in jedem Falle in der villa Flavia Felix antreffen können."

    Die Einstellung dieses Mannes gefiel mir, er schien nicht vor Herausforderungen zurückzuschrecken, wie es so viele andere junge Römer zu tun pflegten, und vor allem, er klang von dem überzeugt, was er sagte - ich schloss im Geheimen eine Wette mit mir ab, dass ich diesen Mann irgendwann wiedersehen würde, und dann sicher nicht mehr als einfachen legionarius. Zumindest hätte es mir gefallen, eine kühnen Kämpfer unter den Offizieren Roms zu wissen als irgendwelche viel zu sehr von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugte alte Männer, die zu sehr zauderten, wenn es darum ging, Entscheidungen zu treffen.
    "Während meiner rhetorischen Ausbildung in Achaia habe ich einige sehr tiefgreifende, schlechte Erfahrungen gemacht, und doch wohl auch die beste in meinem Leben - dass Mars für mich stets Stütze und Hilfe zugleich war, egal, wie schlecht es mir ging. Ich konnte mich immer auf Ihn verlassen, und dieses Gefühl ist etwas, das ich anderen Menschen auch vermitteln wollte. Man kann vieles im Leben überstehen, wenn man weiss, dass jemand für einen da ist, der einen ohne Fragen annimmt und jederzeit unterstützt. So bin ich hier, und nicht auf irgendeiner Rednerbühne, und ich habe diese Entscheidung nicht bereut."

    Es war das alte Motiv einer Melodie, nur dieses Mal in einer anderen, vertrauteren Tonart. Ach, Manius, wenn Du nur wüsstest, wie sehr sich Deine eigene Frau mit ähnlichen Gedanken quälte, wie wenig sich euer beider Furcht unterschied, dem anderen ein Gräuel zu sein, verabscheut zu werden, wäre es nicht so tragisch gewesen, ich hätte über die Ironie dieses Gedankens geschmunzelt. Vielleicht nicht für lange, denn noch ironischer war es, dass ich, der ich ihn liebte, davon erfahren musste, mich so begierig auf dieses Wissen gestürzt hatte, als hinge mein Überleben davon ab, und ich wohl wusste, würde ich versuchen zu vermitteln, würde ich am allerwenigsten dabei gewinnen, eher verlieren, was ich jetzt wenigstens noch erhoffen konnte. Doch wie auch schon bei Antonia tat ich und schob mein eigenes Selbst in irgendeine verlorene Kammer meines Bewusstseins, wo es hoffentlich so schnell nicht mehr den Weg hinaus finden würde.
    "Hast Du Dir eigentlich schon einmal überlegt, dass es Antonia nicht viel anders gehen dürfte als Dir?" sponn ich den Faden weiter, den ich vor einigen Tagen im hortus als Parze des Menschen, den ich liebte, und seiner Frau begonnen hatte.


    "Selbst mir fällt es schwer, gedanklich neben Dir zu bestehen, und ich kann auf eine Geburt als Flavier, eine gute Ausbildung, eine sichere Tätigkeit und ein gewisses Prestige zurückblicken - Du ragst zwischen den Familienmitgliedern als Fels hervor, an den sich alle stützen, wenn sie ein Problem haben, Du wirst von allen als der vorzüglichste der Flavier benannt, wenn es um Verlässlichkeit und Klugheit geht. Meinst Du nicht, dass eine Frau, die dieses Leben mit Dir nicht wirklich teilen kann, davon eingeschüchtert wird und irgendwann ebenso glauben muss, dass Du sie hasst? Antonia ist nicht glücklich, und Du bist es auch nicht, und ich will nicht dabei zusehen, wie sich zwei gute und aufrechte Menschen in ihrem Unglück gegenseitig bestärken, obwohl es nicht notwendig wäre. Du bist gewiss ihr erster Mann und ihr fehlt die Erfahrung, unser schwieriges flavisches Temperament zu betrachten, ohne sich zurückgesetzt zu fühlen, Manius. Hast Du Dich denn schon einmal damit beschäftigt, was sie im Leben interessant und wichtig findet? Auch wenn Du sie vielleicht niemals lieben wirst, vielleicht kann sie Dir ein Freund sein, eine Stütze in Deinem Leben, und dieses Potential solltest Du nicht verschenken." Hätte ich doch lieber geschwiegen, meinen Kopf gegen das kunstvolle Randmosaik des Beckens geschlagen und die Delphine mit meinem Blut übergossen, hätte ich doch diese Worte niemals gesprochen, die vielleicht helfen würden ... aber sein verzweifelter, bitterer Gesichtsausdruck ließ mir keine andere Wahl.


    "Manius, Du musst endlich aufhören, die Schicksalswege anderer als Deinen Fehler anzusehen. Dass Arrecina von meinem Sklaven entführt werden konnte, ist zu allererst meine Schuld, ich wusste, dass er aufsässig war, ich hätte ihm weniger Freiheit geben müssen - und Arrecinas Hang zum Abenteuer liegt nun einmal in der Natur dieser Frau, glaube mir, ich kenne die Frauen ein wenig, und sie sehnt sich nach Aufregungen, von Ereignissen mitgerissen zu werden, und Neues zu erleben. Serenus ist ein verzogenes Gör, das zu lange in der Obhut seiner überbehütenden Großmutter war, und dies ist Aristides' Entscheidung und Sorge, nicht die Deine. Und Deine Geschwister sind erwachsen, und treffen ihre Entscheidungen selbst. Ziehe doch nicht jedes Quentchen an Schuld, das Du vielleicht tragen könntest, mit Gewalt an Dich und lass Dich davon nicht erdrücken - was Deinen Anteil an den meisten Dingen angeht, versuchst Du immer noch am ehesten zu helfen und eine miserable Lage zu verbessern, etwas, das die wenigsten in dieser Familie hinbekommen, weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind!" Doch bevor ich richtig zornig ob seiner Neigung, die Schuld zuerst bei sich zu suchen, werden konnte, lenkte er mich schon wieder mit den Berichten über seinen Bruder ab, es war kaum zu glauben, dass sich so etwas ereignen konnte, aber wenn einer Patrizierfamilie solcherlei passieren musste, dann waren es ohne Zweifel die Flavier. Es passte zu unserer chaotischen Familiengeschichte wie die Faust aufs Auge.


