Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Ich fühlte seine Nähe mehr, als ich ihn sah, denn noch imme hielt ich den Blick nach draußen gerichtet, wohl wissend, dasses mir immer schwer fallen würde, ihn anzusehen, ohne mich zu ihm zu wünschen,. ohne diesen speziellen Ausdruck in den Augen zu tragen, der alle Liebenden so sicher und schnell verrät. Eines hatte mir die langsam und schrittweise zurückkehrende Erinnerung gezeigt - dass ich vieles falsch gemacht hatte. Orestillas sanfte und unaufdringliche Liebe hatte mich mehr über dieses Gefühl gelehrt, als es jedes Gewinsel eines luststarren Ovid jemals hätte tun können. Sie hatte mich vor allem einen wichtigen Grundsatz gelehrt, wenn man liebte.


    Ich wandte den Kopf nun doch zur Seite, als er seine Selbstanklage begann, dann schüttelte ich energisch den Kopf, berührte nachdrücklich seinen Arm und drehte ihn zu mir, ohne ihn loszulassen. "Wenn es einen Menschen gibt, an den ich mich jederzeit und immer erinnern will, dann bist Du es, egal wie schwer die Erinnerung sein mag, wie schmerzend sie ist, wie sehr sie mir noch wehtun wird. Was immer in der Vergangenheit liegt, ich empfinde dennoch, wie ich empfinde, und dieses Gefühl war stärker als jedes Vergessen. Kann es denn dann so schlecht sein, mich an dich zu erinnern, Manius?" Langsam griff ich seine rechte Hand und hielt sie zwischen meinen Händen, fühlte den Pulsschlag an seinem Handgelenk, welches das meine berührte, und wünschte mir im Stillen, es könnte ewig so dauern.


    "Manche Erinnerungen kehren schneller zurück, andere langsamer, zumindest war es so in den letzten Tagen vor meiner Rückkehr - ich denke, so grausam waren die Götter nicht, und falls sie es doch gewesen sein sollten, so müssen wir versuchen, daraus zu lernen. Ich habe mich an Dich erinnert, und das muss etwas bedeuten, wenn alles andere so leicht verschwunden war. Selbst meine Erinnerungen an Arrecina, Aristides und meine eigenen Verwandten aus Hispania sind nicht so genau und klar, wie ich es mir wünschen würde." Ruhig blickte ihn ihn an, in seinen Augen nach Verständnis, oder wenigstens Einverständnis für meine Worte suchend, bevor ich den finalen Gedanken aussprach.
    "Wohin auch immer Du gehst, ich werde bei Dir sein, was immer Du tust, ich bin bei Dir, Manius. Du bist nicht mehr alleine, und wenn es bedeutet, dass wir uns niemals haben werden, niemals lieben dürfen, dann bin ich bereit, diesen Preis zu zahlen, um für Dich da zu sein. Sei nicht mein Brutus, sein mein Marc Anton, Manius, und ich werde dein Octavian sein. Nichts auf dieser Welt kann stark genug sein, um uns auseinander zu bringen."

    "Aristides hat erstaunlich viel Nachwuchs gezeugt, scheint es mir langsam ... kaum ist man mal einige Tage weg, quillt die Villa schon über. Aber wer kann es ihm schon verdenken," sagte ich grübelnd. Immerhin hatte ich auch mehr ungewollt als gewollt nun die Aussicht auf einen Sohn (zumindest eine sehr wahrscheinliche Aussicht), und musste damit auch erst einmal fertig werden.
    "Minervina kenne ich gar nicht mehr, und Lucullus ... nunja, wirklich zum Gespräch kamen wir noch nicht, wahrscheinlich waren wir dafür zu große Tempelhocker damals." Meine Erinnerung an Lucullus war derart verschwommen, dass ich ihn wahrscheinlich auf dem Gang nicht einmal erkannt hätte, wäre er mir begegnet, und ich erwog für einige Momente lang ernsthaft die Anschaffung eines nomenclators, um mir das Problem der fehlenden Erinnerungen ein wenig zu erleichtern. Spätestens auf dem forum würde es unangenehm werden, die meisten Gesichter weder einem Amt noch einem Namen zuordnen zu können. Seine Worte über die anderen Verwandten ließ ich an mir vorüberziehen, denn ihre Namen sagten mir in etwa so viel wie die völlig Fremder, allenfalls sein veränderter Ton bei seiner Nachfrage, ob ich denn alles vergessen hätte, ließ mich wieder aufmerksamer sein.


    Woran sollte ich mich erinnern? Er war der einzige unserer Verwandten, der mir wirklich im Gedächtnis geblieben war, dessen Klang der Stimme allein mir schon einige meiner Erinnerungen an Achaia und noch weiter zurückliegende Momente zurückgab. Und schmerzliches, das kehrte auch zurück .. Bruchstücke, aber keine vollständigen Geschichten.
    "Ich weiss nicht mehr, an was ich mich alles erinnere, Manius, das ist ja das Problem. Manches sehe ich klar und deutlich, und anderes scheint so von der Dunkelheit verschluckt ... ich erinnere mich unserer Gespräche in Achaia, an ... Dinge, die ... Dir Schmerz verursacht haben, aber ich bekomme sie nicht mehr alle zusammen. Es ist so ...als würden einem die Worte auf der Zunge liegen, aber man kann sie nicht aussprechen." Ich atmete tief ein und seufzte dann, den Kopf schüttelnd. Man konnte Erinnerungen wohl nicht hervorzwingen, aber ich hätte es nur zu gerne getan, zumindest alle, die mit ihm zu tun hatten.


    "Du bist verheiratet ..." Zusammenhanglos griff ich den Gedanken auf, und dann stand er mir mit einem Mal flammend hell vor Augen. Die Hochzeit, diese schöne Frau, die er nicht liebte, die ihn wahrscheinlich nicht liebte, aber doch, sie waren vermählt und ... sie hatte alles, was ich nicht haben würde, niemals. Wieder sog ich den Atem ein, diesmal deutlich mühsamer, und versuchte, irgendwie dieses weitere Detail der uns beide vereinenden Last noch auf die Schultern zu laden. "Ich scheine wirklich einiges verpasst zu haben, vielleicht lerne ich Leontia auch noch kennen." Wieder flüchtete ich in die Belanglosigkeit, auch wenn mich diese Frau nicht interessierte, wenn mich nichts ausser ihm interessierte. Was sollte ich tun, wenn ich schon in dieser Sache niemals Erfolg haben würde? "Ich werde meinen Dienst im Tempel wiederaufnehmen."

