Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Wie ich diese elenden Familientreffen hasste, die entweder mit Verlobungen, Heiraten oder Beerdigungen endeten. Man stand beieinander, beglückwünschte das strahlende Paar oder die zufriedenen und reicheren Erben, und im Grunde hatte fast jeder dabei den Hintergedanken, dass man zur gleichen Zeit besser an anderem Ort aufgehoben wäre. Nicht, dass ich Aristides und seiner reizenden Braut diese Feier nicht gegönnt hätte - aber ich fühlte mich dabei so deplaziert wie ein Stier im Hühnerstall. Ich würde es wohl so halten wie auf jeder dieser grässlichen Feiern, mir eine Gelegenheit suchen, einige Becher Wein zu leeren und den Rest des Tages mit einem angenehmen Rausch im Hinterkopf zu verbringen, der die Stunden schneller verstreichen ließ, von mir würde ohnehin niemand erwarten, dass ich mich mit Reden oder sonstigen Schauspielen besonders hervortat. Das Reden war etwas für Gracchus, dessen Frau noch nicht auf der Feier aufgetaucht war, das Schauspiel würde wohl Serenus überlassen sein, falls er heute auftauchen sollte, mitsamt seinem sabbernden Riesenvieh, das würde dieses gesellschaftliche Begängnis zumindest ein wenig amüsant machen.


    Die saure Miene Arrecinas gefiel mir jedenfalls nicht, und so machte ich mich, nachdem ich einige der anwesenden Gäste mit einem freundlichen und nicht im geringsten meiner tatsächlichen Laune entsprechenden Nicken gegrüßt hatte, auf den Weg zu meiner Nichte, blieb neben ihr stehen und meinte leise: "Meine kleine Taube, schau nicht so biestig drein, auch wenn Dir die Feier nicht behagt, Dein Vater ist nicht mehr lange in Rom, und wer weiss, ob er aus dem Krieg zurückkehrt. Versuche wenigstens, ihm zuliebe ein wenig zu lächeln, und wenn Du das nicht möchtest, dann mir zuliebe, ja? Komm, hak Dich bei mir ein, und wir tun so, als würde uns die Sache hier Spaß machen, es wird Zeit, dass meine Lieblingsnichte ein bisschen gesellschaftlichen Anschluß in Rom bekommt." Und bevor sie Einspruch erheben konnte, ergriff ich sanft ihre Hand, legte sie auf meinen Unterarm und zog sie einfach mit, ihr Vater würde an diesem Tag anderes zu tun haben, als sich um seine traurige Tochter zu kümmern, und es sollte ihm gegönnt sein, noch einen strahlenden Tag zu erleben, bevor viele weniger schöne kommen würden. Da die meisten Gäste mit irgendwem im Gespräch waren, steuerte ich schließlich eine junge Frau an, die ich nicht kannte, die von den Gesichtszügen her aber ein gewisses claudisches Erbe aufzuweisen hatte, wohl eine Verwandte Epicharis'.


    "Sei willkommen im Haus unserer Ahnen," sagte ich freundlich zu ihr, ohne zu wissen, dass meine Annahme stimmte und ich mit Claudia Dolabella sprach. "Dies ist meine Nichte Flavia Arrecina und ich bin Caius Flavius Aquilius, vielleicht möchtest Du die Anwesenden alle kennenlernen? Wir sind Dir gern behilflich." Damit gab ich auch Arrecina einen leichten Schubs, die beiden Frauen waren zumindest halbwegs im gleichen Alter, und vielleicht würde es ihnen ein wenig gemeinsamen Gesprächsstoff bescheren.

    Manius schien seine Sache gut gemacht zu haben, aber was hätte man sonst wohl vom vorzüglichsten Sproß unserer Familie auch erwarten können? So vieles, das er berührte, schien sich zu Gold zu wandeln, und wäre er nicht der Mensch gewesen, der sich auf ewig einen Platz in meinem Inneren erobert hatte, hätte ich wohl versucht, ihn zu vernichten.
    Dass er mich zu sich heranzog, hatte mich überrascht, aber ich wehrte mich nicht, ließ ihn gewähren, im Zweifelsfall war er noch immer hinter Gittern, und ich könnte mir Hilfe herbeirufen. Allein das Atem fiel mir etwas schwerer, stank er doch zum Göttererbarmen, und der kräftige Griff meines Sklaven verriet nur zu deutlich, wie viel Leben noch in ihm steckte.


    "Sie ist meine Nichte, glaubst Du nicht, dass sie mir solche Dinge erzählt, wenn sie mir vertraut?" antwortete ich nun deutlich gelassener, denn seine emotionale Reaktion bewies, dass ich noch immer einen gewissen Vorsprung hatte im Rennen um die Erkenntnis, was mit ihm zu geschehen sei. "Sie ist eine junge Frau, und in ihrem Alter ist es nicht ungewöhnlich, sich zu verlieben, sei es in einen unerreichbaren Mann, oder einen, den man nicht haben sollte - fast jede Römerin ihres Standes verliebt sich irgendwann einmal in einen Sklaven, und sei es nur wegen des Hauchs von Fremdheit und Abenteuer, den ein Mann aus einer anderen Kultur mit sich bringt." Sein Griff schien sich zu lockern, und ich konnte endlich wieder freier atmen, blickte ihn jedoch noch immer direkt an. Er wich mir nicht mehr aus und ich ihm ebenfalls nicht.
    "Hast Du jemals etwas für Dein Leben erträumt, Rutger? Eine Frau Deines Volkes, ein Haus, Familie, Besitz? Was ist es, wonach du gestrebt hast, bevor Du meinem Vetter begegnet bist?"

