Er hat doch Recht damit.
Beiträge von Caius Flavius Aquilius
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Der Raum war nach den Stunden der Verzweiflung und nach meiner längeren Abwesenheit zwar gesäubert und gerichtet worden, aber meinem Schlafzimmer ging eine gewisse Wohnlichkeit vollkommen ab. Das Bett war neu, ebenso die Wandfarbe, der Schreibtisch jedoch war leer, die Vorhänge von schlicht weißer Farbe, sodass man genausogut hätte meinen können, es sei nur ein Gästezimmer, nichts sonst. Ein karger Raum für einen Patrizier seines Standes, und doch vielleicht aussagekräftiger als vieles andere, als opulente Farben und Verzierungen.
Ich mochte diesen Raum so, wie er war, er zeigte deutlich die Veränderung, die mich bewegt hatte, die mich zu einem anderen Mann gemacht hatte, vielleicht würde ich hier auch nie wieder wirklich wohnen. Das würzige Klima nahe am Meer war eine so brennende, lebendige Erinnerung, dass ich hier zu ersticken glaubte, wenn ich zu lange bleiben musste."Domine, die domina Arrecina ist hier," hörte ich die Stimme der Sklavin in meinem Rücken, während ich am Fenster stand und hinaus blickte, und erst, als sie meine Nichte hineingeführt hatte und uns alleine ließ, wandte ich mich um, nach einer Erinnerung forschend, nach dem forschend, was noch geblieben war von dem alten Aquilius. Sie war schön, schöner geworden, als hätte die Zeit sie reifen und delikater werden lassen, und das vertraute, alte Brennen in meinen Lenden bei ihrem Anblick war mit einem Augenblick zurückgekehrt. Vielleicht hatte ich mich doch weniger verändert, als ich es geglaubt hatte, vielleicht war der Fischer in mir doch noch ein Patrizier, ein Mann mit vielen Begierden.
"Arrecina," sagte ich und merkte, dass es mir schwer fiel, irgend etwas anderes zu sagen. Sie lebte, und es erleichterte mich, dies nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Einige Schritte führten mich in ihre Nähe, doch war ich mir zum ersten Mal unsicher, ob ich sie berühren durfte oder nicht. So wartete ich ab, wie sie reagieren würde ... und ob sie überhaupt reagierte auf diesen sicher fremd gewordenen Mann mit dem hellen, ausgebleichten Haar, der sonnenverbrannten Haut, den frischen Narben auf dem Unterarm, die von einem Kampf zeugten, diesem hart gewordenen Patrizier, der mehr als ein halbes Jahr die harte Arbeit auf einem Fischerboot geleistet hatte wie einer unter ihnen.
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Die Sklavin nickte, wohl doch etwas ernüchtert ob dieser nicht gerade begeisterten Reaktion, aber sie wusste, dass es sich vielleicht irgendwann doch auszahlen würde, aufmerksam gewesen zu sein und zu bleiben. Manchmal waren diese Römer doch wie Kinder, stets musste man sie bei der Hand nehmen, betüdeln und hoffen, dass sie irgendwann das tun würden, was sie tun sollten.
"Natürlich, domina. Folge mir, es ist nicht weit bis zu seinem cubiculum," erwiederte sie freundlich und machte eine einladende Geste zur Türe hin. -
Ein anderer Tag, ereignisloser als die meisten, was vielleicht nichts Schlechtes war, bedeuteten doch weniger Ereignisse auch weniger schlechte Dinge, um deren Fortgang man sich Gedanken machen musste. Und so war ein Sklave von der porta der Villa Flavia Felix aus durch dieselbe geeilt, um den dominus zu finden, den ein gewisser Heimkehrer hatte sprechen wollen. Als er schließlich herausgefunden hatte, dass sich Gracchus in seinem Arbeitszimmer aufhielt, klopfte er ehrerbietig an die Türe desselben und machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam, sollte der Herr mit seinen Gedanken allzu sehr in die Arbeit versunken gewesen sein.
"Domine, Dein Vetter Flavius Aquilius ist soeben in der Villa eingetroffen und möchte mit Dir sprechen. Soll ich ihm etwas ausrichten oder ihn vielleicht hierher führen?" Eine neutral ausgesprochene Botschaft, wusste doch ausser den Vettern niemand, was sich ereignet hatte, wieviel zerbrochen war in einigen wenigen Worten und der verstreichenden Zeit. Aufmerksam blickte der Sklave den Herrn an, auf jede Erwiederung lauernd, denn nicht aufmerksam zu sein, bedeutete sich unter Umständen empfindliche Strafen einzuhandeln.