    "Ich kann sie dennoch verstehen, so verachtenswert eine solche Tat auch gewesen sein mag, Manius. Sie war nicht nur verzweifelt und die Familie in großer Not, sie hatte sich auch in mich verliebt ... und seit dem Felsen weiss ich nur zu gut, zu was Menschen bereit sein können, wenn sie verzweifelt sind, wenn sie lieben und es nicht leben dürfen. Vielleicht wird jeder in dieser Stadt Orestillas Tat verdammen, aber ich kann es nicht, und ich will es auch nicht. Sie hatte einige Wochen die Illusion einer Familie, eines Mannes, der Vater ihres Kindes ist, und sie wird damit leben müssen, dass diese Illusion beendet ist. Nenne es ruhig eine Folge meines viel zu geduldigen und großen Herzens, aber ich kann für sie nur Mitleid empfinden. Wir beide wissen, wie es ist, etwas zu erhoffen und nicht bekommen zu können .." damit erhob ich mich und trat an das Fenster, ihm den Rücken zuwendend, damit er mein Gesicht nicht sehen konnte, nicht sehen musste, denn die Erinnerung an unser letztes Gespräch war schon schmerzvoll genug. Zumindest dachte ich mir, dass es das letzte gewesen war, das letzte vor meinem Gang zum Felsen ... an viel mehr konnte ich mich nicht erinnern. Es war wie verhext, doch so war es nun einmal.


    "Was hat sich denn hier während meiner absenz getan, Manius? Neu eingezogene Familienmitglieder? Verstorbene? Es ist mir fast peinlich, Dich fragen zu müssen, aber ... Du bist der einzige, von dem ich mir eine ehrliche Antwort erhoffen kann, der nicht irgendein dummes Schauspiel spielt, um sich selbst zu erhöhen. Wir spielen alle unsere Rollen, aber wenigstens hier bei Dir glaube und hoffe ich, es nicht tun zu müssen, sein zu dürfen, was ich bin - noch immer ein Suchender, der gerade erst den Hauch eines Ziels erfahren hat." Meine Hände hinter dem Rücken ineinander legend, atmete ich ein. "Wie ist es mit Deiner politischen Karriere vorwärts gegangen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Du etwas anderes hattest als Erfolg ... Du hattest ihn immer."
    Vielleicht verstand er, warum ich das Gespräch auf Unverfänglicheres richtete, versuchte, von dem schwierigen Thema der Gefühle wieder zurück auf den sichereren Boden der Belanglosigkeiten zu gelangen, denn alles war belanglos gegen das Wissen zu lieben, und nicht teilen zu dürfen. Ja, ich konnte Orestilla nur zu gut verstehen.

    Es gab für alles Grenzen. Und seit ich mich als Fischer durchgeschlagen, als Mann der Familie Räuber durch meine Kampfkraft vertrieben und überhaupt so einiges über das Leben selbst gelernt hatte, waren meine Grenzen deutlich enger gesteckt, als sie es vielleicht noch vor einigen Monaten gewesen waren. Manche Dinge konnte und durfte sich ein Mann nicht gefallen lassen, schon gar nicht von einem Dreikäsehoch mit der typisch flavischen Arroganz und einem sabbernden Muskelberg an Hund, der zudem noch meinen Fisch und einen Teil meines Spießes okkupiert hatte.


    Das Maß war voll, und ich richtete mich zu voller Größe auf - für einen Mann meines Volkes war ich groß gewachsen, ein Vorteil vor allem bei Opferfeiern und wenn es darum ging, jemanden einzuschüchtern. Mit dem gerechten Zorn eines durch einen Köter und seinen naseweisen Herrn in seiner Freizeitbeschäftigung gestörten Mannes und der ganzen Autorität eines Mittlers zwischen den Göttern (in meinem Falle des Kriegsgottes Mars) und den Menschen donnerte ich dem Hund das einzige Wort entgegen, das ein gut dressiertes Rassetier, mit dem entsprechenden Nachdruck ausgesprochen, vielleicht noch von einem Angriff abbringen würde:


    "SITZ!"


    Dann richtete sich mein Blick auf den kleinen Flavier, der alle schlechten Eigenschaften unserer Familie in vorzüglicher Weise kultiviert zu haben schien - auch wenn mir sein Name nicht sagte, zu welchem meiner Vettern er wohl gehören mochte, vielleicht ein weiteres Zeugnis von Aristides' Freizügigkeit mit seinem Samen?
    "Also, ... 'dominus' Flavius Serenus, wenn Du nicht für alle Zeiten den größten Ärger Deines Lebens haben willst - vor Mars verflucht zu werden - rate ich Dir dringend, die letzten Reste irgendeiner in unserer Familie vielleicht einmal vererbter Intelligenz zu benutzen und Dir gut zu überlegen, wie Du das Wort an mich richtest - Caius Flavius Aquilius! Welchem Zweig der Familie Du auch immer angehören magst, ich bin mir sicher, für Deine Unbotmäßigkeit werde ich die angemessene Strafe finden. Ich kann es nicht leiden, im eigenen Haus bedroht und angegriffen zu werden!" In diesem Augenblick sah ich wohl wirklich nicht mehr wie ein Sklave aus ... zumindest hoffte das ein Teil des alten Aquilius in meinem Inneren, der dem neuen Aquilius staunend dabei zugesehen hatte, wie er Autorität entwickelte.

    Mbango, Sklave der Villa Flavia Felix aus Rom, lieferte in Begleitung eines Legionärs seinen Brief im Postkasten der casa ab und machte sich alsbald wieder auf den Rückweg in die urbs aeterna.


    Ad
    Tribunus laticlavius Quintus Tiberius Vitamalacus
    Legio I Traiana Pia Fidelis
    Mantua, Italia


    Mars wache über Dich, tribunus.


    Du wirst Dich wundern, warum ein fast Unbekannter sich brieflich an Dich wendet, doch meine persönlichen Aufzeichnungen verraten mir, dass ich Deinem guten Rat mein Leben verdanke, welches ich im Überschwang des Schmerzes am tarpeischen Felsen zu verlieren trachtete. Inzwischen nahm mir ein Fieber fast alle Erinnerungen, und es dauerte lange, bis ich meinem Gedächtnis zumindest jenen Tag am Fels verschwommen entreißen konnte, und so soll Dir nun endlich der angemessene Dank für Deine Tat gelten, die mich vor einem Fehler bewahrte.
    Es wird mir ein Vergnügen sein, Dich bei Deinem nächsten Besuch in Rom gastlich zu bewirten, denn ich erhoffe mir ein gelehrtes und von Ruhe erfülltes Gespräch mit einem erfahrenen Mann wie auch einen angenehmen Abend im Kreise eines Patriziers.


