Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Mein Blick verlor sich etwas im Gebüsch schräg gegenüber und ich war ihr fast dankbar, dass sie versuchte, mich mit ihren Worten zu trösten. Aber für diese Wunde würde es wohl nie eine Heilung geben, das süsse Leben im Süden war ein für allemal vorbei. Meinen Teil des Erbes hatte ich ausgegeben und genossen, und irgendwann war wohl alles einmal an seinem Ende angelangt. "Zumindest bleiben die Erinnerungen, nicht wahr?" sagte ich leise und nachdenklich, und registrierte, dass sich in mir alles nach der Wärme Achaias sehnte. Nach dem Plappern der Philosophen auf der Agora, den Händlern, die ihre Oliven so eifrig anboten ... ein zweites Seufzen konnte ich allerdings unterdrücken, es musste nicht zu deutlich erscheinen, dass ich mich nach diesem Land, nach Athen, sehnte.


    "Dann freue ich mich darauf - was hältst Du davon, diesen Weg morgen anzutreten? Ich denke, ich muss jetzt noch etwas erledigen." Ihre Worte hatten mich auf eine Idee gebracht, denn in Rom gab es in der Tat einen Ort, an dem ich in Ruhe nachdenken konnte, wenngleich es kein Garten war, kein Park, keine Säulenhalle. An diesem Ort hatten sich meine Gedanken immer gesammelt, selbst in den schlimmsten Augenblicken ... ich lächelte unvermittelt, blickte sie offen an. "Ein wenig nachdenken und eine Erinnerung auffrischen, die ich längst hätte auffrischen sollen. Du hast sie mir zurückgebracht."

    Es war lange her, dass ich das letzte Mal den Tempel des Mars besucht hatte, fast eine Ewigkeit, und diesmal kam ich als Mann ohne Vermögen, als Mann ohne irgendeine militärische Ausbildung, als ein Niemand zu ihm. In diesem Tempel fühlte ich mich nackt, vor der schieren Größe der Statue des Mars wie ein unglaublich geringer Mensch, der es sicher niemals auch nur gedanklich wagen konnte, sich mit dieser Allmacht zu messen. Aber es war mir sehr wohl bewusst, dass die Architektur der Tempel genau dieses Gefühl hervorrufen sollte, uns Menschen in unserem Drängen und Sehnen vor Augen führen musste, dass es etwas gewaltigeres, etwas übergeordnetes gab, vor dem unsere Sorgen und Nöte gering waren. Dennoch, so nackt ich mich auch vor der Statue des Kriegers fühlte, erfüllte mich doch eine gewisse Ruhe. Dies war einer der wenigen Orte Roms, an denen ich vergessen konnte, dass ich diese Stadt verabscheute, denn die Präsenz des Gottes war hier allgewaltig und dazu imstande, mein Sehnen, meine Gedanken auszufüllen.


    Ich schritt langsam näher, wich einem Mann mit militärischem Aussehen aus, der wohl gerade gebetet hatte, und trat meinerseits an das Wasserbecken, reinigte meine Fingerspitzen symbolisch darin, die Kiste mit den Opfergaben unter meinen Arm geklemmt. Er war der erste Gott, den ich in seinem Haus hier in Rom aufsuchte, und er war immer derjenige gewesen, dem meine Gebete gegolten hatten, auch wenn ich kein Soldat war. Er war der virilste aller Götter, die Perfektion des Kriegers, und selbst Iuppiter musste vor dieser Manneskraft auf seine Weise zurückstehen. Still blickte ich die riesige Statue empor und betrachtete sie eine Weile lang, bevor ich einen Zipfel meiner Toga über den Kopf zog und etwas des Räucherholzes in das dafür bestimmte Kohlebecken legte. Noch immer lag ein leichter Geruch nach Aloeholz in der Luft, und so würde sich dieser mit dem meines Räucherholzes mischen. Ich beobachtete den aufsteigenden Rauch, wie er sich um die kräftige Gestalt des Mars kräuselte, ihn einhüllte, bevor ich meine frisch gekauften Opferkekse und eine verschlossene Amphore Wein auf der mensa ablegte.


    "Mars, ich grüße Dich," erhob ich schließlich die Stimme und sprach in die Stille des Tempels hinein. "Ich hoffe, Du kannst mir verzeihen, dass ich Dich eine Weile nicht besucht habe, aber die Reise von Achaia hierher war lange und ich konnte mir die Zwischenstationen nicht mehr leisten. Aber nun besuche ich Dich, und ich werde sicher wieder kommen. Deine Nähe hat mir immer gut getan. Ich will meine Gedanken mit Dir teilen, denn ich bin mir über vieles nicht mehr im Klaren. In dieser Stadt steckt ein riesiges Loch in meinem Kopf und ich weiss nicht mehr, welche Richtung ich einschlagen soll. Mars, Du hast mir immer beigestanen, obwohl ich kein Soldat war, und ich werde nie vergessen, was Du mir im schweren Zeiten warst. Lass Dich mir nun wieder Führung und Stütze sein, Mamarce, ich überlege im Augenblick, wohin ich mich wenden soll. Willst Du mich in Deinen Dienst nehmen, Mamarce, als einen Schüler, der irgendwann Dein Priester werden soll? Ich habe das Schlachtfeld nie betreten, nie mit Waffen unsere Feinde dezimiert, aber Du weisst, ich habe mich mit Worten duelliert, und Hinterlist und Taktik ist überall zu finden, nicht nur dort, wo das Blut fließt. Ich möchte Dich auch bitten, Deine Hand über meinen Vetter Gracchus zu halten, der nun Sacerdos Iuppiters geworden ist, aber ich weiss, er hat Dir hier treu gedient. Vielleicht gibst Du ihm einen kleinen Schubs bei der Sache mit seiner Verlobten, Du weisst ja, er hat es nicht so mit den Frauen - und für meine beiden Vettern Furianus und Milo möchte ich Dich auch bitten, ihnen beizustehen, auch wenn ihre Schlachten wie die meinen mit Worten geführt werden, nicht mit Waffen."


