Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Und das Gebrüll ging wieder los. Am liebsten hätte ich gerade einen Felsen auf den Venetafahrer stürzen sehen, das Krakeelen der Blauen war wirklich unerträglich. Irgendwie weigerte sich meine Vorstellungskraft, mir den Lärm auszumalen, der bei einer gelungenen Runde der Goldenen ausbrechen würde, aber glücklicherweise waren sie bei diesem Rennen noch nicht dabei, wie es schien - falls man in diesem ganzen Staub und Dreck überhaupt richtig erkennen konnte, wer wo fuhr.


    "Tritt die Aurata heute noch an?" brüllte ich zu Aurelius zurück und bemühte mich redlich, den Lärm auf den Rängen zu übertönen. Von der rechten Seite drückte die Menge nach und wir wurden unversehens recht eng aneinander gedrückt, wie auch die anderen Anwesenden neben ihm und mir.

    Wäre der Aurelier eine Frau gewesen, hätte ich mir gedacht, dass er flirtete, hemmungslos sogar, aber das? Entweder er war sich seiner Wirkung absolut nicht bewußt und genoss einfach nur die Trauben, oder aber er wusste es genauso gut wie ich und provozierte mich absichtlich, wohl wissend, was er damit auslösen konnte. War mir so deutlich anzumerken, dass ich Männern ebenso viel Genuss abgewinnen konnte wie Frauen? Oder aber er ... nein, konnte das möglich sein? Ich würgte den dicken Frosch in meinem Hals hinunter und spülte mit dem süßen Falerner nach. Wenigstens hatte ich den Trost, dass ich wie auch mein Vater eine gute Menge Wein vertrug und mich der erste Becher zwar in eine gehobene Stimmung versetzte, aber in keine leichtsinnige. Noch hatte ich meine Sinne beisammen, wenngleich sich ein zusätzliches Stimmchen meldete, das begann, sein Recht einzufordern. Langsam strechte ich meine Hand aus und nahm mir einige Trauben aus der dargebotenen Schale.


    "Ich danke Dir," sagte ich und erwiederte seinen Blick. Wenn er Krieg wollte, sollte er ihn haben. Ich wusste das Spiel zwischen Mann und Frau - oder, wie in diesem Falle, Mann und Mann - ebenfalls zu spielen und wusste genau, dass ich darin einige Jahre mehr Erfahrung aufzuweisen hatte als er. Denn irgendwie konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass ein knapp zwanzigjähriger Mann von seinen Jugendtagen an schon die Freuden der Liebe kennengelernt haben mochte, nicht bei einer doch eher sehr konservativen Familie wie den Aureliern. Dieses Ziehen im Lendenbereich ließ mich ein bisschen wagemutiger agieren, als ich es sonst getan hätte, aber mir gefiel der Gedanke an ein Geplänkel zu gut, um es nicht zumindest versucht zu haben. So gab ich mir Mühe, meine Stimme rauh und etwas kratzig klingen zu lassen, als ich auf seine mehrdeutige Frage antwortete. "Doch, unser Gepräch hat auch mir ein wenig Hunger gemacht ..."


    Ich legte eine rhetorische Pause ein und ließ ihn seine Phantasie bemühen, was ich wohl gemeint haben könnte, bevor ich mir eine Traube von dem entgegen genommenen Traubenstrunk abzupfte und in den Mund steckte, den ausgestreckten Zeigefinger allerdings deutlich langsamer zwischen den Fingern wieder herausziehend, sodass ein feuchtes Glänzen meines Speichels darauf zurück bleiben musste. "...ich werde mich Dir also sehr gerne anschließen." Jetzt wollten wir doch einmal sehen, wer dieses Spiel besser beherrschte!

    Irgendwo brüllten die Venetaanhänger frenetisch, als ihr Fahrer einen Platz gut gemacht hatte, während beim grünen Teil der Zuschauer ein empörtes "Prae-prae-praesina!" aufkam. Als ich Aurelius Corvinus endlich ausgemacht hatte, kämpfte ich mich erbarmungslos in seine Richtung vor und ließ mich schließlich auf den Sitzplatz neben ihm sinken.
    "Salve, Aurelius Corvinus," keuchte ich und rückte meine Tunika gerade, während um mich herum wieder das Gebrüll losging. "Das ist hier ja schlimmer als auf dem Schlachtfeld. Am Ende des Tages können wir sicher unsere Ohren nicht mehr benutzen."

