Beiträge von Rutger Severus

    Balneum? Er legte den Kopf schief, als sie so bestimmt danach fragte - wie kam sie denn darauf? Bereitwillig führte er sie in die Richtung.
    "Da lang."
    Sie überquerten den offenen Säulenhof des Peristyls. Schatten huschten im Flackerschein des Lichtes. Der Germane stockte. War da nicht was?! Ein Huschen in der Schwärze? Das Aufblitzen von Fängen? Dunkle Erinnerungen bedrängten ihn. Der Baum, der im Winter kahl seine Zweige gereckt hatte, war nun grün belaubt, doch die Zweige schienen böse zu wispern. Der Boden, wo der Gode Flavius Gracchus dazumal das Blut für sein unlauteres Zauberwerk vergossen hatte, war mit strahlend weißen Kies bestreut. Angespannt starrte er ins Dunkle, leckte sich nervös über die Lippen. Nein. Nein, da war nichts. Gar nichts. Er schüttelte den Kopf und fuhr sich fahrig über den Nacken. Zu viele Erinnerungen. Entschlossen riss er sich los. Hirngespinste, es waren nur Hirngespinste. Sie waren hinter Rutger her gewesen, die Unterirdischen. Nicht hinter ihm.


    Er warf Bridhe einen vorsichtigen Seitenblick zu, und führte sie schnell weiter. Und dann standen sie auch schon vor der Türe des Balneums. Sie war nicht verschlossen. Er öffnete sie zuerst einen Spalt - konnte ja sein, dass jemand gerade ein Nachtbad nahm. Dahinter war es dunkel. Da ließ er die Türe ohne Zögern ganz aufschwingen, ließ den Schein der Öllampe hineinfallen und trat ein. Mit einer umfassenden Handbewegung präsentierte er Bridhe den Raum. Er wusste ja nicht, dass sie ihn schon kannte.
    Die großen Fensteröffnungen, durch die tagsüber blendend hell das Licht hier hinein flutete, waren mit schweren Draperien verhängt. Nur der Widerschein der kleinen Flammen der Lampe fing sich in den spiegelglatten Wasseroberfläche des großen Bassins.
    "Schön.", sagte er versonnen. "Nicht?"
    Schon als er dies alles zum ersten Mal gesehen hatte, mit Nefertiri damals, hatte ihn, obwohl er ausgehungert, heruntergekommen, einfach völlig fertig gewesen war, die Ausstrahlung dieses Raumes seltsam berührt. Langsam trat der Germane über den blanken Mamorboden an den Rand des Beckens heran. Das Wasser kräuselte sich leicht von seinen Schritten. Er beugte sich vor, und leuchtete, um zu sehen, ob die Mosaiken am Grund des Beckens zu erkennen waren, die ihn ganz besonders faszinierten. Muschelbekränkte Najaden und muntere Delphine von Seetang umwogt.
    "Sieh mal Bridtha."

    Die Flämmchen der Öllampe, die der Germane trug, flackerten heftig, und schienen die Fresken an der Wand des langes Säulenganges, den Bridhe und er gerade durchschritten, mit einem seltsamen Eigenleben zu erfüllen. Der Kampf der hehren Olympier gegen die urtümlichen Titanen war dort dargestellt, und man hätte meinen können, dass Apollon jeden Moment den Pfeil von der Sehne senden würde, oder Kronos aus dem Bild heraustreten, und mit schwellenden Muskeln ein Gebirge auf den Beobachter schleudern würde.
    Die kleine Erkundungsreise der beiden, die im Hof begonnen hatte, hatte sie über die Küche, dann verschiedene der herrschaftlichen Räume, bis hierher geführt. An ranken Porphyrsäulen, farbenprächtigen Wandgemälden und vergoldeten Friesen waren sie vorbeigekommen, waren über Böden aus glänzend bunt geädertem Mamor geschritten, hatten filigran verzierte Schmuckvasen ebenso wie die majestätischen Statuen der flavischen Ahnen gesehen.


    Ein wahrer Palast war diese Villa, und ihre Pracht vermochte den Germanen noch immer zum Staunen zu bringen. Doch obwohl die Fußbodenheizung die Räume stets mit einer wohligen Wärme versorgte, erschienen sie ihm auf eine gewisse Weise kalt. Abweisend in ihrem Prunk. Viel zu leer und viel zu groß, als dass ein normaler Mensch sich darin hätte wohlfühlen könne. Aber die Römer im Allgemeinen waren ja auch keine normalen Menschen - das gab es keinen Zweifel für den Germanen - und die Kälte dieses Hauses entsprach sehr gut der Kälte, die sie in sich trugen, und mit der sie die Welt, und die Menschen in ihr, unter
    ihr Joch zwangen. Welchen Eindruck das alles wohl auf Bridtha machte? Er blickte sie an, versuchte es aus ihrer Miene zu lesen.
    Still war es um diese Stunde, wo die meisten sich schon zu Bett begeben hatten. Nur hin und wieder begegnete ihnen ein anderer Sklave, oder eine der Hauskatzen huschte geschmeidig durch die Gänge.

    Natürlich. Aber nicht für Dich. Wärest, hättest, könntest. Von wegen. Seine Miene verdüsterte sich, enttäuscht, und ärgerlich dass der Römer noch immer dieses Spiel trieb, und das er noch immer darauf reinfiel. Nicht zum ersten Mal kam er sich vor wie ein Esel, dem man die Karotte vor die Nase hält, und, wenn er vorwärtsstrebt, im letzten Moment wieder wegzieht. Er schwieg. Und auch dass Aquilius ihn so belehrte, dass Namen nicht ohne Bedeutung waren, konsternierte den Germanen, überhaupt bedauerte er sofort, sich eine Blöße gegeben zu haben. Wieder glomm ein Funken von Trotz in seinen Augen. Er hob den Kopf und zog die Augenbrauen hoch.