    Vale,
    C' Flavius Aquilius
    Sacerdos Publicus Martialis

    Ad
    Centurio Marcus Flavius Aristides
    Legio I Traiana Pia Fidelis
    Mantua, Italia


    Mein werter Vetter,
    lange ist es her, dass wir aufbrachen, meinen Sklaven Rutger und Deine Tochter Arrecina zu verfolgen, und ich habe inzwischen glücklicherweise erfahren, dass es sich alles zum Guten gewendet hat. Ich danke den Göttern, dass es Dir gelang, Arrecina zu finden und zu befreien, doch sitzt mein Sklave nun im carcer der Villa und harrt seiner Bestrafung. Was genau geschah eigentlich? Ich will wissen, was Du erfahren hast, denn ich erinnere mich an so wenig, dass mir Rutger wohl vieles erzählen könnte, und mir ist an der Wahrheit und einer dazu angemessenen Bestrafung gelegen.


    Unser Unternehmen führte mich nämlich nicht nur fern von Deiner Route, sondern auch in ein Gewitter, das mir ein starkes Fieber einbrachte. Nur meinem Pferd war es zu verdanken, dass ich schlussendlich am Meer landete und eine Fischersfamilie mich aufnahm und gesundpflegte. Ich entsann mich weder meiner Geburt noch unseres Ziels, und es dauerte einige Monate, bis ich die Erinnerung wiederfand, und ebenso den Weg nach Rom, wo ich Arrecina antraf, die sich ebenso wenig an Details erinnerte wie ich es kann.


    Ich ahne noch, dass wir uns verbunden gewesen sein müssen, denn Deine Briefe fand ich sorgsam aufbewahrt gebündelt, und ich hoffe, dass es uns möglich sein wird, uns wieder kennenzulernen, solltest Du freie Zeit haben und nach Rom gelangen können, oder mich meine Aufgabe nach Mantua führen. Es wäre jedenfalls gut, könnten wir einander bald sprechen, denn auch meine Erinnerung an Rutger ist mehr als getrübt, und in all diese Dunkelheit muss Licht gebracht werden. Ich hoffe sehr, Du kannst mir dabei helfen.


    Vale,
    C. Flavius Aquilius

    Mbango schien ganz froh darüber zu sein, dass man ihm keine Schwierigkeiten bereitete, irgendwie hatte er sich die stolzen Soldaten Roms viel ruppiger und rauher vorgestellt - und trottet folgsam, nachdem er sein Pferd in die Obhut eines weiteren Legionärs übergeben hatte, hinter dem einen Wachposten her, zuerst zur Schreibstube, dann zur casa des Tribuns. Wenig später machte er sich bereits auf den Rückweg nach Rom, nicht ohne die Wachen nochmal freundlich zu grüßen.

    Der Schwarze schien nicht allzu sehr unter der Hitze zu leiden, was auch ganz gut war - immerhin stammte er ursprünglich aus einer Gegend, in der es viel heißer wurde als im frühsommerlichen Italia. Allein das mächtige Pferd schien die Temperaturen nicht zu genießen und scharrte immer wieder unruhig mit dem Huf, als wolle es sagen, man könnte das Gespräch ja auch im Schatten weiterführen.
    "Ich bin Mbango, Sklave aus der Villa Flavia Felix in Rom, und der dominus Caius Flavius Aquilius hat mir diese Briefe gegeben, damit sie seinen Verwandten und den tribunus laticlavius auch sicher erreichen."

    Etwas im Klang seiner Stimme ließ mich aufmerksam werden, ihn genauer anblicken, wenngleich nicht mit meinen Augen, sondern mit meinem Herzen. Dafür kannten wir uns schon zulange, dass ich nicht diese feinen Nuancen zu erkennen gelernt hätte, etwas, worüber ich nicht nachdenken, mich nicht erinnern musste, um es doch zu tun. Allein, wie er 'Gemahl' aussprach, es klang viel Schmerz in diesem einen Wort, das so viel, oder aber auch so wenig bedeuten konnte. Dachte er denn wirklich, mich hätten Gefühle mit Orestilla verbunden, die meinen für ihn gleichkamen? War es ihm doch nicht so gleichgültig, wie man es meinen konnte, was zwischen uns war und nie sein durfte? In seiner Haltung lag die übliche, aufrechte Art, die ich zu gut kannte von ihm, und in dieser schlichten Haltung lagen viele Erinnerungen, die nach und nach vorsichtig an die Türen meines eistes klopften und hineinschlichen, so sich diese auch nur einen Spaltbreit öffnete.


    "Ich wurde zu dem Mann in der Familie, der hart arbeitete, um sie zu ernähren. Der Orestilla und ihren greisen Vater schützte, als wir angegriffen wurden, um uns unseren Fang zu rauben. Zu jenem Mann, der jeden Abend bei ihr lag und der Vater ihres Kindes werden wird, aber ..." eine kurze Pause entstand, in der ich selbst erst einmal Luft holen und meine Gedanken ordnen musste, war dieses Geständnis doch schon nicht leicht gefallen, einen Bastardsohn zuzugeben, der niemals wirklich ein Flavier, niemals wirklich ein Fischer sein würde. Wenn es denn ein Sohn würde, aber in diesem Fall war sich die alte Dorfamme sehr sicher gewesen, weil Orestilla schon sehr früh damit begonnen hatte, sich morgens zu erbrechen.


    "... aber ich habe sie nicht geliebt. Ich achte sie, Manius, ich schätze sie als einen freundlichen, offenherzigen Menschen, aber ich liebe sie nicht. Ich werde für mein Kind bezahlen, aber ich kann dorthin nicht zurückkehren. Vielleicht bezahle ich den beiden eine Wohnung hier in Rom, vom Fischfang können sie ohnehin alleine nicht leben, ich weiss es noch nicht. Aber es ist, wie es ist ... ich war als Fischer nicht unglücklich, und für diese Wochen eines einfachen Lebens bin ich den beiden seltsamerweise dankbar. Ich habe etwas lernen können, das niemand unserer Schicht jemals lernen wird." Es war ein seltsamer Gedanke, dies auszusprechen, aber ich fühlte mich im Recht, zumindest so weit, dass es mir nichts ausmachte, die oftmals so leere Art des patrizischen Lebens klar an die Wand zu malen. Ich erhob mich und trat neben ihn, um ihn direkt anblicken zu können. "Manchmal ist es gar kein so schlechter Gedanke, all das für eine Weile hinter sich zu lassen und etwas ganz anderes zu tun. Man merkt viel eher, wo man eigentlich steht." Und wo ich stand, stand ich gut. Neben dem einzigen Menschen, den ich wirklich ohne Vorsicht, ohne Einschränkung und ohne Zurückhaltung liebte.