    "Ich bin mir sicher, ich kann Gracchus zu einer kleinen Reise überreden, wie in alten Zeiten. Du musst wissen, er war einige Male auch in Athen und wir sind gemeinsam um die Häuser gezogen ... eine der wirklich angenehmsten Erinnerungen an Achaia. Vielleicht schaffen wir es ja zur Eröffnungsfeier des amphitheatrums, wenn es denn eine gibt, falls Du da nicht zu beschäftigt sein solltest, Besuch zu empfangen." Sich eine solche Feier in der exclusiven Atmosphäre einer Patriziervilla zu gönnen hatte doch so manche Vorteile für sich. Zumal ich mir sicher war, dass auch Gracchus sicher seine Freude an meinem Gesprächspartner haben würde, er besaß Witz und die nötige Klugheit, auch frechere Scherze zu machen, die pointiert genug waren, um nicht zu verletzen oder plump zu wirken, wie es bei so vielen anderen geschah.


    "Er ist auch sehr zufrieden mit seiner anstehenden Verbindung, was ich gut verstehen kann. Seine Verlobte ist eine sehr attraktive und intelligente Frau, ich wäre selbst nicht unglücklich über eine solche Ehefrau ... aber bevor ich hier nun auf eine Werbereise gehe, möchte ich doch erstmal sehen, welche jungen Damen überhaupt in Frage kommen. So lange bin ich noch nicht in Rom zurück, als dass ich das gut beurteilen könnte." Nicht, dass ich am Ende bei den Plebejern Ausschau halten musste. Nicht, dass diese Frauen keinen Reiz für mich gehabt hätten, aber es ging schließlich auch darum, den Status der Familie zu erhalten, wenn man sich verheiratete. Meine Gedanken an Heirat allerdings wurden exakt in diesem Moment weggewischt, als sich die Lippen des Corvinus langsam um die Traube schlossen und er sie genüsslich einsaugte.


    Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Augen für diesen Moment weiteten und man mir wahrscheinlich auch ansah, dass diese zarte Bewegung etwas in meinen Lenden anrührte.
    "Aus eigenem Anbau?" brachte ich mühsam hervor, auf die Trauben deutend, bevor ich schnell einen Schluck des Falerners herunterstürzte. Meine Kehle war ziemlich trocken geworden, geradezu wüstenhaft ausgedörrt.

    Während die Menge um mich tobte, weil die Wagen gerade um die Kurve schossen, versuchte ich mir meinen Weg zu den Anhängern der Aurata zu bahnen. Warum nur war ich nicht früher gekommen? So hatte ich einiges damit zu tun, mich nach vorn zu kämpfen und nicht gleichzeitig Hiebe und Tritte von jubelnden Anhängern ihrer factiones abzubekommen. Zumindest für den Moment beschloss ich, Wagenrennen zu hassen und hielt nach meiner Verabredung Ausschau, Marcus Aurelius Corvinus. Irgendwo hier musste er schließlich sein.

    "Uns trennen Welten," gab ich grinsend zurück und schüttelte dann den Kopf. "Aber nein, Du hast recht ... ich habe mein fünfundzwanzigstes Jahr bald beendet, so groß ist der Unterschied nun wirklich nicht. Auch wenn mein Vater da ganz anderer Ansicht gewesen wäre, er hätte mich wohl am liebsten schon mit fünfzehn auf die rostra gestellt." Und wie gerne hatte ich ihm diesen Wunsch doch weiter und weiter ausgedehnt, bis es mir schließlich gelungen war, ihm einige Ausbildungsjahre in Achaia abzutrotzen. Nein, die rostra war nie mein Ziel gewesen und sie war es auch jetzt nicht. Die Götter hatten meinen Weg in eine andere Richtung gefügt und nun stand es mir endlich frei, ihn selbst zu wählen.