    "So. Nun dann scheint ihr eure Götter aber nicht hoch zu schätzen, wenn ihr ihnen das höchste Opfer verwehrt. Namen haben auch bei uns Bedeutung. Mein Name hieß: Der ruhmreich mit dem Speer kämpft. Severus, das ist ein kalter Name. Es ist nicht ein Name für einen Mann, dem warm das Blut durch die Adern rinnt."
    Er schüttelte den Kopf, und sprach leise, traurig, dann zunehmend aufgewühlt.
    "Ich weiß was ein wahrer Krieger ist - er ist kühn und ergreift die Gelegenheit zu siegen ohne Zögern, möge es auch sein Untergang sein. Es... war ja auch sein Untergang. - Ich werde Dir folgen weil ich es Dir schulde und Dir dienen weil ich keine Wahl habe. Aber das war Du da "Seele" nennst, das was ihr, und eure Flüche und Kerker und... Spielchen und all das, von mir übrig gelassen habt, das ist, verdammt noch mal, immer noch meins."
    Seine Hand krallte sich in den Stoff, der die Kline bedeckte, als wolle er sich daran festhalten. Oder etwas festhalten.

    Es klang sehr drollig wie sie das sagte. Er musste grinsen, und die seltsame Befangenheit verflog.
    "Ja", antwortete er wieder sehr deutlich, "Mir geht es gut."
    Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, ein kleines Stück auseinander gehalten, machte er die Geste für "ein bisschen", legte die Linke an den Mund, und meinte "Du sprichst ja schon Latein, Bridtha.", dann entfernte er die Finger weiter voneinander und nickte zuversichtlich. "Bald kannst du es richtig, ganz bestimmt."
    Wie verwirrend war schon für ihn alles gewesen, als er hier her kam. Aber wenn man dazu noch kaum was verstand! Er überlegte - so einfach war das nicht sich so zu unterhalten - sprach dann einfach langsam drauf los und versuchte es durch Gesten zu verdeutlichen.
    "Haben sie Dir schon das ganze hier gezeigt?"
    Ein Kreisen mit der Hand, das Haus und Garten umfasste, dann ein Zeigen auf seine Augen, und wieder eine fragende Miene.
    "Soll ich Dich ein bisschen herumführen?"
    Ein Deuten auf sich, dann auf Bridhe, mit den Fingern zeigte er "Gehen" an, und wieder eine Bewegung zu den Augen hin.
    "Ich muss aber vorher das Holz in die Küche bringen."
    Er deutete auf das Holz, dann zum Haus und formte mit den Händen imaginäre Flammen, pustete hinein, und lies die Flammen dann heftiger "lodern".
    "Danach zeige ich Dir dann, was es hier so zu sehen gibt."
    Er kniete sich hin, und begann, die handlich zerkleinerten Scheite einzusammeln, bis er einen Arm voll hatte. Der Geruch des frischen Holzes stieg ihm angenehm in die Nase.
    "Kommst Du mit?", fragte er freundlich, und machte schon ein paar auffordernde Schritte auf die Villa zu.

    Beinahe hätte der Held sich ins Bein gehackt, als das Mädchen so plötzlich vor ihm stand, geradezu als wäre sie aus seinen Gedanken herausgetreten.
    "Bridtha!"
    Erschrocken ließ er die Axt sinken, legte dann noch die andere Hand um den Stil, und hielt das Werkzeug auf diese Weise, die durchaus ein wenig linkisch war, in den Händen. Man hätte meinen können, er wolle eine Barriere zwischen sich der schönen Irin bilden. Die sauber und ohne Blutspuren zwar nicht mehr ganz so wild, dafür um so lieblicher aussah.


    "Salve Bridtha.", grüßte er, und lächelte schief zurück. Er war froh zu sehen, dass sie einigermassen wohlauf schien - ja, dafür was sie heute durchgemacht hatte, sah sie eigentlich schon wieder erstaunlich heiter aus. Trotzdem verspürte er, wie sie da so strahlend vor ihm stand, sie beide ganz allein auf dem Hof, einen eigenartigen Fluchtimpuls. Sei kein Narr, sagte er sich, dies ist ein Mädchen, ein süßes Ding, kein wilder Auerochse! Sie scheint Dich zu mögen, locke sie doch einfach in den Schuppen und sieh mal, ob ihr nicht etwas Spaß zusammen haben könnt.


    Aber irgendwie... traute Severus sich nicht so recht das zu versuchen. Vorhin auf dem Markt, ja, da war es klar gewesen, was er zu tun hatte. Und wem hätte es nicht gefallen, sich als Retter zu gebärden, und dafür dankbare Blicke zu ernten? Aber jetzt?
    Ein wenig umständlich legte er die Axt auf den Holzklotz, wischte sich den Schweiß von den Schläfen und räusperte sich.
    "Bist Du also gut hier angekommen, wie ich sehe.", sagte er dann geradezu schüchtern. "Ich hacke Holz - wie du ja auch siehst. Für die Küche. Verdammt. Ein Glück dass Du nicht verstehst, was ich hier gerade für Unsinn zusammen rede."
    Ganz langsam, und die Wörter deutlich betonend, erkundigte er sich dann:
    "Alles in Ordnung, soweit? Wie geht es dir?"
    Um diese simple Frage zu verdeutlichen legte er die Finger an die Mundwinkel, verzog sie zu einer fröhlichen Miene, dann zu einer traurigen, und sah Bridhe dabei fragend an.

