Arrecina hatte mein ganzes Mitgefühl, aber gleichzeitig war die Situation für weder sie noch irgendjemand anderen ausser dem verlobten Paaren zu ändern - irgendwann würde sie sich mit der neuen Frau an der Seite ihres Vaters arrangieren müssen, je besser, desto besser war es für meine Nichte auf Dauer. Ich schenkte ihr einen warmen, mitfühlenden Blick, aber ich änderte nichts daran, sie bei mir zu behalten und damit zu zwingen, sich mit der jungen Frau auseinanderzusetzen, zu der wir uns gesellt hatten - sie war eine Flavierin und wie auch zu meinen Pflichten gehörte es zu ihren Pfflichten, bei einem wichtigen Anlass wie diesen den Schein aufrecht zu erhalten, egal, wie es ihr im Inneren zu gehen vermochte. Sanft drückte ich ihre Hand, ein weiteres Zeichen dessen, dass ich sie verstehen konnte, und lächelte dann der jungen Frau in unserer Nähe zu, die sich eben vorgestellt hatte.
"Ich freue mich sehr, Dich kennenzulernen, Claudia Dolabella - und glaube mir, wenn Du erst einmal mit uns beiden hier die Runde gemacht hast, wirst Du so viele der Gäste kennengelernt haben, wie nur möglich." Ich schmunzelte verschmitzt und gab mit gutem schauspielerischen Erfolg die Miene eines Mannes zum Besten, der sich auf der Verlobung seines Vetters prächtig amüsierte.
"Dort drüben habe ich schon den ersten Deiner Verwandten entdeckt," ich nickte in die Richtung von Herius Claudius Vesuvianus, der wie ich ein palatinischer Salier war und den ich von den Treffen her als angenehmen Gesprächspartner in Erinnerung behalten hatte. "Wollen wir ihn nicht zuerst begrüßen und dann hoffen, den Weg zum glücklichen Paar anzutreten? Bis dahin haben wir uns vielleicht auch eine kleine Schneise schlagen können, so viele Leute wollen anscheinend innerhalb kürzester Zeit gratulieren." Am liebsten wäre ich jetzt in irgendeinem Hinterzimmer mit einer großen KAraffe Falerner versackt, vielleicht noch eben mit diesen beiden reizenden jungen Frauen im Arm, und auf und unter mir, aber das kam nun nicht unbedingt in Frage, vor allem hätte ich bei meinem Glück den Tag wohl kaum überlebt. Wenn ich es recht bedachte: Eine Karaffe Falerner war kaum ausreichend, meine aufsteigende Langeweile wirklich gut zu bekämpfen, auch wenn ich für mein Leben gern mit Frauen sprach, Verlobungen, Hochzeiten und Beerdigungen hatten immer etwas an sich, das mir einen gewissen Fluchtreflex erwachsen. Wie sollte ich bloß meine eigene irgendwann anstehende Verlobung und Hochzeit überleben? Wenigstens würde mich dieser ganze Schwachsinn bei meiner Beerdigung nicht mehr stören.
Gemächlich führte ich die beiden jungen Frauen in die bedeutete Richtung und näher noch, als ich bemerkte, dass zwei Sklaven, die recht unwohl aussahen, auf Aristides und die an diesem Tag ausgesprochen reizend aussehende Epicharis zugetreten waren, um ihnen Geschenke zu überbringen - dass sich diese als die Totenmaske von Aristides' verstorbener Frau und eine ziemlich zerrupft aussehende Ratte herausstellten, hätte ich auch nicht erwartet. Bei allem Ärger über den verzogenen Lausebengel Serenus musste ich ihm zumindest in einem Punkt innerlich gratulieren - er hatte es geschafft, dass ich mich an dieses gesichtslose Fest unter vielen gesichtslosen Festen der Vergangenheit lange erinnern würde, und sei es nur wegen der schockiert aussehenden Gäste. Doch bevor ich noch weiterdenken konnte, hörte ich ein "Oh!" in nächster Nähe, sah eine Bewegung und reagierte, wie ein jeder Mann im Angesicht einer in Ohnmacht fallenden Frau reagieren sollte: Ich löste den Arm von Arrecina und fing die umkippende Schöne auf, gerade noch rechtzeitig, bevor ihr Körper unangenehmen Kontakt mit dem Fußboden schließen konnte- Eine vage Duftwolke mit ihrem höchst persönlichen Geruch stieg mir in die Nase, ließ mich einen Moment tiefer atmen, dann hatte ich meine Sinne wieder gefunden und ich ließ mich in Richtung der Anwesenden vernehmen: "Macht Platz, ich will sie zu einer Bank bringen. Sklaven! Eine Sitzbank hierher, aber eilig!"
Automatisch hatte meine Stimme einen gewissen Kommandoton angenommen, der einem Soldaten alle Ehre gemacht hätte - und als einige verschüchtert wirkende Sklaven eine aus edlem dunklem Holz bestehende Bank, die mit teurem Stoff bezogen und gepolstert war, gebracht hatten, legte ich meine süße Last vorsichtig darauf ab, sie noch immer haltend, um darauf zu warten, dass sie aufwachen würde. Patrizierfrauen und tote Ratten hatten sich seit jeher kaum wirklich vertragen, das bewies sich immer wieder.