    An einem heißen Tag erschien ein recht mächtiger Hengst - rabenschwarz und mindestens doppelt so hoch wie ein normales Tier, demzufolge ein Kaltblüter - mit einem ebenso dunklen Reiter in einiger Entfernung zum Lager, und als der Reiter dem castellum näher rückte, verlangsamte das mächtige Tier recht frühzeitig den Schritt, um nur noch gemächlich voran zu trotten.
    Auf dem Rücken des Tiers schien der Nubier - oder aus welchem Winkel Africas der junge Mann wohl auch immer stammen mochte - schon an diese Art des Pferdes gewöhnt, denn er trieb den Hengst nicht weiter an, sondern ließ ihn vorantrotten, bis sie ds Tor erreicht hatten.
    "Salvete!" rief er schließlich aus. "Ich habe Briefe aus Rom für den tribunus laticlavius Quintus Tiberius Vitamalacus und den centurio Marcus Flavius Aristides von sacerdos publicus Caius Flavius Aquilius. Wem kann ich sie übergeben, damit sie die Adressaten erreichen?"

    Rom war im Grunde eine sehr schöne Stadt, zumindest vermochte es die urbs aeterna doch immer, ihre Besucher zu faszinieren und zu beeindrucken. Es gab nicht umsonst die ein oder andere Legende von Barbarenhäuptlingen, die sich Rom unterworfen hatten, als sie die Pracht der ewigen Stadt erblickt hatten, da sie Zeit ihres Lebens nur schäbige Lehmhütten gekannt hatten. Aber ich als Flavier wusste es besser. Rom war eine abgetakelte, dreckige und vor allem kranke Hure, die sich pfundweise die Schminke auf ihre verwitterten Züge kleisterte, um Fremde zu blenden, aber jeder, der mehr als einmal auf ihr gelegen hatte, kannte sie genauer als die Männer, die von ihr für gewöhnlich ausgenommen wurden.


    Und wie jede abgehalfterte Hure überraschte sie einen, wenn sie es tat, meist ausgesprochen unangenehm. Dass um diese Zeit jemand noch wach sein würde, war erstaunlich genug, dass dieser jemand ein Monstrum an Hund mit sich führte, noch mehr, irgendwie konnte ich mich nicht an eine sabbernde stinkende Bestie erinnern, seit ich das letzte Mal hier gewesen war - und dass dieser jemand anscheinend nicht einmal wusste, wer ich war, machte das Maß voll. Der alte Aquilius hätte vielleicht zu erklären versucht, wer er war, aber inzwischen war ich ein überzeugter Anhänger der 'wer nicht hören will, muss fühlen' Theorie geworden. Noch mit dem aufgespießten Fisch auf der Spitze wandte ich mich dem anrennenden Koloss zu und reckte ihm den Spieß entgegen, bereit, mich zur Not zu verteidigen.


    "Wer bist Du, Bursche, dass Du einen Flavier davon abhältst, in seinem Garten seine Fische zu fangen?" Mein Blick blieb jedoch auf den Hund gerichtet, denn der war eindeutig gefährlicher als sein Herrchen, dessen Stimme eine gewisse Jugend anzuhören gewesen war.

    So jung, so unschuldig, so zerbrechlich war sie, dass es mich tief im Innersten schmerzte, schien sie doch in allem das hübsche Gesicht Orestillas zu tragen, das kaum so kultiviert wie das einer reichen Römerin werden würde, egal, was man tat oder veränderte. In diesem Augenblick fühlte ich mich alt, gefangen zwischen dem, was mein sich erinnernder Körper vorspiegelte, und einem unerklärlichen Sehnen, das auch Orestilla nicht hatte stillen können, die für viele Wochen meine Frau gewesen war. Arrecinas Finger schienen so zart wie teuerster Stoff aus dem Osten, hauchdünne Seide, deren Berührung auf dem Körper man kaum fühlen konnte.
    "Meine liebe Nichte, Dir kann nur geschehen, was Du auch zulässt, denn Du bist eine Flavierin. Was Du fühlst, ist Dein Eigentum, Dein Besitz, es gehört Dir ganz alleine, Arrecina. Und Du bist es auch, die zu entscheiden hat, ob das Gefühl sie bestimmt oder sie das Gefühl beherrscht. Ich sage Dir nicht, dass Du nicht lieben darfst, denn jeder Mensch muss lieben, um zu leben, um nicht eine sinnlose Existenz zu führen, in der es kein Licht und keine Freude gibt."


    Langsam zog ich sie an mich, legte einen Arm um ihren zarten, schlanken Leib, der sich so lebendig und warm anfühlte, als müsse ich mich an dieser Sonne bis ins Mark verbrennen. Mein Körper brannte mit einem Mal vor Sehnsucht, ihr näher zu sein, diese Hitze ihrer Haut überall spüren zu dürfen, um sie ganz zu der meinen zu machen, aber ich rührte mich nicht, fühlte nur, als könnte mir ihre Nähe allein schon in einer Umarmung die vergessenen Erinnerungen zurückbringen. Ich fühlte, dass ich zitterte, und sie musste es auch fühlen, aber dennoch konnte ich sie nicht loslassen, wollte es nicht.
    "Es wird Dich dann auffressen, wenn Du es zulässt. Nicht jede Liebe endet mit Heirat, einem ewigen Beisammensein, vielen Kindern und einem Glück, das nie endet. Eigentlich ist das ein Weg, den kaum eine Ehe nimmt, Arrecina. Irgendwann enden alle verliebten Gefühle einmal in der Gewohnheit des Alltags, und dann ... dann muss mehr da sein als Liebe, damit man sich nicht zu hassen beginnt." Dieses Wissen war schnell zurückgekehrt, hatte ich es nicht tausendmal erfahren? In wievielen Betten musste ich gelagert haben, um so wenig an die Liebe zu glauben? Und doch wusste ich, dass ich es jedes andere Mal wieder so gesagt hätte.