    Was er erzählte, war beunruhigend, denn vielleicht sah ich die Schlechtigkeit der Welt ein wenig genauer und deutlicher als er, mir fielen sofort ungefähr hundert Dinge ein, die ein Mann mit seinem Aussehen, der nun sicherlich auch wusste, was er mit dem Namen unserer gens anstellen konnte, tun mochte, um sich selbst ein lockeres Leben zu ermöglichen. Dieser Quintus Tullius war ein Problem, um das man sich kümmern musste, ohne Zweifel. Als er abtauche, blickte ich ihm überrascht nach, hatte ich doch nicht erwartet, dass er seinen Satz so abrupt beenden würde, und sogleich fürchtete ich wieder um ihn, die alte Sorge kehrte zurück, ich dachte nicht nach, sondern handelte - stieß mich von meinem Beckenrand ab, glitt zu ihm und zog ihn in meinen Armen aus der Tiefe, sodass er atmen konnte. "Manius .. Manius! Ist alles in Ordnung?" Dass er in diesem Augenblick auftauchte, als ich ihn mit den Armen umfing, entging mir, denn nun berührten sich unsere Leiber, und ich ahnte, dass ich aus dieser Sache nicht so leicht wieder herauskommen würde wie sonst. Selbst durch das Wasser brannte seine Haut an der meinen, und ich fühlte, wie sich in meinem Körper alles nach ihm sehnte, unübersehbar nun, da wir uns so nahe waren, als könnten wir einander wirklich gehören.

    "Diese Familie ist, wie ich schon immer vermutet habe, verrückt, Manius, ein jeder unter uns hat seine kleine Verrücktheit - aber diese Verrücktheiten hat ein jeder Mensch, manche verstecken sie besser, manche schlechter. Was denkst Du denn, andere Patrizierfamilien sind nicht besser oder schlechter als wir. Keine hat so viele junge und wohlgestalte Nachkommen wie die Flavier, keine nimmt eine so vorzügliche Stellung ein wie die unsere ... da sind die Schrullen des ein oder anderen nebenrangig und solange wir uns mit keiner anderen Familie zu nahe verbinden, sollte dies auch kein Schaden sein," gab ich zu bedenken und lehnte denKopf zurück, an die Decke blickend, denn sonst hätte ich ihn wohl noch mehr angestarrt als zuvor. Ihn noch länger anzublicken hätte bedeutet, mir mehr zu wünschen, als ich jemals bekommen würde, sozusagen die delikate Süßspeise schon riechen zu können, aber nicht daran lecken, niemals kosten zu dürfen, eine Folter der Sinne ertragen, bei der ich nichts gewinnen konnte und niemals gewinnen würde. "Vielleicht haben wir eine Neigung dazu, extremer zu denken und extremer zu handeln als andere, doch bedenke, die meisten in unserer Familie üben eine gewisse Selbstdisziplin, die ihnen Schranken auferlegt, über die sie nicht schreiten."


    Dass er den fehlenden Erben beklagte, ließ mich aufhorchen, aber auf andere Weise, als ich es noch vor wenigen Tagen getan hatte. Das Gespräch mit Antonia hatte mir auch die andere Seite gezeigt, wie sehr sie hoffte, einen Erben zu bekommen, um seinem Anspruch zu genügen, und nun ... ich stand so sehr in der Mitte zwischen meinen eigenen Wünschen und dem Wunsch, ihn zu beschützen, allen Schmerz von ihm zu nehmen, dass es mich innerlich zerriss. "Ein jeder Mann wünscht sich einen Erben, und vielleicht ist es manchmal besser, es nicht zu sehr zu hoffen, damit man bekommt, was man sich ersehnt. Ich wollte nie Kinder haben und werde nun Vater, Du möchtest es gern und Iuno ist noch nicht willens, diesen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht bedarf es einfach nur der Zeit und der Gewöhnung, bis es funktioniert. Oder eines gemeinsamen Opfers, um die Göttin günstig zu stimmen," überlegte ich laut und hätte mich innerlich schlagen können, denn die Möglichkeit, die sich mir geradezu laut schreiend aufdrängte, die war ich zu feige, sie auszusprechen. Ich kannte seine strengen Ansichten zur Moral nur zu gut, und ich wagte nicht, ihn von mir zu enttäuschen.


    Wenigstens lenkten mich seine Worte von seiner Nähe ein wenig ab, wenngleich nicht genug, um zu vergessen, dass uns nur Wasser trennte, nur einfaches Wasser, dessen Vorhandensein so schnell beiseite geschoben werden könnte, dann würde ich ihn berühren, und ... es fühlte sich an, als würde mein Kopf vor Begierde glühen, als könnte man meinen Augen ablesen, was ich fühlte, hätte er jetzt ins Wasser gesehen, er hätte es ohne Zweifel auch erkannt, denn selten hatte sich mein pilum so emporgereckt wie zu diesem Augenblick, bereit zu einem Kampf in süßer und erfüllender Lust.
    "Du willst mir damit sagen, es gibt noch einen Flavier, der als Plebejer aufgewachsen ist?" versuchte ich in seine Worte Klarheit zu bringen und runzelte die Stirn. Alles war besser als zu begehren. "Am Tage ...deiner ... Geburt?" Unwillkürlich schnappte ich nach Luft, ein zweites Kind, ein Zwilling? Ein zweiter Manius, konnte das möglich sein? "Du hast einen Zwillingsbruder? Aber ...warum? Warum nahm man ihn Deinen Eltern?"