    Ich holte tief Luft und betrachtete die Zehen der Statue nachdenklich, bevor ich die Amphore öffnete und den dunklen, ziemlich teuren Rotwein in die Opferschale goß. Dann verharrte ich schweigend und versuchte meinen Kopf frei zu machen, in der Hoffnung gehört worden zu sein.

    "Ach nun, ich vermisse Athen und Achaia ein wenig, weisst Du," sagte ich langsam und gedehnt, während ich meine Gehirnwindungen darum bemühte, eine Erklärung zu finden, die frei von irgendwelchen anzüglichen Gedanken war. "Wenn man einige Jahre in der Provinz gelebt hat, ist es nicht so leicht, sich wieder an die Geschäftigkeit Roms zu gewöhnen. Zu laut, zu voll, und die vertrauten Gesichter, die man täglich gesehen hat, sind auch nicht mehr da ..."


    Ich hob langsam die Schultern und stellte tatsächlich ein gewisses Heimweh fest. Die Leichtigkeit der Achaier war doch etwas ganz anderes als die streitbare Sucht der Römer, alles und jeden durch einen Dunghaufen zu ziehen, bevor man ihn akzeptierte. Aber damit wollte ich diese Sylphide eigentlich nicht belasten, so wie sie mich vorhin angeblickt hatte, wusste sie sicher um das Gefühl, in der Fremde einfach fremd zu sein. Ich fühlte mich in Rom nicht wohl und würde es wahrscheinlich nie tun, aber was sollte man schon tun, wenn die Zeit des süssen Lebens eben irgendwann vorbei war?


    "Ich gebe zu, für die Parks habe ich mir früher nie wirklich Zeit genommen, immer gab es etwas zu tun oder einen Ort, an den mich mein Vater schleppte, damit ich ihn kennenlernen sollte. In sofern bin ich auch für eine Parkführung sehr zu haben," fügte ich lächelnd an und überlegte, ob ich mich überhaupt an einen Park erinnerte. Es fiel mir keiner ein, dafür das Lupanar, in dem ich meine Unschuld verloren hatte, als mein Vater beschlossen hatte, dass es so weit war. Aber das würde ich dieser süssen Sklavin sicher nicht unter die zarte Nase reiben.

    Wie beruhigend das Gefühl war, noch immer mit ihm auf derselben Ebene zu sprechen, die Gedanken freimütig teilen zu können - ich hatte fast befürchtet, dass wir uns ob der langen Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten, entfremdet hatten, doch je mehr wir nun miteinander sprachen, desto mehr festigte sich der Eindruck, dass noch alles beim Alten war. Es war erleichternd und erfreulich zugleich, denn in dieser riesigen, dreckigen und vor allem verlotterten Stadt hätte ich nicht erwartet, wenigstens eine verwandte Seele zu finden.
    "Na, mit den beiden werden wir sicher ein ausgesprochen interessantes und vielseitiges Gespräch führen, und ich bekomme fast Lust, ihnen ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Wobei es bei Milo, glaube ich, deutlich abwechslungsreicher werden wird als bei Furianus. Man könnte manchmal meinen, irgend jemand hätte ihm einen Besenstiel in den Hintern geschoben, so steif und förmlich benimmt er sich. Wenn Vater das noch erlebt hätte, ich glaube, er hätte ihm so manche Lektion über das gelassene, würdige Auftreten eines Patriziers in der Öffentlichkeit erteilt ..."


    Ich schnalzte mit der Zunge und ließ mich nur allzu gern von dem Gedanken an raffinierte Speisen ablenken, denn dies war eine Leidenschaft, die ich mit meinem Vetter durchaus teilte. Maßvolles Essen musste schließlich nicht bedeuten, dass man die Sinne dabei nicht auf eine Entdeckungsreise schicken durfte.
    "Mit Vergnügen lasse ich mich auf Sciurus' Künste ein, wenn Du sagst, dass sich da etwas Besonderes erwarten lässt, dann vertraue ich mich Deinem Urteil nur zu gerne an. In Athen hattest Du auch die bessere Hand für die besonderen Genüsse." Ich warf meinem Vetter einen kurzen Blick zu und musste für einen Moment ernsthaft darüber nachdenken, ob ich da nicht gerade etwas unter seiner Kleidung gesehen hatte - aber sicher war es nur eine Falte des Stoffs gewesen, die mich narrte. Ich richtete mich halb auf und lauschte seinen Worten über die Tiberia, sicherlich auch eine Frau, die es wert war, sie kennenzulernen. Gracchus und sein Händchen für intelligente Frauen waren legendär, zumindest bei mir, wenn er eine Frau für interessant befand, fand sie auch meist mein Interesse.
    "Warum sind die wirklich interessanten Frauen immer gleich verheiratet? Aber es ist vielleicht ein Hindernis, wenngleich keines, das mich aufhalten würde ..." scherzte ich leichthin und strich mit der Hand die Strähne meines Haars zurück, die sich neuerdings frech in die Stirn wagte. Demnächst würde ich mir wohl einen römischen Schnitt zulegen müssen, in Achaia hatte ich mir eine etwas lässigere Haarmode angewöhnt.