    Ich betrachtete meinen Vetter genau, während er mir antwortete, aber es war mir wie so oft kaum möglich zu erkennen, was er sich denken mochte. Er war nach wie vor derjenige in unserer Familie, der sich am ehesten hinter einer ausdruckslosen Miene oder einem Lächeln verbergen konnte, um sein Innerstes zu schützen, und nicht zum ersten Mal beneidete ich ihn um diese Fähigkeit. Dennoch, ich war geübt, jedes Muskelzucken zu registrieren, gab es mir vielleicht doch einen kleinen Einblick, den mir seine Worte immer verwehrten. Was mochte er während der langen Zeit meiner Abwesenheit alles gedacht haben? Vielleicht sogar gelitten unter fehlendem Wissen? Als er lächelte, war meine kleine Welt jedenfalls wieder in Ordnung, auch wenn es töricht, dumm war, noch immer jedem Lächeln auf seinen Lippen nachzufiebern, als hätte unsere Liebe jemals irgendeine Chance gehabt.


    "Ich bleibe, Manius, ich bleibe, solange ich kann und mich nicht die Priesterschaft in irgendeine entlegene Provinz schickt, um da die Truppen mit Zuspruch zum Kampf zu begleiten. Was ich werden will, weiss ich noch nicht einmal genau, momentan ... ist es, glaube ich, ganz gut so, wie es ist. Ich muss mich erst einmal selbst wieder finden, weil einige Dinge passiert sind, die ich wieder langsam zu einer gewissen Ordnung bringen muss." Ich folgte seiner Weisung zu den Stühlen und ließ mich nieder, die Beine ausstreckend. Wie immer war sein privater Lebensbereich mit einer Mischung aus dezentem Luxus und Funktionalität gestaltet, der mich einmal mehr ahnen ließ, wie viel Zeit er hier doch verbringen mochte.


    "Deine Briefe konnte ich nicht erhalten, Manius, denn sie trafen mich nicht an. Erinnerst Du Dich an Arrecinas Entführung durch meinen Sklaven Rutger?" Ich erinnerte mich nicht gerne daran, hieß es doch, über das Leben Rutgers noch eine Entscheidung treffen zu müssen, denn man hatte mir sehr wohl gesagt, dass er im Carcer der Villa festsaß. "Aristides und ich brachen gemeinsam auf, um beide zu jagen, und einen Teil der Strecke legten wir gemeinsam zurück. Aber irgendwann wurden wir getrennt, und ich geriet in ein ziemlich heftiges Gewitter, musste unter einigen Bäumen Schutz suchen. Einen Tag später hatte ich bereits Fieber und ich weiss über den nächsten eil meiner Reise nicht viel. Ich glaube, mein Pferd, der gute alte Lapsus, hat mich in Richtung Meer getragen, weil er das Meer mag, und dort lasen mich Fischersleute auf." Die Erinnerung an das einfache, aber friedliche Haus mit den einfachen Mahlzeiten, dem warmen Lachen Orestillas gaben mir einen feinen Stich ins Innerste, und ich atmete tief durch.


    "Die Familie, die mich aufnahm und gesundpflegte, war sehr arm, und bestand nur noch aus zwei Menschen, dem Vater, der zu krank war, um jeden Tag hinauszufahren, und seiner Tochter Orestilla. Als ich erwachte, erzählten sie mir, ich sei Orestillas Gemahl und ... ich glaubte es. In meinem Kopf herrschte nur noch Nebel, wer ich war, war mir entglitten und ich erinnerte mich sehr lange an nichts mehr, ich wurde zum Fischer." Ich hob den Blick zu ihm und wartete auf ein Zeichen seiner Mimik, wie er diese Nachricht aufnehmen würde.

    Ein wilder, sehnsüchtiger Rausch erfasste mich, als er zu mir trat, mich berührte, ich ihn so nahe spüren konnte wie schon lange nicht mehr. Sein Geruch war mir vertrauter als jeder andere, selbst als der Orestillas, als der jedes Weibes, mit dem ich irgendwann einmal im Bett gelegen hatte, selbst der Geruch meiner zu früh verstorbenen Mutter war vor dieser Erinnerung verblasst wie ein Häufchen Asche im Wind verging.
    Er war real, keine Erinnerung, seine Hand war es, die meinen Nacken berührte, sein Körper war es, den ich an meinem so warm und lebendig fühlen durfte, als sei ich direkt von der Erde ins Elysium aufgestiegen, um mich mit allen meinen laren zu vereinigen. In diesem Augenblick war ich zuhause, egal, wo wir uns nun befanden, sei es inmitten einer luxuriösen Patriziervilla oder irgendwo in der ärmlichsten Hütte an einem Strand. Das Schlimme an diesem Gefühl war, dass ich es nicht aussprechen durfte, ohne wieder Gefahr zu laufen, ihn zurückzuweisen. Und dann sprach er, sagte die Worte, die gleichzeitig die schönsten und schrecklichsten waren, die zu hören ich gehofft hatte.
    Er erwiederte meine Gefühle, aber nachgeben wollte er ihnen nicht. Mein Manius, der Einzige. Ich zitterte unwillkürlich, versuchte es zu verbergen, aber es gelang mir weit weniger gut, als ich gehofft hatte, ich konnte einfach nicht anders, als bis ins Mark zu erschauern, hatte mich dieser ewige Zwiespalt doch einmal zum Äußersten getrieben. Seine Lippen waren weicher, als ich erwartet hatte, und ich schämte mich dafür, dass meine Haut wohl nach Salz und Schweiß schmecken musste, weil ich noch nicht gebadet hatte, nicht so parfümiert, wie er es verdient hätte, wenn er mich schon berührte. Ihm hätte immer nur das Schönste, das Beste gelten sollen, nicht ein abgerissener Zielloser wie ich.


    Dann war der vollkommene Moment vorbei, in dem ich einfach nur genossen hatte, seine Wärme gespürt, als könnte er mich für den Rest meines Lebens erhellen - er trat ans Fenster, und ich blieb stehen, unfähig mich zu berühren, fühlte ich doch noch das Echo seiner Lippen auf meiner Haut. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, dass es nie enden sollte, nicht vor unser beider Tod ... aber es war vorüber, und ich konnte nur versuchen, diese Erinnerung in mein Innerstes einzuschließen, sie auf ewig zu bewahren. Mehr unbewusst als bewusst lauschte ich ihm, hörte die bittere Selbstanklage aus seinem Mund, und je mehr er sprach, desto mehr verblasste die Wärme in mir, machte Kälte Platz, die voller Furcht und Mitgefühl war. Ich wusste, Mitleid hätte er nicht ertragen, aber ich fühlte mit ihm, versuchte es zumindest, denn diese hoffnungslose Einsamkeit aus seinen Worten, ich kannte sie genauso gut wie er, vielleicht musste jeder Patrizier sie kennen lernen, wenn er begann, sich auf den glatten Marmorböden der ewigen Stadt zu bewegen. In Hispania war vieles leichter gewesen, aber das Prinzip blieb stets dasselbe, egal, wo man sich befand.
    "Ich habe das Leben nicht genommen, wie es kam, Manius, ich habe einfach genommen, was ich bekommen konnte und mir keine Gedanken über die Zukunft gemacht. Ich habe vor mich hin gelebt und getan, wonach mir war, aber glaubst Du, das ist der richtige Weg? Irgendwann ist alles hohl und leer, und es erfreut einen nichts mehr, und niemand."