    Sie schwieg lange, und ich befürchtete schon ernsthaft, dass ich mich zu weit vorbewegt hatte auf die zerbrechliche Oberfläche unserer neu entstandenen Vertraulichkeit, dass meine Worte sie hätten zersplittern lassen in unzählige kleine Trümmer, die sich niemals wieder würden errichten lassen. Dann sprach sie, und dieses leise 'Nein' bestätigte mir in seinem Klang, was ich geahnt hatte - der darauf hin folgende Ausbruch machte es nicht schlimmer, nur klarer. Wie sollte ich sie trösten, indem ich ihr nicht sagte, wie sich die Dinge verhielten? Dass ihr Gemahl einen anderen liebte als sie, dass ich derjenige war, dem Manius' Gefühle galten, dass ich am liebsten an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte es irgendein Gesetz gegeben, das zwei Männern eine Lebensgemeinschaft ermöglichte, ohne von der Gesellschaft geächtet zu werden? Ich fühlte mich in diesem Augenblick so unendlich schuldig an ihrem Unglück, dass es mir die Kehle zuschnürte und jedes Wort im Hals steckenblieb, weil es nicht ausgesprochen werden wollte. Was sollte ich tun? Ihr und Gracchus irgendwie helfen und mir jeden Weg zu ihm damit unmöglich machen? Die beiden auseinander treiben und beider Leben in einer unglücklichen Ehe noch unglücklicher machen? Vielleicht würde es ihnen wirklich helfen, einen Erben zu haben ...


    Gleichzeitig erinnerte ich mich an den Tag ihrer Hochzeit, an dem ich Manius am liebsten fortgezogen hätte, irgendwohin, dass er sich nicht vor den Göttern versprechen würde, und doch hatte ich es nicht gekonnt. Ich konnte ihn vor nichts schützen, und auch sie würde ich nicht schützen können ... oder vielleicht doch? Ich wusste nicht, ob Manius fähig war, ein Kind zu zeugen, aber von mir selbst wusste ich das genau.
    "Hast Du Dir schon einmal überlegt, dass Gracchus' Zurückhaltung nicht Dir gilt, sondern eine generelle Lebenseinstellung sein könnte? Ich erfuhr erst neulich, dass er wohl einstmals eine discipula ausgebildet hat, die nach kürzester Zeit den cultus deorum verließ, ohne Gründe zu nennen. Vielleicht ist er generell nicht der Mann, der mit Frauen gut zurechtkommt, bedenke, dass er den ganzen Tag nur mit Pflichten und Arbeit - und Männern! - zu tun hat. Da geht leicht das Gefühl für andere Bedürfnisse verloren. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er Dich verachtet, denn ich weiss, wie er jemanden behandelt, den er verachtet, und Dich behandelt er anders."


    Was tat ich hier? Versuchte ich wirklich, diesen beiden ihre Ehe zu erklären, etwas zu verbessern an dem, was war? Und doch, ich konnte nicht anders, ich wollte ihn glücklich sehen, wenn ich es schon nicht tun konnte, und sie ... sie sollte nicht leiden müssen, weil eine Liebe existierte, die wir nicht leben durften. "Vielleicht verlangt er nur deswegen allein einen Erben, weil Du ihm zu kostbar bist, um noch mehr von Dir zu verlangen. Vielleicht wagt er nicht, von dir mehr zu fordern, als allein dies, Antonia, denn Du bist schön, gebildet, klug ... wieviele Frauen vereinen solche hervorragenden Eigenschaften schon auf sich? Wäre ich nicht ein unverbesserlicher Freund von Schönheit und herausragenden Frauen, wäre ich wohl von Schüchternheit befangen und würde nicht wagen, Dich anzusprechen ... wie soll es einem Mann da gehen, der weniger Erfahrung im Umgang mit Frauen hat?"

    Endlich war er still. Vielleicht gebrochen, vielleicht erschrocken, vielleicht hatte sein unbeugsames Herz auch einfach endlich erkannt, wohin ihn seine Worte und Taten gebracht hatten. Ich wusste es nicht, und in diesem Augenblick wollte ich es auch nicht mehr wissen, so viel Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte, immer wieder seinem Hohn und seiner Ablehnung begegnet war, immer in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine gewisse Einsicht zu erwecken - eine vergebliche Hoffnung, die dazu geführt hatte, dass Arrecina das Schlimmste angetan worden war, was man einer jungen Frau antun konnte. Und sie hatte sich auch noch verliebt, warum ausgerechnet in einen Sklaven?


    Ein junger Römer wäre besser gewesen, hätte weniger Leid bedeutet - nun musste ich ihn bestrafen, meiner Lieblingsnichte Schmerz zufügen, weil er seine Strafe erhalten würde - und gleichzeitig wissen, dass mir diese Bestrafung niemals gefallen würde, nicht gefallen konnte. Und doch, es musste sein. Ich hörte nicht einmal mehr, dass er wollte, dass ich ging, denn ich hatte mich schon abgewendet, um zur Treppe zu gehen. Er war jetzt schon ein toter Mann, und mit den Toten hatten die Lebenden nicht mehr viel zu schaffen. Als ich oben angelangt war, rief ich den Sklavenvorsteher des Haushaltes zu mir und befahl ihm, Rutger unter strengste Bewachung zu stellen, zwei Sklaven sollten Tag und Nacht bei ihm wachen und niemanden zu ihm lassen, dem ich dies nicht erlaubt hatte, auch nicht Mitgliedern des Haushaltes, abgesehen von meinem Vetter Gracchus und natürlich dem Hausherrn.


    Jeder Besuch, den Arrecina noch bei ihm machen würde, würde es ihr erschweren, Abschied zu nehmen, und das Leid würde anwachsen ... ich entließ den Sklavenvorsteher mit einem Nicken und zog mich in mein cubiculum zurück, die Gedanken mit mir nehmend, die sich aufdrängten. Ein Leben würde enden, weil es mein Wille war, weil meine Worte es so wollten - und auch wenn jedes Verbrechen Strafe erforderte, es hinterließ ein schmerzhaftes Echo in meinem Inneren, da ich nur zu genau wusste, was es bedeutete, der Gnade anderer ausgeliefert zu sein.

