Aus dem langen dunklen Gang, aus den tiefen Eingeweiden des Flavischen Amphitheaters trat Rutger Thidriksohn in das Licht der Arena. Es war gewaltig, ein überwältigender Eindruck von Grösse, als er in das gigantische Oval hineinging, und den Blick hinaufwandern liessen, zu den sich höher und immer noch höher aufschwingenden Rängen, auf denen die Menge der Zuschauer zu einem Meer bunter Flecken verschwamm. Darüber spannte sich das gigantische Segel, darüber der Himmel, in dessen klarem Blau weisse Wolken trieben. Ein Murmeln und Summen wie in einem kolossalen Bienenkorb, Rascheln und Reden tausender Menschen erfüllte das Rund, schwoll an, als die Kontrahenten von verschiedenen Seiten her barfuss über den Sand schritten.
Dann setzten cornua, tubae und lituus ein, schmetterten pompös, während die weichen Klänge einer Wasserorgel die ansteigende Spannung untermalten. ministri trugen Tafeln durch das Rund, auf denen die Namen der Kämpfer standen, so gross geschrieben, dass sie bis in die hinteren Reihen zu lesen waren, wohin selbst die tragende Stimme des praeco, des Heroldes, nicht gelangen konnte, als dieser nun kraftvoll verkündete:
"Im ersten Kampf treten an:
als Murmillo ZYCUS, der Schnitter von Mauretanien, Bezwinger von Barosus, ungeschlagen in neun Kämpfen, einmal stante missio!
Als Hoplomachus und Herausforderer sehen wir heute zum ersten Mal: RUTGER, die Blonde Bestie aus den Wäldern des Nordens!"
Der großgewachsene Chatte trug die hohen Beinschienen des Hoplomachus, und den kleinen gewölbten Rundschild, war bewaffnet mit dem geraden Kurzschwert und der Stosslanze, die so sehr dem Ger ähnelte, mit dem man in seiner Heimat zu kämpfen pflegte, und der sogar Teil seines Namens war - des wahren Namens, nicht des Sklavennamens, den der Flavier, der sich seinen Herrn nannte, ihm gegeben hatte - was ihm ein gutes Vorzeichen dünkte.
Den attischen Helm mit den schwarzen Federn trug Rutger noch unter dem Arm, er liess sein Blondhaar gülden in der Sonne leuchten, und bot alles in allem ein Bild von einem Barbaren. Durch Physis zu beeindrucken, gehörte zum Gladiatorsein dazu, und kam dem Chatten, der von Natur und Herkunft aus gerne prahlte, sehr entgegen. Prächtig spielten die Muskeln unter der ölglänzenden Haut seines bloßen Oberkörpers, und schienen schon die Lederbänder seines Armschutzes sprengen zu wollen, als er stolz die Lanze gen Himmel reckte, und den Lärm der Skrälinge und Südländer als Beifall entgegen nahm.
Es entging ihm allerdings nicht, dass sie für seinen Gegner noch lauter johlten - was kein Wunder war, da der ihnen bereits bekannt war. Abschätzend fasste Rutger den Murmillo ins Auge, offenbar ein sehr erfahrener Kämpfer, nun gut, um so grösser der Ruhm ihn zu erschlagen... und sollte statt dessen er, Rutger, unterliegen, so erwartete ihn ein Platz in Walvaters Halle, wo Wunschmädchen den Trunk reichten, wo ein Fest gefeiert wurde noch tausendmal besser als die cena libera am Vorabend, dort würde er mit den Einheriern tafeln, trinken und den Skalden lauschen, bis zum Tag der letzten Schlacht, an dem der graue Wolf die Sonne verschlingen würde, und sie alle eine letzte ruhmvolle Schlacht schlagen würden.
Schon so viele Male hatte Rutger den Tod vor Augen gehabt - den Tod im Scharmützel, das Erfrieren in den Alpen, das sang- und klanglose Verbluten, das Dahinsiechen an seinen Wunden, und auch dem elenden Verrecken am Kreuz war er nur um Haaresbreite entgangen - dieser Tod, der ihm hier, heute, in der Arena zulächelte, voll Ruhm und Mannesmut, war begehrenswert dagegen.
Noch mehr lockte freilich der Sieg.
Kampfeslust durchströmte den Germanen als eine hitzige Woge, er bleckte die Zähne zu einem grimmigen Lächeln. Neben seinem Gegner blieb er stehen, sah hinauf zu den Veranstaltern - dem Goden Flavius Gracchus, ein bösartiger Hexer, von dessen üblem Schadenszauber Rutger ein Lied singen konnte, und dem Neiding Flavius Aristides, der ihn einst in den Wäldern seiner Heimat durch nur List und Tücke gefangen genommen hatte. Rutger hatte ihm dafür die Tochter, oder zumindest deren Unschuld geraubt, und nun war der Mann ausserdem im Krieg zum Krüppel geworden - beides geschah ihm recht, beides erfüllte Rutger mit Genugtuung.
Während der Murmillo das Knie vor den Flaviern beugte, blieb der Hoplomachus aufrecht stehen, und schleuderte den beiden Römern den Gruß wie eine Herausforderung entgegen, zu gleichen Teilen von Verachtung und unversöhnlichem Haß durchdrungen.
"Morituri vos salutant!"
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