Beiträge von Rutger Severus

    "Eh-ghyp-thuz..." wiederholte Rutger fasziniert, protestierte dann aber: "Ich komme sicher nicht von diesem Seth, das kannst du mir glauben! Mein Ahnherr ist Ziu, der Schirmer des Eides, der den Grauen Wolf in Bande schlug."
    Er folgte Nefertiri und trat hinter ihr in das schlichte Zimmer, das ihm nach den Nächten unter freiem Himmel, auf dem Boden, meist ohne Decke Wind und Wetter ausgesetzt, nun wie der Inbegriff des Luxus erschien.
    "Hier?" fragte er ungläubig, stellte dieses Glück dann aber lieber nicht weiter in Frage, und legte das Bündel mit seinen Lumpen und der Fibel auf der Lagerstatt ab. Dankerfüllt sah er auf die schöne Ägypterin, und dämpfte nun auch seine Stimme:"Hab Dank, Ne-fahr-thyrri."


    Er bekam Lust, sie nochmal zu küssen, aber ihr stolz gerecktes Kinn vermittelte gerade keinen so einladenden Eindruck. So lächelte er nur müde, bevor er sich abwandte, das Tuch um seine Hüften löste, und unter die Decke schlüpfte. Hin und her rutschte er, bis schließlich eine annehmbare Position gefunden hatte - halb auf dem Bauch liegend, halb zusammen gerollt, die wunden Handgelenke über der Decke.
    Erschöpft schloß er die Augen, und sank augenblicklich in einen wirren Halbschlaf. Bedrohlich stürmten da sofort die Bilder der Reise auf ihn ein, er hob den Arm, wollte einen Schlag abwehren, und schreckte davon wieder auf. Verwirrt sah er blinzelnd um sich. Da war kein Finn. Allen Asen und Wanen sei Dank!

    Sobald sich der Flavier von ihm abwandte, verflüchtigte sich Rutgers ausdruckslose Fassade. Er stützte das Kinn in die Hand, und sah ihm ambivalent nach wie er in die Villa zurückging, für einen Moment zum dunklen Schatten in der hellen Türöfnung wurde und verschwand. Den sollte mal jemand verstehen... Eines war sicher: Rutger mußte so schnell wie möglich von hier verschwinden, bevor es dem perfiden Römer mit seinen undurchschaubaren Manipulationstechniken noch gelang, ihn einzuwickeln. Sicher wäre es besser, erst mal zu lernen, sich hier zurechtzufinden, sich eine Waffe zu besorgen, und irgendwie an Geld zu kommen, dann wäre eine Flucht sicher leichter zu bewerkstelligen - aber was, wenn bis dahin die Dekadenz der Stadt und die Methoden dieses - hassenswerten! - Flaviers ihn irgendwie... verändern würden? Seinen Kampfgeist schwächen? Ihn mit der allgegenwärtigen Verdorbenheit anstecken? Ihn seinen Göttern entfremden?


    Nein, das durfte nicht geschehen. Er lehnte sich wieder zurück, und legte den Kopf in den Nacken. Wolken trieben vor dem Mond vorbei, der ihre zerfetzten Ränder silbrig aufleuchten ließ. Eine Weile lang betrachtete Rutger so sinnierend den nächtlichen Himmel, dann richtete er sich auf, und verließ den Hof, um vielleicht doch noch etwas vom Abendessen zu bekommen.
    Denn - da hatte der Römer recht - er mußte wieder zu Kräften kommen.
    Um - das hatte sich der Römer wahrscheinlich nicht so gedacht - sich bei nächster Gelegenheit aus dem Staub zu machen.