    "Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass unsere morgendlichen Übungen ohnehin feststehen," entgegnete ich auf seine Worte mit einem gespielt beleidigten Unterton. ".. und sie deswegen keiner weiteren Worte bedürfen. Ein Priester des Iuppiter muss schließlich etwas hermachen und was für ein Vetter wäre ich wohl, würde ich zulassen, dass mein liebster Verwandter langsam aber sicher zu einem faulen Opferkeksdieb wird?" Mit einem Zwinkern garniert nahm ich meinen Worten die Schärfe. "Bei deinem Abendessen mit Deiner Verlobten stehe ich Dir gern rein zufällig zur Seite, ich will sehen, dann auch einen einigermaßen gepflegten Eindruck zu machen. Ohne Nefertiri fühle ich mich langsam aber sicher so strähnig wie ein Athlet nach einem fünftägigen Marathon...." Das Thema mit der Arbeit nickte ich ab, so erfreulich war es zudem nicht, und ich wusste, wenn ich es anging, würde er mir sicherlich beistehen, so gut er konnte. Ich würde mich erst einmal über die gewählten Magistraten informieren müssen, bevor ich mich entschied, und das wollte ich nicht übereifrig übers Knie brechen.
    "Was hältst Du davon, wenn wir die nächsten Tage einmal die Thermen aufsuchen? Athen hat seine Vorzüge, aber wirklich gute Thermen gibt es leider nur in Rom." Und damit würde dieser elektrisierende Tanz neu beginnen, den wir in Athen zurückgelassen hatten. Ein Tanz der Möglichkeiten, Andeutungen und ... Gedanken.

    Da der Valerier nicht direkt antwortete, tat ich es, und mit einem durchaus amüsierten Schmunzeln. "Meistens sind das wohl die Söhne patrizischer Senatoren oder deren nahe Anverwandte - da ist es am leichtesten, sich auf den Verdiensten und dem Vermögen anderer auszuruhen, ohne allzu viel selbst leisten zu müssen. Und das Ansehen der Väter verschafft einen deutlich leichteren Einstieg." Mein Lächeln hätte wohl der Sonne Konkurrenz mahen können, aber es interessierte mich auch, wie der Advocatus auf diese hintergründige Herausforderung reagieren würde - ob er klug genug war, den Scherz in meinen Worten zu erkennen oder ob er es gleich als Angriff werten würde, immerhin traf der geschilderte Sachverhalt auch auf ihn zu - bedachte man seine persönlichen Verdienste dabei nicht.

    "Nun, ich hoffe, dass meine Komplimente Dir keinen Ärger oder Schwierigkeiten bereiten werden," sagte ich lächelnd und zwinkerte ihr belustigt zu. "Und irgendwann wirst Du ein Kompliment hoffentlich so genießen können, wie es Dir gesagt wird, ohne an etwas Trauriges dabei denken zu müssen oder Dir Sorgen zu machen." Zumindest wäre es sicherlich einfacher zu leben für sie, aber darüber würde ich mir keine Gedanken machen, das war ihr Leben, nicht das meine. Wieder drifteten meine Gedanken zu Nefertiri, die trotz ihres Sklavenstandes Komplimente entgegen nahm, als hätte man einer Königin gehuldigt - ich war schon sehr gespannt darauf, wie diese beiden Frauen miteinander zurecht kommen würden, wenn sie denn eingetroffen war. Hoffentlich würde es nicht mehr allzu lange dauern, ich vermisste die geschickten Finger meiner kleinen Sklavin spätestens dann, wenn es darum ging, die Toga anzulegen.


    "Ich werde mich da ganz Deiner kundigen Führung überlassen, Nadia, denn ich war so lange nicht mehr hier, dass sich sicher einiges verändert hat - die interessanten Plätze wirst du mir also so oder so zeigen müssen, vom Forum einmal abgesehen, das verlegen sie sicher nicht einfach, weil es gerade an Platz für ein öffentliches Gebäude fehlt," entgegnete ich und blickte sie lächelnd an. Vielleicht würde sie eine Führung auf andere Gedanken bringen und mir einen Tag an der Seite einer süssen Sylphide, was wollte man mehr? "Was findest Du denn an Rom am Interessantesten? Gibt es einen Ort, den Du besonders magst?"

    "Komplimente, die einen in Schwierigkeiten bringen? Das kann ich mir kaum wirklich vorstellen, was sollte an einem Kompliment denn so schrecklich sein?" Was ging in diesem Haushalt wohl vor sich, dass sie auch jetzt noch wirkte, als fürchte sie insgeheim eine Strafe? Wie ein strenger Herr war mir Furianus nicht erschienen, aber anscheinend hatte ich mich in diesem Gedanken getäuscht. Dass sie unseren bevorstehenden Ausflug vor ihm verschweigen wollte, erstaunte mich kurz, aber auch das schien in die überlegte Richtung zu deuten. Hatte ich da eine eventuell doch dunklere Seite des Furianus entdeckt oder täuschte ich mich in meiner Annahme, dass letztendlich doch jeder in Rom schlecht war, die Schlechtigkeit nur besser oder schlechter verbarg? Die Jahre in Achaia hatten mich eine gesunde Distanz zum Moloch Rom einnehmen lassen, genährt von einem Misstrauen jenen gegenüber, die sich eher vergnügten denn wirklich etwas leisteten.


    Ich war zwar auch kein Kind von Traurigkeit, aber ich hatte nie vergessen, was es bedeutete, der Sohn eines Patriziers zu sein. "Wie Du möchtest, er wird ja auch nicht den ganzen Tag im Haus sein und mit etwas Glück sind wir längst zurück, wenn er abends wieder ins Haus kommt." Furianus die falschen Schlüsse ziehen? Was sollte er schon denken, dass ich seine Sylphide verführen wollte? Jeder Mann wäre ein Idiot gewesen, der nicht wenigstens den Gedanken daran ehrlich zugab.