    Langsam sog ich den Atem ein, und sprach leiser, aber durchaus bestimmt. Wenn ich eines wusste, dann, dass ich niemals zulassen würde, dass er sich selbst zerfleischte, dass er so einsam wurde, dass es nichts und niemanden mehr für ihn geben würde. Dafür ... liebte ich ihn zu sehr.
    "Manius, wir waren damals Kinder und Kinder spielen nun einmal, sie träumen nun einmal, denn auf diesen Träumen wird Rom immer wieder neu erbaut. Du und ich, wir haben damals unsere Träume geteilt und ich hoffe, wir werden es wieder. Es gibt niemanden sonst hier, bei dem ich mich nicht verloren fühlen würde, wenn wir miteinander sprechen, und wenn ich Dich sehe, dann sehe ich in Dir nicht nur den Mann, der sich redlich bemüht, unserem großen Namen durch seine Taten gerecht zu werden, sondern auch den Freund, an dessen Seite ich immer stehen werde, was auch immer geschieht, egal, wie sehr es schmerzt. Ich hatte die Wahl, Manius, und ich bin nicht gesprungen." Der Wind hatte damals an meiner Toga gezerrt, ich wusste es wieder, als sei es gestern gewesen, aber ruhige bedachte Worte hatten geholfen, die Worte eines Mannes, dem ich noch danken musste. Der vielleicht irgendwann Freund sein würde, aber das war in diesem Moment weniger von Belang.


    "Ich verrate Dir etwas, ich war selten zufrieden in meinem Leben, denn ich hatte nie ein wirkliches Ziel. So lange gut zu leben, bis einem das Geld ausgeht, ist weder ein Ziel noch eine sinnvolle Existenz, sich bei den Verwandten durchschnorren noch weniger, während alle anderen den Weg der Politik gehen, berühmt werden und was auch immer. Allein wenn ich Furianus mit seiner minderen Geburt, seinem Verhalten und seiner absolut fehlenden rethorischen Begabung betrachte, dass er dennoch seinen Weg macht, während ich lange Zeit vor mich hin trieb wie ein Stück Holz im Meer ... man fühlt sich irgendwann nutzlos. Erst jetzt beginne ich langsam zu erkennen, wo ein Platz für mich sein könnte, und ein guter Teil dessen ist bei Dir. Du warst mein Marcus Antonius damals und ich Dein Iulius Octavianus, und vielleicht wären sie ewig Freunde geblieben, wäre der Lauf der Geschichte ein anderer gewesen. Für mich klingst Du, als stündest Du auf einem inneren tarpeischen Felsen, und ich kann Dich nur bitten, Manius, nur hoffen, dass Du meine Worte verstehst, die ich Dir nun sage."


    Ich machte eine kleine Pause, trat näher auf ihn zu und legte meine kräftig gewordene, schwielige Hand auf seine Schulter, drückte diese und blickte ihm direkt in die Augen, diese tiefen, kummervollen Augen.
    "Spring nicht. Gib Dich nicht auf, Manius, gib den Marcus Antonius in Dir nicht auf. Ich werde bei Dir sein."

    Es war spätabends, und zu dieser Zeit war es glücklicherweise ruhig in der Villa Flavia Felix. Jene, die früh zu Bett gehen mussten, um ihre Kräfte für den nächsten Tag zu sammeln, waren längst im Schlaf, und jene, die sich leisten konnten, nachts lange wach zu bleiben, beschäftigten sich in ihren Zimmern oder waren ausgegangen, um anderswo ihr Abendessen einzunehmen. Ich hatte diese Stunden in der Villa immer gemocht, denn sie vermittelten den flüchtigen Eindruck, man könnte in dieser ewig lebendigen Stadt vielleicht doch einmal allein mit seinen Gedanken sein, sich alleine um sich selbst kümmern, ohne allzu sehr auf andere achten zu müssen, die auch ihre Wünsche und Sehnsüchte mit sich herumschleppten.


    Ich vermisste das Meer, das einfache Leben, das einfache Essen, das es abends nach einem harten Arbeitstag gegeben hatte, nur die rauhen Schwielen in meinen Händen waren eine lebendig gebliebene Erinnerung an eine ganz andere Welt. Ich überlegte, ob ich Orestilla und ihren Vater mitsamt der weitverzweigten Sippe an unmündigen Verwandten hierher bringen sollte, um ihnen ein besseres, einfacheres Leben zu ermöglichen, aber ... ich fürchtete gleichzeitig, ich könnte sie damit verderben und zerstören. Sie waren einfache Menschen, denen die Liebe der Römer zur Intrige vollkommen abging, und sie wären Freiwild für die Tratschmäuler der urbs aeterna.


    Dennoch, ich musste meine Gedanken sammeln, und hatte mir einen einfachen Spieß geholt, der wohl meist für die Jagd benutzt worden war, bevor er in einer der Kammern verstaubt war, in denen so viele Hinterlassenschaften verschiedenster Familienmitglieder herumlagen. Ein Spieß, den man auch benutzen konnte, um Fische zu stechen, genug Geduld und Können in dieser schwierigen Disziplin vorausgesetzt. Eine Lektion, die der Fischer Caius hatte lernen müssen, um seine Familie zu ernähren, eine Lektion, die der Patrizier Aquilius noch immer verinnerlicht hatte. So war ich in den Garten hinausgegangen, den mir nur der Mond beleuchtete, passend eigentlich, schrieb man doch der Jagdgöttin Diana das Mondlicht zu, in welchem sie es wagte, sich unbekleidet dem Bade hinzugeben.


    Ich wusste, dass es hier nicht nur einen Teich gab, sondern auch einen künstlich angelegten Zufluss, der den Zierfischen ein wenig mehr ihres natürlichen Lebensraumes vorgaukeln sollte, und für ein angenehmes, leises Rauschen und Plätschern sorgte, das einen müßigen Spaziergänger zu entspannen wusste. Aber mir stand der Sinn nicht nach Spaziergängen, ich wollte etwas anderes, die Karpfen hier im Teich waren ohnehin zu fett geworden und ich hatte mich an den Geschmack von Fisch inzwischen gewöhnt.