    "Ein Sud von der Rinde des Weidenbaumes. Das ist gut bei Fieber, weißt du."
    Rutger nahm den erbeuteten Kessel zur Hand, und überließ Phaidra die Reste des Körnerbreis. Sie machte sich begeistert darüber her, während er, am Rande des Fluß hockend, den Kessel mit einer Handvoll Sand ausscheuerte, und dann frisches Wasser schöpfte. Mit ein paar Steinen stützte er den Kessel ab, als er ihn dann ins Feuer setzte. Die Flammen züngelten um das Metall herum, und beleckten es mit Ruß.
    Rutger fütterte das Feuer vorsichtig, hielt es niedrig, und betrachtete nachdenklich die schlafende Arrecina.
    Sie erschien ihm, so tief schlummernd, auf einmal viel jünger, fast wie ein Kind. Unschuldig sah sie aus, krank, am Ende ihrer Kräfte. Er seufzte, und machte sich Vorwürfe, daß er sie überhaupt mitgenommen hatte, und wegen seiner ungezügelten Gier am Morgen. Er dachte auch über seinen Schwur nach - der war sehr spontan gewesen, und wahrscheinlich nicht gerade klug. Immerhin war sie doch seine Geisel, und was nützte schon eine Geisel, die genau wußte, daß er ihr nichts tun würde? Aber trotzdem erschien es ihm richtig, seltsamerweise.


    Das Wasser dampfte ein wenig, machte aber noch lange keine Anstalten zu kochen, und so stand er auf, griff nach seinem Stab und kletterte etwas ungelenk auf einen großen abgerundeten Stein hinauf. Oben angekommen, richtete er sich hoch auf, sah sich in alle Richtungen um, und wirbelte den Stab ein paarmal spielerisch um sich herum. Der lag gut in der Hand, fand Rutger.
    Dort, auf dem Stein stehend, sah er die Schwalben fliegen, die Sonne schien ihm warm ins Gesicht, und ihre inzwischen schon schrägen Strahlen legten einen goldenen Glanz um die sattgrünen Wipfel der Kiefern. Harz roch er, und frisches Wasser, Holzrauch mischte sich hinein und sommerwarme Erde. Schön. Rutger ließ diesen Moment tief auf sich einwirken. Er war froh, daß er geflohen war, und nun hier stehen konnte, frei, dem Tanz der Schwalben zusehen konnte, und einem bunten Herbstblatt, das gerade auf dem Fluß vorübertrieb, mit einem fein gekräuseltem Kielwasser hinter sich. Selbst wenn sie ihn fangen würden, und töten - und seine Chancen sahen gerade tatsächlich nicht so überwältigend aus - selbst wenn das geschehen würde, so hatte er doch wenigstens noch einmal die Freiheit spüren dürfen.
    Lächelnd ließ er sich auf der Spitze des Stein nieder, streckte die Beine lang aus, und begann, den Stab mit dem Dolch zu bearbeiten. Mit geübten Handbewegungen glättete er den Schaft, spaltete ihn am oberen Ende, und schuf eine Aussparung, in die er später den Griff des Hirschfängers einzufügen gedachte.


    Ganz versunken arbeitete er an seiner Waffe, bis ihn das Brodeln des Wassers aus der Konzentration herausriss. Ach ja, der Tee. Er kletterte wieder von seinem Aussichtspunkt hinunter, hockte sich neben das Feuer, und suchte die dicken Stücke der Weidenborke hervor. Mit dem Messer säuberte er sie ein wenig, klopfte eine dicke Käferlarve heraus, und brach die Rinde dann in viele kleine Stückchen. Die warf er in das kochende Wasser hinein, ließ es noch etwas brodeln, und nahm den Kessel dann vorsichtig vom Feuer. Ein paar Kleeblätter, die da wuchsen, warf er mit hinein, damit das Gebräu nicht ganz so bitter werden würde.
    Während der Sud vor sich hin zog, widmete er sich wieder seinem Waffenbau, nahm einen Lederriemen, und begann damit, den langen Dolch mit einer festen Umschnürung sorgfältig an der Spitze des Schaftes einzupassen. Das würde zwar eine sehr primitive Frame werden, aber immerhin! Nein, falls ihn die Häscher der Flavier wirklich erwischten, würde er sich ihnen ganz sicher nicht kampflos ergeben.

    Mit einem kräftigen Schwung half Rutger dem jungen Römer auf Lapsus hinauf. Aquilius' huldvolles Nicken bemerkte er wohl. Eine Falte trat zwischen seine Augenbrauen. Das war doch alles so würdelos. So verkehrt.
    Gerade als er sich abwandte, reckte sein Grauer den Hals, bleckte die großen gelben Zähne, und zwickte seinen vierbeinigen Kollegen blitzschnell in den Hintern.
    "Schindmähre!" verfluchte Rutger ihn in seiner Sprache, und gab Canus einen Klaps auf die Nase. Er zog ihn zur Seite, wich selber einem Biss aus, und schwang sich schnell in den Sattel. Mit einem Schenkeldruck setzte er das Tier in Bewegung, dessen Hufe klapperten auf der steingepflasterten Straße, und ohne wirklich auf die beiden Patrizier zu achten, ließ Rutger ihn in einen flotten und raumgreifenden Schritt fallen.