    Jetzt verstand der Germane den Sinn dieser Orgie. Es war ein Vorgeschmack auf die Freuden, die einen erwarteten in der Halle der Einherrier, damit die Kämpfer Tags darauf den Tod nicht scheuten! Sehr klug. Das zerstreute natürlich seine Bedenken. Den ganzen Tag zu trainieren, dass erschien ihm allerdings ziemlich, nun ja, anstrengend, wenn er auch keine Sorge hegte, dort bestehen zu können. Aber etwas ließ ihn sichtlich aufmerken: 'um sich die Freiheit zu erkämpfen'.
    "Das ist möglich?!", fragte er lebhaft, überrascht, nach. "Sich die Freiheit erkämpfen? Wie? - Ich dachte am Ende wäre alle in der Arena nur Opfer zu Ehren eurer Götter. Und du bist doch Gode, Sacerdos meine ich, hältst Du denn nichts von Menschenopfern?"


    Die treulosen Gedanken, die sich so hartnäckig an die Oberfläche seines Geistes stehlen wollten, verstummten, als Aquilius es bestätigte: Gefolgschaft. Treue. Der Germane nickte, und ihm war, als erschiene in der befremdenden Leere, die dieser seltsame Severus in sich trug, so etwas wie ein Pfeiler. Etwas festes, etwas das Halt gab.
    "Ja."
    Einer seiner Mundwinkel verzog sich ein wenig, als Aquilius vom Training sprach und von neuen Sachen. Er zog kurz an dem Saum seiner ungeliebten Tunika und murmelte, nicht so ganz ernst:
    "Was das passt wär ganz gut..."
    Dann atmete er tief ein, legte nachdenklich den Kopf schief, und stützte ihn auf die Hand, wobei er unwillkürlich mit den Fingern über die verfärbten Male hinwegstrich.
    "Das heißt...", fragte er schließlich zögernd, und ein Ausdruck qualvoller Verunsicherung stand in seinen Augen geschrieben, als er Aquilius' Blick suchte, dann gleich wieder unruhig in die Ferne sah, "dann soll das also... ist das also... also ich meine wirklich - mein Name?... Soll ich das denn sein?"

    Es war ein Abend im Spätsommer. Die Luft war klar, wie reingewaschen durch den heftigen Regen, der im Laufe des Tages niedergegangen war. Später hatte wieder die Sonne herunter gebrannt, und die Pfützen im Hof getrocknet, so dass dort nun festgebackener Schlamm blieb, von kleinen Rissen durchzogen. Noch immer war es abends mild, doch ein Hauch von Herbst lag bereits in der Luft. Es war die Stunde zwischen Sonnenuntergang und dem Einbruch der Nacht, wo sich eben die Dämmerung herab zu senken beginnt und die ersten Lichter entzündet werden.
    Der Hof lag still vor dem Germanen, als er aus der Villa trat, und zielstrebig zu dem Schuppen ging, wo das Holz gelagert wurde. Selten war es ihm in diesen Mauern möglich, eine Weile allein zu sein, immer waren da die anderen Sklaven, und ihr, ihm so erbärmlich erscheinendes, Rangeln darum, wer von ihnen vor den Herrschaften am besten dastand. Deshalb war er gar nicht unglücklich, dass Astraia ihn, obwohl es Essenszeit war, gebeten hatte, ihr etwas Holz für die Küche zu hacken - auch spät musste da immer das Feuer brennen, falls einer der Flavier zufällig Lust auf etwas warmes bekam.


    Er schloß die Türe auf, stapelte sich ein paar Scheite auf dem Arm und nahm sie mit hinaus, wo das Licht noch besser war. Auch den Hackklotz rollte er hinaus, zog das Beil aus der zerkerbten Oberfläche - das Beil, mit dem man noch ganz anderes Sachen spalten könnte, als Holz.... Nein, ich sollte da nicht darüber nachdenken... Nein. Er schüttelte den Kopf und murmelte leise ein paar Verse vor sich hin, während er das erste Scheit aufrecht hinstellte, dann das Beil über den Kopf schwang und das Holz sauber zerteilte. Und so fuhr er fort. Die Axthiebe schallten über den Hof, und der Haufen von Kleinholz um den Klotz herum wuchs.
    Ihm wurde bald warm, und sein Atem ging schneller. Seine alte Kraft musste er erst noch zurückerlangen. Aber es war angenehm so für sich zu sein, an der Luft, und zu spüren wie seine Muskeln arbeiteten, ein Schweißtropfen ihn an der Stirn kitzelte, sein Atem aus und ein strömte.. Es war sehr lebendig.


    Und während er da so vor sich hin hackte, schweiften seine Gedanken zu dem Mädchen Bridtha, dass sein Herr heute gekauft hatte. Sie gefiel ihm wohl, und er war entschlossen ihr beizustehen hier an diesem infamen Ort, wo sie noch fremder war als er. Wie vertrauensvoll sie bei ihm Halt gesucht hatte... Er runzelte die Stirn, und ließ die Axt heftiger auf das Holz niederfahren. Diese Anzeichen kannte er doch bei sich. So fing es an. Und am Ende würde es nur wieder ein Desaster. Er hob den Blick und starrte zu dem Olivenbaum, schwarz und knorrig in der Dämmerung.
    Genau da war er Arrecina zum ersten Mal begegnet, ab da hatte alles seinen Lauf genommen, von diesem Olivenbaum über die Berge der Appenninen, und Mantua und den Kerker bis hin zu einem Kreuz am Straßenrand, an dem er zugrunde gegangen wäre wenn nicht Aquilius sich damit begnügt hätte ihn nur halb zu töten. Wütend schlug er auf das Holz ein. Hätte er nicht wegen Arrecina den Kopf verloren, wäre seine Flucht wahrscheinlich geglückt. Arrecina... Hätte er nicht damals wegen Gytha den Kopf verloren, wäre er gar nicht erst in Gefangenschaft geraten! Sobald er sich verguckte ging alles schief. Die Weiber raubten einem nur den Verstand.
    Hart klangen die Schläge der Axt, als der Germane verbissen weiterhackte, und dabei versuchte, den Gedanken an ein gewisses scheues Lächeln, große blaue Augen und einen verlockenden Körper unter einer zerrissenen Tunika ganz weit weg von sich zu verbannen.