    "Wir müssen uns wohl beide mit unserer Familie abfinden, Gracchus, und wenigstens gibt es doch bisweilen in unserer weit verzweigten Verwandtschaft gewisse ... Lichtblicke," sagte ich und hob den Blick zu ihm. Das letzte Wort hatte ich mit Bedacht ein wenig gedehnt, denn inmitten des furchtbaren Chaos unserer Blutsverwandten war er mir immer als ein Lichtblick erschienen. Als ein Verbündeter gegen den Wahnsinn seltsamer Entscheidungen und Verhaltensweisen, auch als Vertrauter in so vielen Dingen.
    "Ich frage mich immer noch, wie man sich einem so abstrusen Kult wie diesen Christen zuwenden kann, aber, wie Du schon sagtest, unsere Familie trägt ihre Bürde überall gleichermaßen. Man könnte meinen, Felix hätte mit seiner Nachkommenschaft bisher das meiste Glück gehabt, aber auch das wird sich in der Zukunft weisen müssen." Gegen diese Erkenntnis sträubte sich in mir zwar alles, denn ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass es so sein würde, aber letztendlich würden wir sehen müssen, was auf uns, was auf die Flavier zu kommen würde.


    "Er heiratet aus Liebe? Ernsthaft?" Ich wäre vor Erstaunen fast von meinem Bett gekullert und rückte mich nun wieder zurecht. Am liebsten hätte ich mich irgendwo in ein Mauseloch verkrochen, die Absonderlichkeiten wurden, je länger ich hier blieb, immer größer. "Beim Opfern, ja?" Die Ironie mochte mir allzu deutlich anzuhören sein, dann stöhnte ich leise und gequält auf. "Eine Ehe aus Liebe, langsam kommt man sich hier vor wie bei den Wilden. Die meisten Liebesehen scheitern doch grandios, und wer darf am Ende die Scherben wieder zusammenkehren? Die Familie. Mein guter Gracchus, ich fürchte, wir werden in der Zukunft wirklich viel zu tun haben, um dieser Sache einen positiven Gewinn abzutrotzen. Wenn ich mir überlege, welche Verbindungen er eingehen hätte können - aber nun gut, eine Tiberia ist ja noch akzeptabel, wenn sie sich zumindest so lange lieben, bis er einige Erben gezeugt hat, kann man zufrieden sein."


    Liebesheiraten ... dieser Krankheit war schon Calpurnia anheim gefallen, und anscheinend setzte sich dies in der Familie fort wie eine böse Erinnerung. Nein, ich war kein Freund der Hochzeit aus Liebe, denn wenn die Liebe verging - und wo verging sie schneller als im wechselhaften, vielgesichtigen Rom? - blieb meist nur Hass übrig, oder Abscheu, und das machte das Leben für alle anderen ausgesprochen kompliziert.
    "Nun, sehen wir doch einfach zu, die beiden Brüder einmal zum Abendessen zu laden, was hältst du davon? Zum einen würde ich gerne meine Unterhaltung mit Milo fortsetzen, zum anderen ist Furianus sicherlich ein ausgesprochen amüsanter Unterhalter in Gesellschaft," meine Augen blitzten dabei amüsiert auf, denn wie die Worte gemeint waren, dürfte für Gracchus mit seinem feinen Gespür für Schwingungen und Zwischentöne offensichtlich sein. Wir hatten uns in Athen oft genug auf diese hintergründige Weise über andere amüsiert, wieso sollte es jetzt anders sein? "Ob wir die beiden für ein morgendliches Training begeistern können? Mir fehlen die Leibesübungen inzwischen doch deutlich, ich glaube, ich setze langsam an. Die Reise war so überaus langweilig." Kurz tippte ich mir auf die Bauchmuskeln und gab mir größte Mühe, wie ein erschlaffter, müder Mann zu wirken, aber ich wusste wohl, dass ich Gracchus nicht würde täuschen können.


    "Nun, wenn Du möchtest, kann ich einem eurer Gespräche gern einmal beiwohnen. Ein bisschen Erfahrung mit Frauen besitze ich ja auch, wenngleich sie mir oft genug noch wie ein Buch mit sieben Siegeln erscheinen, und ein zweites Paar Augen sieht zumeist mehr als nur eines." Ich war ausserdem neugierig auf die Frau, die demnächst ihr Leben an der Seite meines Lieblingsvetters fristen würde - und seine Beschreibung ließ nicht auf eine graue, langweilige Maus schließen, eher auf eine durchaus interessante Persönlichkeit. "Zumal fühlen sich die meisten Frauen durch doppelte Aufmerksamkeit genug geschmeichelt, ein wenig aus ihrem Mäuerchen hervor zu blicken," ich unterstrich dieses Bild mit einer beredten Geste, doch mein Blick blieb auf meinem Vetter liegen. Eigentlich kaum zu glauben, dass sie bei einem Mann wie ihm distanziert blieb, überlegte ich und schüttelte leicht zu mir selbst den Kopf. Die Welt war verrückt, und Rom der Mittelpunkt der Verrücktheit. "Nun, was den Marskult angeht, ich bin mir noch nicht sicher, ob es das Richtige ist. Eine Weile als Scriba Personalis zu arbeiten wäre sicher auch nichts verkehrtes, aber ich kenne noch nicht genug Leute hier, um eine passende Stellung auszumachen. Zumindest reizt mich der Gedanke, dem Kriegsgott zu dienen, du weisst, dass diese Riten mich immer am meisten erfüllt hatten." Eine gewisse Affinität fühlte ich zu diesem überaus virilen Kult seit Jahren, aber ob ich dem würdig sein konnte?

    "Mit Rom scheint es wirklich bergab zu gehen," sagte ich und legte ein gewisses,fast teathralisches Vergnügen in den Klang meiner Stimme. "Wenn Du schon sagst, dass Komplimente selten geworden sind in der letzten Zeit, dann muss wohl Deine ganze Umgebung blind sein für das, was zu sehen ist. Vielleicht bedarf es eines Römers aus Achaia, um klare Tatsachen zu formulieren." Ein wenig warf ich mich in die Brust, als würde ich eine Rednerpose einnehmen, und gefiel mir selbst in dem Gedanken, ihr einfach ein wenig Vergnügen zu bereiten. Wahrlich, irgendwann würde ich mich wahrscheinlich wegen meiner Neigung zum Lächeln einer schönen Frau bis auf die Knochen blamieren, aber an diesem Tag schien es sowohl erlaubt als auch möglich zu sein.


