Beiträge von Helvetia Severina

    Auch Severina wollte unbedingt die Parade miterleben. Ihre Amme Drusilla weigerte sich auf Grund eines Migräneanfalls aber, sie zu begleiten und wollte gar, dass Severina selber ebenso zu Hause bleiben möge, aber da weigerte Severina sich ihrerseits. Nur widerstrebend liess Severina sich von einem Sklaven begleiten, der auf sie achten möge. Doch kaum waren sie aus dem Haus, so gebot sie dem Sklaven, er solle sich so weit wie möglich fernhalten von ihr. Severina wollte in Ruhe die Parade sehen und die Vorstellung eines Aufpassers gleich neben ihr behagte ihr gar nicht.


    Als sie auf den Platz kam, fiel ihr auf, dass sie zu klein war und das Geschehen so nicht mitverfolgen könne. Außerdem würde das Gedränge sicher überhand nehmen. Also hielt sie sich lieber etwas abseits und stellte sich auf Stufen, um das die Parade besser mitverfolgen zu können.

    Gerade wollte Severina ihrem Vater antworten, dass der Kaiser gewiss ihn bald in den Senatorenstand erheben würde, denn bisher wurden ja alle ehemaligen Aedile Senatoren, da polterte eine Frau herein. Mutter war gerade gekommen. Augenblicklich gefrierte das Lächeln von Severina ein wenig, doch sie zwang sich, sich nichts anmerken zu lassen.


    "Hallo, Mutter." entgegnete sie daher nur und liess sich von ihr umarmen. Hier hatte sich also kaum etwas verändert. Mutter und Vater waren also noch immer sich feind. Diese Feindseligkeiten zwischen ihren Eltern war das einzige, das sie nicht in Achaia vermisst hatte.


    "Ihr verzeiht, aber ich bin müde von der Reise. Gibt es mein altes Zimmer noch? Dann würde ich mich gerne zurückziehen." sprach Severina steifer als normal und blickte abwechselnd zu ihren Eltern und Philipos, dem Sklaven.

    "Auch Frauen?" echote Severina erstaunt. "Unmöglich, nein, wirklich?" Unwillkürlich dachte sie sofort an Drusilla, ihre Amme und Erzieherin, die bei solchen Frauen mindestens den Kopf schütteln würde, geschweige denn gutheissen. Severina kicherte bei der Vorstellung, Drusilla sitzend zwischen lauter Frauen, die den gutaussehenden, muskulösen und leicht bekleideten Männern zujubeln.


    "Du kommst aus Tarraco?" fragte sie eher unnütz nach. "Dort war ich noch nie. Wie ist es dort? Heisser als hier?" Sie zögerte etwas, da ihr sogleich einfiel, wie langweilig Achaia für sie war und wollte daher wissen, wie es in Tarraco wohl sein möge. Allerdings fand sie dann, dass sie nicht fragen würde, zumindest nicht sofort.

    "Ach, ich freue mich auch. Weisst du, Achaia ist nett und sicher auch interessant, aber nach zwei Jahren... Hier ist alles, was ich brauche. Du, Romanus, Gabor, Mama... Ach ja, wo sind die denn alle? Wie geht es ihnen?"


    Severina schaute sich um, konnte aber natürlich niemanden sehen von den Genannten. "Wo ist denn Romanus? Ich möchte ihn auch gerne sehen..." sprach sie weiter, drehte sich aber gleich wieder zu ihrem Vater um. "Ach ja, deine Wahl zum Aedilis!" Ihre Augen begannen zu leuchten. "Gratuliere, Papa! Ich bin so stolz auf dich. Als ich davon gehört habe, hatte ich es gar nicht mehr ausgehalten. Ich habe alle genervt mit deinem Erfolg und Drusilla musste mich ständig zurückhalten und beruhigen, aber ich wollte wirklich nicht mehr dort bleiben. Wirst du jetzt in den Senat berufen, Papa?"

    Severina kicherte, als Minervina von ihrem Erlebnis in der blauen Fraktion erzählte. "Männer. Ich werde nie verstehen, warum sich manche so hineinsteigern können. Sicher ist es ein netter Zeitvertreib, aber sich deswegen nur in der jeweiligen Farbe anziehen dürfen ist doch lächerlich." Sie schüttelte den Kopf vor Unverständnis.


    "Stimmt, sie hören sich wirklich ähnlich an." stimmte Severina zu. "Ich war bis vor einigen Tagen in Achaia. Mutter und Vater meinten, dass ich dort eine anständige Erziehung erfahren sollte. Es war langweilig." sprach sie den letzten Satz gedehnt aus. "Sicher, Achaia ist hübsch und eine Reise wert, aber über mehrere Jahre dort wohnen? Dort ist ja nichts los. Ganz anders als hier in Roma." bekam Severina jetzt ihrerseits leuchtende Augen. "Und du? Bist du auch von hier?" Ein wenig neugierig schaute sie Minervina an.