    Ich blieb zuerst beim Käse und dem Brot, um mir den Geschmack für das Fleisch nicht zu verderben, beim Essen, wenn nicht bei anderen Dingen, begann ich meistens langsam und gemütlich, ließ mir Zeit - und ich ahnte, dass unser Gespräch noch eine Weile dauern würde.
    "Das heisst, man ist entweder jemand, der es aufgegeben hat, irgend etwas bewegen zu wollen und sich in seinem Titel und dem Salär sonnt, oder aber man bekommt den Bodensatz des Weins zu trinken und kann sich jeden Tag aufs Neue wegen etwas abrackern, das nicht gewürdigt wird? Es klingt schon fast, als wäre das Leben als septemvir einem politischen Amt nicht unähnlich, nur ohne das Prestige und die Gelegenheit, vom Kaiser einige Lorbeeren zu ernten," meinte ich bedächtig und nahm noch einen Schluck Wein aus meinem Becher. er klang frustriert, und wenn jedes seiner Worte stimmte, dann wohl auch zu recht. Dass die meisten Priester Roms sich in ihrer Position ausruhten, war mir wohl bewusst, ich erlebte es auch im Marstempel oft genug, aber dass es so schlimm war, hätte ich auch nicht vermutet.


    "Es wundert mich, dass die flamines nichts tun, um die septemviri zu unterstützen, letztendlich nützt eure Arbeit doch allen. Was wäre denn der cultus deorum ohne Menschen wie Dich, die ihreOhren offen halten und am Puls des Augenblicks bleiben? Unsere Religion wird nicht selten als erstarrt und hinterwäldlerisch abgetan, die Menschen laufen in Strömen in die Tempel der Isis und was weiss ich noch alles, weil sie dort etwas zu finden glauben, was unseren Kulten fehlt - vielleicht liegt es nicht unerheblich auch an der Art unserer Priester und all jener, die höher gestiegen sind und vergessen haben, was den alltäglichen Dienst ausmacht," spann ich die Überlegung weiter und atmete leise ein. War es überhaupt richtig, den Posten als flamen Martialis anzustreben, würde ich dann genauso werden wie alle anderen? Nun nahm ich doch ein Stück Fleisch und kaute bedächtig, während mir einige unerfreuliche Bilder im Kopf umhergingen. "Auf die ehrenwerten collegien," erwiederte ich und spülte das Fleisch mit reichlich Wein herunter.

    Ich bemühte mich ernsthaft, Gracchus beim Ausziehen seiner Sandalen nicht zu sehr anzustarren, aber ein Teil von mir wusste genauso, dass es sinnlos war, weil ich ohnehin nur in seine Richtung blicken würde. Endlich waren wir alleine, niemand sonst hier, nicht einmal irgendwelche Sklaven, wie sie sonst immer umher irrten, in der stetigen Hoffnung, niemandem negativ aufzufallen und alle Wünsche der Hausbewohner am besten vor ihnen selbst bereits zu erahnen. Bei allem, was mir in der letzten Zeit geschehen war, hatte ich dennoch nie ganz das Gefühl gehabt, mich in meinen Wünschen vollends zu verlieren - sicher, ich gab ihnen nach, was das Gespräch mit Frauen anging, was andere Dinge mit Frauen anging, aber ich war nicht willenlos, nicht vollkommen hilflos, wenn es darum ging, eine Entscheidung zu treffen. Allein die Tatsache, dass er sich ganz entkleiden würde, ließ meine Sinne schon einen vorfreudigen und gleichzeitig ängstlichen Tanz aufführen, in dem ich mehr und mehr das Gefühl hatte, mich nicht mehr wiederfinden zu können. Wann hatten wir unsere Unschuld im Umgang miteinander verloren? Es schien Jahrhunderte her zu sein.


    Dass er meinen Vorschlag ablehnte, erstaunte mich nicht, ich hätte es auch getan, wohl wissend, wie unerträglich seine Berührung sein würde, wie unmöglich es danach sein würde, mich noch in irgendeiner Form zurückzuhalten, wie ich es versprochen hatte. Ich konnte nur eines tun, versuchen, mich so weit wie möglich abzulenken, an irgend etwas anderes denken als eben genau diesen Moment, den jede Faser von mir genießen wollte. Und doch, gerade als ich mich hatte abwenden wollen, um mir einen Schwamm zu greifen, zog er sich die Tunika über den Kopf und ich konnte nicht anders, ich starrte zu ihm, ließ meinen Blick über jeden Fingerbreit seines Körpers wandern, als hätte ich ihn nie zuvor gesehen. Sein Amt hatte ihm ein wenig die Form genommen, sein Körper kündete von fehlender Zeit zur körperlichen Ertüchtigung, aber ansonsten war er noch genau der Gracchus, an den ich mich entsann, der meine Tage und Nächte, selbst meine Träume begleitete, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte, ich wollte es nicht einmal. Was auch immer er gerade denken mochte, ich musste wieder einmal bewundern, wie bemerkenswert gut er sich im Griff hatte, kein Zittern, kein Schwanken, er benahm sich, als wäre ich nur ein politischer Weggefährte, mit dem er sein Bad teilte, nicht mehr.