    "Dann sollten wir das in den nächsten Tagen einmal angehen, was meinst Du? Ich werde mir Zeit nehmen und hoffen, dass Dich Deine Pflichten nicht zu sehr in Atem halten werden - ansonsten kann ich Deinen Herrn auch danach fragen, ob er Dich für diese Zeit freistellt. Was ist dir lieber?" Es war mir lieber, ihr diese Entscheidung zu überlassen, ich kannte die Gepflogenheiten in diesem Haushalt noch nicht gut genug, um einfach entscheiden zu können, und so bedächtig mir Furianus auch erschienen war, manche Männer reagierten ausgesprochen grätzig, wenn man ihnen in ihrem Revier dazwischen funkte. Man musste es schließlich nicht übermäßig provozieren, Reibungspunkte würde es in Zukunft sicher noch genügend geben.

    Ich schmunzelte und hob etwas die Schultern. Worauf wollte der Tiberier eigentlich hinaus? Aber vielleicht gehörte diese Art der Verhandlungsführung zur römischen Rhetorik, und ich würde mich damit abfinden müssen, dass alle Iuristen eine etwas schwammige Art besaßen, ihre Meinung zu vertreten.
    "Der Cursus Honorum scheint derzeit nicht beliebt zu sein - wobei ich die Frage nach den Gründen dafür deutlich interessanter finde als die Frage, warum welcher Kandidat nun verdient oder nicht verdient in sein Amt kommt. Ihr lebt sicher alle deutlich länger hier in Rom und könnt es als Wissende betrachten, was meint ihr, wieso gibt es nur noch so wenige Bewerber für die wichtigsten Ämter? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es daran liegt, dass auch neuerdings Frauen eine politische Karriere beginnen können ..." Wie viel einfacher war e doch in Athen gewesen, wo man sich nur über theoretische Politik stritt, nicht um tatsächliche. Dennoch war ich sehr an der Antwort auf diese Frage interessiert und blickte die anderen Männer fragend an.

    Ob Furianus wusste, was für eine süsse Sylphide er da direkt vor der Nase hatte? Eigentlich war ich mir fast sicher, dass sie wahrhaftig eine Leibsklavin sein musste, alles andere hätte ihn eher als Knabenliebhaber oder hoffnungslos blind erscheinen lassen. Wäre sie meine Sklavin gewesen, hätte sie sicherlich um diese Zeit deutlich andere Dinge zu tun gehabt als im Garten spazieren zu gehen ... aber bevor diese Gedanken sich im Blick meiner Augen allzu deutlich reflektieren konnten, betrachtete ich sie lieber noch ein wenig. Nefertiri fehlte eindeutig in meinem Alltag, um mich zu entspannen und mir diese Neigung ein wenig zu lindern, die Gedanken bei der Gegenwart hübscher junger Frauen in die falschen Richtungen wandern zu lassen.


    "Ich spreche nur die Wahrheit, Nadia, und die Wahrheit sollte man sich niemals scheuen zu sagen," entgegnete ich ihr lächelnd, diese reizende Röte auf ihren Wangen zufrieden betrachtend. Sie musste wirklich noch sehr jung sein, dass sie einige Schmeicheleien wie diese schon erröten ließen, die meisten Römerinnen hätten sich dabei wohl nur zu einem müden Lächeln herabgelassen.
    "Was meine Familie angeht, so ist es wohl auch nicht wirklich wichtig, zwischen den Zweigen zu unterscheiden, es macht es nur einfacher, die einzelnen Abstammungen auseinander zu halten, ohne dauernd eine Ahnentafel mit sich schleppen zu müssen."


    Bei ihren Worten über Rom musste ich unwillkürlich schmunzeln - sie hatte leider nur zu recht. Ich war zwar eine Weile hier gewesen, aber auch für mich gab es immer wieder neue Ecken, neue Gassen zu entdecken, die mir absolut fremd waren. Der Moloch Rom wuchs eben
    so unkontrolliert wie das Wurzelwerk eines alten Baumes, irgendwann war es alles ein einziges Geflecht, das man entweder komplett umhacken musste, oder aber akzeptieren. Ich war mir noch nicht ganz sicher, für welchen der beiden Wege ich mich entscheiden sollte. "Wenn Du einmal die Zeit fändest, mich ein wenig herum zu führen, wäre ich dir sehr verbunden. Zumindest zu den wichtigsten Orten - nichts ist peinlicher als ein Römer, der sich in Rom verirrt." Der Wind zuppelte ein wenig an meiner Toga, aber es störte mich nicht, hatte er doch den angenehmen Nebeneffekt, ihr Haar immer wieder in einzelnen Strähnen und weicher Bewegung über ihr Gesicht zu treiben.

    Ich fühlte den Blick meines Vetters wie schon früher auf mir liegen, aufmerksam, interessiert, auf diese besondere Weise wach und lebendig wie schon in Athen. Eine gewisse Freude war seinen Augen nicht fremd, und auch ich freute mich, den Gefährten entspannterer Tage wieder in meiner Nähe zu wissen. Wir hatten so vieles geteilt, und von den Möglichkeiten, die einem Mann mit einem gewissen Vermögen in der Fremde gegeben waren, überreichlich Gebrauch gehabt. Fast sehnte ich diese herrlichen Tage unter der Sonne Achaias zurück, die mit einem frugalenh Frühstück begonnen hatten, dann zu den morgenlichen Leibesübungen geführt hatten, um danach mit einem Gang in die Stadt, auf den Markt und zu den Rednern und Philosophen, geendet hatten, meist abends noch mit so mancher Menge Wein und Trauben garniert. So ein unbeschwertes, fast sorgenfreies Dasein würde uns wohl kaum noch beschert sein, aber allein die Gegenwart Gracchus' beschwor den Geist dieser weitgehend sorglosen Tage wieder herbei. Fast wie Brüder waren wir gewesen, und doch auf eine andere Weise verbunden ...