    "Epidaurus habe ich einmal besucht, aber das ist schon eine Weile her. Dennoch fand ich den Baustil sehr beeindruckend. Wie lange es wohl gedauert haben mag, die Häuser zu fügen? Es ist wie mit Aegyptus. Die Paläste und Bauten atmen die Ewigkeit und erinnern uns daran, wie klein ein einziges menschliches Leben im Grunde doch ist. Ein amphitheatrum ist ein sehr ehrgeiziges Ziel und das macht mich noch sehr viel neugieriger auf Deine Stadt. Rom hat den Circus Maximus, aber einen solchen Bau mit griechischem Vorbild sucht man eher vergebens ... ihr werdet damit sicher viele Besucher anlocken können."


    Als mir der Weinbecher gereicht wurde, konnte ich den süssen, vollmundigen Duft des roten Goldes schon atmen, bevor ich den Becher erhoben hatte, und nur zu gern erwiederte ich seine Worte. "Auf den Beginn einer Freundschaft!" Genüsslich kostete ich von dem wirklich exzellenten Falerner, der die Sinne zu berauschen und gleichzeitig auf eine Reise zu schicken imstande war, die seinesgleichen suchte. Der Weinstand war wirklich ein Glücksgriff gewesen ... aber nicht nur wegen des Weins. Seine Frage riß mich allerdings ziemlich aus meinen Gedanken.


    "Heiraten? Nun, dafür fehlt mir derzeit eine passende Braut. In diesem Herbst steht erst einmal die Vermählung meines Vetters Gracchus mit einer Claudierin an, dann muss ich mir wohl auch langsam Gedanken um eine Ehe machen - hast Du denn schon eine Braut in Aussicht?" Brr. Der Gedanke an eine Ehe ließ mir vorerst sämtliche süßen Gedanken verfliegen.

    "Du bist jung, genieße das Leben, solange es geht," sagte ich und lächelte. Eigentlich traf das auch auf mich noch irgendwie zu, aber ich hatte meinen Teil Genuss und Müßiggang zur Genüge in Athen ausgelebt, und das nicht zu knapp. "Zumindest beginnt der Ernst früh genug, und wenn Du schon als Magistrat arbeitest, wirst Du wissen, was ich meine. Man kann schließlich nicht andauernd nur über Akten brüten oder sich um das Wohl einer Stadt kümmern. Da bleibt nur zu hoffen, dass Dir Dein Vater einen guten Rat geben kann."


    Kurz überlegte ich, welcher der derzeitig in Rom weilenden Aurelier sein Vater sein mochte, aber ich konnte mich zwischen zwei nicht unbekannten Namen nicht so recht entscheiden, also ließ ich es lieber sein, dieses Thema allzu sehr zu verfolgen. Sich mit falsch geratenen Familienangehörigen in Mißkredit zu bringen war heute sicherlich nicht mein Anliegen.


    Während ich mich gemächlich auf der Liege ausstreckte, blieb mein Blick auf meinem Gegenüber liegen. Ob ich ihn einmal in die Thermen einladen sollte? Diesen schlanken, trainierten Körper ohne die störende Kleidung zu betrachten zu können ließ kurz ein allzu vertrautes Prickeln in meine Lenden fahren. Du brauchst ein Weib, dachte ich fast wütend und nickte zu seinen Worten über die Spiele. "Mit Vergnügen, das werden dann meine ersten römischen Spiele seit langer Zeit sein. Du wirst sicher bei den Leuten von der Aurata sitzen, oder?"

    Unter den Griechen musste Corvinus sicherlich so einige Aufmerksamkeit genossen haben - von der Gestalt her schon zum Mann gereift, verrieten die geschwungenen Lippen noch die Weichheit der Jugend, der stolze Zug des Kinns verriet den Patrizier, die geschmeidigen Bewegungen den Mann, der nicht nur seinen Geist trainiert hatte, sondern auch den Körper. Ich seufzte innerlich und versuchte die Gedanken auf unser Gespräch gerichtet zu behalten, um mich nicht zu verheddern. Wie lange war meine letzte Nacht mit Nefertiri nun her? Eindeutig viel zu lange, schon im Gespräch mit Nadia hatte sich der Hunger dauernd in mein Bewusstsein geschlichen, mit Gracchus ebenso, und jetzt ... Rom schien sich wirklich gegen mich verschworen zu haben. Was blieb diese kleine ägyptische Hure auch so lange weg! Nie wieder würde ich sie alleine verreisen lassen.