    Und ich selbst, wieviel weniger war ich, da ich im Wasser ein Bein anwinkeln musste, um meine Gedanken zu verbergen, den rebellierenden Körper, der seinen schon zu lange begehrte und niemals sein Recht erhalten hatte? Er hatte mir so oft seine gute Meinung von mir bewiesen, und doch wusste ich, dass ich keinen Gedanken wert war, es niemals sein würde, denn im Gegensatz zu ihm war ich schwach, wenn er bei mir war, wünschte mir nur, ihm zu gehören, wie er mir gehören sollte, um neben ihm zu ruhen, in ihm mit Herz und Seele zu sein, wie er in mir war. Seine Worte allerdings trafen mich bis ins Mark. Was meinte er? Hatte ich etwas falsches gesagt, hatte er gespürt, was ich dachte? Wie konnte er ahnen, wie es mir ging? Und doch, er klang ... furchtsam? Gracchus, mein Manius, der sich vor irgend etwas fürchtete, der ansonsten der einzige Fels war, auf den ich mich bisher hatte immer stützen können, abgesehen von Mars? Vielleicht waren es nur Augenlicke, die vergangen waren, bis ich eine Antwort fand, doch kam es mir vor, als hätte mich eine Ewigkeit verschluckt und mühte sich, mich wieder auszuspeien, nur damit ich endlich tat, was ich tun musste - reagieren, die geforderte Antwort geben.
    "Wie kommst Du darauf? Du bist von allen Menschen in diesem chaotischen Haus der verlässlichste, Manius, und ich hatte nie Grund, an Dir zu zweifeln - weder an Deinem Wort, noch an Deinen Taten. Was bewegt Dich denn, dass Du an Dir selbst zu zweifeln beginnst? Hat sich irgend etwas schreckliches ereignet, von dem ich wissen sollte?"

    "Die Mutter hätte gerne einen Sohn und jede Amme, jeder Priester, den sie bisher aufgesucht hat, bestätigt ihren Wunsch, wissen die Götter, wieso sie alle glauben, das vorhersehen zu können - wohl weil das Kind besonders heftig gegen ihren Bauch tritt oder weil sie sich morgens dauernd übergibt, ich weiss es nicht," meinte ich und zuckte mit den Schultern, die Geheimnisse des Kindbetts waren etwas, von denen ich nicht unbedingt mehr wissen wollte als unbedingt nötig. "Im Grunde ist es mir egal, ob es nun ein Junge oder Mädchen wird, Hauptsache, es kommt gesund zur Welt und die Mutter überlebt die Geburt, es würde ihrem Vater das Herz brechen, käme sie zu früh in den orkus." Auch wenn ich manchmal nicht wusste, ob ich mir nicht genau das wünschte, um die Erinnerung an all ihre Lügen endgültig auszutilgen, all die Abende, in denen sie meine Ehefrau gespielt, mir Liebesworte zugeflüstert hatte, die doch nichts als eine Lüge waren ... ich zwang meine Gedanken zurück in die Realität und schmunzelte etwas über den rot gefärbten Senator.


    "Ich würde wohl eher unseren Schneider verklagen, wenn er mir solche Ramschware andreht, die beim ersten Wasserguss verläuft," überlegte ich und schüttelte dann amüsiert den Kopf. Auf was für Gedanken diese Frau doch kam! Man konnte fast meinen, sie hätte sonst nicht viel Gelegenheit, in dieser Form zu scherzen - aber gleichzeitig erstaunte es mich nicht unbedingt, Gracchus' Humor war subtiler und hintergründiger als unser beider Scherze es sein konnten. "Enttäuschungen zeigen einem meistens mehr über das Leben als Erfolge, da gebe ich Dir Recht, und wenn man danach nur weiss, wo man genau steht, es ist ein Fortschritt."
    Ihre Stimmung wechselte, und auch mich machte dies nun aufmerksam - was verbarg sie, warum wirkte sie auf einmal wieder so unglücklich, so gedämpft? Es drängte mich, dieses Geheimnis zu erfahren, ebenso, wie es mich drängte, mehr von ihr kennenzulernen, auch wenn sie viermal die Gattin Gracchus' sein mochte, sie faszinierte mich. Ich hätte sie hassen müssen, verabscheuen, beneiden, doch fehlten mir diese Gedanken, denn wie eine zufriedene Ehefrau wirkte sie nicht. Und ich wusste nur zu gut, wieso ihr Gracchus nicht der Ehemann werden würde, den sie sich vielleicht erhofft hatte.


    Ich bedeutete ihr den Weg zu einer kleinen Steinbank, die ein kluger architectus hier im hortus hatte aufstellen lassen, und nach einigen Schritten konnten wir uns setzen und die Stille des Augenblicks genießen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Stamm der hinter dieser Bank stehenden Weide und blickte zwischen den Zweigen hindurch auf die sorgsam angelegten Blumenrabatten, Hecken und Zierbäumchen, die zu jeder Jahreszeit ein buntes und vielschichtiges Bild boten - wenn es eines gab, was ich an der villa Flavia Felix wirklich schätzte, war das der hortus. Wenigstens für einen Moment konnte man hier das laute Rom vergessen.
    "Du bist hier nicht wirklich glücklich, nicht wahr?" fragte ich schließlich, ohne sie anzublicken.

    Es war kaum zu glauben, wieviel Widerstandsgeist dieser Sklave doch in sich trug - und fast wäre ich weich geworden, hätte meine Entscheidung, ihn zur Arena zu verkaufen, in der er die Gelegenheit gehabt hätte, seine kämpferischen Fähigkeiten einzusetzen, um sich eines Tages die Freiheit damit zu verdienen. Aber angesichts der nächsten Schmähung unseres Volkes und der anscheinend absolut fehlenden Einsicht, wann man was einfach nicht mehr sagen sollte, hatte ich genug von ihm, seinen Worten, diesem beständigen Hass - hatte ich ihm nicht oft genug gegenüber clementia bewiesen, jenen Wert, den schon der große Caesar immer betont hatte? Doch es gab einen Punkt, ab dem clementia nicht mehr möglich war, und den hatte Rutger bei mir erreicht und überschritten.


    "Du wirst an der via Appia an das Kreuz geschlagen werden, als warnendes Beispiel für alle Reisenden und deren Sklaven, dass sich beständige Aufmüpfigkeit und die Dinge, die Du unserer gens angetan hast, niemals lohnen werden!" verkündete ich ihm in eisigem Ton und in diesem Augenblick fühlte ich jeden Funken Mitgefühl, den ich bisher noch für das Schicksal dieses Mannes gehegt hatte, erlöschen. Ich blickte ihm direkt in die Augen, um zu sehen, wie er diesen Richtspruch aufnehmen würde - zweifelsohne würden nun die nächsten Tiraden über die Feigheit der Römer über seine Lippen sprudeln, aber inzwischen berührte es mich nicht mehr. Ein toter Mann konnte mich nicht mehr beleidigen.