    Der Wirtschaftshof hinter der Villa Flavia hat nichts feudales an sich. Angrenzend an die weite Fläche gestampfter Erde befinden sich hier die Stallungen und eine Zisterne, die Waschküche, eine Remise für die Sänften und diverse Vorrats- und Lagerräume. An einer Seite bildet eine dichte Oleanderhecke die Grenze zum großen Garten der Villa, auf der anderen stößt der Hof an die hohe Mauer, in der sich auch der Lieferanten- und Hintereingang befindet: ein massives Tor, mit Eisenstreben verstärkt.
    In der Mitte des Hofes wächst ein knorriger Olivenbaum, dessen silbriges Blätterdach im Sommer angenehmen Schatten spendet. Tagsüber scharrt hier das Federvieh, oder zupft an den spärlichen Grashalmen, und es herrscht reger Betrieb durch das arbeitende, oder sich der Arbeit entziehende Gesinde. Von den patrizischen Hausbewohnern hingegen verirrt sich nur selten jemand hierher.

    So schnell konnte es gehen. Dieses kleine Lächeln, und dann wie sie sich beim Gehen an ihn lehnte - er hatte keine Chance. Ehe er sich's versah war dem Germanen klar, dass er dieses Mädchen beschützen musste - wer sonst? - jetzt und in dieser Schlangengrube namens Villa Flavia, auf die sie zusteuerten.
    Wenn er nicht gerade einen Weg durch das Gewühl bahnen musste, ließ er seine Hand auf Bridhes Schulter, um das erschöpfte Mädchen zu stützen, wenn sie es nötig hatte, während sie Aquilius folgten.
    Aber ja, der Durst! Und bis zur Villa war es doch noch ein ganzes Stück. Er nickte, sah sich um - sie durchquerten gerade ein schmales, von Ständen gesäumtes Forum, wo allerlei buntes Obst feilgeboten wurde - und erblickte schließlich im Schatten einer Arkade einen Wasserverkäufer, ein verwachsener Mann, der an einer Art Joch zwei große korbumflochtene Krüge trug, und vor dem Bauch eine kleine Tafel, auf der die Preise gekritzelt standen. Dass man Wasser für Geld verkaufte war eine der Absonderlichkeiten des römischen Lebens, die er anfangs kaum hatte glauben können.
    "Warte bitte kurz.", sprach er Aquilius an. "Das Mädchen hat Durst."
    Er winkte den Wasserverkäufer herüber und bedeutete ihm, ein großes Trinkgefäß, das mit einer dünnen Kette am Krug befestigt war, zu füllen. Eilfertig kam der Mann dem nach, das klare Wasser gluckerte in den Becher. Der Germane überließ es dem anderen Sklaven den Trunk zu bezahlen - nicht dass er selbst dies, so ohne Geld, gekonnt hätte - nahm den Becher entgegen und reichte ihn an Bridhe weiter.

    Der Mißverständnisse waren an diesem Tag so einige...
    Ja war denn das Geschäft noch nicht abgeschlossen? So wie der Händler vor Aquilius gedienert hatte, hatte der Germane gedacht es sei nur mehr eine Frage eines Handschlags, oder eines Siegels, und das hätten die beiden inzwischen erledigt.
    "Ich entführe sie schon nicht - Händler.", blaffte er zurück, wobei er das Wort "Händler" mit unendlicher Verachtung förmlich ausspuckte.
    Heftig traf ihn Bridhes ängstlicher Blick, als der Scherge wieder ihren Arm fasste. Dabei hatte sie doch gerade wieder etwas fröhlicher ausgesehen! Mieser römischer Abschaum!
    "Lass sie los.", sagte er kalt, und ballte die - freie - Faust, als die unbezähmbare alte Wut auf Leute dieses Schlages wieder in ihm aufkochte. Er hatte nicht übel Lust auf den Kerl einzudreschen, bis er um einiges mehr blutete als das Mädchen, ach was, die ganze widerliche Bagage hier würde er in Grund und Boden prügeln! Ihnen alle Knochen brechen! Aber wie!
    Mit mahlenden Wangenknochen kämpfte er um seine Beherrschung, Mordlust in den Augen. Eine Ader pochte an seiner Schläfe und seine Faust knackte. Aber dann siegte doch die Vernunft (und die aufdämmernde Erkenntnis dass er es nach der langen Haft nicht unbedingt gleich mit den beiden Schlägern auf einmal aufnehmen sollte...)
    "Menschenschinder wie dich sollte man allesamt im Tiber ersäufen!", grollte er, warf Aquilius einen "ja, ich weiß, ich bin ja schon still"-Blick zu, und wartete widerwillig ab bis die Prozedur der Bezahlung abgewickelt war.


    Sim-Off:

    Ist überwiesen an die Staatskasse II.