    "Hm, ich weiss gar nicht, welche factio die Flavier bevorzugen," überlegte ich. Meine Eltern waren keine großen Rennwagenfreunde gewesen und der Rest der Familie hatte sich in alle Richtungen zerstreut. Zugegeben, die Vorstellung von Furianus, der mit einer Fahne wedelte, hatte etwas Amüsantes für sich, aber ernsthaft? "Ich werde mir wohl die Rennen diesmal in aller Ruhe ansehen und mich dann entscheiden." Dass er den Weg zum flamen dialis anstrebte, erstaunte mich allerdings, war dieser Ehrenplatz doch mit gewaltigen Einschränkungen verbunden. "Du willst dir ernsthaft ein Leben im goldenen Käfig antun? Der flamen dialis ist sicherlich ein sehr ehrenvoller Rang, aber mir käme es vor, als würde man mich lebendig begraben." Wir betraten das Tablinum und abermals konnte ich mich umblicken - auch in diesem Raum herrschte der Prunk vor und ich begann mich zu fragen, ob er jemals in der Villa Flavia zu beeindrucken wäre.

    Zitat

    Original von Marcus Valerius Mercurinus
    "Der Kurs wird zur Zeit noch vom Cultus Deorum angeboten, auch wenn es Bemühungen gibt, ihn unter Führung der Schola anzubieten. Wenn du dich gleichzeitig durch deinen Eid verpflichtest dem Cultus Deorum nach der theoretischen Prüfung als Sacerdos beizutreten, dann ist er kostenlos. Wenn du für die Vorbereitung noch Zeit brauchst oder auch zwischen der theoretischen und der praktischen Prüfung, dann kannst du währenddessen als Discipulus dienen, du musst es jedoch nicht."


    Ich überlegte eine Weile und runzelte die Stirn. "Nun, ich würde diesen Kurs gern absolvieren und auch danach dem Cultus Deorum beitreten - mein langfristiges Ziel ist der Weg zum flamen martialis, was Du Dir sicherlich gedacht hast .. zumindest, so es Mars gefällt, mich auf dieser Position zu wissen."

    "Ich hoffe, ihr braucht keinen Sklaven, um euch hier zurecht zu finden," meinte ich recht trocken nach den ersten Schritten durch diese hohen Hallen, während wir uns in die Richtung des Atriums bewegten. Die Villa Flavia war auch nicht gerade klein, aber hier merkte man schon, wieviele Sesterzen für die aufwendige Gestaltung verbraucht worden waren - und dass man dies sicher den Besucher auch merken lassen wollte. Gegen meinen Willen war ich durchaus beeindruckt, eine so prachtvolle Umgebung gefiel mir in jedem Falle. Doch auch die Unterhaltung von eben galt es weiterzuführen und ich war gespannt, wohin wir uns begeben würden.

    "Bisher habe ich mir noch keine factio gesucht, und ich habe es auch nicht wirklich eilig damit gehabt. Wagenrennen sind sicher nicht unspannend, aber ich muss gestehen, dieses plebejerhafte Gegröhle liegt mir nicht ganz so sehr wie vielleicht anderen. Die Aurata .. hm, die waren in den letzten Rennen nicht so gut plaziert, oder? Was reizt dich denn an dieser factio, dass Du ihr zugeneigt bist?" Factiones, sicher, das hatte ich fast vergessen. Das hatte man davon, wenn man zu lange in Achaia gelebt hatte, man vergaß die wichtigsten römischen Freizeitvergnügungen zugunsten der Beschaulichkeit Athens vollkommen. Wenngleich die olympischen Spiele immer sehr begeistert gefeiert worden waren und ich es mir auch einmal angetan hatte, ihnen beizuwohnen.