    "Dieses Haus mag der Ursprung aller Flavier sein, Manius, aber man hat uns doch immer spüren lassen, dass das Verhalten einiger Mitglieder meines Familienzweigs gänzlich für die Bewertung aller maßgeblich war. Nun sind alle tot, die damals falsch gehandelt haben mögen, und ich bin der Letzte - und ich weiss nicht, wieviel unserer eigenen Identität als hispanische Flavier verloren gehen wird, wenn ich mich wieder dem Hauptzweig anschließe. Mein Vater hat für sich und seine Familie entschieden, nach Tarraco zu gehen, und diese Entscheidung, ob sie nun falsch oder richtig war, muss ich respektieren, wenn ich ihn ehren will. Sein Weg soll nicht vergessen werden, und das wird er, wenn ich mich hier vollkommen einpasse und vor mich hin lebe," sagte ich nachdenklich und spielte mit dem Täfelchen in meinen Händen herum, sodass es mir fast auf den Boden gefallen wäre. Es war einfach schwer zu erklären, wieviel familieninterne Ablehung man mit den Jahren erfahren konnte, nur weil ein oder zwei hispanische Flavier den falschen Weg gegangen waren. Daran erinnerte ich mich leider noch nur zu gut, aber wer würde solche Abneigung auch einfach vergessen?


    Langsam hob ich den blick und sah ihn direkt an, bevor ich nickte. Wenn Minervina ohnehin in Hispania weilte, war es sicherlich besser, dass sie nach dem Rechten sah, und wenn mein Besuch immernoch nötig sein würde, würde ich eben dorthin reisen. Der vilicus meines Vaters war eigentlich ein fähiger Mann gewesen und ich würde mich erkundigen, ob er noch immer das Land gut bewirtschaftete. "Ich danke Dir, Manius, es tut gut zu wissen, dass Du da bist und mir in der Regelung dieser Angelegenheit beispringst. Es ist lange her, dass ich mir um den Nachlass eines Verwandten irgendwie Gedanken machen musste, und es kam sehr überraschend. Seltsam, wie schnell das Leben vergehen kann, ohne dass man den entsprechenden Menschen wirklich gekannt hat. Und nun .." Ich verzog ein wenig das Gesicht und atmete tief ein. "... werde ich mich wohl wirklich ernsthaft mit dem Gedanken einer Heirat beschäftigen müssen. Selbst wenn ich mein Kind mit Orestilla formell adoptiere, braucht es doch immer eine Frau im Haus, die sich als Mutter um das Kind kümmert, und eine peregrina kommt dafür nicht in Frage. Am Ende wird mein Sproß dann ein solcher Wanderer zwischen den Welten wie Furianus, und das ist absolut inakzeptabel. Wirst Du mit mir auf Brautschau gehen? Ich könnte mir keinen besseren Ratgeber wünschen als Dich."

    Ich konnte ihm gar nicht antworten, ich war einfach viel zu perplex, um irgend etwas zu sagen. Ich hatte meinen Vetter ja schon in vielen Situationen erleb5t, traurig, müde, erschöpft, zufrieden, gelöst - aber dass er so deplorabel gelaunt war wie in diesem Moment - und ich stellte gleichfalls fest, dass ich selbst in Gedanken den Begriff benutzt hatte, dessen er sich gern bediente - erstaunte mich dann doch mehr, als ich sagen konnte. Vor allem wegen eines Zahnes. War mein Vater bei solchen Dingen einfach strikter gewesen als der seine, ich hatte auf diese Weise einen Zahn verloren und bereute die Entscheidung heute noch nicht. Er mochte politische Feinde haben, aber wer hätte schon einen solch sinnlosen Fluch ausgesprochen, wenn man einen schmerzenden Zahn auch ausreißen und das Problem damit beseitigen konnte? Ich hätte eher gewisse männliche Körperteile verfluchen lassen, das verdarb einem Mann auf Dauer sehr viel mehr das Leben.


    Seinem Murmeln hörte ich mehr ungläubig zu denn wirklich aktiv, und in diesem Augenblick fasste ich denn auch einen Entschluss: Manius mochte mir in vielem voraus sein, aber irgendwo musste die Abergläubigkeit auch enden. Wir Römer ließen uns viel zu leicht von Omen bestimmen, und zumindest bei seinem Zahn war ich mir relativ sicher, dass er nicht wegen eines Fluches entstanden war, sondern einfach, weil es eben so war. Miteinem solchen Schmerz sollte niemand leben müssen. Wenn Sciurus mit der Suche nach einer Fluchtafel fertig sein würde, würde ich mit ihm sprechen müssen, am besten morgen früh, sobald Manius aus dem Haus war, um sich um seine Arbeit zu kümmern. Und nachdem mein Vetter in Richtung des Villainnerenn davongeschritten war, folgte ich ihm, weit langsamer, meinen kleinen Plan schmiedend. Er würde mich danach verfluchen und beschimpfen, soviel war sicher, aber die Sache musste gelöst werden, ich würde nicht zulassen, dass mein Geliebter aus Furcht vor einem Fluch ewig mit diesem Schmerz leben müsste, bis der Zahn gänzlich verdorben war...

    Ihr warmer Körper, ihr süßer Duft und gleichzeitig diese leise, weiche Stimme waren fast zuviel für mich, die Begierde rannte bei mir offene Türen ein und ich spürte, dass es ab diesem Augenblick höchst verräterisch war, in ihrer Nähe zu stehen, sie überhaupt zu berühren, denn sie musste ebenso wie ich fühlen, dass sich mein Hunger manifestierte, auf die verräterischste und einfachste Weise, welche die Götter den Männern auferlegt haben. Ihr Götter, in ihrem Geruch allein lag so viel Verheißung und Süße, dass es mir schwer fiel, nicht am ganzen Leib wie Espenlaub zu beben, ich versuchte zumindest mein Bestes, um mich irgendwie zu kontrllieren, auch wenn sie es mir mehr als schwer machte. Dieses junge, unschuldige Wesen war meine nichte, Aristides' Tochter, und ich durfte nicht nachgeben, ich durfte einfach nicht!