    Der Germane legte den Kopf ein wenig schief als das Mädchen sprach, und versuchte angestrengt, etwas zu verstehen. Doch außer dass sie sich ihm wohl vorgestellt hatte, blieb der Sinn ihrer Worte ihm schleierhaft. Allein der Klang erinnert ihn ein bisschen an die Art, wie die Handvoll aulercischer Unfreier, die seiner Sippe einmal bei einem Beutezug in die Hände gefallen war, miteinander gesprochen hatten.
    "Heilsa Bridtha. Oder..."
    Er kratzte sich im Nacken und überlegte - wie hatten die sich nochmal gegrüßt? - und sagte dann mit einem ganz schlimmen Akzent, aber zugleich ein wenig stolz, dass es ihm wieder eingefallen war:
    "De-mat de-oc'h!"
    Damit war sein gallischer Wortschatz dann ziemlich erschöpft. Unschwer jedoch war den Gesten des Mädchens zu entnehmen, dass sie nicht plaudern, sondern etwas trinken wollte. Kein Wunder, die Sonne stach ja schon wieder vom Himmel, und wahrscheinlich war dieser Händler hier auch nicht freigiebiger mit dem Wasser als Syagrius die Kröte. Er nickte - sie würde sicher gleich etwas bekommen. Domus? Ah, ein wenig Latein schien sie doch zu sprechen.
    "Ja. Domus. Dort gehen wir hin."
    Er machte die Geste des Gehens, und wies auf Flavius Aquilius, in dessen Domus, oder besser Villa, sie sich ja begeben würden. Dann streckte er Bridtha die Hand hin, um ihr vom Podest herunter zu helfen. Abermals verweilte sein Blick einen Moment lang, angetan, auf ihrer notdürftig verhüllten Blöße, dann löste er die Schließe des Überwurfes, den er vorhin wegen des Regens umgelegt hatte, und reichte ihn ihr mit dem Anflug eines schiefen Lächelns. Es war eine leichte Lacerna, ebenso dunkelgrau wie die Tunika die er trug, schlicht, aber immer noch besser als das was die meisten Plebejer in dieser Stadt trugen.
    "Komm."
    Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Flavier, legte dem Mädchen ruhig eine Hand auf die Schulter, damit sie ihm weder verloren ging, noch umkippte, noch entwischte, und schickte sich an, mit ihr die paar Schritte bis zu Aquilius hinüber zu gehen, damit der den neuesten Zuwachs seiner widerspenstigen Sklavenschaft in Augenschein nehmen konnte.

    Zitat

    Original von Caius Flavius Aquilius
    Ich hatte schon immer die Angewohnheit gehabt, mir die falschen Sklaven zuzulegen - Severus war das beste Beispiel dafür - und warum sollte ich ausgerechnet heute von dieser Angewohnheit lassen?


    Der besagte Germane stand neben dem Flavier und flankierte ihn grimmig, während dieser ein weiteres Mal jener schlechten Angewohnheit frönte. Aufmerksam hatte er die Umgebung im Blick und sorgte mit seiner kriegerischen Erscheinung, und wenn es nötig war auch mit rabiaten Stößen, dafür, dass keiner der Menschen, die sich da auf dem Sklavenmarkt drängten, Flavius Aquilius zu nah kamen.
    So viele Römer auf einem Fleck. Der Germane, der die meisten von ihnen um Haupteslänge überragte, sah kühl über diese Masse lauter, handelnder, lebhaft gestikulierender, heftig schachernder Südländer hinweg, die sich hier auf dem Sklavenmarkt drängte. Sie bereiteten ihm Unbehagen. Er verbarg es hinter einer unbewegten Miene, die allerdings, als die Summen, die zur Tribüne gebrüllt wurden immer höher wurden, zunehmend einem Ausdruck der Verwunderung wich. Und bei dem letzten Gebot seiner Herren war er vollends verblüfft. So einen unglaubliche Menge Geld konnte er sich nicht einmal vorstellen. Davon konnte man, auf dem Markt in Colonia doch sicher eine ganze Herde von Pferden kaufen. Oder Schwerter für eine ganze Gefolgschaft. Er versuchte, es auszurechnen, aber die Zahlen waren zu hoch. Mehr als ein Dutzend Rinder aber gewiss. Und das für ein Sklavenmädchen - wenn auch hübsch, aber nicht gerade im besten Zustand.


    Unglaublich, dachte der Germane, während er dem Flavier den Weg durch die Menge bahnte, Menschen kräftig zur Seite schob und stieß, bis Aquilius ungehindert und unbehelligt zur Tribüne des Sklavenhändlers vortreten konnte. Verächtlich sah der Germane an diesem abstoßenden Kerl vorbei - erinnerte sich dabei kurz an das wohlige Gefühl, als der Händler Syagrius sein Leben unter seinen Händen ausgehaucht hatte. Mit Hilfe des Flaviers, nicht zu vergessen. Warum der das damals getan hatte, war dem Germanen immer noch schleierhaft. Sicher nicht um ein paar hundert Sesterzen zu sparen.
    Er dachte aber nicht weiter über diese Frage nach sondern wandte sich, während Aquilius mit dem schmierigen Händler beschäftigt war, schon dem Sklavenmädchen zu. Sein Blick glitt über ihren Körper, der von der zerfetzten Tunika kaum verhüllt war, und ein tiefer Atemzug ließ seine Nasenflügel erbeben. Ein wirklich hübsches Ding. Und ihr, wenn auch kopfloser Fluchtversuch vorhin, tat das seinige, um das Wohlgefallen des Chatten zu wecken.
    "Mach sie schon los.", sagte er schroff zu dem Schergen des Händlers neben ihr, denn er war sich ganz sicher, dass der Flavier von einer Brandmarkung rein gar nichts halten würde. Ernst sah er dann der jungen Frau ins Gesicht, und sprach in seinem rauhen Latein:
    "Ich grüße Dich. Ich bin - Severus." Bei dem Namen wies er auf sich. "Kannst Du noch laufen?"
    Ob sie ihn verstand? Sie sah verdammt mitgenommen aus, und er machte sich schon darauf gefasst, sie zur Villa tragen zu müssen.