    "Nun, mit dem messalinischen Makel wird mein Familienzweig wohl noch eine Weile leben müssen, bis Gras über die ganze Sache gewachsen ist. Ich frage mich immernoch, wie man so dumm sein konnte, aber was will man auch von einem Weib erwarten, dem die Macht zu Kopf gestiegen ist? In meiner Familie scheint es nicht allzu ungewöhnlich, dass die Frauen Fehlentscheidungen treffen, hast Du von Calpurnia gehört? Sie will unbedingt einen Plebejer heiraten, und das noch in manu - hätte Vater das noch miterlebt, er hätte sie mit Fug und Recht übers Knie gelegt und ihr Verstand eingeprügelt." Dass meine Stimme ziemlich empört und verärgert klang, merkte ich erst am Ende des Satzes, und gab mir Mühe, meinen hochgekochten Zorn durch ein Lächeln abzumildern - aber diese Sache ärgerte mich einfach immernoch unglaublich. "Was Furianus angeht, nun, immerhin hat er es zum Aedilen geschafft, da scheint das Erbe seines Vaters dann doch etwas gewichtiger zu sein als das der Erziehung. Wenn mir allerdings dieser Verrückte noch einmal hier begegnen sollte, wird es ernsthaft Zeit für ein klärendes Gespräch, ein solches Verhalten kann und werde ich nicht dulden, auch wenn ich nicht der Hausherr bin." Achtkantig würde ich diesen Strabo das nächste Mal rauswerfen, und das mit einem doch deutlichen inneren Vergnügen! Kein Wunder, bei den Vigiles diente so mancher seltsame Kerl ...


    "In der Zukunft liegt das Ansehen unserer Familie auch in unseren Händen, Gracchus, und ich denke, da liegt es gut - Du als Diener des Iuppiter, ich als ... na, irgendwas schon, auf jeden Fall wissen wir, worauf es ankommt," erklärte ich überzeugt und war mir recht sicher, dass von nun an ein neuer Wind in diesem Hause herrschen würde. Was mein Vetter da berichtete, ließ auch Gutes hoffen, nichts war Furianus mehr zu wünschen, als dass er sich von seinen plebejischen Denkwurzeln lösen konnte. Auch sein Bruder würde sicherlich noch seinen Weg finden, immerhin schien er ein kluger Kopf mit den richtigen Ansichten zu sein.
    "Also hast Du Deinen Weg inzwischen gefunden," bemerkte ich zu seinen Worten über den Cultus Deorum und musste kurz beifällig lächeln. Ich konnte mir meinen guten Freund Gracchus sehr gut als würdigen, aufrechten Sacerdos Iuppiters vorstellen, die männliche Erscheinung dafür hatte er, ebenso die notwendige gravitas und dignitas, um überzeugend zu sprechen. Doch, ich war mir sehr sicher, dass er als Sacerdos ein ausgesprochen gutes Bild abgeben würde, gehüllt in eine reinweiße Toga oder ein Priestergewand ... ob er immernoch so trainiert war wie früher? Für einige Augenblicke verloren sich meine Gedanken in der Betrachtung seiner Gestalt, bevor ich bemerkte, dass die eingetretene Pause länger geworden war als gewollt.


    "Und verlobt bist Du nun auch, ich hoffe, Du hast eine gutaussehende Braut erwischt? Auch wenn ich mir Dich als würdigen Ehemann kaum recht vorstellen kann, weisst Du noch, wie wir so betrunken waren, dass wir in Athen versuchten, einen Priester zu finden, der uns verheiratet? Ich glaube, der Alte, den wir schließlich aufgetrieben haben, hat noch tagelang danach über uns gelacht. Der Wein an dem Abend war aber auch verflucht gut gewesen," seufzte ich leise und schüttelte den Kopf. Gracchus verlobt, langsam fühlte ich mich wirklich alt. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass er einmal vor mir heiraten könnte. "Was ich hier vor habe, nunja. Eigentlich sollte ich mir wohl über die Politik Gedanken machen, aber um ehrlich zu sein reizt mich diese Schreierei auf der Rostra nicht unbedingt. Du wirst lachen, aber auf meiner Reise hierher habe ich mir überlegt, in den Kult des Mars einzutreten."

    Wie viel weicher ihre Züge wirkten, wenn sie nicht mehr von dieser seltsamen Furcht beherrscht waren. Zumindest schien sie sich jetzt ein wenig zu entspannen, sodass dieser Ausdruck eines verschreckten Rehs nach und nach aus ihren Augen wich und ihrem sonnigen Lächeln Platz machte - es hatte sich ausgezahlt, ein wenig Geduld und ein Lächeln zu investieren, um sie nun deutlich ruhiger zu erleben. "Und es bringt uns in den Genuss Deines Lächelns, so können wir nur froh sein, dass Du den Weg nach Italia gefunden hast," schmeichelte ich ihr mit einem belustigten Zwinkern in ihre Richtung. Komplimente würden vielleicht dieses Lächeln noch ein wenig mehr hervorlocken, und an diesem Tag wollte ich keine Frau unglücklich sehen, auch nicht eine Sklavin mit so großen, furchterfüllten Augen.