    "Frage mich nicht, Arrecina, denn was ich fühle, dürfte ich nicht empfinden, und was ich mir wünsche, ist nichts als verbotenes Land, in das wir beide nicht treten dürfen. War es denn schon immer so mit uns? Dieses quälende Verlangen, dieser Wunsch, der nicht wahr werden darf?" flüsterte ich rauh und hielt sie doch noch immer, ich konnte sie einfach nicht loslassen, konnte mich nicht bewegen oder irgend etwas tun, das den Moment in irgendeiner Form verändert hätte. Mein Rücken brannte dort, wo ihre Finger mich berührten, und doch wünschte ich, sie würde damit nicht aufhören, tat nichts, um sie daran zu hindern. Stattdessen streichelte ich sie selbst, mit einer Hand über ihr Haar, hielt sie einer Tochter gleich, und doch war sie viel mehr als das, sie war ein Geschenk, dessen Verpackung ich nicht einmal hätte berühren dürfen. "Liebes, ich wünschte, ich könnte für Dich etwas anderes sein als Dein Onkel, aber ich bin es nicht ..." ie sprach von Gefühlen, aber liebte ich sie denn mehr als ein Onkel seine Nichte? Dass ich sie begehrte, daran bestand kein Zweifel, aber Manius Antlitz' war noch immer das einzige, das in meinem Herzen auf diese Weise wohnte. Vielleicht war es uns Flaviern einfach nicht bestimmt, glücklich zu lieben.

    Ein sonniger Tag, ein gut gefülltes sportula und eine hübsche wie kluge Frau an meiner Seite, was hätte ich mehr wollen können als im Augenblick? Der frühere Aquilius hätte wohl versucht, mit ihr zu flirten, dieses Spiel mit Worten und Blicken zu spielen, das einem Mann den Tag und einer Frau vielleicht die Nächte im Traume zu erhellen vermochte, aber zum einen war sie Aristides' Braut und er konnte mit einem gladius zweifelsohne besser umgehen als ich, und zum anderen ... irgendwie war mir einfach nur ein Gespräch mit ihr gerade lieber. War ich während meiner Zeit als Fischer etwa zum zahnlosen Ehemann verkommen oder waren diese Instinkte einfach genauso vergraben wie meine Erinnerungen? Aber ich wollte jetzt auch nicht zu lange über dieses unerquickliche Thema nachdenken, das mich wahrscheinlich ohnehin wieder auf die falsche Fährte geführt hätte, wie stets, wenn irgend etwas in meinem Leben mit Frauen zu tun hatte. Frauen hatten zumeist die unangenehme Eigenschaft, entweder bezaubernd oder langweilig zu sein, und wenn sie bezaubernd waren, brachten sie noch viel mehr Probleme mit sich als langweilige Frauen.


    "Ich hoffe, Serenus hat sich Dir gegenüber angemessen benommen - er ist fern der Stadt aufgewachsen und weiss nicht immer so genau, wo seine Grenzen verlaufen, wie jeder junge Römer in diesem Alter eigentlich. Leontia habe ich leider noch nicht kennengelernt, aber ich war auch in den letzten Jahren viel auf Reisen - und so erlebt man stets immer wieder Überraschungen mit der eigenen Familie. Langweilig wird es Dir mit den Flaviern sicher nie werden," nahm ich unseren Gesprächsfaden wieder auf, bevor die sich entwickelnde Pause zu lang wurde. Was sie wohl mochte? Welche Art von Scherzen sie wohl verlegen erröten ließ, welche Themen würde sie leidenschaftlich vertreten? Es war lange her, dass ich auf eine Frau getroffen war, die sich so gewandt auszudrücken wusste, dass es mich in gewissem Sinn als Patrizier herausforderte, nicht nur als Mann.
    "Tarraco, sagst Du? Dort liegt auch das Anwesen meiner Eltern, aber ich war lange nicht dort. Vielleicht sind wir uns früher irgendwann über den Weg gelaufen, ohne es zu wissen - das fände ich wirklich einen amüsanten Zufall. Wenngleich mir eine junge Dame wie Du sicher in Erinnerung geblieben wäre, ich müsste blind gewesen sein, Dich zu übersehen." Dann jedoch machte ich eine deutende Handbewegung zum fernen Marstempel hin, meinem alpha und omega. "Wenn Du möchtest, zeige ich Dir zuerst die Stätte meines Wirkens."

    Seine Worte strichen an mir vorbei, ohne dass ich sie hätte greifen wollen, ich blickte nur auf das Täfelchen hinab und versuchte, irgend etwas zu empfinden. Sie war immerhin meine letzte lebende Verwandte gewesen, und nun war ich der letzte hispanische Flavier. Mein Bruder und meine Schwester waren längst dahin, ebenso wie meine Eltern, und nun ... so viel blieb also von einem Menschen, wenn er starb. Einige Betriebe, ein Warenlager voll mit irgendwelchem Krempel, Grundbesitz und Sesterzen. Aber erinnern konnte ich mich deswegen nicht leichter an Calpurnia, es war so vieles in meinem Gedächtnis hinweggewischt, dass ich leise seufzen musste, nicht zuletzt aus einem vagen Anflug von Müdigkeit. Es schien, als wollten mich die Ereignisse überrollen, jetzt, da ich wenigstens wieder wusste, in welche Toga ich eigentlich gehörte.
    "Ich nehme die Erbschaft an, Manius, aber nicht der Familie wegen. Es ist gut so, wie es war, wenn ich meinen Weg alleine schaffe, muss ich wenigstens niemandem danken, und niemand bestimmt meinen Weg ausser mir selbst." Langsam griff ich das Täfelchen und starrte auf die darin eingedrückten Buchstaben, als könnten sie Calpurnia und damit auch meine Erinnerungen wieder lebendig machen, doch blieb die Schrift Schrift und das Loch in meiner Erinnerung vorhanden.


    "Ich weiss zwar nicht so wirklich, was ich mit all diesem Besitz anfangen soll, aber ... irgend etwas wird sich schon finden, und sei es nur, um Deiner politischen Karriere im Zweifelsfall auszuhelfen, Manius. Wahrscheinlich hätte sie es gewollt, dass es der Familie zugute kommt, soweit sie noch existiert, zumindest hoffe ich das. Immerhin war sie eine Flavia, keine Plebejerin." Ich blickte langsam zu ihm auf und atmete tief ein. "Was bedeutet, der Familiensitz steht nun auch leer und alle Ahnenmasken befinden sich dort ohne Aufsicht und Verehrung durch einen der unseren. Ich werde nach Hispania reisen müssen, um dort alle Angelegenheiten zu regeln, ich habe es zu lange vor mir hergeschoben, scheint mir, und nun schreit es geradezu nach einer Lösung. Was würdest Du mir raten? Ich will die Ahnenmasken nicht gerne dort lassen, aber wenn ich sie mit mir nehme, dann ... dann bin ich nichts mehr, kein hispanischer Flavier, nur noch irgendein Mitglied dieser Familie, der nirgendwo zuhause ist." Und das war es, was eigentlich schmerzte, nicht zu wissen, wohin man gehörte. Ausser ihm gab es keinen Menschen mehr, der mich vielleicht willkommen geheißen hätte.