    Unwillig zogen sich die Brauen des Germanen zusammen, ließen eine steile Falte dazwischen entstehen. Es schien ihm, dass er sich dem Flavier nicht hatte verständlich machen können. Vielleicht lag es an der Sprache. "Fides", in der Mundart der schlangenzüngigen Südländer bedeutete sicherlich etwas vollkommen anderes, als das, was er damit sagen wollte.
    "Ich werde tun was nötig ist um meine Aufgabe zu erfüllen.", antwortete er kühl. "Training ist gut. Aber diese Gladiatoren, die führen ein dekadentes Lotterleben, das hab ich damals ja mit eigenen Augen gesehen. Das ist nichts für mich, das verdirbt einen Krieger."
    Er schüttelte bestimmt den Kopf, als er an die ausschweifenden Szenen auf der Cena Libera dachte. Dementsprechend stellte er sich nämlich auch das sonstige Gladiatoren-Dasein vor. Nicht gegen ein Gelage mit hübschen Weibern, aber das damals war in seiner bodenlos verschwenderischen, degenerierten Zügellosigkeit einfach nur - na gut, vor allem - abstoßend gewesen. Die Elefanten allerdings, die hatten ihn schon fasziniert.


    "Treue", sagte er noch einmal, rauh und beinahe grob, in seiner Sprache. Es war absurd, dass er einem Römer diese leisten musste, noch dazu einem aus der Sippe des Kaisers, der sein Volk, wenn auch vor beinahe einem Menschenleben, mit Krieg überzogen hatte. Aber so waren die Regeln! Wollte er kein Neiding sein, musste er fortan für den Römer kämpfen, der sein Leben verschont hatte - auch wenn die Art, in der er dies getan hatte, dergestalt gewesen war, dass der, mehr als seines Namens beraubte, Germane gewiss niemals Dankbarkeit dafür empfinden könnte...
    Aber Du bist niemand mehr. Du bist auf jeden Fall ehrlos. Pfeif doch auf seine vergiftete sogenannte Gnade. Er holte dich nur aus der Hölle, in die er dich selbst hineingestoßen hat. Alles nur Spielchen. Alles nur Hohn. Was hindert dich noch daran dem Pack nachts die Kehlen aufzuschlitzen und die Villa über dem Kopf anzuzünden?
    Der Germane fixierte den Römer starr, blinzelte, fuhr sich mit der Zunge unruhig über die trockenen Lippen.
    "Flavius Aquilius.", fragte er dann eindringlich, mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
    "Nimmst Du meine Gefolgschaft an? - Oder nicht?"

    Als ob das, was ich mir vorstelle, für Dich einen Wert hätte, dachte der Germane resigniert. Aber eigentlich, so erkannte er beim genaueren Hinsehen, war da gar keine Vorstellung. Nur Leere.
    Zukunft... Wer sollte dieser "Severus" sein, und was sollte der sich von der Zukunft erhoffen? Der Germane hatte keine Ahnung.
    Langsam wandte er Aquilius sein Gesicht zu. Sah ihn ernst an.
    "Du hast... Severus am Leben gelassen. Er... ich stehe in Deiner Schuld. Ich werde kämpfen für Dich und Dich beschirmen vor Gefahr. Ich schulde Dir Gefolgschaft. Ich schulde Dir Treue."
    Du hast Rutger getötet. Ich schulde Dir nichts als einen kalten Stahl in der Kehle.
    Der Germane schüttelte den Kopf, und fuhr sich fahrig durch die Haare.
    Nein. Die Toten mögen schweigen.
    "Ich halte mein Wort."
    Und nach einer Pause:
    "Mehr weiß ich nicht."

    Zukunft... Es war seltsam, auf dieses Wort wieder ein Anrecht zu haben.
    Der Germane nickte ansatzweise, verließ das Atrium, und begab sich in die Küche - beziehungsweise bis zur Türschwelle. Denn ein solches Durcheinander herrschte in dem großen Raum, so viele Bedienstete liefen durcheinander und werkelten emsig an der Zubereitung des Abendessens, dass er stockte und einen Augenblick lang zögerte, sich in die Mitte dieses Treibens zu stürzen.
    Unbehaglich war es ihm zumute, als er schließlich eintrat, und sich bei der Köchin bemerkbar machte. So viele Menschen auf einmal, laut redend, tätig und lebendig war er nicht mehr gewöhnt.
    "Ich brauche Essen und Wein für Flavius Aquilius."
    Die Angesprochene, gerade am Gemüseschneiden sah zu ihn auf, und bekam diesen ungläubigen und zugleich unwirschen Ausdruck, mit dem ihn viele der flavischen Sklaven seit der ganzen Affäre betrachteten. Ein 'du-solltest-doch-eigentlich-tot-sein'-Gesicht.
    "Was will er denn?", fragte sie barsch nach.
    Er zuckte die Schultern.
    "Irgendwas. Und Falerner."
    "Ist da in der Amphore."
    Sie wies mit dem breiten Küchenmesser auf ein Bord an der Seite, und scheuchte ein Küchenmädchen, eine Platte mit Essen zu richten.