    "Nun, unsere Familie war schon immer recht reiselustig - und dadurch, dass es sowohl einen römischen als auch einen hispanischen Zweig gibt, ist immer recht viel Bewegung vorhanden. Furianus und sein Bruder repräsentieren den römischen Zweig der Familie, ich bin ein Teil des hispanischen Zweigs, und habe viele Jahre in Achaia verbracht, ebenso wie Gracchus ... es wundert mich nicht, dass Du nicht allzu viele der Verwandten kennst, ich treffe sie selbst kaum allzu oft an. Was bei manchen sicher kein Fehler ist," kurz glitten meine Gedanken in die Richtung der Flavia Messalina und ihrer ganzen Bagage, auch meine Nichte Calpurnia hätte ich nur zu gern übers Knie gelegt, um ihr diese schwachsinnige Verbindung mit einem Plebejer ein für allemal auszutreiben.


    "Wie gut kennst Du Rom, Nadia? Ich fürchte, mein Wissen von dieser Stadt ist inzwischen ziemlich eingerostet, dafür könnte ich mich in Athen blind zurechtfinden ..." Ein leises Seufzen entschlüpfte mir bei diesem Gedanken.

    "Ein Optio hätte es in der Regel zumindest geschafft, sich gegen achtzig bis hundert seiner Kameraden durchzusetzen und zu seinem Rang aufzusteigen, was keineswegs jeder dritte innerhalb einer Einheit sein dürfte," korrigierte ich das angesprochene Zahlenverhältnis ungerührt, die Stirn dabei ein wenig runzelnd, um meine kritische Grundhaltung nicht vergessen zu lassen.


    "Und ich bin der Ansicht, dass man einen Mann, der Optio war und es geschafft hat, sich im Cursus Honorum auszuzeichnen, gerade wegen der Schwierigkeiten, die ihm umso mehr im Weg stehen dürften, im Auge behalten sollte - wer es schafft, auf dem schmalen Grat zwischen Politik, leeren Kassen und verdienstlosen Vorfahren zu lavieren, ist sicherlich eine herausragende Persönlichkeit mit einem selten gewordenen Geschick. Ich bin nach wie vor für einen offenen Zugang zu den Ämtern, denn die Wahl bedeutet nur, dass es jemand geschafft hat, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was heutzutage recht leicht zu sein scheint. Wie der- oder diejenige dann mit seinem oder ihrem Amt umgeht, entscheidet sehr viel mehr über die Zukunft - und darauf sollten wir unseren Blick richten, nicht auf die Umstände der Wahl allein."

    Die Leibsklavin von Furianus? Wenigstens in einem schien mein werter Verwandter einen richtigen Riecher zu besitzen, wenngleich ich mir bei seinem politischen Geschick noch nicht so recht sicher war. Nun, das würde die Zeit zeigen müssen, einen Blick für Schönheit schien er jedenfalls zu besitzen, was deutlich für ihn sprach.
    "Aus dem fernen Britannia ... dann hast Du eine lange Reise hinter Dir. Kommst Du denn überhaupt mit dem Klima hier zurecht? Das Wetter soll dort schon sehr anders sein als hier," meinte ich und blickte sie freundlich an. Sie schien so vorsichtig, das war wirklich erstaunlich. Wenn ich sie mit Nefertiri verglich, so strotzte meine kleine Ägypterin geradezu vor Selbstbewusstsein, trotz ihres Standes - und diese junge Frau schien genug Unsicherheit für gleich drei Frauen zu besitzen.


    "Na, das ist ja auch nicht so wichtig, solange Dein Herr weiss, welche Aufgaben er für Dich hat," versuchte ich ihre sorgenvolle Miene ein wenig zu zerstreuen. "Kannst Du mir etwas über diesen Haushalt erzählen? Momentan erscheint mir alles noch reichlich fremd und seltsam, sodass ich höchstwahrscheinlich demnächst noch die falschen Hausbewohner als Sklaven anspreche und mir einen riesigen Ärger einhandle." Nicht, dass mich diese Aussicht bekümmerte, aber irgendwie fand ich Gefallen an dem Gedanken, mich mit dieser hübschen jungen Frau ein Weilchen zu unterhalten - der Tag hätte wahrlich bedeutend schlechter aussehen können als das.

    Während sich Gracchus auf den Stuhl setzte, fläzte ich mich bequem zurück auf mein Bett, wir hatten es glücklicherweise nie allzu förmlich gehalten, schon gar nicht, wenn man dem langen Arm der Familie in Athen so gut entkommen konnte.
    "Ich hätte mir Rom gern noch eine Weile erspart, aber Du kennst das ja, irgendwann ist die beste Zeit zuende und man muss sich erst einmal wieder dem Ernst des Lebens zuwenden," erwiederte ich und überlegte, wann wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Es schien eine halbe Ewigkeit zurück zu liegen, viel zu lange eigentlich. Aber ich hatte schließlich auch meine Rückkehr nach Rom so weit wie möglich herausgeschoben, um dem Klima der Stadt zu entgehen. Ich erinnerte mich an unseren letzten Abend in Athen, eine Nacht vor seiner Abreise, und auch an den mordsmäßigen Kater, der mir am nächsten Tag den Schädel fast hatte zerspringen lassen - Kinder von Traurigkeit waren wir wahrlich nicht gewesen.


    "Nun, Furianus war der erste und bisher einzige Verwandte, den ich hier in der Villa antraf, und ich glaube, er hatte seine liebe Mühe, seine Begeisterung darüber zu verbergen, dass nun ein hispanischer Flavier auch noch unter dem Dach der Villa ein- und ausgeht," bemerkte ich mit einem breiten Grinsen, das bisweilen recht verwirrt wirkende Gesicht des Furianus hatte ich beileibe nicht vergessen. Wahrscheinlich fragte er sich immernoch, in welche Schublade ich zu stecken war. "Ist es nicht ein bisschen ungewöhnlich, dass Du das Familienvermögen verwaltest und Furianus der Herr im Haus sein soll?" warf ich ein, die Stirn runzelnd. Furianus' Vater schien seinem Sohn ja nicht gerade zu vertrauen, wenn er ihm nicht einmal sein Geld in die Hand gab, auch diese Umgestaltungsgedanken ließen mich eher schaudern. Was wäre wohl aus der guten alten Villa geworden? Wenigstens war mir das erspart geblieben.