    Zum ersten Mal seit man ihn nach Rom verschleppt hatte, war er den erdrückenden Steinmauern, die da in der Stadt so allgegenwärtig waren, entronnen. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, und ein leichter Wind strich ihm um die Nase. Der Geruch nach Herbst lag darin, ein Hauch von Sumpf, und zugleich etwas frisches, rastloses. Auch der mißmutige Wallach schien das zu spüren, er blähte die Nüstern, und strebte immer dynamischer vorwärts. Rutger lenkte ihn seitlich um ein Ochsengespann herum, ließ ihm dann die Zügel lang, und ritt hochaufgerichtet in der Mitte der Straße weiter. Etwas wehmütig richtete er den Blick auf ein paar fedrige Wolken, die hoch oben im leuchtend blauen Himmel schnell nach Norden trieben, weiß strahlend, und ständig ihr Form ändernd. Mal sahen sie aus wie ein Rudel flüchtender Rehe, dann wie eine lange Barke die da oben eilig dahinsegelte, und dann wiederum erinnerten sie ihn an riesige Schwäne.
    Die Anwesenheit der beiden Römer auf dem gewaltigen Ross hinter sich versuchte Rutger einfach zu vergessen, während er versunken den Wolken nachsah, den Ritt genoß, und sich ein wenig der Illusion von Freiheit hingab.

    Mit wippendem Schwanz trippelte eine kleine Bachstelze am Ufer umher. Ruckartig stieß der winzige Schnabel vor, und zog eine Wasserschnecke unter einem Stein hervor. Der Vogel verspeiste den Fund, legte dann den Kopf schräg, und wandte die kleinen Knopfaugen den beiden Menschen zu, die da so plötzlich erschienen waren. Ein Windhauch zauste das flaumige schwarze Gefieder an der Brust, der lange Schwanz wippte noch einmal auf, einmal ab, dann schwang sich das Vögelchen mit einem scharfen Zwitschern in die Luft, und flatterte davon.


    Rutger sah dem Vogel kurz nach, lehnte seinen Stab an eine Kiefer, und trat an das Pferd heran. Wie erschöpft die kleine Römerin aussah. Besorgt streckte die Arme aus, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein.
    "Ja, natürlich machen wir eine Rast."
    Kurzerhand hob er Arrecina einfach vom Pferd, und trug sie ein paar Schritte bis zu einem glatten Stein am Ufer, der angenehm die Sonnenwärme abstrahlte. Auf dem setzte er sie ab, stützte sich mit einem Knie auch darauf ab, und musterte sie besorgt. Neben den beiden strömte langsam das klare grüne Wasser vorbei, in dem es mal silbrig aufblitzte, als ein Fisch vorbeiglitt.
    "Dir geht es nicht gut, oder?"
    Dumme Frage eigentlich. Natürlich nicht. Er hob die Hand, und legte sie ihr auf die Stirn. Auch das noch.
    "Ruh dich ein bisschen aus, Arrecina. Am besten kühlst du deinen Fuß noch etwas, denke ich. Magst du etwas essen, oder trinken?"
    Rutger lächelte sie fürsorglich an, strich ihr sanft über die Schläfe hinweg, und richtete sich wieder auf.


    Er nahm Phaidra Sattel, Zaum und Gepäck ab, klopfte ihr dankbar auf den Hals, und ließ es zu, daß sie ihren Mähnenkamm fest an ihm rieb und sich so ausgiebig kratzte. An einer Stelle, wo es flach ins Wasser hineinging, ließ er sie trinken. Damit sie ungehindert grasen konnte, band er ihr die Vorderbeine so zusammen, daß sie nur kleine Schritte machen konnte, und ließ sie dann frei laufen.
    Das Gepäckbündel legte er neben Arrecina ins Gras, öffnete es, suchte ein bisschen Proviant hervor, und legte Käse, Trockenfleisch, und ein hartes Stück Brot neben ihr auf den Felsen. Mit dem Wasserschlauch in der Hand watete er in den Fluß hinein, bis zu den Knien, und kostete von dem Flußwasser. Es war kühl und schmeckte frisch, und so leerte er den Wasserschlauch, und füllte ihn neu, um ihn dann Arrecina anzubieten.


