Nachdem Corvinus an diesem Abend später als gewöhnlich nach Hause gekommen war, war Camryn zu Caecus geeilt und hatte sich von ihm die Post bringen lassen. Heute hatte sie etwas Bestimmtes mit ihm vor. Sie klopfte an seinem officium, in dem er sich bereits wieder verkrochen hatte, und trat ein, als sie gebeten wurde. "Guten Abend, Herr. Ich habe hier die Post", verkündete sie und hielt die Pergamente und Tafeln kurz hoch. "Ist auch ein Brief von Appius Cotta dabei...." Camryn legte diesen Brief auf den Tisch und die restliche daneben, ging dann um den Schreibtisch herum und hinter dem Stuhl in Stellung, wo sie ungefragt damit begann, ihren Herren zu massieren.
Ad
M. Aurelius Corvinus
Villa Aurelia
Mogontiacum, Germania
App. Aurelius Cotta M. Aurelio Corvino s.d.
Lieber Vetter Corvinus, gerade heute bin ich von meinem Studienaufenthalt in Athen über Ostia zurückgekehrt und habe mich, wie abgesprochen, in der Villa Aurelia in Roma eingefunden, aus der ich dir jetzt diesen Brief schreibe. Hier erfuhr ich erschütternde Neuigkeiten, die dir zum Teil wohl schon bekannt sind. Als amtierender Comes der Regio Italia ist unser Onkel Cicero einmal mehr verschwunden; er hat, da seine Gemahlin Curiatia Icela vor kurzem verstorben ist, seine Kinder quasi als Waisen zurückgelassen. Seine Tochter Sisenna ist hierher nach Roma gebracht worden, wo sie offenbar schon einige Zeit lang völlig allein, betreut nur von Sklaven, in der Villa zugebracht hat. Mir war die traurige Pflicht beschieden, Sisenna mit dem Verschwinden ihres Vaters und dem Tod ihrer Mutter vertraut zu machen. Ihr gilt momentan auch meine größte Sorge, da es für sie an allem fehlt: ihre Schwester Helena, Spielgefährten, von einem paedagogos ganz zu schweigen. Ich werde mein Bestes tun und mich um sie kümmern, wäre aber für jeden Ratschlag sehr dankbar!
Ich hoffe, dass es euch im fernen Germania besser ergeht! Ist auch Prisca heil bei euch eingetroffen?
Mir selbst geht es gut; von meinen Studien habe ich sehr profitiert, und ich hoffe, sie nun im Dienste des Kaisers und der Gens einsetzen zu können. Steht dein Plan noch, nach Ablauf deines Tribunats nach Roma zurückzukehren und zum cursus honorum zu kandidieren? Du kannst dir denken, dass ich in der jetzigen Situation die Tage bis zu eurer Ankunft zähle. Vielleicht aber gibt es etwas, was ich für dich und für euch in der Zwischenzeit hier erledigen könnte. Soll ich Freunde aufsuchen, Bekannte, einflussreiche Persönlichkeiten? Bei wem könnte ich mich vorstellen? Für wen könntest du mir eine Referenz schreiben? Welche Aufträge hast du für mich?
Corvinus, ich sehe, mein Brief ist schon viel zu lang. In der Hoffnung, dass wir uns schon bald wiedersehen nach all der Zeit, grüße ich euch alle: dich, Deandra, Helena und Prisca.
Vale bene.
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ROMA, ANTE DIEM III ID IUL DCCCLVII A.U.C. (13.7.2007/104 n.Chr.)