    Still schlich ich mich an den kleinen Bach heran, in dem immer wieder silbrige Fischleiber aufblitzten, die anscheinend sehr gut gefüttert wurden. Aber wie es die Götter gefügt hatten, gab es immer welche, die gefressen wurden und welche, die fraßen. Einen Fuß plazierte ich am einen Ufer, den anderen am anderen, den Spieß stichbereit - und so verharrte ich schweigend, denn ich wusste, dass die Fische eine ganze Zeit brauchen würden, bis sie sich an meine Gegenwart gewöhnt hatten. Aber ich hatte ja Zeit. Niemand wartete auf mich, niemand würde mich abhalten, kein Sklave würde es wagen - und die anderen Flavier in diesem Haus waren zumeist ohnehin mit allem Möglichen beschäftigt, mit sich selbst vor allem, um dem Garten des Nachts viel Aufmerksamkeit zu schenken.


    Mein Blick folgte den schnell vorbeiflitzenden Fischen, und ich suchte mir schließlich einen der besonders dick gewordenen Karpfen als Opfer für meinen Spieß aus - einer weniger würde es auch den kleineren Fischen leichter machen, hier im Teich samt Bach zu überleben. Der gewählte Karpfen kam wieder näher, passierte den Schatten, der durch meinen Körper auf dem Wasser lag, und in dem Augenblick, in dem er in eine günstige Position kam, stieß ich die Waffe vor - und reckte sie triumphierend mit dem aufgespießten Fisch in die Höhe, allein vom Mondlicht beleuchtet.


    Sim-Off:

    Wer mag, der darf ^^

    Zitterte seine Stimme wirklich oder wünschte ich mir, dass es so war? Ich konnte mir nicht sicher sein, ich war mir nicht sicher, wahrscheinlich würde ich niemals sicher sein, was ihn anging. Gracchus war derjenige in der Familie, der sich am besten hinter einer gleichmütigen Miene verbergen konnte, der die Kunst der Selbstbeherrschung mehr als jeder andere beherrschte, eine Kunstfertigkeit, die ich sicher niemals erreichen würde. Aber so war er nicht immer gewesen, ich kannte ihn auch anders. Lachend. Offener. Der Sonne zugewandter ... dass er meine Sonne gewesen war, wusste er, und doch hatte er mich zurückgewiesen. War er es noch immer?
    "Ich weiss nicht, ob ich bleibe," sagte ich wahrheitsgemäß, denn im Grunde wusste ich nichts mehr. Die Villa roch fremd, ich hatte die Sklaven von so manchem neuem hier wohnenden Familienmitglied tuscheln hören, vielleicht wäre es besser, mir in irgendeiner Provinz eine Aufgabe als Priester zuteilen zu lassen und zu gehen, Rom Rom sein zu lassen, das mir so wenig Glück gebracht hatte.


    "Ich habe Dich geliebt, Manius, und ich weiss nicht, wieviel dessen noch in mir lebt. Ich habe so vieles vergessen. So vieles, dass ich nicht mehr genau weiss, wer ich bin. Was geblieben ist von dem Mann aus dem hispanischen Zweig der Familie, den Du jetzt siehst," bröckelten die Worte aus mir hervor und das Bild des tarpeischen Felsen kehrte zurück, war so mächtig, so übermächtig geworden, dass ich mich fühlte wie an jenem Tag, als er mich von sich wies. "Du wirst lachen, Manius, aber ich war nie so stark wie Du. Wahrscheinlich werde ich es nie sein. Es ist mir wenig geblieben, als das Fieber kam, und ... die Menschen, die mich fanden, machten mich zu einem Fischer ohne Vergangenheit. Die letzten Monate habe ich gearbeitet wie ein peregrinus, wie ein einfacher Mann, und irgendwo dort ging ein Patrizier verloren. Ich bin nur hier um zu wissen, was davon noch übrig ist, und ... ob das, was mich einst dazu brachte, mich vom tarpeischen Felsen stürzen zu wollen, noch da ist."


    Ich blickte ihn ruhig an, aber gleichzeitig brach der Schmerz in meinem Inneren wieder aus. Er würde höflich antworten, wie immer, und wie immer den Verstand vor dem Gefühl halten. In so vielen Dingen war mein Vetter einfach klüger als ich ... ein Patrizier sollte nicht so sprechen, wie ich gesprochen hatte, aber der Fischer in mir war ein einfacher Mann, mit einfachen Worten.

    Ihr Geruch weckte etwas Verborgenes, etwas, das ich seit langer Zeit irgendwo versteckt gehalten hatte, um es niemals wieder sehen zu müssen, nicht mehr fühlen zu müssen - aber wie es mit Gefühlen und Empfindungen ist, sie waren stets dort, wo man sie nicht vermutete, und meistens wacher und lebendiger, als es einem recht war. Dass sie von mir etwas zu wissen verlangte, was ich ihr nur bruchstückhaft, wenn überhaupt würde geben können, machte die ganze Sache hier nicht einfacher. Sie roch so gut nach etwas, das verboten war, das ich nicht würde haben dürfen, und doch ... seit jeher hatte mich der Duft der Frauen und Männer gleichermaßen gelockt und würde es wohl immer tun, egal, ob ich zwischendrin vergaß, wer ich gewesen war, wer ich sein würde. Du bist nichts weiter als ein lüsterner Patrizier, und alles, was am Meer geschah, war eine Lüge, sagte ich mir und konnte ein leises Seufzen nicht ganz unterdrücken. Wie nahe hatten wir uns wirklich gestanden? fragte ich mich und ich kannte die Antwort schon, als dieses Ziehen in meinen Lenden sich zum Prickeln hinzugesellte. Zu nahe.


    Ihre Finger umfassten die meinen, machten jeden Wunsch nach Distanz zunichte, und wieder einmal fand ich mich in einem Moment gefangen, in dem mir der Verstand das eine sagte und der Körper etwas anderes wollte. "Rutger ..." murmelte ich, und irgendwo in meinem Hinterkopf formte sich auch das Bild zum Namen. "Ja, er gehört mir. Er hat Dich entführt, Arrecina, und ... ich ging verloren, als wir euch suchten. Aber Aristides fand euch, sonst wärst Du nicht hier, Mars sei Dank. Was verbindet uns, Arrecina ... es gibt vieles, an das ich mich verschwommen erinnere, aber ..." Ich hielt inne und beäugte sie genauer, ihre Finger mit den meinen sanft drückend. Woran erinnerte ich mich wirklich genau, konnte mit Sicherheit sagen, dass ich es ohne den immer wiederkehrenden Zweifel noch wusste?