    Als nächstes breitete er ihre nasse Tunika, und auch die Decke über einen anderen Stein aus, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Seine Fibel löste er wieder von der Decke, und barg sie erneut unter seiner Tunika.
    "Ich mache ein kleines Feuer." teilte er Arrecina dann mit, während er sich schon bückte, und einige Zweige aufklaubte.
    "Du brauchst einen Weidenrindentee."
    Und ihm konnte das auch nicht schaden.
    Nachdem er noch etwas mehr trockenes Holz zusammengetragen hatte, schichte er es auf, schlug Funken, und entfachte direkt am Ufer ein kleines Feuer. Vorsichtig schob er ein paar Äste nach, und achtete gut darauf, daß so wenig Rauch wie möglich entstand.

    Rutger zuckte die Schultern. Seine gesamte Situation war der blanke Hohn. Was machte es da noch aus, ob sich der Flavier über ihn mokierte oder nicht. Genau verfolgte er dessen Bewegungen, und wie er die Waffe wegsteckte. Anscheinend sah er in ihm keine Bedrohung. Seine Augen wurden kurz etwas schmaler, als er in Betracht zog, ihn unvermittelt anzuspringen, um mit einem gezielten Hieb mit dem Stein sein Genick zu zertrümmern... es waren aber eher pflichtbewußte Überlegungen, und Rutger fand es auch ein bisschen zu heimtückisch. Außerdem wäre er selber dann auch gleich tot, und könnte sich nicht mehr um die LISTE kümmern. Alles zu seiner Zeit, sagte er sich und ließ, im Schatten des Oleanders, den Stein los.
    Statt dessen begann seine Hand müßig mit einem herabgefallenen Zweig zu spielen, zog die kühlen glatten Blätter zwischen den Fingern hindurch, während er Aquilius reserviert zuhörte.


    Als ob der ein Interesse daran hätte, daß Rutger "seinen Feind besser kannte". Er war doch selber ein Feind. Nein, der wollte ihn bloß manipulieren, auf diese simple Weise, um ihn besser für seine Zwecke einzusetzen. Nur welche Zwecke eigentlich, fragte sich Rutger. Sicher nichts gutes. Wahrscheinlich brauchte er, außer einem Leibwächter, noch einen Handlanger für irgendwelche Intrigen - es war ja bekannt, daß die Römer sich mit sowas liebend gerne die Zeit zwischen einer Orgie und der nächsten vertrieben. Diese Gedanken behielt Rutger aber für sich. Offene Worte hatte er vorher am Tag schon genug gesprochen - oder eher gebrüllt.
    So, der Flavier war also nicht wild darauf ihn zu quälen. Wie nett. Rutger lächelte suffisant, geriet aber wider Willen doch ein wenig ins Nachdenken - er stellte sich vor, ein Unfreier hätte so mit seinem Vater gesprochen, wie er vorhin zu dem Flavier, und kam zu dem Schluß, daß der so jemanden schon längst von den Pferden hätte zertrampeln lassen. Oder wenn ihm, Rutger, ein Sklave solche Widerworte gegeben hätte - er hätte ihn sicher grün und blau geschlagen. Aber das war ja auch was ganz anderes.


    Mehr als ein Krieger? Krieger sein war doch das beste überhaupt! Schon wollte Rutger empört widersprechen, da fiel ihm auf, daß solche Arroganz unter Goden wohl allgemein weit verbreitet war. Selbst sein Bruder Starkad, der seit einer verkrüppelnden Verletzung nicht mehr in den Kampf ziehen konnte, und sich nun nur noch den Riten widmete, um die Götter der Sippe wohlgesonnen zu stimmen, selbst der hielt sich inzwischen für was besseres. 'Déformation professionelle' hätte Rutger dieses Phänomen genannt, wenn es den Begriff schon gegeben hätte.