    Der Germane ging auf die Suche nach Krug und Becher, und fand sich dabei auf einmal der unscheinbaren kleinen Astraia gegenüber.
    "Oh, Severus!"
    Sie fuhr zusammen, ließ beinahe den Pinsel fallen, mit dem sie eben irgendwelche Teigfladen bestrich, und begann verlegen, an ihren Haaren zu nesteln.
    "Was machst du denn hier?"
    "Ich suche einen Krug", antwortete er wahrheitsgemäß, und setzte noch ein "meine schöne Griechin.", hinten dran.
    Gleich bekam sie rote Ohren, und er dachte: Sie ist wirklich ein Mauerblümchen.
    "Die sind da drüben in dem Schrank.", murmelte sie, schien sich dann ein Herz zu fassen und fragte:
    "Magst du mal kosten?"
    Dabei brach sie ein Stück von dem Gebäck ab und streckte es ihm entgegen.
    Ein mutiges Mauerblümchen, dachte er spöttisch, und merkte aber doch, dass ihre schlichte Wärme ihm, nach all dem Schrecken der hinter ihm lag, ziemlich wohl tat. Lächelnd beugte er sich vor, nahm den Bissen mit den Lippen aus ihren Fingern, und verschlang das süße Honigzeug.
    "Mmh. - Astraia, du hast vorhin übrigens dein Kopftuch vergessen. Ich habs gerade nicht dabei, aber treffen wir uns doch nachher, sagen wir zur zweiten Stunde der Nacht, sagen wir im Hof, da wo das Holz lagert."
    Er grinste und versprach unschuldig:
    "Dann bekommst Du es wieder."
    "Ich weiß nicht...", kicherte sie, und sah nach rechts, und sah nach links, wo die anderen Küchenmädchen lange Ohren machten.
    "Mal sehen, vielleicht muss ich ja arbeiten..."
    "Los, los, weitermachen, nicht schwatzen da drüben!", kommandierte da die Köchin, und unterbrach so das zarte Techtelmechtel. In sich hineingrinsend ging der Germane, und holte einen Zinnkrug aus dem gewiesenen Schrank. Natürlich kostete er den Wein, bevor er den Krug füllte - hätte ja auch verdorben sein können! - war aber gut. Und natürlich kam er nicht auf den abwegigen Gedanken, ihn mit Wasser zu panschen. Das wäre auch ein Jammer gewesen.


    Mit Krug und Becher in der einen Hand, die gefüllte Platte und das Besteck in der anderen, kehrte er ins Atrium zurück. Adrett hatte die Küchensklavin die Speisen arrangiert, ein paar Eier am Rand, ein Schälchen Garum, eines mit Oliven, etwas Brot, und auf einer Unterlage von irgendwelchem Gemüse lagen zart gebratene Streifen von Gänsebrust, garniert mit gerösteten Nüssen.
    Stumm stellte er die Sachen auf dem niedrigen Tisch neben Aquilius' Kline ab, und schob sie zurecht, ohne sich seinen Widerwillen anmerken zu lassen. Sich den Becher zu füllen überließ er dem Flavier allerdings selbst - denn Mundschenk zu sein, das war nach seiner festverwurzelten Vorstellung eine Aufgabe der Frauen.
    Danach setzte er sich auf die gegenüberliegende Kline. Auch dies war ungewohnt, nachdem er so lange nur den nackten Boden dafür gehabt hatte. Er rückte etwas hin und her, streckte dann schließlich die Beine von sich und stützte sich auf den ausgestreckten Arm. So saß er, schweigend und in sich gekehrt, und wartete darauf dass der Römer auf die Zukunft zu sprechen kam.

    Eine ganze Weile schon hatte der Germane sich, nachdem er die Sklavenunterkunft verlassen hatte, in der Villa nach Flavius Aquilius umgeschaut. Als er dessen Stimme aus dem Atrium vernahm lenkte er seine Schritte dorthin. Leise trat er in die prachtvolle Mamorhalle hinein, schritt im Schatten einiger Statuen auf die beiden Männer zu und erschien, als in ihren Wortwechsel einen Augenblich lang Stille eintrat, auf einmal neben ihnen.
    Noch immer gemahnte seine Erscheinung - bleich und hohlwangig, der Hals geziert von den vividen Malen der Strangulation - eher an einen Geist als an einen jungen Krieger. Doch in seine Bewegungen, seine Haltung, war die alte Spannkraft und Gewandheit schon beinahe wieder zurückgekehrt.
    "Flavius Aquilius.", sagte er heiser.
    Kurz streifte sein unsteter Blick den anderen Sklaven, dessen Gesicht ihm aber nichts sagte, dann legte der Germane den Kopf schief und musterte seinen Herrn nachdenklich, ohne sich von dessen düsterer Miene aus der Ruhe bringen zu lassen.
    "Ich bin wieder - gesund. Ich suchte nach Dir. Was soll ich tun?"

    Er ließ die Schale sinken, und betrachtete die junge Griechin zum ersten Mal richtig. Sie war drall und hatte ein grobflächiges Gesicht mit einer breiten Nase, aus dem ihn große, feucht glänzende Augen nervös entgegensahen. Kuhaugen. Hübsche sanfte Kuhaugen. Ihr schwarzes Haar war mit einem Tuch streng zurückgebunden.
    Unvermittelt streckte er die Hand aus und streifte ihr das Tuch vom Kopf. Sie sah ihn groß an.
    "Laß das!"
    Er ließ sich nicht stören, lockerte ihr Haar, und strich mit gespreizten Fingern hindurch.
    "Aber Severus...", protestierte sie zögerlich, ohne sich seiner Hand zu entziehen.
    Ein, schon sehr lange nicht mehr in Erscheinung getretenes, wölfisches Lächeln stahl sich in das Gesicht des Germanen, als er sich langsam an das Mädchen heranbeugte, die Essenschale ohne hinzusehen beiseite stellte, und die Hände um Astraias Schultern legte. Abrupt zog er sie an sich heran und presste seine Lippen auf ihre. Erst wehrte sie sich ein bisschen, dann seufzte sie, kicherte: "Dein Bart kratzt...", und erwiderte schüchtern den Kuss.
    Doch urplötzlich quietschte sie auf, und riss sich erschrocken los, als sie mit einem Mal nicht mehr alleine waren. Ein älterer Mann war es, der die Sklavenunterkunft betreten hatte, und missbilligend mit der Zunge schnalzte.
    "Ich... muss in die Küche!", stammelte das Mädchen und stürzte hurtig davon.
    Der Germane sah ihr einen Augenblick enttäuscht hinterher, dann begannen seine Schultern zu zucken. Er lachte, lachte in sich hinein, ohne sich um die empörten Blicke des Störenfriedes zu kümmern. Astraia hatte in der Eile ihr Kopftuch vergessen, das nahm er an sich, um es ihr bei Gelegenheit zurückzugeben, am besten in einer stillen Stunde an einem einsamen Ort.