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Schnellen Schritts eilte die junge Frau durch die Villa Flavia Felix, an einem anderen Tage, aber einem nicht minder bedeutsamen. Vor dem cubiculum der jungen Arrecina angelangt, atmete die Sklavin tief ein und aus, um nicht zu aufgeregt zu wirken, klopfte dann ehrerbietig an und erwartete, dass sie hereingerufen würde, bevor sie sittsam neben der Türe stehen blieb.
"Domina Arrecina! Du wirst es nicht glauben, was ich eben gesehen habe - er ist wieder im Haus, Flavius Aquilius! Ich habe ihn gerade hereingehen sehen!" Und mit großen Augen blickte sie der jungen Frau entgegen, wohl hoffend, dass ihre Botschaft der Flavierin zumindest einen kleinen Dank ob ihrer Aufmerksamkeit wert sein würde. -
Wenigstens ein bekanntes Gesicht, wenngleich keines, das ich allzu oft und allzu gerne sah. Aber er war schließlich nur ein Sklave, er konnte mir im Grunde egal sein, solange er mir höflich die Tür aufhielt.
"Salve, Acanthus ... schicke meinem Vetter Gracchus die Nachricht, dass ich zurückgekehrt bin und ihn sprechen möchte, je früher, desto besser ... und einen der Haussklaven in mein cubiculum," traf ich meine Anordnungen, nickte ihm knapp zu und betrat das Haus, in dem sich für mich so vieles ereignet hatte, so viele tiefe Niederlagen, so viele Schmerzen, aber auch einige ausgesprochen sonnige Augenblicke.Ich kehrte zurück, aber ich war nicht mehr der Mann, der einst des abends mit meinem Vetter Aristides ausgeritten war, um einen flüchtigen Sklaven samt meiner Nichte zu jagen. Es hatte sich vieles verändert, das meiste jedoch in meinem Inneren, und es wurde Zeit, mich gleich der größten Herausforderung von allen zu stellen. So schritt ich tiefer in die Flure der Villa hinein und überließ mich dem wehmütigen Gefühl der Erfahrungen und den diese reflektierenden Gedanken.
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Da war es wieder, dieses seltsam vertraute Gefühl, nicht vollkommen alleine in diesem Haifisckbecken Rom zu sein. Das sichere, nicht rational greifbare Wissen, an diesem bestimmten Ort angenommen zu werden, willkommen zu sein ... mein Blick folgte dem Spiel des Rauches, bis nichts mehr davon zu sehen war, und als ich mich von der Statue des Mars Ultor abwandte, lächelte ich unwillkürlich. Es tat gut, wieder hier zu sein.
"Danke, Mamarce," murmelte ich und schritt in den Sonnenschein eines sehr warmen Frühlingstages hinaus. Jetzt wurde es Zeit, sich der Familie zu stellen. -
Und wieder einmal hier. Die zweite Rückkehr nach Rom, das zweite Mal stand ich mittellos und wie ein Bettler vor der porta der Villa Flavia Felix. Nur mit dem einen Unterschied, dass ich mich beim ersten Mal so gefühlt hatte und heute so aussah, meine Tunika war nicht mehr gerade die neueste, der Fischer, der ich gewesen war, hatte zu wenig Geld, um sich viel Kleidung leisten zu können. Mein ohnehin helles Haar hatte die Arbeit unter der Sonne noch weiter ausgebleicht, die Haut war braungebrannt - das einzige, was vielleicht noch an früher erinnern mochte, war meine Haltung, meine Größe, denn rein körperlich überragte ich die meisten Römer nun einmal, was sich nicht ändern würde. Ausser vielleicht im Alter, wenn ich ein von den Jahren gebeugter Greis werden würde - ein blutiger Tod viele Jahre früher war für einen Patrizier allerdings wahrscheinlicher.
Dünn über diesen Gedanken schmunzelnd hob ich die Hand und klopfte an der porta kräftig an. Nicht das Klopfen eines Bettlers, sondern das eines dominus. Immerhin war dies hier meine Familie, auch wenn die meisten daraus auf meinen Familienzweig herabsahen. Selbst das war mir inzwischen egal geworden, stellte ich fest, aber es waren einige Dinge geblieben, die mir nicht egal waren. Ob er anwesend sein würde?