    Verwundert, und wiederum mit einer Falte des Mißtrauens zwischen den Augenbrauen, betrachtete er Aquilius bei dessen nächsten Worten und dem seltsamen Lächeln. Ja, da hatte er natürlich recht. Hass war das einzige, das Rutger gedachte, seinem "Herrn" entgegenzubringen. Was sonst? Alles andere wäre unangemessen gewesen. So war das nun mal. Und auch daß er ihm die Ketten abgenommen hatte... nebensächlich! Und auch daß er gerade, so schräg von unten gesehen, gegen den Sternenhimmel, irgendwie melancholisch aussah, irgendwie... fast... sympathisch... - Moment! Streng untersagte Rutger es sich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Hass. Das war das einzig Wahre.
    Er nickte nur, als Aquilius ankündigte, daß sie trainieren würden, behielt sein Schweigen bei, und trug dazu eine möglichst gleichgültig-distanzierte Miene zur Schau.

    Mitleid wollte Rutger keines. Er zuckte die Schultern, und antwortete in gleichmütigem Tonfall:
    "So haben nun mal die Nornen mein Schicksal gesponnen."
    Auf einmal streichelte Arrecina seine Hand. Da wurde es ihm ganz warm ums Herz, und sehr versonnen lächelte er sie an... - aber auch verwirrt. Das war alles so kompliziert. Und vielleicht wollte sie ihn ja bloß um den Finger wickeln, damit er aufgab und sie zurückbrachte... Sie sah so traurig aus. Sicher vermisste auch sie ihre Familie... ihren Vater... - Besser nicht über sowas nachdenken, dachte sich Rutger, drückte kurz ihre Hand und stand auf.
    Mit Hilfe des großen Dolches schlug er sich einen geradegewachsenen jungen Kastaniensproß, hackte die Zweige ab, und verkürzte ihn, bis er ihm bis zur Schulter reichte - den konnte er vielleicht später auch als Schaft für eine improvisierte Frame verwenden.


    "Mit deinem Fuß ist es besser du reitest." meinte Rutger, und beugte sich zu Arrecina hinunter.
    "Darf ich?" Er legte einen Arm um ihre Schultern, einen unter ihre Knie, und hob sie hoch, um sie dann mit unregelmäßigen Schritten zu Phaidra zu tragen, und hoch auf den Pferderücken zu heben.
    "Ähm, geht es so?" fragte er sie befangen, beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Stab, und packte noch die nassen Sachen zum Gepäck. Schließlich nahm er Phaidra wieder am Zügel, und führte sie weiter durch den Wald, schräg auf den Wasserlauf zu, und dann an dessen Rand entlang, immer bergab. Sein Bein schmerzte, aber er wollte die ermattete Stute in diesem unwegsamen Gelände nicht noch mit seinem Gewicht strapazieren. Nicht auszudenken, wenn sie schlappmachte. Und so hinkte er entschlossen, bei jedem Schritt auf den Stab gestützt, neben dem Bergfluß entlang. Von Zeit zu Zeit sah er zu Arrecina hoch, ob sie noch durchhielt. Tapfere kleine Römerin.


    Und tatsächlich. Es klarte immer weiter auf. Die Wolken verzogen sich zwar nur zögerlich, aber nach und nach kam die Sonne immer mehr zum Vorschein. Ihre Strahlen trockneten und wärmten, und ließen das klare Wasser des Flusses in einem seltsamen grünen Ton leuchten.
    Immer weiter folgte Rutger dem Wasserlauf. Es schien ihm zwar, das sie inzwischen viel zu weit nach Osten abgekommen waren, aber das Ufer war, im Gegensatz zum Bergwald, wenigstens einigermassen gangbar. Schritt für Schritt marschierte er, irgendwann wie in Trance. Erst als es schon Nachmittag war, machte er wieder halt. Sie alle brauchten jetzt dringend eine Pause.



    Ein wenig schwül war es in der Zwischenzeit geworden. Kleine Mückenschwärme tanzten über der Wasseroberfläche, und ein paar Schwalben machten in elegantem Tiefflug Jagd auf sie. Das Flußbett war hier noch breiter, und große rundgeschliffene Steine lagen darin. Kiefern säumten das Ufer, und an einer Stelle mit saftigem Gras senkte Phaidra gleich den Kopf, und rupfte gierig die Halme.