    Irgendwo in meinen tiefsten Regionen der Erinnerung herrschte ein vages Gefühl der Furcht vor, welches wohl noch aus Kindertagen stammte und sehr viel eben jener Großmutter und deren spitzer Zunge zu tun hatte. Römische Damen waren fähig, dem Selbstwertgefühl eines jungen Römers empfindlichen Schaden zuzufügen, wenn es um Bemerkungen zum Sitz der Toga oder ähnliches ging, und irgendwie war ich froh, dass ich mich an diese Verwandte nicht allzu genau erinnerte.


    "Du hast diesen Schmerz nun schon seit Wochen?" echote ich ein wenig ungläubig die Worte meines Vetters, kaum fähig, sie zu glauben, denn er wirkte nun wirklich nicht wie ein Mann, der sich von einer solchen Sache allzu lange würde quälen lassen, ohne radikale Maßnahmen zu ergreifen. "Warum hast Du den Zahn denn nicht ausreißen lassen? Es klingt, als hätte sich die Fäule eingeschlichen, und wenn man solche Zähne nicht entfernt, dann können die anderen Zähne davon auch angesteckt werden." Vor allem konnte ich mir einen Manius mit zahnfaulbedingtem Mundgeruch nicht wirklich vorstellen, ich wollte ihn mir so auch nicht vorstellen müssen.

    "Zukunft ..." ich ließ das Wort auf den Lippen rollen, wo es ein trockenes und rauhes Echo hinterließ. Es musste für ihn wie Hohn klingen, aber er hatte eine Zukunft, ob sie ihn nun in den Abgrund führen würde oder ob es eine ander Möglichkeit geben würde, würde sich von seinem Verhalten abhängig machen. Schweigend betrachtete ich ihn, dieses Wrack eines einstmals stolzen und stattlichen Mannes, und schüttelte innerlich den Kopf über diese Etnwicklung. Vielleicht war ich zu weich dafür, einen Menschen auf diese Weise verrotten zu sehen, vielleicht gab es in mir immernoch den vagen Sinn der Achaier, der sich nach Schönheit sehnt, ich konnte es nicht sagen. Vielleicht gab es doch noch etwas in mir, das Mitgefühl nahe kam, Orestillas fröhliches Lachen wollte nicht aus meiner Erinnerung weichen, und auch nicht ihr ängstlicher Blick, als diese Halunken über uns hergefallen waren. Vielleicht war doch mehr in mir als nur ein Patrizier, der zum Fischer geworden war ...


    "Du lebst noch, Rutger, Du lebst noch, und das ist mehr, als vielen anderen geblieben ist," sagte ich schließlich und versuchte, nicht zu sehr den muffigen Gestank dieses Raumes einzuatmen, der hauptsächlich daraus bestand, dass hier ein Mensch vor sich hin vegetierte, der schon länger nicht mehr gewaschen worden war. "Du hast sie nicht verflucht, sagst Du? Doch hast Du den Fluch der Liebe auf sie gelegt, Rutger, ein Fluch, der Menschen gründlicher und tiefgreifender zerstört, als es alles andere tun könnte, vor allem so junge und unschuldige Menschen wie sie."
    Wobei Arrecina bei weitem nicht so unschuldig war, wie es ihrem Vater vielleicht recht sein mochte, aber das musste er nicht erfahren. Ich behielt den Germanen noch immer direkt in meinem Blick und seufzte innerlich. Er war mein Sklave, und was er getan hatte, war auch meine Schuld, ich hatte versagt ... und nun war ich es, der eine Lösung finden musste. Es wäre leicht gewesen, ihn töten zu lassen, aber ...


    "Weisst Du, warum Du noch lebst, Rutger?" fragte ich unvermittelt und atmete dabei leise ein. "Du bist mein Besitz, und allein mir kommt eine Entscheidung über Dein Schicksal zu, somit hat diesen Weg niemand sonst beschritten. Es ist meine Pflicht als sacerdos, als Gode, wie Du meinen Vetter nanntest, die richtige Entscheidung zu treffen, und was wäre passender, über einen Krieger als Priester des Kriegsgottes zu entscheiden ..." Der Klang meiner Stimme verlor sich etwas, bevor ich den Pfeil meiner nächsten Frage auf ihn abschoss: "Liebst Du Arrecina?"

    Manius hatte eindeutig die richtigen Erbanteile unserer einstmals so mächtigen Vorfahren erhalten, diese Stimme der Autorität war etwas, das selbst ich nicht gern als Kind gehört hätte, denn sie ließ genau eine Lösung zu: gehorchen oder den größten Ärger des Lebens kassieren. Ich beäugte den jüngsten Sproß unserer viel zu großen Familie misstrauisch und nickte schließlich beifällig zu den Worten meines Vetters. Von mir hätte er weniger Worte denn Taten zu erwarten gehabt, und das wäre wohl nicht unbedingt der richtige Weg gewesen. Vor allem, wenn der Kleine der Sohn Aristides' war - ich hatte nicht einmal gewusst, dass er einen Sohn hatte, oder hatte ich es einfach nur vergessen? Einige Male blinzelnd, versuchte ich die Schatten aus meinem Hinterkopf zu vertreiben, um klarer zu sehen, aber es war wie so oft nicht von Erfolg gekrönt. Den ehemaligen Fischspieß nun sinken lassend, atmete ich tief ein und aus, um mich wieder ein wenig zu beruhigen.
    "Aristides geht wohl davon aus, Serenus könnte hier in dieser elenden Stadt etwas Nützliches lernen, das ist wirklich kaum zu glauben," meinte ich dann und blickte auf den Jungen herab, dann zurück zu Manius, dessen Haltung irgendwie eigenartig war. "Was ist eigentlich mit Dir, Vetter? Fühlst Du Dich nicht wohl?"