    "Wir könnten uns bei den ludi apollonaris treffen, wenn Du Lust hast - gemeinsam so ein Fest zu besuchen macht meist deutlich mehr Spaß. Vielleicht treffen wir auch auf meinen Vetter und seine Verlobte, die sich sicher freuen würden, Dich kennenzulernen," überlegte ich dann, während wir uns schon durch die Menge bewegten und ich mich seiner Führung durch die Straßen Roms anvertraute, hoffend, später einigermaßen den Rückweg zu finden. "Reizt Dich auch der Kult des Mars - oder favorisierst Du einen anderen Gott?" Und damit bogen wir schon um die Ecke, die Villa im Blick ..

    Täuschte ich mich oder war ihre Hand tatsächlich recht warm auf meinem Arm? Aber bestimmt schwitzte sie, dieses Wetter war ja auch ausgesprochen gut dazu geeignet, dass einem der Schweiß mehr früher als später aus allen Poren hervor brach. In ihrer Gegenwart rechnete ich allerdings eher früher damit als später, dafür war mir ihre Gestalt zu bewusst. Frauen sollte es verboten werden, Tuniken zu tragen, dachte ich bei mir und antwortete ihr so beherrscht wie möglich:


    "Nun, das Forum kenne ich noch und auch den Markt, diese beiden Plätze besucht man wohl immer, wenn man in Rom ist. An Tempeln kenne ich eigentlich nur den Marstempel wirklich gut, bei den meisten anderen weiss ich zumindest halbwegs noch, wo sie stehen, aber ich war ewig nicht mehr darin. Fast fürchte ich, sie könnten zwischendrin umgebaut haben und alle Tempel in eine andere Ecke der Stadt verlegt haben ... bei so mancher Casa ist das wohl der Fall, in der Nachbarschaft der Villa Flavia erkenne ich fast nichts mehr." In Athen hätte ich mich deutlich besser geschlagen, soviel war sicher.

    Ich registrierte erfreut, dass sie ihre Hand auf meinem Unterarm ablegte und lächelte ihr leicht zu, bevor ich ihr schließlich aus dem Haus hinaus folgte. Der Tag gehörte uns, was konnte man sich schon besseres vorstellen als einen sonnigen Sommertag mit einer jungen Schönheit zu verbringen? Sicher, es würde einerseits eine ziemliche Quälerei werden, diese süße Sylphide zu begehren und andererseits ein lockeres Gespräch in Gang zu bringen und zu halten, aber ich hatte mich schließlich nie vor Herausforderungen gescheut ... so ließen wir die Villa Flavia hinter uns und tauchten tief zwischen den Gassenschenkeln der gespreizt dargelegten Hure Rom ein.

    "Christen? Bei den Göttern, gibt es diese Verrückten hier also auch," meinte ich und dieser Gedanke erfreute mich nicht besonders. Auch in Athen hatte es diese Sekte gegeben und mir waren ihre vereinzelt auftretenden Propheten immer als sehr seltsam erschienen. "Dieses Gefasel vom Leben nach dem Tod und Nächstenliebe kann doch wirklich nur Sklaven ansprechen. Irgend jemand hat auch behauptet, dass sie bei ihren Zeremonien das Blut von Kindern trinken, um sich zu stärken und ihrem Gott nahe zu sein. Kann man sich so etwas vorstellen, nur an einen Gott zu glauben? Ich finde das schon bei den Juden befremdlich, aber bei den Christen beginnt es, zu einem seltsamen Fanatismus zu werden."
    Mir gefiel der Gedanke nicht, dass dieser Kult in Rom auch Fuß gefasst haben könnte - denn hier, in der urbs aeterna, gab es oft genug Unzufriedenheiten, die als Nährboden für die Lügen der Christen hätten dienen können. Eine explosive Mischung.

    "Beispielsweise, welche politischen Themen derzeit in Rom wichtig sind, ausser der Tatsache, dass sich am Engagement der Frauen in der Politik derzeit die Geister zu scheiden scheinen," antwortete ich und nahm einen weiteren Schluck Wein aus meinem Becher, während mein Blick sich nun auf Milo abgelegt hatte. Verglichen mit Furianus schien er mir etwas bedachter zu wirken, weniger offen in seiner Meinungsäußerung, aber dadurch keineswegs uninteressanter.