    Sie roch so gut, zu gut, zu vertraut, nach etwas Verbotenem, das ich irgendwann nur zu gern gekostet hätte. Hatte ich? Hatte ich nicht? Nicht einmal sie schien es zu wissen. "Wir..." setzte ich neu an und hielt wieder inne. "Es muss etwas gewesen sein, das einem Onkel und seiner Nichte verboten ist," führte ich den Gedanken langsam fort. "Etwas, das ... ich mir wünschte zu tun, aber ich weiss nicht mehr, ob es geschehen ist, oder nicht. Wenngleich ich ... hoffe ... dass es nicht geschehen ist. Du hast etwas anderes verdient als einen ... Mann, den Du nie haben kannst." Ich wusste, wie sich das anfühlte, wie sehr es brannte, zu was es einen treiben konnte. "Eine nie endende Hoffnung und doch gleichzeitige Gewissheit." So war es mit ihm gewesen, und das Bild des tarpeischen Felsen war zurückgekehrt, hart und schroff in meiner Erinnerung.

    Der Sklave neigte ehrerbietig den Kopf und verließ mit einem "Ja, domine," sogleich das Arbeitszimmer des Gracchus, um mich zu holen - dass er nur kurz weg gewesen war, hatte mich nicht erstaunt, genauer gesagt, hatte ich gehofft, dass mein Vetter schnell Zeit für mich finden würde. Alles andere hätte meine gebeutelte Erinnerung auch sehr überrascht. Er war die schmerzlichste aller Erinnerungen und doch mit die sonnigste, vereinte Licht und Schatten, die höchsten Höhen und den tiefsten Abgrund. Der Sklave sagte mir, ich könne zu meinem Vetter gehen, und ich winkte ab, als er mir den Weg zeigen wollte, den ich nur zu gut kannte, ich hätte ihn im Schlaf noch gehen können, ohne irgendwo anzustoßen und mich zu verletzen.


    Langsam ging ich den Gang entlang, richtete vor der Türe meine schäbige Tunika ein letztes Mal, und versuchte mir auszumalen, wie er auf den Fischer Aquilius reagieren würde, mit diesem von der Sonne gebleichten Haar, der sonnenverbrannten, braunen Haut, den frischen Narben auf dem Unterarm, die von meinem Kampf gegen die Räuber berichteten, als ich meine kleine Familie zu verteidigen versucht hatte. Meine kleine Familie, die auf einer Lüge begründet war. Jene Familie, die wusste, wer ich war, die mir meine Kette mit dem Anhänger eines Patriziers vorzuenthalten versucht hatte, damit ich mich nicht erinnerte. Und doch, meine Familie, die mir einige Monate ein seltsames, stilles Glück geschenkt hatte. Würde er das überhaupt verstehen?


    Aber ich wollte nicht an die einfache Kate denken, die mir ein Heim gewesen war, nicht an den Geruch des Meeres, die einfachen Freuden einer warmherzigen Familie ... ich öffnete die Türe zu Gracchus' Arbeitszimmer und trat ein, ohne etwas zu sagen. Worte waren nie wichtig gewesen zwischen uns, soviel ahnte ich noch, und dann sah ich ihn. Es tat weh im ersten Moment. Und doch erleichterte es mich über alle Maßen, ihn gesund und munter zu sehen, so, wie sich sein Gesicht unveränderlich in meine ansonsten wankelmütige Erinnerung eingebrannt hatte. Alle Begrüßungen schienen mir so banal, und was mir spontan in den Sinn kam zu tun, wäre verkehrt. So bleib ich bei der Tür stehen und blickte ihn nur an, ließ meinen Blick seine Gegenwart trinken bis zur Neige.
    "Manius," sagte ich leise, und mit diesem einen Namen schang etwas von der Sehnsucht mit, die noch immer nicht tot war. "Es ist lange her."

    Eine Erinnerung vibrierte in meinem Hinterkopf, sie wollte mir etwas sagen, aber ich verstand ihre Worte nicht, konnte nur den Klang dieser Stimme vernehmen und fühlen, dass mehr gewesen sein musste als die normale, sittsame Beziehung zwischen einem Onkel und seiner Nichte. Mein Körper schrie es überdeutlich heraus, klopfte an das Gefängnis meines Geistes und verlangte nach einem Recht, das ich mir und Orestilla versagt hatte, seit ich die Wahrheit erkannt hatte - schwer genug gefallen war es mir. Was war es gewesen, hatten wir nur gespielt, hatten wir Ernst gemacht? Alles verschwamm in meiner Erinnerung in eine unerkennbare Masse, die sich nicht greifen lassen wollte, ausser jenem überdeutlichen Motiv der stillen, prickelnden Erregung in ihrer Nähe. Ihre Stimme vibrierte wie mein Innerstes, und sie kam mir näher, ein so vertrauter Anblick, aber woher? Wieso konnte ich mich an diese Details nicht genau erinnern?


    Ich konnte sie fast riechen, als sie vor mir verharrte, allerhöchstens drei Schritte entfernt, und da sie sich nicht abgewandt hatte, wagte ich es, trat ihr näher und nahm sie vorsichtig in die Arme, wie es ein Onkel tun sollte, der einst versucht hatte, seine Nichte zu retten, aus den Armen eines Sklaven ... aber was geschah, konnte ich nicht voraussehen, diesen heftigen Schlag, der durch meinen Körper peitschte, mich mit aller Macht daran erinnerte, dass ich ein Mann war, ein Mann, der die Frauen liebte und zu genießen wusste. Orestilla hatte immer so leise geseufzt, wenn ... ich verbannte diese Erinnerung in meinen Kopf und löste mich schneller von meiner Nichte, als ich es geplant hatte. Sie sollte nichts verräterisches fühlen, nichts dabei denken ...


    "Wir standen uns wohl nahe, denke ich," rettete ich mich ins Ungenaue und erwiederte ihren Blick so offen ich eben konnte, ohne lüstern auszusehen, mich zu sehr zu verraten. "Ich war ..fieberkrank, Arrecina, und erinnere mich nicht mehr an alles, was vor diesem Fieber war. An Dich erinnerte ich mich, an Dein Lachen, mein Täubchen, aber es gibt auch vieles, was im Dunklen liegt. Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen, es zu entdecken." Es musste anders klingen, als ich es gemeint hatte, aber ich hoffte einfach das Beste. Ich hoffte, sie würde es verstehen, aber ich verstand selbst nicht genug in meinem neuen alten Leben voller Fragen und Ungewissheiten.