    Ich nickte beifällig, denn im Grunde konnte ich den jungen Mann verstehen - er stand vor einem neuen Lebensabschnitt und dieser sollte richtig begonnen werden. "Ah nun, wenn man bedenkt, wieviel Wein und Kekse geopfert werden, und dass diese Gaben immer gern angenommen werden, würde ich sagen, dass wir uns keine Vorstellung von göttlichem Appetit machen können," meinte ich mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Zugegeben, die Vorstellung von Vater Mars mit einem keksgerundeten Bauch und Weinflecken auf der Lederrüstung war schon etwas amüsant, wenngleich auch lästerlich - ich hoffte insgeheim, er würde mir diesen Gedanken vergeben, schließlich kam jeder Mann irgendwann einmal an einen Punkt, an dem er zuviel gegessen und getrunken hatte, warum nicht auch ein Gott?
    "Was hat Dich bewogen, Dir die Erste Legion auszusuchen, wenn ich fragen darf?" Reine Neugierde meinerseits, immerhin ging es auf einen Krieg zu, und die Parther waren sicherlich keine leichten Gegner.

    Zitat

    Original von Octavia Severa
    Also war das wie eine Anweisung zu nehmen, erst morgen wieder hier zu erscheinen. Severa spürte innerlich den Widerstand. Sie wollte nicht gehen. Doch die andere Stimme riet ihr, sich zu fügen. Ich danke dir für die Zeit, die du für mich genommen hast und noch nehmen wirst. Ich werde noch heute eine Bibliothek aufsuchen und auch die Bibliothek der Casa Octavia wird nun von mir auch nicht mehr sicher. Ihr Lachen war angenehm, weder laut noch leise. Sie hatte es nicht vor, sich zu genieren und die falsche Scheu zu zeigen. Könntest du mir vielleicht was empfehlen? Es war ihr peinlich zu sagen, dass sie im Prinzip zu wenig bis jetzt gelesen hatte. Zum ersten Mal bereute Severa die mangelnde Erziehung. Sie hörte lieber Geschichten von einem anderen erzählt, als diese selbst zu lesen. Die leichte Röte legte sich auf die Wangen und der Schmollmund mit weichen vollen Lippen öffnete sich leicht, so angespannt wartete sie auf die Worte ihres neuen Mentors.


    Ihr Lachen empfand ich als angenehm, nicht gekünstelt wie das so vieler Frauen, eher geradeheraus und offen, als würde sie wirklich lachen wollen. In Rom gab es so viele geschickte Lügner, dass ich mir oft genug nicht sicher war, ob die gezeigten Emotionen der Wirklichkeit entsprachen, aber bei diesem warmen Lachen war ich mir ziemlich sicher - und es stand ihr gut, ließ die grünen Augen leuchten.
    "Hmm ... grundsätzliche Literatur über den Götterglauben wäre natürlich nicht schlecht, aber ich denke, was Dir für den Weg als sacerdos mehr bringt, beschäftigt sich mit dem Menschen an sich und nicht alleine mit den Göttern. Versuche es einmal mit Ovid - die ars amatoria empfand ich immer als ein sehr interessantes Werk über die Seele des Menschen. Sicherlich, die Passagen über die praktische Liebeskunst selbst kannst Du überspringen, versuche einmal herauszufinden, von welchem Standpunkt aus Ovid über die Liebe spricht und was sich aus diesem Standpunkt her ableiten lässt."


    Sim-Off:

    Ein wirklich empfehlenswertes Werk, wenn man die Denkweise der Antike zum Thema Liebe und Sexualität einmal erfahren möchte ;)


    Für einige Momente lang fühlte ich mich zurückversetzt in jene goldene Zeit, in der ich als unwilliger Schüler der Rhetorik die meiste Zeit meiner Ausbildung damit verbracht hatte, auf den Stufen der agora in Athen den Philosophen zuzuhören, in der ich die Diskussion dem geschriebenen Wort vorgezogen hatte, die Auseinandersetzung mit tausenderlei Meinungen mich Tag für Tag nach durchzechten Nächten wieder zurück zu den Philosophen geführt hatte, die auf höchst unterschiedliche Weise ihre Meinungen vertreten hatten. Und nun hatte mich ein Philosoph gefunden, hier in der dreckigen Hure Rom, und bot mir die geistige Vielfalt Achaias einmal mehr an. Ich konnte nicht anders, ich fühlte mich mit diesem Gespräch und diesem Gegenüber ziemlich wohl, auf eine geistige Art und Weise, die sich seit langem nicht mehr ergeben hatte.


    "Du hast mich nicht angegriffen, keineswegs. Es ist doch das Grundprinzip einer Diskussion, dass man mit verschiedenen Meinungen beginnt und versucht, die des anderen zu erkunden, um die eigene zu vertiefen und weitere Ideen in sie aufzunehmen - wärest Du zu mir gekommen, um sogleich über die Götter zu schimpfen und die römische Religion zu verunglimpfen, wären wir sicherlich ganz anders miteinander verfahren." Achtkantig rausgeschmissen hätte ich ihn, aber das musste man ja auch nicht so direkt sagen. "Was die Frage der tatsächlichen Existenz angeht, denke ich doch, wir existieren, denn im Gegenzug müsste man wohl fragen: Wieso existieren wir nicht, gibt es irgendeinen Beweis dafür, dass wir nichtexistent sind? Und solange diese thesis nicht in irgendeiner Form verifiziert ist, müssen wir wohl mit dem status quo einer Existenz klarkommen, auch wenn wir sie nicht ohne unsere Sinneswahrnehmung beschreiben können. Vielleicht ist auch das ein Sinn unserer Existenz, dass wir stets kritisch hinterfragen, was und wo wir sind, wohin uns unsere Wege führen können und vor allem, warum wir sie beschreiten."