    Anscheinend bekam ich meinen Rundgang durch die Stadt doch auf die ein oder andere Weise - wenngleich er mich wohl in eine ganz andere Richtung führen würde als gedacht. Die Villa Aurelia, wieso auch nicht. Immernoch besser als eine überfüllte oder stickige Taverne, bis zum Rand gefüllt mit anmaßendem Pöbel. Nein, das musste jetzt wirklich nicht sein.


    "Die Villa Aurelia klingt gut," antwortete ich ihm also. "Diesem Falerner würde ich heute wohl überall hin folgen, solange es nicht die cloaca maxima ist oder etwas in dieser Art." Ausserdem war ich durchaus neugierig darauf, wie ein Mann wie er wohl lebte, ich hatte die Villa der gens Aurelia bisher noch nicht betreten, auch wenn sich unsere Familien natürlich kannten. Etwas allerdings ließ mich stutzen - die Art, wie er mich angeblickt hatte, dieser lange Blick meinen Körper hinauf. Immerhin war er in Achaia ausgebildet worden, sollte das bedeuten, dass er alle griechischen Sitten aus eigener Anschauung kannte?


    "Das hast Du mit mir gemein, Aurelius Corvinus, dieses ganze Ausbildungssystem hier in Rom scheint mir noch reichlich schleierhaft. Aber ich habe gute Hoffnung, dass sich dieser Nebel alsbald lichten wird, auf dass man eine klare Antwort erhält. Es ist ja nicht so, dass der Götterkult keinen Nachwuchs suchen würde, ich habe schon so manche Beschwerde vernommen, dass es zu wenige geben würde, die sich für diesen Weg entscheiden würden." Ich blickte ihn recht direkt an und betrachtete ihn forschend ... ein altes, allzu vertrautes Bild kehrte zurück und wollte sich nicht unterdrücken lassen. Irgend etwas an ihm erinnerte mich ...

    Ist es denn möglich, wärhend der Zeit, in der man die beiden Kurse macht, discipulus zu sein? Ich meine, irgendwie ist das doch recht unergiebig, dann wochenlang rumzuhängen und nichts zu tun, nur weil man die Kurse noch nicht fertig hat und gern flamen werden möchte. :D

    "Du willst Dir also eine Tracht Prügel bei mir abholen?" neckte ich ihn gutmütig und schmunzelte breit. Das ringen mit ihm hatte ich immer sehr geschätzt, denn man hatte nie gewusst, wie es ausgehen würde - ausserdem mochte ich die Vielschichtigkeit dieses Sports. Bei kaum einem anderen Freizeitvergnügen hatte man so viel Körperkontakt und das Ringen war letztendlich auch schuld daran gewesen, dass mein Blick nicht nur Frauen galt. Tagtäglich mit gut gebauten Männern zu trainieren hatte mit der Zeit mein sehr römisches Weltbild ein wenig gewandelt ... aber bevor dieser Gedanke meiner äusserlichen Erscheinung abträglich sein würde, verbannte ich ihn auch schon wieder in den hintersten Winkel meines Kopfes.


    Wäre mein Vetter nur ein klein wenig in die Breite gegangen seit seiner Abreise von Achaia, aber nein, er war noch genauso trainiert und wohlgestaltet wie ich ihn in Erinnerung gehabt hatte - das würde ein ausgesprochen anstrengendes Ringen werden, soviel war mir jetzt schon klar. Ich neigte mich herab und löste die Sandalen, die umgedreht ihren Platz auf meiner Tunika fanden, bevor ich mich streckte, bis der Rücken ein leises Knacken von sich gab. "Wollen wir heute mit oder ohne Öl machen? Ich habe keins dabei, aber man bekommt hier sicher auch welches, wenn man fragt, hoffe ich .." Damit trat ich zum Durchgang, der auf einen Gang führen würde - der Innenhof, in dem andere Männer um diese Zeit trainierten, würde wohl nicht weit sein. Zumindest hoffte ich, dass sich Gracchus hier ein wenig auskannte, sonst würden wir am Ende noch im Schwitzraum landen, und das wollte ich noch eine Weile herauszögern.