    "Eine stumme Gemahlin? Der Gedanke hat etwas interessantes an sich, aber ich glaube, eine sprechende Frau ist mir dann doch lieber," meinte ich zu seinem Vorschlag und sann kurz über die Familien nach, die für eine Ehe überhaupt in Frage kamen. Mit den Claudiern waren wir nun über Manius verwandt, und die Tiberier wären über Furianus an die Flavier gebunden, blieben nur noch die Aurelier, falls es dort eine passende junge Frau überhaupt gab - ich würde Corvinus einmal fragen müssen, wenn ich mich denn überhaupt zu dieser elenden Heiraterei würde durchringen müssen.
    "Antonia ist doch eine angenehme Frau," führte ich den Gedanken fort. "Sie ist klug, scheint von ihren Ansichten her nicht zu modern zu sein und sie verfügt über ein hinreißendes Lächeln. Ich würde fast sagen, sie ist an eine solche Farce verschwendet, aber ich denke, sie hätte es auch sehr viel schlechter treffen können als einen Mann, der sie des nachts nicht aufsucht." Ja, eine Frau wie Claudia Antonia wäre wirklich nicht schlecht, überlegte ich und beobachtete meinen Vetter ein wenig,immerhin schien er sich derzeit halbwegs mit seiner Situation arrangiert zu haben. Nur die Frage des Erben blieb bestehen und würde bestehen bleiben, solange diese Ehe währte.


    "Es ist nur schade, dass Aristides derzeit nicht hier weilt, sonst könnten wir unsere alten Gewohnheiten wieder vollkommen aufleben lassen, der Brummschädel nach einer weinseligen Nacht mit inbegriffen," zog ich ihn ein wenig auf und schmunzelte bei der Erinnerung an einen Manius, der sich mit mir gemeinsam im Verbund erbrach. Es passierte sehr selten, aber es war passiert und wir hatten beide recht elend ausgesehen. Ich hatte mich wieder an ein Bruchstück erinnert, fiel mir auf, und das ließ zumindest ein wenig Hoffnung zurückkehren. Vielleicht würde alles irgendwann zurückkehren, wenn man es durch Worte und Taten weckte, als würde einfach ein Teil meines Kopfes schlafen und ruhen. Allerdings, die letzten Worte meines Geliebten rissen mich dann doch wieder heftig aus meinen Gedanken und katapultierten mich in die weit wesentlich weniger angenehme Gegenwart zurück. Calpurnia war gestorben? Ich der letzte der hispanischen Flavier? Das konnte nicht möglich sein.


    "Das ist unmöglich," sagte ich leise und schüttelte den Kopf. "Sie können nicht alle tot sein, ich bin nicht der letzte Flavier aus Hispania." Aber je mehr ich meine Gedanken zwang, mich zu erinnern, irgendwelche Namen auszuspucken, desto weniger Erfolg hatte ich dabei. Hatte er denn Recht? War es möglich? Oder spielte mir mein Gedächtnis einen unerfreulichen Streich?
    "Sie wollte doch diesen .. Plebejer heiraten. Wie kann sie da tot sein?" Diese Erkenntnis überforderte mich schlichtweg. Nicht, dass ich mich groß an sie erinnert hätte, ich hatte nur dunkel blondes Haar in Erinnerung und ein recht geringschätziges Lächeln, wie es vielen Frauen unserer Familie im Blut lag. Aber ich der Letzte? Ich würde allein schon deswegen heiraten müssen, um die Linie zu wahren - oder sie aussterben lassen, weil ich es so wollte. Mehrfach blinzelte ich und hielt mich schließlich an der Wand fest. "Wie kam sie zu Tode, weisst Du das?"

    Elend sah er aus, nicht mehr wirklich wie ein Mensch, eher einem Tier gleich, doch den Lebensfunken nach wie vor glimmend und gellend hell in den Augen. Manches Mal hatte ich mir überlegt, ob es überhaupt etwas gab, was diesen Germanen in die Knie zwingen mochte, und nun war ich damit überein gekommen, dass es wohl nur der Tod vermögen würde, dieses Licht zu brechen. So elend er auch aussehen mochte, irgendwo im Inneren musste dieser Wille noch schlummern, der ihn am Leben gehalten hatte, selbst hier, selbst unter diesen Bedingungen. Man hatte meinen Sklaven nicht geschont, doch das war ob seiner Tat wenig erstaunlich - nur meine lange Abwesenheit war sein Lebensretter gewesen, nur die Tatsache, dass man nicht in meine Entscheidungen eingreifen wollte, was den Umgang mit ihm betraf.


    "Man hat mir berichtet, was geschehen ist, was Du getan hast, Rutger, und doch gibt es vieles, das ich wissen muss, um die richtige Entscheidung über Deine Zukunft zu treffen, über das, was mit Dir geschehen muss als Sühne für Dein Handeln. Du hast die falsche römische Familie durch Dein Handeln geschlagen, und wir Flavier neigen dazu, hundertfach zu vergelten, was man uns antat, was man einer von uns tut," eröffnete ich unser Gespräch und behielt ihn dabei im Blick. Er musste nicht wissen, wieviel ich vergessen hatte, das zuzugeben, würde meinen Standpunkt nur schwächen ihm gegenüber. "Nun, ich möchte, dass Du mir Deinen Teil der Geschichte erzählst, von Anbeginn der Entführung an, und vor allem will ich wissen, was Dich zu dieser Wahnsinnstat bewegt hat. Glaubtest Du ernsthaft, mit meiner Nichte flüchten zu können, ohne gefasst zu werden?"
    Ich versteckte mich hinter dem harten und kalten Klang meiner Stimme wie einer Maske, und wartete ab. Würden mir Zorn, Abscheu, Ablehnung begegnen, Empfindungen, die ich mit ihm vage verband? Er hatte uns nie geliebt, und mich als Herrn wohl am allerwenigsten, aber er sollte seine Chance bekommen, zu erklären. Immerhin war er ein Krieger gewesen, und ein Krieger verdiente eine Stimme, sonst hätte ich meinen Gott verleugnen müssen.