    Sinnierend nahm ich einen Schluck Wein aus dem einfachen Becher und fuhr mit meinem Gedanken fort: "Ich denke, wir leben, um die Existenz des Lebens in einem immerwährenden Kreislauf, eingebettet in die Perfektion der Natur, weiterzuführen. Wir sind zwar bei weitem nicht die perfekteste Schöpfung inmitten dieser Umgebung, aber doch sind wir fähig zu schöpfen, was einem Tier oder einer Pflanze ausser bei der Fortpflanzung, bei der es um Nachkommen und deren Schaffung geht, nicht gegeben ist. Denk an die Kunst, an die Poesie, an die Philosophie - ist nicht dies der essentielle Lebensfunken, den man uns schenkte, und der restlichen Natur nicht?"



    Ich betrachtete die Kopie und seufzte innerlich, denn der Aushang war absolut typisch für meine Familie, kein Hinweis auf den Ersteller ausser dem Familiennamen - doch da ausser Arrecina und Serenus keine Jugendlichen in der Villa wohnten, vermutete ich schlichtweg Aristides hinter dem Machwerk und runzelte die Stirn: "Nun, ich kann Dir nur raten, es auf jeden Fall zu versuchen - und sollte dieser Posten nicht mehr zur Disposition stehen, sollst Du gern für eine Weile mein Gast sein, denn die Zeiten, in denen ich zur philosophischen Diskussion kam, sind schon eine Weile her, auch mein Vetter Gracchus wird sich sicherlich gerne zu einer Gesprächsrunde gesellen."

    Er war sich dessen sicher nicht bewusst, doch der junge Mann wurde beobachtet, wie jeder Besucher des Tempels, der für ein Opfer vortrat, beobachtet wurde - je nach dem Opfer bedurfte es der Hilfe der Priester und einer gewissen Aufsicht, auch die geopferten Gaben mussten, sobald der Opfernde sich entfernt hatte, abgeräumt werden, damit für den nächsten Raum war. Diesmal war ich es, der diesen Besucher im Blick gehalten hatte, und nachdem er den Altar verlassen hatte, trat ich auf ihn zu und grüßte ihn freundlich:
    "Salve, civis!" Kurz ließ ich meinen Blick über seine Erscheinung schweifen, die verriet, dass er sicherlich in der Legion gut aufgehoben sein würde - ein kräftiger Leib, wache Augen, das half den meisten Soldaten schon beim Überleben, und wenn noch ein klarer Geist hinzukam, hatte man einen künftigen Offizier vor sich.


    "Ich bin mir sicher, Mars wird Deine Worte gehört haben und Dir Seinen Segen schenken - doch denke ich, beim nächsten Mal wird es auch ein Wein und Opferkekse tun, Du wirst, wenn Du dr Legion dienst, sicher noch oft genug Dein Blut für Mars und Rom vergießen, ohne den Tempel betreten zu müssen." Es war ein freundschaftlicher, gut gemeinter Rat, nicht zuletzt, weil Blut aufzuwischen, wenn es sich um menschliches handelte, immer das unangenehmste war, es kroch verflucht gern in Ritzen und Rillen - und es war vielleicht das kostbarste, was man opfern konnte, es sollte niemals leichtfertig geopfert werden.


    Ich bot ihm einen der Holzstühle mit Lederbespannung an, auf denen wir unsere Besucher für gewöhnlich empfingen, und setzte mich selbst ihm gegenüber, ein Sklave blickte auch gleich durch die Tür herein und entfernte sich, nachdem ich Wein und Wasser bestellt hatte - wen man schon einen Gast hatte, musste man ihn auch angemessen bewirten.
    "Nun, ich denke, was die Existenz der Götter angeht, lassen sich zwei Wege beschreiten - der eine wird in allem, was durch Götter gewirkt wird und uns als das Wirken der Götter erscheint, eine natürliche Ursache erblicken und sie sicherlich auch wohlbegründet erklären können, was dafür spricht, wie weit sich die Wissenschaften entwickelt haben, wie gut wir fähig sind, mit Logik und Verstand bestimmten Rätseln auf den Grund zu gehen. Der andere wird das Problem emotional angehen anstatt des Rationalen, und vehement verteidigen, dass das Wirken der Götter in allem zu sehen ist und in manchem besonders stark ... ich gebe zu, bei vielem fällt es mir schwer, einen speziellen göttlichen Willen erkennen zu wollen, doch in manchen Augenblicken bin ich mir vollkommen sicher, dass die Götter existieren und sich um uns kümmern."


    Eine kurze Pause ließ ich einkehren, um dann fortzufahren: "An manchen Morgen, an denen ich in diesen Tempel gehe, um meinen Dienst zu tun, habe ich die Gelegenheit, den Sonnenaufgang zu bewundern, dieses vollkommene, atemberaubende Spiel der Farben am Himmel, das stattfindet, als existierten wir nicht, als sei es vollkommen unwichtig, ob wir überhaupt existieren, denn wir sind für die Perfektion dieser Pracht absolut nicht notwendig. Die Natur ist zu so viel Perfektion fähig, und diese erkennen zu dürfen, in Atem gehalten davor zu stehen und unfähig zu sein, mit Worten alles zu fassen, ist dies nicht ein Augenblick, in dem man dem Göttlichen so nahe ist wie niemals sonst? Die Natur mag auf logischen Prinzipien fußen, doch woher stammen sie, woher ist diese alles umfassende Ordnung? Ich kann nicht glauben, dass sie sich einfach so erschaffen hat."
    Mit der Frage nach dem paedagogus erwischte er mich allerdings auf dem falschen Fuß. "Ähm. Wer aus meiner Familie sucht denn einen paedagogus? Vielleicht Flavius Aristides?"