    Severina prüfte ganz nebenbei die Gesichtszüge und auch den Körper ihrer Gesprächspartnerin. Sie sah jung aus, war aber sicher nicht jünger als Severina selbst, zumindest konnte nicht viel Unterschied sein.


    "Ja, mich interessieren die Ludi nicht unbedingt. Zumindest ist es mir egal, wer gewinnt. Aber ich war auch zu lange weg von Rom. begann Severina, nicht ahnend, dass auch die andere keine gebürtige Römerin war.


    "Ach verzeih, wo habe ich bloss meine Manieren. Mein Name ist Helvetia Severina." antwortete sie auf Minervina etwas verschämt und tat so, als hätte sie wirklich darauf vergessen. Ein "Ich habe mich nicht getraut zu fragen" wäre wohl wirklich nicht angemessen gewesen und dazu wahrscheinlich noch höchst peinlich für Severina. Aber Minvervina schien sympathisch zu sein, was es für Severina etwas leichter machte, mit ihr zu sprechen.

    Severina war immer viel zu schüchtern, jemanden anzusprechen. Sie wusste nicht warum, aber es gab da immer diese Blockade, welche erfolgreich verhinderte, dass sie auf jemanden von sich aus zugehen konnte. Sie hatte schon fast gefürchtet, dass sie diesen Nachmittag alleine ihre Runden im Becken drehen musste, doch den Göttern sei Dank, es war nicht so. Freundlich lächelte Severina die andere Frau an.


    "Salve." Und jetzt wusste sie schon nicht mehr weiter. Das fing ja schon mal gut an. Vielleicht sollte sie ihren Namen sagen? Aber vielleicht wollte sie den ja gar nicht wissen. "Anscheinend sind die Ludi DAS Thema derzeit in Rom? bemerkte Severina eher etwas überflüssig, aber ihr fiel gerade kein anderes Gesprächsthema ein.

    Auf nichts, ausser auf ihren Vater natürlich, hatte sich Severina so gefreut als auf die Thermen Roms. Sicher, in Achaia gab es natürlich auch Thermen, sogar wirklich sehr hübsche und saubere sogar, aber die Thermen von Rom waren etwas ganz eigenes, hatten eine eigene Stimmung, eine eigene Atmosphäre für Severina. Und dieses Mal liess sie Drusilla zu Hause und nahm nur einen Sklaven mit, der ein wenig auf sie aufpassen sollte auf dem Weg zur Therme und wieder zurück. Eine kluge Entscheidung, denn sie wollte endlich unter andere Leute, die Seele ein wenig baumeln lassen und vor allem den neuesten Tratsch hören. Und dafür war eine Therme genau das richtige.


    Severina verstaute ihre Kleidung und begab sich dann zum Warmwasserbecken, in das sie wohlig seufzend hineingleitete. Ein paar andere Frauen unterhielten sich auf der anderen Seite des Beckens über die im Moment laufenden Ludi, über die Fahrer, von denen ein paar besonders gut aussehen dürften, und über ihre Männer, die ständig bei den Ludi hockten und sich sonst um nichts kümmerten. Männer. Severina lächelte und sah sich um. Sie kannte natürlich niemanden der Anwesenden hier, aber das war ja nur zu verständlich. Rom war groß, viele Menschen lebten hier und ausserdem war Severina doch eine Zeit lang weg gewesen.

    Drusilla zeterte noch weiter über diesen nun wirklich nur kleinen Vorfall und über Rom generell, so dass Severina mit der Zeit schon genervt sich die Ohren zuhalten wollte, aber das wäre ihrer Amme gegenüber unhöflich gewesen. Nur schwer allerdings konnte sie sich zurückhalten, da sprach noch das Kind in ihr, auch eine scharfe Zurechtweisung wollte sie in der Öffentlichkeit vermeiden.


    Severina seufzte und ging zum nächsten Stand hinüber, wo der Verkäufer ebenso Damenkleidung anbot. Schon ziemlich desinteressiert an der Ware, mit Drusilla einkaufen gehen machte an diesem Tag wirklich keine Spass, hörte sie sich mit halbem Ohr die Lobpreisungen des anscheinend syrischen Verkäufers an und nahm schließlich eine Tunika heraus, die für den Alltag sehr bequem geschneidert war. Etwas unschlüssig stand sie herum, da sie eigentlich schon genug solche Tuniken hatte, aber zum Schluss sagte sie sich, lieber eines mehr als eines zuwenig, zog ein paar Geldstücke aus ihrer Geldkatze heraus und bezahlte den Verkäufer.


    Schön langsam machte aber auch ihr die Hitze zu schaffen, deswegen schlug sie ihrer Amme vor, eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Drusilla, die Ärmste, schwitzte schon aus allen Poren, wie Severina belustigt bemerkte, und nahm den Vorschlag dankbar an. Beide gingen zu einer Art Gassentaverne mit vorzüglichem Blick über den Markt, allerdings keine mit zwielichtigen Gestalten, sondern schon mit etwas gehobenerem Publikum und bestellten für sich je einen Becher gekühlten Weines, welcher stark mit Wasser vermischt sein sollte. Severina liess ihren Blick sowohl über die Menschen in der Taverne als auch über den Markt schweifen. Heiss war der Tag, und er versprach noch heisser zu werden.