    Es gab nicht vieles, womit mich eine Frau noch überraschen konnte, dafür hatte ich in der Vergangenheit zuviele Umarmungen, zuviele Lügen und zu viel Lächeln genossen. Irgendwann glichen sie sich alle, zumindest in den grundsätzlichen Überraschungsmöglichkeiten - aber heute wurde ich eindeutig eines Besseren belehrt, als sie erwähnte, dass sie Aristides' Verlobte war. Zum einen war es erstaunlich genug, dass mein bärbeißiger Vetter nun doch den Bund fürs Leben eingehen wollte - entweder war er sehr verliebt oder sehr verzweifelt - zum anderen erstaunte es mich, dass eine so kultivierte Frau, wie diese junge Dame offensichtlich war, ausgerechnet an Aristides Gefallen gefunden hatte, er schien über Seiten zu verfügen, die ich bisher noch nicht bemerkt hatte. Bald würde ich von Ehen umrundet sein, überlegte ich, und als einziger lediger Flavier in die Geschichte eingehen.
    Ich versuchte, meinen Unterkiefer davor zu bewahren, auf Brusthöhe herunterzuklappen, und hielt mein Lächeln aufrecht.


    "Ich muss wohl doch länger auf Reisen gewesen sein, als ich dachte, wenn nun auch mein Vetter Aristides mit einer reizenden und freundlichen Braut aufwarten kann," versetzte ich und blickte sie unter dem Gedanken an, künftig mit ihr verwandt zu sein. So unangenehm war diese Vorstellung nicht, eine Frau, mit der man sich anscheinend auch sinnvoll unterhalten konnte, war in Rom selten, und da sie anscheinend gerne las, würden wir sicherlich das ein oder andere Thema finden. "So freut es mich umso mehr, ein Missgeschick begangen zu haben, denn wann trifft man schon die Verlobte seines Freundes zufällig in einer Stadt wie dieser? Ich bin mir sicher, auf Deiner sponsalia wirst Du erkennen, dass unsere Familie zwar groß ist, Dich aber warmherzig und freundlich empfangen wird - besonders Antonia, die Gemahlin meines Vetters Gracchus, wird sich sicher freuen, eine Gefährtin in Dir zu finden, denn es gibt nicht viele Frauen in unserem Hause." Zumindest hoffte ich, dass es so war, das war mein letzter Informationsstand und vielleicht hatte sich wenigstens dies nicht grundlegend gewandelt. "Du hältst mich nicht auf, keine Sorge. Soll ich Dir vielleicht hier etwas zeigen, falls Du den Tempelbezirk noch nicht kennst? Dann wird Dir die Wartezeit bis zu Deinem Termin bei der Sybille nicht lang."

    Man hatte mir gesagt, dass sich mein Sklave im carcer der Villa Flavia Felix befand, und dorthin hatte ich mich nach dem Erhalt des Briefes meines Vetters auch auf den Weg gemacht. Es gab einfach zu viele Fragen, die sich mir stellten, und ich wollte die Seite meines Besitzes auch anhören, bevor ich mich weiter entscheiden würde, ob ich ihn Aristides' Gewalt überlassen würde oder nicht. Es gab nicht mehr vieles, woran ich mich im Bezug auf meinen Sklaven erinnerte, aber sein Streben nach Freiheit war mir im Gedächtnis geblieben, ein Streben, das wohl allen Menschen gleich war und das es zu ergründen galt. Es roch muffig hier unten, und ich wusste nun, wieso ich hier noch nie gewesen war, zumindest nicht bewusst. Die Ölfunzel, mit der ich meinen Weg erhellte, flackerte heftig, als ich die richtige Zelle erreicht hatte, und vor der vergitterten Türe stehenblieb, um den Mann im Inneren zu betrachten, dessen Umrisse ich kaum ausmachen konnte.
    "Rutger, ich muss mit Dir sprechen," sagte ich und wartete darauf, dass er eine Regung aufweisen würde, die mir verriet, wo in dem Häufchen Mensch im Halbdunkel der Kopf zu sehen war und wo die Füße sich befanden.

    Ich verharrte in meiner Angriffsabwehrhaltung, denn der Gedanke daran, dass dieses Riesenvieh unter Umständen Teile meines Körpers abbeissen wollte, an denen mir unmittelbar gelegen war, ließ mich vorsichtig bleiben, auch als Gracchus zwischen mich und den kleinen Rotzlöffel getreten war. Wir waren also tatsächlich mit dem Kleinen verwandt? Aber die Tatsache, dass er anscheinend mit einem Ego gesegnet war, das locker für drei Imperatoren gereicht hätte, hätte es mir auch zeigen sollen, zweifelsohne war der Kleine ein Flavier. Den nunmehr abgebissenen Spieß in beiden Händen haltend, verharrte ich lauernd und wartete ab.


    "Warum um alles in der Welt kann man in dieser Villa nicht einmal nachts seine Gedanken sammeln, ohne dass eine sabbernde Bestie, geführt von einem Kind, über einen herfällt? Es hat sich hier wirklich absolut nichts geändert. Demnächst werde ich mit einem gladius bewaffnet einen Abendspaziergang machen müssen, um kein Bein zu verlieren oder dergleichen." Er klang genervt, und ich war es nicht minder - zu wem der Junge auch gehören musste, im Augenblick war mir sehr stark nach strammgezogenem Tunikarückteil für dieses Kind.