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    Original von Octavia Severa
    Trotzdem wollte ich es dir nicht voranthalten, doch deine Worte erfreuen mich und bestätigen die Richtigkeit. Es ist so, dass diese Schritte meine ersten selbständigen Schritte sind. Es fällt mir schwer, weil ich weiß, meine Unsicherheit vor dem Mentor zu verbergen, wäre eine Sünde und ich bin im Verbergen nicht geübt sie lachte leise und ihre Fröhlichkeit blühte in ihren Augen auf NOCH nicht geübt. Ihr Blick wurde für einen Moment richtig schelmisch, wie bei einem Jungen, der gerade überlegte, wie er an den Topf mit Honig kommt, um dort das süße Zeug zu naschen. Flavius Aquilius führte sie in das Innere des Tempels. Severa machte die Hitze nicht zu schaffen, doch dieser Wechsel vom Heiß zum Kühl war zu extrem. Severa blieb stehen und drehte sich neugierig um, den Kopf ganz hoch in den Nacken geworfen, um die Form der Säulen und ihre Höhe zu bewundern. Der schlanke Hals zeigte sich von seiner wunderschönen Seite, angespannt, die feine seidige Haut und vor allem diese Verletzlichkeit. Ein Druck auf diese filligranen Knochen... die Schlagader...oder einfach die Lippen an diesem honigsüßen anbetungswürdigen Turm auf und ab wandern lassen, die Duft der Frische und der Unschuld genießen. Als er über Demut, Fragen und der Aufgabe der Priester sprach, bannte eine Frage in ihr Hast du nie selbst Zweifel gehabt? Als sie seinen Blick sah, präzesierte sie sich Zweifel nicht am Glauben, nein, sondern, ob du diesen Glauben richtig an die Menschen weitergibst. Das ist meine große Angst. Nicht, dass ich die Prüfungen nicht ablege, oder dass ich die Opferritualle vollziehe, sondern, ob ich es schaffe, den Suchenden Trost und Antwort zu spenden. aber bis dahin ist noch ein langer Weg. Vielleicht im Laufe der Zeit werde ich diese Angst los, oder sie bringt mich dazu zu verstehen, wo meine Aufgabe ist.


    "Für Deine ersten selbständigen Schritte gehst Du sie aber mit viel Elan und Zuversicht an - ich bin mir sicher, dass Du Deinen Weg machen wirst, Octavia Severa, und wenn ich Dir dabei helfen kann, will ich es gerne tun," meinte ich lächelnd und versuchte, den Blick ausschließlich in ihr Gesicht gerichtet zu halten. Es war schon schwer genug, ihre grünen Augen nicht anzustarren, die so lebendig funkelten, dass sie nun den Kopf zurücklegte, um in die Höhe zu blicken, empfand ich als eine unfaire Geste einer ohnehin schon verlockenden jungen Frau, auch wenn sie nicht ahnen konnte, wie ihre Gegenwart auf mich wirkte. Fast war ich verlockt, mit einer Hand ihren weich schimmernden Hals entlang zu tasten, aber ich verschränkte stattdessen die Hände auf dem Rücken ineinander und hielt mich aufrecht, um nicht zu weit meinen Gedanken zu folgen.


    "Zweifel ..." folgte ich ihren Worten und atmete leise ein. "Zweifel hat man wohl immer, bei vielen Dingen, die man im Leben tut, aber in einer Sache hatte ich niemals Zweifel - sobald ich vor Vater Mars stehe, in Seinem Haus, vor Seinem Abbild, weiss ich, dass ich richtig gehandelt habe, denn Er heißt mich immer willkommen, in den dunklen wie in den hellen Stunden. Ich habe ihn oft aufgesucht, wenn ich mir keinen Rat mehr wusste, und Er war immer für mich da. Diese Gewissheit ist es letztendlich, die wir versuchen, den Menschen zu vermitteln, und diese Gewissheit wächst erst über die Jahre hinweg. Bis dahin ist es meistens der beste Weg, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und zu versuchen, ihnen so gut zu helfen, wie es Dir möglich ist."


    Zitat

    Original von Octavia SeveraMit dem Ferkel fand sie gar nicht so komisch, im Gegenteil, sie schien sogar verärgert zu sein. Es gab die wahrscheinlich gewünschte Reaktion auf diese Erzählung nicht. Severas Augen entzogen sich seinem Blick. Armer Ferkel. seufzte Severa und entschied, den Trick von Batschachi, den Sklaven auf dem Gut ihrer Familie zu verwenden. Sie nannte ihn so, weil er laut und nieste und es sich wie ba-atsch-a-chi anhörte . Also hatte Severa ihn Batschachi genannt. Er war der kleinen Domina nicht böse, im Gegenteil. Er zeigte Severa einen Trick, mit welchem - besonders klappte das mit den Hünnern - er die Tiere in einen Zustand der Starre versetzte. "Pssst, kleine Severa, die Tiere schlafen. Mach sie nicht wach". Ihr interessierter Blick verfolgte Flavius Aquilius und als er über den morgigen Tag sagte, schimmerte die grüne Farbe mit kleinen dankbaren Bernsteinfunken. Ich werde pünktlich da sein. Was soll ich noch mitbringen, außer meiner Neugier, Fleiß und Geduld? Ihre Lippen öffneten sich zu ihm schon bekannten Lächeln. Doch schon hörte sie, wie ein alter Mann mit dem Bart, kein Römer, darauf brauchte Severa nicht einmal zu wetten, fragte nach einem Priester. Sie hätte so gern bei diesem Gespräch dabei gewesen, aber doch scheu, Flavius Aquilius danach zu fragen.


    Die Ferkelgeschichte war anscheinend nicht so gut angekommen, aber bei einer Frau wunderte es mich auch nicht wirklich, die wenigsten opferten gern selbst, wenn es an das blutige Arbeiten ging - in sofern übersprang ich das Thema einfach und schmunzelte dann auf ihre Frage hin leicht. "Nun, eine Wachstafel und ein stilus wären sicherlich auch nicht schlecht, damit Du wichtige Punkte notieren kannst - aber ansonsten brauchst Du nichts. Wir werden erst ein wenig Theorie machen, dann nehme ich Dich in den Tempel mit und wir werden uns mit der Praxis beschäftigen." Dieses Lächeln, hoffentlich war mein Kopf morgen klarer, sonst würde ich mich nicht konzentrieren können. Frauen sollte es in manchen Augenblicken einfach verboten sein zu lächeln ..