    Severina war noch ganz verzückt von der neuesten Mode, die sich ihr darbot und Drusilla noch am Zurechtweisen ihres Schützlings, als sich in der Ferne ein Tumult erhob. Neugierig, wie Frauen so sind, sahen sie in die Richtung, aus der der Lärm kam, doch es war nur ein kleiner Diebstahl, der nicht unbemerkt geblieben war. Für Severina kein Grund zur Aufregung, solche Dinge waren ja in Rom an der Tagesordnung, Drusilla hingegen fächerte sich vor Aufregung heftig Luft zu.
    "Siehst du? Und du wolltest noch ganz alleine hierherkommen! Nicht auszudenken. Was, wenn du bestohlen worden wärst? Oder noch schlimmer: Wenn dir etwas anderes passiert wäre? Mädchen, ich sage dir, Rom ist gefährlich... bla bla bla... und die jungen Männer erst... bla bla bla..."


    Severina hörte schon länger nicht mehr zu und ließ nur in etwas unregelmäßigen Abständen ein "Mhm." hören. Solche und ähnliche Worte musste sie schon öfters von ihrer etwas übervorsichtigen Amme hören, sie konnte sie schon auswendig. Auf alle Fälle nahm sie sich vor, Drusilla das nächste Mal nicht auf den Markt mitzunehmen.

    "Severina! Das schickt sich nicht!" Diesen Satz hörte Severina seit mindestens einer halben Stunde ständig. Severina verdrehte nur wieder einmal die Augen, änderte aber gar nichts an ihrem Verhalten. Sie war seit ihrem Eintreffen in der ewigen Stadt fast in einem Rausch und wollte soviel wie möglich nachholen, dazu gehörte auch das Einkaufen. Klugerweise hatte sie ihre Amme mitgenommen, sonst hätte sie sicher eine Standpauke von ihrer Mutter bekommen, Severina hatte allerdings in ihrer Euphorie nicht bedacht, dass die Amme in Sachen Mode eher konservativ eingestellt war.


    "Drusilla, wir sind jetzt in Rom! Es ist nicht nur egal, ob es sich schickt, nein, es wird sogar verlangt! Sieh mal hier!"


    Triumphierend hielt sie eine hübsch gewebte Tunika vor ihrem zierlichen Körper. Das nach Drusilla Anstößige war der Ausschnitt, der laut der Amme viel zu tief geraten war, doch für Severina war es gerade richtig so. Zudem war der Stoff hell und leicht, gerade richtig für die heißen Tage in Rom, so wie heute einer war.

    Philippos hatte durch sein Erscheinen Severina zielsicher zum hortus geführt. Sie freute sich auch, Philippos wieder zu sehen, doch zuerst musste sie zu ihrem Vater, dann, wirklich erst dann, kamen alle anderen dran. Und so stürmte sie auf ihren Vater zu, nicht darum kümmernd, was er gerade trug, und umarmte und herzte ihn.


    "Ach Vater! Endlich bin ich wieder zu Hause. Es war so... Es ist nirgends so schön wie daheim."


    Lange war sie fortgewesen, zwei Jahre und auch ein paar Wochen mehr. Sicher hatte sie Briefe nach Hause geschickt, aber was nützen schon Briefe gegen Heimweh? Nur mit Mühe konnte Drusilla ihre Tränen trocknen und Severina dazu anhalten, sich standesgemäß zu beschäftigen. Vor allem die erste Zeit war furchtbar für Severina, ständig von ihrem Vater getrennt zu sein, gefiel ihr überhaupt nicht. Aber das war jetzt alles Vergangenheit, sie war wieder in ihrem Elternhaus und sie war so froh darüber, dass sie sogar ein wenig vor Freude zu weinen begann und ihren Vater glücklich lächelnd ansah.


    "Hast du mich aus so vermisst, Vater?"

    Severina fiel ein Stein vom Herzen. Nein, ein ganzer Berg! Endlich war sie wieder zuhause, endlich wieder zurück aus Achaia. Nicht dass es ihr nicht gefallen hätte dort, aber so weit weg von ihrem geliebten Vater, nein, das gefiel ihr gar nicht.


    "Papa? PAPAAAA!" rief sie aufgeregt in das Haus hinein, dabei war sie noch nicht einmal vom Wagen heruntergehüpft.


    Drusilla, die Begleiterin der jungen Helvetia, eine ältere Jungfer, lächelte zuerst und schimpfte dann mit Severina.
    "Habe ich dir nicht beigebracht, wie sich eine junge Dame benimmt? Kaum bist du zuhause, schon vergisst du alle Lektionen!"


    Ja, Drusilla. antwortete Severina etwas verlegen, doch schon im nächsten Augenblick stürmte sie ja doch wieder in das Haus hinein. "Papa? Vater! Wo bist du? Ich bins, Severina!"