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An meinen letzten Besuch vor dem Fieber erinnerte ich mich nur dunkel, aber es hatte mit Wein zu tun, mit Schmerzen, mit Ereignissen, die so tiefschürfend gewesen waren, dass ich mich gefühlt hatte, als würde mir das Herz zerbrechen müssen. Heute kam ich als einfacher Mann, mit dem von der Sonne ausgebleichten Haar eines Menschen, der die letzten Wochen und Monate an frischer Luft verbracht hatte. Auch meine Haut war brauner geworden, die Hände rauher von der beständigen Arbeit auf einem kleinen Fischerboot, und der Kampf mit diesen verdammten Räubern, die geglaubt hatten, eine einfache Fischersfamilie berauben zu können, hatte mir zwei dünne Narben auf dem rechten Arm eingetragen, als ich mein Zuhause verteidigt hatte. Schnell korrigierte ich mich gedanklich: Es war nicht mein Zuhause gewesen, ich hatte es nur geglaubt, nachdem das Fieber mich so lange gefangen gehalten hatte.
Und Orestilla ... sie hatte mir zu lange ihr Wissen vorenthalten. Jene kleine Kette mit dem Zeichen eines Patriziers hatte sie vor meinen Augen versteckt, damit ich mich nicht erinnern würde, nahm ihr meine Erinnerung doch alles.Ich trug nur eine einfache Tunika, zerschlissen an manchen Stellen, und so einige der frühen Besucher an diesem Tag warfen mir abfällige Blicke zu, aber es kümmerte mich nicht. Sollten sie doch alle zum Orkus gehen, die fetten bleichgesichtigen Stadthocker, die noch niemals einen Handschlag hatten selbst tun müssen, um karg zu überleben. Sollten sie doch alle zum Orkus gehen, der einzige, der wirklich hier zählte, würde vielleicht verstehen können, warum ich ihm so lange fern geblieben war. Meine kümmerlichen Ersparnisse hatte die Reise nach Rom fast aufgebraucht, aber es reichte noch für Weizenkuchen und einen Krug Wein, nicht einmal den billigsten, aber eben das teuerste, was sich ein Fischer ohne Geld leisten konnte zu opfern. Die letzte Münze wurde in wohlriechendes Duftholz investiert, das ich hier in der Opferschale zu verbrennen begann, um dann meine einfachen Gaben zu opfern.
"Mamarce, Ewiger. Ich weiss, Du hast mich in den letzten Wochen und Monaten begleitet, sonst hätte ich diesen Kampf nicht überlebt, hätte nicht das Fieber überlebt, das mich auf der Suche nach Rutger und meiner kleinen Nichte überfiel. Ich weiss, Du hast Deinen Diener nicht vergessen, und dafür danke ich Dir. Ich habe vieles gesehen, vieles gelernt, und ich habe Blut vergossen, wie es jeder Mann tun sollte. Auch wenn mein Wunsch, eine Frau und ihre Eltern zu verteidigen, aus einer Lüge geboren war, damals war ich der Mann im Haus, und es musste geschehen, um ihre Leben zu retten. Ich weiss nicht, wie es weitergehen wird, aber ich weiss, dass Du bei mir bleiben wirst, wohin auch immer ich gehe. Und das ist ein gutes Gefühl."
Ich, der ehemalige einfache Fischer, der ehemalige Patrizier, war im Grunde ein neuer Mann geworden, einer, der seinen Weg aufs Neue würde finden müssen. Aber einen guten Teil dessen hatte ich bereits wiedergefunden, symbolisiert in der Statue des kriegerischen Mars vor mir.Mein Blick folgte dem aufsteigenden Rauch meiner Opfergabe, der sich zuerst um die muskulösen Beine des Mars zu kräuseln begann und dann aufstieg, um die Götter zu erfreuen, und ebenso verloren sich meine Gedanken. War es gut, wieder zu wissen, wer ich war, oder hätte das Vergessen, die Liebe einer einfachen Frau, vielleicht geholfen, ein besseres Leben zu führen? Ich wusste es nicht, und ich ahnte gleichermaßen, dass ich diese Antwort wohl niemals finden würde.