    "Wir müssen uns nur ein bisschen bewegen, gleich, dann geht das schon."
    Rutger stellte wieder eine Miene unerschütterlicher Zuversicht zur Schau.
    "Für ein Feuer ist keine Zeit, und außerdem ist hier ohnehin alles zu feucht."
    Er winkelte sein verletztes Bein etwas an, und schnitt mit den kleinen Messer den Verband vom Vortag auf. Der Stoff war wieder von gelblichem Sekret verfärbt. Da er aber auch vom Wasser völlig durchtränkt war, löste er sich recht leicht, als Rutger ihn entschlossen von der Wunde riss. Er schluckte, sah lieber nicht allzu genau hin, legte schnell ein neues Stück Leinen auf, und packte auch hier eine Schicht zerkauter Kräuter darüber. Dann schlang er den Stoffstreifen mehrmals fest um seinen Oberschenkel. Das sah doch gleich viel besser aus.


    "Ja, meine Mutter hat mir das gezeigt. Aber nur ein paar Sachen, nicht viel. Meine Schwester, die hat sie alles gelehrt. Für Frauen ist so etwas ja auch einfacher, und ähm, naheliegender. Jorun - meine Schwester - hat eine große Gabe dafür..."
    An Rutgers bewunderndem Tonfall war deutlich zu erkennen, wie sehr er seine Schwester verehrte.
    Er griff nach einem weiteren Stoffstreifen, klemmte einen Zipfel zwischen die Zähne, und bandagierte seine Hand frisch. Als er den Mund wieder frei hatte, sprach er weiter.
    "Wo sie ist? Nun, an der Seite meines Vaters, und steht ihm bei in seinem Kampf. Also, natürlich nicht mit der Waffe..." - Rutger schmunzelte, als er sich seine doch eher rundliche Mutter mit einem Sax in der Hand vorstellte - "...aber sie kümmert sich, als Frowe des Drichten, darum, daß im Lager alles funktioniert, und wir genügend Vorräte haben, daß die Frauen untereinander den Frieden halten, daß die Mägde fleißig sind, daß ordentlich gewirtschaftet wird... all diese Dinge. Sie kann da auch wie ein Feldherr sein."
    Mal wieder stahl sich das Heimweh in ihn hinein. Er verbiss sich ein Seufzen, und hielt Arrecina seine verbundene Hand hin.
    "Kannst du das mal festknoten bitte? Wir müssen dann weiter, bevor wir hier festfrieren."

    Lächelnd kniete sich Rutger neben Arrecina auf das Moos, und breitete die Blätter des 'Huldrenger' vor sich aus. Erleichtert, daß der Hirschfänger noch genauso da lag wie eben, nahm ihn wieder an sich, und wischte ihn sorgfältig blank. Mit der Spitze zeichnete er dann die Ansuz-Rune über die Kräuter, um die darin schlummernden Kräfte zu wecken, und dann noch Laguz dazu.
    "Asgards wortgewaltiger Fro / keine Kette fesselt den Wind
    Strömende Kräfte aus Walas Tiefen / sie streben zur Wacht."


    Er steckte den Dolch wieder weg, lächelte Arrecina herzlich an, und bat sie:
    "Streck doch bitte dein Bein aus. Ich mache dir gleich einen Verband mit der Rinde, sie stützt das Gelenk, und passt sich an, wenn sie trocknet und sich zusammenzieht."
    Mit einem gewissen Stolz verriet er ihr:
    "Ich weiß auch die Worte, um ein verrenktes Glied zu besprechen."
    Aber zuerst kümmerte er sich um die Schürfwunde am Schienbein, säuberte die Ränder mit einem feuchten Tuch und belegte sie mit dem Huldrenger. Immer wieder sah er fragend zu Arrecina, ob er ihr nicht zu sehr weh tat.
    Ein paar Blätter schob er auch in den Mund, und kaute sie, während er eine Lage des recht sauberen Verbandstoffes um ihr Bein schlang. Dann strich er, schnell, bevor sie protestieren konnte, die grüne zerkaute Masse auf das Leinen über der Wunde, wickelte den Verband noch einige Male herum, und knotete ihn fest.