    Seine Lebensgeister waren neu erwacht. Endlich stand er von seinem Lager auf, ging dann hinaus und holte sich mit einem Eimer Wasser am Brunnen. Er wusch sich von Kopf bis Fuß, schrubbte sich den Fieberschweiß vom Leib und auch die letzten Spuren des Kerkerdrecks. Von einem anderen Sklaven lieh er sich Rasierzeug, und schabte sich den struppigen Bart restlos ab. In dem kleinen Metallspiegel betrachtete er sein Gesicht, die hohlen Wangen, die blutunterlaufenen Augen, in denen ein seltsam unsteter Ausdruck sich festgesetzt hatte, und es schien ihm tatsächlich, als ob jemand ganz anderes ihm da entgegen sähe.
    Mit dem Zeigefinger befühlte er die kleine Narbe an der Stirn, da wo der Fluch des Goden Flavius Gracchus ihn getroffen hatte, und er besah sich auch genau den Streifen von Blutergüssen, der sich quer über seinen Hals zog und in einem langsam verblassenden Violett-Gelb prangte, wie ein besonders hässliches Halsband.
    Eigentlich, dachte sich der Germane bei diesem Anblick, eigentlich ist es doch unglaublich, dass ich noch mal davongekommen bin.
    Und die Trauer und Verzweiflung über das was man ihm genommen hatte, trat in den Hintergrund, war einen Augenblick lang gegenstandslos, angesichts der warmen Freude, noch unter den Lebenden zu weilen.


    Sein Haar, das ihm einst die Sklavenhändler geschoren hatte, war gewachsen, und reichte ihm schon wieder bis zu den Schultern. Doch langes Haar war das Vorrecht der Freien. Mit finsterem Gesicht begann er es zu schneiden, biss die Zähne zusammen und kappte Strähne für Strähne, bis es auf der Länge war, die einem Unfreien gerade noch zustand.
    Als er das hinter sich gebracht hatte, und die Haare verbrannt hatte, damit niemand damit einen Schadenszauber wirken konnte - und ebenso die abgeschnittenen Fingernägel, um nicht den Bau des Totenschiffes, das dereinst die Wolfszeit bringen würde zu beschleunigen - zog er sich eine frische Tunika über. Es war eine grobe dunkle Arbeitstunika, denn er hatte keine andere. Überhaupt besass er ja nichts mehr auf dieser Welt.
    Mit den Fingern strich er sich die Haare zurück, die am Trocknen waren, zog vergeblich an der Tunika herum - sie war für kleinere Menschen gedacht, und ihm mal wieder zu kurz - und machte sich auf den Weg, um in den weitläufigen Innereien der Villa nach Flavius Aquilius zu suchen.

    Draußen schien hell die Sonne, doch bis in die Sklavenunterkunft der Villa Flavia wagte sich nur wenig Licht. Der langgezogene Raum, dessen Schäbigkeit mit der Pracht der übrigen Villa so stark kontrastierte, lag wie stets in trübem Halbdunkel.
    Dem Germanen, der in einer Ecke auf seinem Strohlager lag, war das gerade recht. Er war nach den vielen Monaten seiner einsamen Haft an das helle Licht nicht mehr gewöhnt, und auch nicht an die Gesellschaft anderer Menschen. Still lag er auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte an die Decke, auf einen Riss im unverputzten Mauerwerk, dessen Form ein wenig an das Profil eines Greises erinnerte.
    Er war krank geworden, nach der Sache an der Via Appia. Fieber, und der üble Husten, den er sich im Kerker geholt hatte, hatten in an das Lager gefesselt. Inzwischen ging es ihm aber schon besser. Sein Körper war zäh und erholte sich schnell. Seine Seelenlandschaft dagegen war verwüstet. Was er gewesen war, war gestorben, da am Rande der Römerstraße... oder so weit fortgerückt, dass es ebenso gut hätte tot sein können. Er war leer und verloren und fühlte sich wie ein wandelnder Toter. Apathisch lag er herum und starrte stundenlang ins Leere. Wenn nicht eine der Sklavinnen, eine überaus unscheinbare junge Griechin namens Astraia, einen Narren an ihm gefressen hätte - sie hatte ihn während der Krankheit gepflegt, und brachte ihm immer noch die Mahlzeiten vorbei - hätte er wohl auch vergessen zu essen.


    Auch heute erschien sie, irgendwann zur Mittagszeit, mit einer dampfenden Schale in den Händen in der Sklavenunterkunft.
    "Prandium, Severus.", sagte sie leise, und hockte sich mit einem schüchternen Lächeln auf den Rand seines Lagers.
    "Wie geht es Dir heute?"
    In seinem dumpfen Brüten gestört, setzte er sich unwillig auf , und antwortete abweisend:
    "Gut."
    "Hier, schau mal, es gibt Gemüseeintopf und ich hab Dir ein großes Stück richtig weißes Brot von gestern dazugetan. Ich muss aber gleich wieder los, ich habe mich nur kurz aus der Küche davongestohlen, und muss gleich noch zwei große fette Gänse rupfen!"
    "Mmhm."
    Er nahm die Schale aus ihren Händen und begann wortlos zu essen. Der Eintopf war heiß und gut gewürzt, er schlang große Bissen herunter und riss mit den Zähnen das harte Brot entzwei. Astraia blieb, entgegen ihrer Ankündigung, sitzen und betrachtete ihn unverwandt beim Essen.
    "Was ist?", fragte er schließlich mit vollem Mund.
    "Oh. Nichts." Sie lächelte unruhig. "Was soll sein?"