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Es ist eine simple Rechnung: Wer 'gutes' Spiel in seiner Stadt/ Provinz haben möchte, muss die Anreize dazu selbst geben und viele davon geben, Freunde ansprechen, ob sie nicht vielleicht Civis oder Amtsträger machen möchten, ob sie vielleicht als Peregrinus Lokalkolorit beitragen wollen. Das sind meiner Ansicht nach die zwei Dinge, die man machen sollte, machen muss, um eine Gegend belebt zu bekommen - alles andere ist müßig. Ob man nun ein Theater ausspielt oder die Kneipenschlägerei im Hafen, das ist letztendlich egal, Hauptsache es passiert was, was über das 'ich hab Spaß mit meiner Sklavin' oder 'ich flirte mit der schönen Nachbarstochter' Spiel hinausgeht, denn das interessiert andere Spieler absolut Null, daran kann sich kein Mensch beteiligen.
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Die Übungen hatten sich gelohnt, auch wenn sie irgendwann eher nervtötend denn spaßbringend gewesen waren - aber was brachte schon Vergnügen im Leben, das ernsthaften Dingen gewidmet war? Der Dienst an Mars erforderte eben das ein oder andere Opfer, und wer nicht bereit war, es zu bringen, der war sicherlich verkehrt in der palatinischen Saliergemeinschaft. Dennoch war es beruhigend und erhebend zugleich, diese Schar prächtig ausstaffierter Männer zu sehen und ein Teil von ihr zu sein, in dieser Gemeinschaft ein gleicher Teil unter Gleichen zu sein. Auch wenn ich es vermieden hatte, meinen Vetter Gracchus anzusehen, sobald er die trabea, die Tunika, das ancilium und das Schwert trug, verstummte der dumpfe, immerwährende Schmerz in meinem Inneren, und er wurde wie ich zu einem unter vielen. Mars füllte die Leere in mir, erfüllte meine Gedanken, zumindest die Tatsache, wann ich mich zu bewegen hatte, welcher Schritt auf den nächsten folgen würde, und dann musste ich nicht mehr denken, wir setzten uns in Bewegung und die Feier dieses Tages hatte begonnen.
Es schien, als ziehe Mars selbst mit uns, denn wer wusste schon, welches ancilium nun dasjenige war, welches der Krieger einst an uns Menschen gegeben hatte, und welches eine der elf Kopien? Mir schien es, als sei mein Schild besonders leicht, besonders gut zu tragen, und für einige Momente konnte ich mich auch der Illusion hingeben, es sei dasjenige welches - bevor mein rationales Empfinden mir wieder einen Strich durch die Rechnung machte und mir sagte, dass genau diesen Gedanken wohl jeder unter uns hegte. Ich sah die Zuschauer nicht mehr, sondern konzentrierte mich auf die altertümlichen Silben des carmen saliare, auf die Schritte, die uns durch Rom führen würden, auf den metallischen Klang der Schwerter auf den Schilden, auf alles, das nicht mehr mit mir selbst zu tun hatte - und war das erste Mal seit diesem einen, weltenzerstörenden Satz wieder in irgendeiner Form ein Mensch.
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Ihr beide habt eindeutig zu viel Zeit.
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Ein deutlicher Funke der Erregung strich durch meinen Leib, als ihre gehärteten Knospen meine Brust berührten, mir ihr Sehnen deutlicher noch machten, als es jedes Wort hätte sagen können. Mein und ihr Körper reagierten instinktiv aufeinander, und eigentlich hätte ich jetzt nicht mehr denken sollen, mich der Lust einfach überlassen, um sie mir zueigen zu machen, aber noch blieben die Gedanken wach, noch lauschten meine Ohren nicht nur auf ihre Seufzer, sondern auch auf ihre Worte.
"Sind wir uns in diesem Augenblick nicht in unseren Wünschen gleich?" flüsterte ich leise, mit den Lippen nach ihren Ohrläppchen schnappend. "Grenzen sind doch immer dazu da, sie ab und an zu vergessen und sie zu überschreiten."Und wie oft hatte ich sie doch schon in allem überschritten, was ich tat! Geliebt, gemordet, gehurt, gesoffen - immer tunlichst vor dem Blick der Öffentlichkeit verborgen. Sachte bewegte ich mich unter ihr, rieb mich an ihrem Körper und jenen verlockenden, so heißen Stellen entlang, um meinerseits ein genüssliches Seufzen hören zu lassen.