    Es tat gut, neben ihm zu stehen, ihn zu berühren, als könnten wir damit noch alles zurückbringen, was früher das Leben schön und einfach gemacht hatte, eine Illusion, die wir nur festzuhalten brauchten, wenigstens für einen flüchtigen Augenblick, einen Moment, der an uns vorüber strich, um dann zu vergehen. Wir wussten beide nur zu genau um die Flüchtigkeit dieses Gedankens, aber wer konnte uns daran hindern, uns zu erinnern, wenigstens für diesen Tag ein wenig von dem zurückzugewinnen, was nur uns gehörte? Dass er so unverhofft seine eigene Neigungen ansprach, ließ mich kurz auflachen - Manius in den Armen einer verführerischen, üppigen Cleopatra mit griechischem Profil, nein, das konnte ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen. Da wäre einer der männlichen Nachkommen aus dem Haus der Ptolemäer wohl passender gewesen, wären sie nicht so degeneriert gewesen.
    "Glaubst Du, ich wollte bis an den Rest meiner Tage mein Leben unter dem strengen Blick einer Livia fristen? Es gibt sicherlich erstrebenswertere Schicksale als gerade dieses, mit dem Gewicht eines imperiums an Sorgen auf den Schultern mit dazu."


    Allerdings, einem Soldaten ähnelte ich inzwischen durchaus, darin musste ich ihm zustimmen, wenngleich es mich weit weniger nach dem Ruhm auf dem Schlachtfeld verlangte als den meisten anderen Männern meines Alters. "Ach Manius, ich bin doch kein Eroberer, und werde wohl nie einer sein. Vielleicht in den Schlafzimmern der gutsituierten römischen Damen, aber sonst sicher nicht. Der Ruhm ist etwas für Aristides und alle anderen Männer unserer Familie, die nach oben streben, ich weiss hingegen noch nicht, ob ich mir dies wirklich zumuten will, zudem sollte ich dafür heiraten, und wo soll man in dieser Stadt noch eine Frau herbekommen, mit der wir nicht zu nahe verwandt sind und die mich nicht tödlich langweilt, sobald sie den Mund öffnet?" Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich ans Fenster, um meinen Vetter ein wenig genauer anzublicken. Er war gereift, ohne Zweifel, und es stand ihm gut. Antonia mochte nicht allzu unzufrieden sein ob ihres Gatten, auch wenn er sie wohl nicht nachts besuchte.


    "Warum sind wir nicht einfach Castor und Pollux, Manius? Du der unsterbliche, und ich der sterbliche Bruder, in ewiger Freundschaft und Nähe verbunden, dass selbst Iuppiter uns gewährt, die Ewigkeit gemeinsam zu verbringen. Auch wenn der Tod bei einem Trinkgelage sicher nicht verachtenswert ist, niemand würde weniger in die Rolle eines Eroberers von Alexanders Range passen als ich." Wieder kehrten einige Bruchstücke der Erinnerung zurück, und ließen sich nicht aufhalten, ich sah sein Gesicht vor mir, wenn ich ihn wieder zum Wein geschleppt hatte und er am Tag danach unbestreitbar litt, ein Umstand, der den hispanischen Zweig der Flavier nie beschwert hatte. "Wir müssen wieder einmal einen Abend gemeinsam verbringen, mit Gespräch, gutem Essen und Wein ... das ist etwas, was ich wirklich vermisst habe."

    Eine Claudierin also - wenngleich sie Claudia Antonia, Gracchus' Ehefrau, nicht unbedingt ähnelte, aber vielleicht entstammte sie auch einem anderen Familienzweig, genau wie ich mit Gracchus und Aristides nur entfernt verwandt war. Wer die genauen familiären Zusammenhänge aller römischen Patrizierfamilien kannte, verdiente zweifellos nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch das Mitgefühl eines jeden römischen Mannes, denn wer sich freiwillig mit diesem Chaos befasste, musste schon ein sehr armes Leben haben. Der Sklave beäugte mich so kritisch, wie es jeder gute Wachhund tun sollte, in sofern schien sie zum einem Familienzweig der Claudier zu gehören, der Wert auf die Tugend und Unversehrtheit seiner Frauen legte, ein weiterer Punkt, der für diese lesende Schönheit sprach.
    "Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Claudia Epicharis," erwiederte ich freundlich und überlegte gleichzeitig, warum um alles in der Welt sie wohl meinen Namen kannte. Ich war weder Politiker noch in irgendeiner Form namentlich in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten - aber sie beantwortete mir die Frage mit ihrem nächsten Satz schon selbst. Wenn eine Frau nach einem bestimmten Mann fragt, hat sie Interesse an ihm, und wie es schien, war Aristides der Glückliche.


    "Nun, Flavius Aristides ist zufürderst ein guter Freund aus Kinder- und Jugendtagen, und der Einfachheit halber bezeichnen wir uns als Vettern, auch wenn wir aus verschiedenen Familienzweigen stammen, er aus dem italischen, ich aus dem hispanischen, und die eigentliche Verwandtschaft somit ein bisschen schwieriger zu erklären ist ... ich hoffe, Du bist auch mit der ein wenig einfacheren zufrieden, ansonsten muss ich Dir nun unseren Stammbaum in den Staub malen." Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass ich einer Wildfremden unsere Familiengeschicke preisgeben sollte, und gleichzeitig wusste ich auch, dass ich aufgeschmissen wäre, müsste ich es wirklich tun, denn an einige Namen und Gesichter konnte ich mich noch immer nicht erinnern. Hoffentlich würde es ihr reichen, was ich ihr bereits gesagt hatte, andererseits waren die meisten Frauen furchtbar neugierig ... nun, ich würde sehen. "Darf ich fragen, wieso Du Dich für meinen Vetter interessierst? Er weilt derzeit in Mantua, bei der Legio, wenn ich mich nicht irre, und es dürfte schwer werden, ihn hier anzutreffen."


    Zumindest hatten mir das die Haussklaven gesagt, und ich hatte bisher keinen Grund gehabt, daran zu zweifeln. Wandelte Aristides derzeit gar auf Freiersfüßen? Dann war eine Claudierin, vor allem eine Frau mit Klasse, sicher keine schlechte Wahl, wobei es mich vor die Schwierigkeit stellte, mir aus dieser Familie dann sicher keine Braut zu suchen, damit die flavischen Linien nicht irgendwann an zu dünnem Blut und daraus resultierender Irrheit erlöschen würden, zwei Männer mit einer claudischen Frau in der Familie waren genug. Heiraten .. allein der Gedanke daran war unangenehm, nicht zuletzt, weil die meisten Patrizierinnen heillos überspannt waren.