    "Nun, dann würden die Träger die Eimer wohl in eine Ecke stellen und wir müssten abwarten, was aus uns wird. Am Ende hättest Du dann einen Arm von mir oder ich hätte Dein helles Haar ... interessant wäre das doch allemal," meinte ich verschmitzt und blinzelte ihr vergnügt zu. Doch, es hätte sicherlich seinen Reiz, sie vielleicht mit seinem eigenen, dunkelblonden Haar zu sehen oder dergleichen mehr. Der Gedanke an eine verschmolzene Verbindung verleitete mich abermals zu den vollkommen falschen Vorstellungen und mir wurde wieder einmal allzu deutlich bewusst, wie sehr mir Nefertiris Umarmungen in der letzten Zeit doch fehlten. Irgendwie kam ich immer wieder zu diesem einen Thema zurück, und zumindest jetzt wollte ich sie damit nicht konfrontieren.


    "Na, den See können wir uns ja als Notfallmaßnahme merken. Aber sag mir, wo wirst Du mich heute zuerst hinfürhen? Ich bin schon ganz gespannt darauf, wohin uns unsere Schritte führen werden und was Du mir zum entdecken offenbarst," fügte ich dann lächelnd an und reichte ihr den Unterarm, damit sie sich einhaken konnte. Zumindest so würden wir auf der Straße sicher nicht auffallen, in dieser Jahreszeit hatten Paare in Rom Hochkonjunktur. Selbst wenn wir keines waren, es half oft, Ärger von einem fern zu halten, die Straßen waren zwar sicher, aber ich traute Rom ebenso wenig, wie ich einem gewohnheitsmässigen Verbrecher getraut hätte.

    "Nun, meine familia ist leider nicht dergestalt, dass ich mich danach gesehnt hätte, sie wiederzusehen - dafür ist zuviel in den letzten Jahren vorgefallen, aber wieder mit meinem Cousin vereint zu sein, war dann doch ein Trost. Letztendlich ist es wohl eine Frage der Zeit, bis ich mich wieder an Rom gewöhnt habe ... die schwatzhaften Philosophen auf der Agora und ihre abstrusen Theorien findet man hier schließlich auch, wenngleich meist eher auf der rostra," erwiederte ich mit einem ausgesprochen trockenen Unterton in meiner Stimme. Meine Meinung vom Großteil der römischen Politik war nicht besonders positiv, auch geprägt durch die Ausbildung der Rhetoren Athens. Hier wurde zu viel heiße Luft gewirbelt, und zuwenig wirklicher Inhalt kam zum Tragen.


    Ein wenig neidisch betrachtete ich die Amphore, die nun den Besitzer wechselte, und ich nahm mir sehr fest vor, hier noch einmal her zu kommen, um mir ebenfalls einige Amphoren des vorzüglichen Falerners zu sichern. "Ich spreche nur das aus, was ich mir über lange Jahre hinweg überlegt habe. Es war nicht leicht, die Entscheidung zu treffen, mich nun doch gegen den Wunsch meines Vaters zu stellen, und ich will diesen eingeschlagenen Pfad nun nicht mehr verlassen. Was die Voraussetzungen für den flamen angeht ... nun, soweit ich weiss, muss man dem patrizischen Stand angehören, um sich zu qualifizieren, aber dem forsche ich derzeitig ebenso nach. Es gibt wohl einige Änderungen im cultus deorum, nunja. Das wird sich sicher in den nächsten Tagen weisen."


    Erfreut blickte ihn ihn auf seinen Vorschlag hin an. "Nur zu gerne - und falls Du Hunger haben solltest, kann ich gleich etwas Gutes beisteuern. Mein Vetter Furianus hat heute morgen seine Klienten begrüßt und da war ein sportula übrig - nichts eignet sich besser für einen langen Spaziergang durch die Stadt." Dass ich es mir geklaut hatte, musste er ja nicht wissen.