So nahe. Wie lange würde es mir noch gelingen, diesem zwanghaft werdenden Wunsch zu widerstehen? Ich drehte den Kopf etwas, betrachtete ihre geröteten Wangen und zog sie stärker an mich, umfing ihren Körper mit beiden Armen und hielt sie einfach einige Momente lang in jener verlockenden, heißen Umarmung, in der alles möglich war, aber auch nichts. Würde sie es wollen, bedurfte es nur eines Handgriffs, um ihren Körper und den meinen zu vereinen, doch sie würde ihn tun müssen, nicht ich, ihre Worte von eben auf diese süße, folternde Art und Weise auf die Probe stellend. Würde sie es wagen? Wäre dieser Wunsch wirklich so stark in ihr?
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Mein Tag hatte so früh begonnen wie jeder andere auch, ich musste zwar die salutatio im Morgengrauen nicht mitmachen, aber zu jener Zeit begannen die Tagesgeschäfte und bevor ich in den Tempel gehen würde, stand noch etwas Leibesertüchtigung mit meinem Sklaven auf dem Programm. Wenigstens darin glaubte ich eine nicht allzu schlechte Figur zu machen, wenn ich mir schon nicht sicher war, wie ich mit Rutger umgehen sollte, um ihm seinen Starrsinn und die Anti-Römer-Haltung abzugewöhnen, so konnte ich wenigstens versuchen, eine Art Verhältnis zu ihm aufzubauen. Wie weit er mir nützlich sein konnte, stand jedenfalls in den Sternen und ich glaubte auch nicht, dass es allzu bald der Fall sein würde, dafür war er einfach zu alt. Einen Jungen hätte man vielleicht formen können, diesen Hass irgendwann abzulegen, aber ein erwachsener Mann ... wie ich es gewohnt war, hatte ich mich mit einfachen Dehn- und Streckübungen warm gemacht, die Muskeln nach der fast schlaflos verbrachten Nacht gelockert und mir das Leben mit einem Guss eiskalten Wassers zurück in den Körper getrieben.
Nefertiri hatte mich nach dem Aufwärmen angekleidet, ein Vorgang, der inzwischen so abgestimmt war, dass ich dabei nachdenken konnte, ohne der Tatsache Aufmerksamkeit zuwenden zu müssen, dass mein Körper gerade in mehrere Lagen Kleidung gesteckt wurde. Heute fiel die Schichtung allerdings etwas geringer aus, eine Tunika, ein Lendentuch und Sandalen mussten vorerst reichen, ein mit einem togabewehrten Mann trainierender Sklave hätte auch reichlich seltsam gewirkt. Als ich die Villa verließ und in den hortus trat, atmete ich unwillkürlich ein. Die bis zur Vollendung getriebene Gärtnerskunst mischte sich hier mit dem Frühnebel, der über alles und jeden einen zart schimmernden Flaum Feuchtigkeit gelegt hatte, und verlieh dem Ort einen ganz besonderen Reiz, einen Zauber, den ich auf diese Weise bisher nicht wahrgenommen hatte. Es mochte schlichtweg auch daran liegen, dass ich mich um diese Zeit höchst selten im Garten herumtrieb, aber ich war nicht unfroh über den Zufall. Es gab wenig an Rom, das mir wirklich gefiel, aber dieser Augenblick der Vollkommenheit, in dem Aurora begann, den Himmel mit einem vagen Schimmer des goldenen Tageslichts zu überziehen, der von den Blättern und Grasenden reflektiert wurde, ließ mir das Herz leicht und weich werden.
Still und fast lautlos schritt ich über den gepflasterten Weg, nicht wagend, die tauglänzenden Spitzen des Rasens durch meine Schritte zu entweihen, blickte mich einfach um, während die noch in kleinen Resten vorhandene morgendliche Kühle versuchte, mich in ihren Bann zu ziehen. Erst als der Kies unter meinen Sandalen zu knirschen begann, verließ ich den gepflasterten Pfad gänzlich und folgte dem Kiesweg tiefer in den hortus hinein, unwissend Rutgers Spuren nachtretend. Der kleine Teich kam in den Blick, und als ich dort meinen Sklaven in stiller Betrachtung der dort vorhandenen Athene-Statue erblickte, musste ich unwillkürlich lächeln. So etwas vollkommenes wie diese ausdrucksstarke Bildhauerarbeit gab es wohl in Germanien nicht, und auch ich hatte die Statue bereits mehr als einmal bewundert. Langsam näherte ich mich ihm, diesmal aber nicht darauf bedacht, allzu leise zu sein, denn er sollte nicht erschrecken.