    Ich stieß gegen etwas weiches, das zudem noch einen zarten Geruch verströmte, und erst der nächste Augenblick samt eingehenderer Betrachtung brachten mich zu der Erkenntnis, dass ich - mal wieder - eine Frau umgerannt hatte und sie nicht zu jenen Gossendirnen gehörte, die um diese Zeit zum Venustempel fluteten, um für ihre miserablen Ehen um den Beistand der schönen Göttin zu flehen. Einer Patrizierin sah man ihren Stand zumeist an, und diese Frau hatte jene besondere Klasse, welche die meisten Frauen unseres Standes auszeichnete. Dann, erst ein ganzes Stück später, registrierte mein inneres Sein, dass sie schön war. Wie sehr musste mein Selbst durch dieses Fieber gelitten haben, dass mir solches nicht zuerst auffiel, aber die Schriftrolle, die sie mit der einen Hand umklammert hielt, blieb eine nicht weniger wichtige Konnotation. Was sollte ich also tun, als das, was einem Mann in einer solchen Situation immer geboten ist, schuld am Zusammenstoß oder nicht? Ich lächelte und versuchte, verlegen auszusehen. Es gelang mir ganz gut.


    "Ich hoffe, Du entschuldigst meine Unaufmerksamkeit, auch wenn es eigentlich keine Entschuldigung dafür gibt, eine Frau wie Dich nicht sofort zu bemerken, wenn sie den eigenen Weg kreuzt. Aber vielleicht bewegt Dein Herz ein wenig Gnade, wenn ich Dir offenbare, dass mich schwerwiegende Gedanken bewegten und es zudem keine Absicht war. Ich hoffe doch, ich habe Dich nicht verletzt?" Natürlich war sie nicht verletzt, nicht einmal ihre palla war in Unordnung geraten, aber sicher war sicher. Manche Patrizierinnen waren ausgesprochen zickig, wenn man sie auf dem falschen Fuß erwischte, was einer der großen Nachteile jener Frauen war. Gab man einem Menschen zu viele Freiheiten, nutzte er sie naturgemäß gerne aus, ob niedrig oder hoch geboren. Ich trat einen Schritt zurück, bis uns wieder ein vor den Augen der Öffentlichkeit schicklicher Abstand trennte, und neigte ihr höflich den Kopf zu.


    "Erlaube, dass ich mich Dir vorstelle: Caius Flavius Aquilius, sacerdos publicus martialis. Wenn es irgendetwas gibt, womit ich Dein Ungemach durch diesen unangenehmen Zwischenfall lindern kann, so lass es mich wissen und ich will gerne versuchen, den ersten Eindruck in ein etwas besseres Licht zu rücken." Wenigstens war mir als Fischer die formvollendete Rede nicht ganz abhanden gekommen, und nun erst nahm ich mir Zeit, sie ein bisschen genauer anzuschauen, ohne dass es zu sehr auffiel. Ich selbst mochte wohl dem oftmals etwas bequem und lebenslustigen Bild der meisten an Opfergaben fett gefressenen Priester nicht entsprechen, vom langen Arbeiten draußen war ich noch gebräunt, die weiße Toga bildete einen fast grellen Kontrast zum Rest der Erscheinung. Die Narben auf meinem Unterarm gehörten eher einem Soldaten als einem Priester, und das ausgebleichte, helle Haar eher einem Arbeiter denn einem Patrizier.

    Ein sonniger Tag hatte für einen normalen Römer mehrere Optionen bereit, je nachdem, welcher Gesellschaftsschicht man angehörte. Dass ich das Glück (oder, wie manche auch sagen würden, Pech) gehabt hatte, als Sohn eines Patriziers auf die Welt zu kommen, ließ mir viel Muße neben meinem Tempeldienst, und so genoss ich es, nachdem ich meine täglichen Aufgaben vollendet hatte, einen kleinen Spaziergang in Roms Tempelgegend zu machen. Die Menschen, die bei praller Sonne unterwegs waren, hatten sicherlich nur dringende Anliegen, die meisten anderen genossen jetzt in den Eingeweiden der Stadt ihr Mittagsschläfchen, die tägliche Schale Brei oder die Freuden einer lupa oder ihrer Eheweiber. Aber mir war weder nach Brei noch nach Schatten, auch die lupae dieser Stadt reizten mich wenig, sie kosteten doch zumeist zuviel und was man sich dabei holen konnte, war ein teurerer Preis, als mir das kurze Vergnügen wert sein konnte. Und ich hatte wenig Lust, die von Gracchus ausgeborgte, blütenweiße Toga in irgendeiner subura-Kaschemme zu beschmutzen.


    Das sportula, welches ich wie so oft von der morgendlichen salutatio in unserer Villa geklaut hatte, enthielt heute neben einem Krug Apfelwein auch einen dicken Laib Brot, Käse und Trauben, was wollte man schon mehr, um einen kleinen Spaziergang passend abzurunden. Während ich den Tempel des Mars passierte und ein soldatisch aussehender Mann an mir vorbeihastete, glitten meine Gedanken schon weiter in die Ferne. Vielleicht sollte ich der Venus wieder einmal opfern, dass sie ein Einsehen mit Orestilla haben würde - sie würde mein Kind gebären, aber heiraten konnte und wollte ich sie nicht, nicht eine peregrina mit unbestimmter Herkunft. Und so sehr sie mich auch liebte, ich mochte sie, aber ich konnte mich nicht zwingen, ein Gefühl zu erwiedern, das ich nicht empfand. Sie würde nur unglücklich damit werden ... ich blickte in die strahlende Sonne hinauf, in jenen blauen Himmel, der keinerlei Wölkchen zeigte, und seufzte etwas. Manche Dinge mussten auch kompliziert sein, vielleicht wollten die Götter nicht, dass irgend etwas einfach verlief. Vielleicht hatte ich auch schon zuviel Schuld auf mich geladen. In Gedanken versunken, schritt ich weiter, und bemerkte ein auftretendes Hindernis in der Form einer Person erst, als ich dagegen rempelte.


    Sim-Off:

    Wer mag, der darf gern das Hindernis sein ;)