    "Ich sehe schon, ich muss Agrippina besuchen, um ihr zu ihrer Erhebung zu gratulieren, verdient ist sie auf jeden Fall. Hält sie den Kopf immernoch auf diese stolze Weise nach oben? Als ich jung war, habe ich glaube ich ziemlich für sie geschwärmt," folgte ich meinen Gedanken an eine strahlend schöne Erscheinung, allerdings lagen dazwischen nun auch einige Jahre. Mit etwas Zutun von Venus allerdings würde sie inzwischen eine vollendete Schönheit geworden sein, gereift an Jahren und Charisma. Ich seufzte leise und vertrieb diese Geister meiner Kindheit wieder dorthin, wohin sie gehörten - in den hintersten Winkel meiner Gedanken.


    "Hmm, der erste Eindruck, schwer zu sagen," gewann ich etwas Zeit, um die passenden Worte zu finden. "Mir scheint der Haushalt etwas unkoordiniert, am Tag nach meiner Ankunft standen sogar die Prätorianer vor der Tür und faselten etwas von einem Mord, in den ein Mitglied des Haushalts verwickelt sein soll - das spricht nicht grade für Furianus' Haushaltsführung, auch scheint er mit recht seltsamen Leuten befreundet zu sein. Ein Gast, der mit ihm sprechen wollte, machte sich im Atrium über unsere Ahnen lustig, sodass ich ihn schließlich rauswerfen musste ... passiert so etwas hier öfter?" Einigermaßen hoffnungsvoll blickte ich ihn an, wenngleich ich irgendwie keine positive Antwort erwartete. "Abe erzähl mir von Dir ... wie ist es Dir hier ergangen, und womit vertreibst Du Dir Deine Zeit?" Mein Blick blieb auf Gracchus ruhen, und ich kam nicht umhin, ihn wie zu unseren besten Zeiten eingehend zu betrachten. Die vergangenen Monde hatten ihm wirklich gut getan und ich spielte mit dem Gedanken, ihn wie in Athen zu einem kleinen Training herauszufordern, um unsere Kräfte zu messen ... einige süße Erinnerungen an seinen dampfenden Atem kreuzten mein Bild und ließen mich eine aufrechtere Sitzhaltung einnehmen.

    Oder aber man koppelt den Besitz bestimmter Betriebe an die Regio-Zugehörigkeit. Also beispielsweise Getreide nur in Germanien, Olivenöl nur aus Hispania etc. Garum war ein hispanischer Exportschlager beispielsweise, sodass man sagen könnte, wer das produzieren will, muss in Hispania gemeldet sein.

    "Nadia ... ein schöner Name. Aus welchem Land stammst Du? So helles Haar lässt mich vermuten, dass Du germanische Eltern haben musst, oder vielleicht skythische ... verrätst Du es mir?" Am besten, ich verwickelte sie in ein Gespräch und ließ sie ein wenig von sich erzählen, die meisten Menschen verloren dabei ihre Scheu vor anderen. Kein Wunder, dass sie sich erschreckt hatte, wenn sie Sklavin war, in den meisten Haushalten genügte schon ein falscher Blick, dass eine Strafe lauern konnte, und ihr ganzes Verhalten ließ mich vermuten, dass ich in einem Haus gelandet war, in dem dies zum üblichen Verhalten gehören musste. So hielt ich ihren Blick und ebenso mein Lächeln, blieb ein wenig nach vorn geneigt und suggierte durch meine Haltung eine gewisse Aufmerksamkeit ihr gegenüber.


    "Vielleicht verrätst Du mir auch, welche Aufgaben Du in diesem Haus wahrnimmst? Bisher fehlt mir noch ein wenig der Überblick darüber, wer für was zuständig ist, und sobald meine eigene Sklavin hier ankommt, möchte ich sie nicht an die falsche Stelle schicken müssen," fügte ich noch an, mit dem Blick für einen Moment lang ihrem schlanken Finger folgend, der die Haarsträhne aus ihrem Gesicht gestrichen hatte. Wirklich, eine zarte Schönheit, und das in diesem Haushalt, der Tag begann, besser zu werden.

    @ befriedete Provinz: Das ist der große Nachteil Hispanias - dass eben Frieden herrscht. Entweder man ändert das, oder man gleicht dieses Manko mit etwas aus, das alle interessiert. Aber wieso einen Bildungsmittelpunkt nach Hispania verschieben, wenn der politische Mittelpunkt in Rom liegt und man die Bildung für höhere Ämter in Rom oder der Legio benötigt? Das ist leider genauso widersinnig.


    @ Legio am Ende der Welt: Wenn es früher schon einmal funktioniert hat, müsste es doch nochmals funktionieren, oder? Oder sind die Mitgliederzahlen des IR so in den Keller gegangen?

    Das einfachste wäre wohl eine Militäreinheit in Hispania zu etablieren - das zieht auf Dauer die meisten Interessenten an, denn die Legio oder eine Ala im sonnigen Süden, das hat schon etwas. Es ist vielleicht nicht mehr komplett historisch dann, aber eine Bedrohung ließe sich sicherlich noch finden - vielleicht plünderwütige Normannen oder was auch immer. Die meisten Städte mit Militär profitieren doch sehr davon - man hat viele Spielmöglichkeiten, und ein politisches Zentrum, wie es Rom ist, ist Hispania nunmal bei weitem nicht.