"Sie ist wundervoll, nicht wahr?" fragte ich, als ich ihn erreicht hatte, und betrachtete auch die Eule, dann das ruhige, der Welt zugewandte Gesicht der Athene nachdenklich. "Weisst Du, wer die Göttin ist, die hier dargestellt ist? Wenn nicht, erkläre ich es Dir gerne." -
Es war einer der jüngeren Tempeldiener, der auf ihn zutrat, die saubere Erscheinung des Petroniers mit einem anerkennenden Nicken maß und ihn freundlich fragte: "Salve! Wie kann ich Dir helfen? Möchtest Du opfern oder bist Du auf der Suche nach einem Priester, um ein Opfer zu besprechen?" Der junge Mann lächelte leicht und wie die meisten der Diener des Mars gehörte er zu jenen, deren ausserordentlich stattlicher Wuchs dem Auge des Gottes nur gefallen konnte, war es doch üblich, nur wirklich virile Männer zum Dienst im Marstempel heranzuziehen, die dem Sinnbild des kräftigen, attraktiven Kriegsgottes am ehesten entsprachen.
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Einer der Tempeldiener überbrachte mir den gerollten Brief und so las ich das Schriftstück durch, zufrieden nickend, immerhin schien es, als würde die Tempelrenovierungssache endlich ein wenig in Bewegung kommen. Vielleicht war es das, was den Anfragen des Valerius Victor nach einem Baumeister einst gefehlt hatte, der patrizische Name, der in Rom noch immer so manches einfacher laufen ließ als man es als Plebejer erwarten konnte. Zufrieden faltete ich den Brief zusammen und steckte ihn in meine Toga, um mich alsbald einer Antwort darauf zuzuwenden.
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Er glaubte immernoch, dass ich um eine Frau trauerte, aber die volle Wahrheit hätte ihn wohl kaum jauchzend zustimmen lassen. Dieses stille Geheimnis würde ich wohl immer in meinem Inneren vor mich hin schleppen und hoffen müssen, dass es irgendwie zu ertragen sein würde. Still blickte ich auf die ewige Stadt herunter, das Leben darin, welches zur Nacht jetzt erst erwachte, wo es hier oben auf dem Capitol langsam ruhiger verlief. Seine Worte perlten matt schimmernd durch die Nacht und wenn ich eines nie erwartet hätte, dann wohl das, dass er einen ähnlichen Schmerz mit sich trug, wie ich ihn nun auf meine Seele geladen hatte. Liebe war wohl stets mit Schmerz verbunden, gab es die Liebe denn überhaupt in einer reinen, schöneren Form, die einen nicht in die tiefsten Tiefen stürzen und dort zerschellen ließ? Ich wusste es nicht, hatte ich dies doch nie erfahren, immer war die leise Wehmut dabei gewesen, den Menschen nicht haben zu dürfen, den ich liebte.
"Wie überlebt man das alles?" fragte ich leise und wieder flatterten unsere Kleider vom kühl gewordenen Wind auf dem tarpeischen Felsen, als wollte er uns nach vorn locken, in die stille, dunkle Tiefe, in das Vergessen, das darin ebenso begründet lag wie ein wirklich endgültiges Ende.