    Sogleich wandte er sich ihrem Knöchel zu, fasste ihn ganz vorsichtig, und legte eine Schicht von Blättern, sich gegenseitig überlappend, darüber. Mit einem nassen Stoffstreifen, fixierte er sie, umwand das Gelenk, und bandagierte es dann straff mit den langen Rindenstreifen. Die waren rutschig, und glitten ihm immer wieder aus den klammen Fingern, vor allem wenn er sie festknüpfen wollte.
    "Thryms Ti...- ähm, geht es noch?" Irgendwann hielt es aber dann doch. Rutger hob wieder den Blick, lächelte Arrecina warm an, und versicherte ihr, selber völlig davon überzeugt: "Gleich wird es besser."


    Mit ernsthafter Miene legte er seine Hände um ihren Knöchel herum. Den Blick nach innen gerichtet, vergegenwärtigte er sich die Worte der 'Blutrenke', wie sie ihm seine Mutter damals beigebracht hatte, urtümliche Worte der Macht, die er selber kaum verstand. Andächtig sprach er sie, in raunendem Singsang, bis zu dem uralten Zauberspruch am Ende:


    "So se Benrenki, so se Bluotrenki, so se Lidrenki:
    Ben zi Bena, Bluot zi Bluoda,
    Lid zi Geliden, so se gelimida sin!"


    Seine Hände waren warm geworden, und Rutger meinte, den Widerhall der bebenden, ungezügelten Kraft, die er gerufen hatte, machtvoll in sich zu spüren. Er lächelte, froh, beinahe berauscht - dann verließ es ihn wieder. Frierend setzte sich auf eine Wurzel und lehnte sich erschöpft neben Arrecina an den Baum, um kurz - nur ganz kurz - auszuruhen.

    Es schien doch alles etwas komplizierter zu sein, als Rutger sich das vorgestellt hatte. Ratlosigkeit breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er Arrecina lauschte. Umkehren? Schimpflich und tödlich. Sie weiter mitnehmen? Konnte er ihr nicht antun. Sie zurücklassen? Ging auch nicht.
    "Mhmm, das sehe ich ein..." murmelte er, und kratzte sich unschlüssig am Nacken.
    "Ich danke dir für dein Wort, aber, Arrecina, versteh doch, es geht nicht darum, ob man mir als Sklave ein Leid zufügt, oder nicht, es geht um die Schmach, Sklave zu sein, unfrei, die Schande an sich... Ich kann nicht umkehren."


    Erschrocken hielt er sie fest, als sie einknickte.
    "Wir reden später darüber." beschloss er, hob sie kurzerhand hoch, und trug sie zu einem Moospolster, das sich sattgrün und dicht zwischen den Wurzeln der Kiefer erstreckte. Vorsichtig setzte er sie auf den weichen Grund, so daß sie sich auch gut am Baum anlehnen konnte.
    "Ich kümmere mich um deinen Knöchel, ja?" Er strich ihr übers Haar.
    "Und um das." Leicht tippte er gegen ihren Unterschenkel neben der Schürfwunde.
    "Drüben beim Wasserfall meine ich vorhin Huldrenger gesehen zu haben, das zieht die schlechte Hitze aus den Wunden. Sagt meine Mutter jedenfalls immer. Ich gehe mal und hole was davon. Sind ja nur ein paar Schritte. Für alles Fälle lasse ich dir mal das hier," - Er legte den Hirschfänger auf das Moos. - "... aber ich bin ja gleich wieder da, ja? Und du ziehst dir solange - endlich - was trockenes an."
    Wieder legte er die Wolltunika neben sie, denn er hatte die Hoffnung, dass sie sie nicht verschmähen würde, noch nicht ganz aufgegeben.


    Ein paar Streifen Stoff zum Verbinden schnitt er sich noch zurecht, und hinkte dann eilig zum Ufer, wo er tatsächlich am Waldrand das Kraut wachsen sah. Er pflückte viele der langen, lanzettförmigen Blätter, nur mit der linken, und mit einem uralten Spruch auf den Lippen, der etwaige unholde Geister besänftigen sollte.
    Auch auf eine knorrige Weide trat er zu, deren Zweige bis hinunter in den Bach hingen, und löste mit dem kleinen und - wie er selbst hatte erfahren müssen - ziemlich scharfen Messer lange Streifen von der glatten Rinde der jungen Zweige ab, und auch ein paar Stücke der dicken rissigen Rinde am Stamm.
    Die Stoff- und die Rindenstreifen tränkte er dann in dem eisigen Wasser, und machte sich mit seiner Ausbeute auf den Rückweg. Unterwegs machte er allerdings nochmal halt, zog sich seine ramponierte und aufgeschlitzte Tunika über den Kopf, und wrang sie kräftig aus. Fröstelnd schlüpfte er wieder hinein, und kehrte mit den Händen voll Kräuter und nasser Rinde zu Arrecina zurück.