"Wie überlebt man das Wissen, einen Menschen stets vor sich zu haben, nach dem man sich mit jeder Faser sehnt, mit jedem Gedanken, jedem Atemzug, und doch genau zu wissen, dass es verboten ist, dass der Götter Fluch einen trifft, sobald man die Distanz überwindet, die noch zwischen der Sonne und einem selbst liegt? Eine Distanz, die mit Eiden und Schwüren gesichert werden musste, um uns davon abzuhalten, einander zu lieben ..." Langsam schüttelte ich den Kopf. "Du kennst Rom, du weisst, wie unser Volk lebt, wie verlogen das alles in vielem ist. Ich habe keine Hoffnung, irgendwann jemanden zu treffen, der ... so versteht, wie es meine Sonne tut." -
Einen Vorteil hatte man als Priester des Mars - beziehungsweise sacerdos publicus, der sich um die Angelegenheiten des Marstempels zu kümmern hatte - bei den Feierlichkeiten: Man stand auf der Empore hinter dem flamen Martialis und hatte so die beste Sicht auf das Geschehen. Hätte ich mich heute innerhalb der reichlich anwesenden Menschenmenge herumdrücken müssen, ich hätte sicherlich so manchen Wutanfall über mir zu nahe kommende Bewohner der Subura bekommen, die Empore war der beste Weg, mich halbwegs bei Laune zu halten. Dass mein Magen reichlich übersäuert war und das Frühstück aus einem Becher Milch gegen die Kopfschmerzen bestanden hatte, musste hier schließlich nicht jeder wissen. Wenigstens heute gelang es mir, die Miene eines interessierten Beobachters aufrecht zu erhalten, und nicht allzu verdrießlich dreinzuschauen, nicht zuletzt, weil sich auch der Septemvir Valerius Victor unter den Priestern hier befand und ich Fragen nach meinem persönlichen Zustand einfach vermeiden wollte.
Es sah düster genug aus in meinem Inneren. Schweigend verfolgte ich die Fahrt der beiden Gespanne und hoffte, dass es das richtige Pferd treffen würde, mit sauberen, makellosen Innereien, denn alles andere hätte ein ausgesprochen übles Omen bedeutet. Alle Tiere waren einwandfrei gesund gewesen, als wir sie gemeinsam begutachtet hatten, und ich hatte die Gelegenheit erhalten, dem flamen Martialis bei seiner Arbeit über die Schulter zu blicken, ihn und seine Handlungen genau zu beobachten. Vielleicht war es das Beste im Augenblick, einfach nicht an ihn zu denken, mich auf die Arbeit zu konzentrieren und irgendwie voran zu leben. Noch immer sah ich die Bilder meines Traumes vor mir und dachte darüber nach, was mir Mars damit hatte sagen wollen, aber irgendwie war ich mir auch sicher, dass ich eine Weile brauchen würde, um die Wahrheit darin zu erkennen. Die Gespanne bogen um den nächsten Pfeiler und schon schien es, als sei das rote Gespann eine Elle schneller als das blaue.
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Ich schnippte mit zwei Fingern nach einem anderen Sklaven, genug waren ja unterwegs, und drückte ihm kurzerhand Claudia Priscas Weinbecher in die Hand, um einen gemischten Wein zu bestellen - in einen vollen Becher noch Wasser einschenken zu müssen wollte ich ihr nicht unbedingt zumuten, auch wenn die Menge Wein meinem Geschmack durchaus entsprach. So hatte die junge Claudierin alsbald ein deutlich passenderes Getränk, welches ihr durch eben diesen Sklaven überbracht wurde.
"Nun, es wird hoffentlich nicht Dein letztes gesellschaftliches Ereignis sein, hier in Rom kannst Du wirklich sehr vieles erleben, sei es ein Wagenrennen, seien es die öffentlichen Opfer, seien es die Feiern der hohen Häuser. Du musst einfach Deine Verwandten bitten, Dich mitzunehmen, dann wird sich Dir die volle Pracht der Stadt gewiss entfalten und Dich vieles erleben lassen," plauderte ich weiter, bevor eine mir bekannte Person in unsere Richtung schritt und sich in das Gespräch einschaltete.Ich hatte ihr gerade ein Kompliment über ihren Namen machen wollen, lächelte dann aber. "Salve, Claudius Vesuvianus, schön, dich einmal ausserhalb der Salier wiederzusehen. Willst Du nicht Deiner jungen Verwandten auch ein wenig über Rom erzählen? Gerade die Feste, die besonderen Ereignisse ziehen einen doch an dieser Stadt an, und ich denke, dass auch Du da einiges zu erzählen hättest. Vor allem aber auch über die Sicherheit der Stadt ..." Inzwischen war es mir wieder gelungen, eine freundliche Miene auf mein Gesicht zu zaubern, es musste schließlich niemand wissen, wie es in meinem Inneren aussah, und schon gar nicht ein Offizier der Legion, der solches wohl noch als Schwäche aufgefasst hätte.
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Es steht natürlich jedem frei, seinen Anteil zum Threadgelingen auszuspielen, wenn das Opfer erfolgt ist.
Übrigens in diesem Thread hier:
http://www.imperium-romanum.in…thread.php?threadid=18771Der verkaterte Marspriester