    "Arrecina..."
    Rutger war gerührt.
    "Hör mir zu."
    Ganz leicht legte er seine Hände rechts und links auf ihre Wangen.
    "Ich will doch nur frei sein."
    Mit dem Daumen wischte er ihr eine Träne zur Seite.
    "Ich vertrau dir ja..."
    Seltsamerweise tat er das gerade wirklich.
    "Aber, Sklave sein, das ist kein Leben."
    Er lächelte wehmütig.
    "Deshalb gebe ich nicht auf."
    Er beugte sich ein wenig näher zu ihr hin.
    "Doch ich schwöre Dir, Flavia Arrecina, bei Ziu dem Ältesten der Asen..."
    Er kam ihr noch näher.
    "Bei Ziu, dem Schirmer des Things, bei Ziu, dem Herr der Eide, gelobe ich..."
    Seine Augen bohrten sich mit durchdringendem Ernst in ihre.
    "...Dir, Flavia Arrecina, niemals wieder etwas Böses anzutun."
    Er schloß kurz die Augen.
    "Und sollte ich mich Dir jemals wieder nahen um Dir ein Übel zuzufügen..."
    Sehr ernst sah er sie jetzt an.
    "So möge der Bann des Ältesten mich vernichten!"
    Mit fester Stimme beschwor er die Strafe des Eidbrechers.
    "Die Raben sollen mein Herz in einem fremden Land fressen!
    Der Graue Wolf meine Knochen zermalmen!
    Mein Name getilgt sein für immerdar!"


    Rutgers feierliche Worte hallten durch den dunklen Forst. Ein eisiger Hauch wehte ihn an - und krächzte da nicht auch ein Rabe? Der Schwurgott hatte ihn gehört, da war sich Rutger sicher.
    Er lächelte Arrecina an, den düsteren Worten, die er eben gesprochen hatte, zum Trotz, und gab ihr schnell einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, bevor er die Hände wieder sinken ließ. Er fühlte sich freier, nun da er endlich eine Entscheidung getroffen hatte. Rache hin oder her.
    "Du brauchst keine Angst zu haben. Wir machen das jetzt folgendermassen: zuerst ziehst du dir endlich etwas trockenes an,..." - er grinste schief, und wies auffordernd auf die Wolltunika - "...dann folgen wir dem Bach, bis ins Tal, und sobald wir ein Dorf, oder eine belebte Straße, oder etwas in der Art in Sicht haben, eben einen Ort, wo du Hilfe bekommen kannst, setze ich dich ab. Und gebe dir dein Geld wieder... - hmm, naja, bis auf einen Teil... ich habe ja noch einen langen Weg - deinen Schmuck aber natürlich ganz. Dann kannst du wieder nach Hause gehen. In Ordnung, Kl... - Arrecina?"

    Wie verstört Arrecina doch aussah. Rutger trat langsam wieder auf sie zu. Und wie durchsichtig ihr Gewand doch geworden war... sein Blick glitt unwillkürlich an ihrem Körper entlang, runter und wieder hoch. Er schluckte, und richtete die Augen unter Aufbietung seiner Willenskraft auf ihr Gesicht.
    "Kleines, du mußt was trockenes anziehen!" insistierte er. Schließlich nahm er selbst die Decke, und trat zögernd an sie heran.
    "Ich werde dir nichts tun." versprach er leise und begann vorsichtig, ihre Schultern trockenzureiben. Mit einem Zipfel wischte er ihr das Gesicht trocken, tupfte sanft die Tropfen von Stirn, Wangen, Nase und Kinn, und kämpfte mit dem sehr unpassenden Impuls, Stirn, Nase, Wangen und Kinn doch lieber mit heißen Küssen zu erwärmen.
    Arrecinas Haar strich er zurück, und wrang sanft das Wasser heraus. Mit der Decke rubbelte er die Haare trocken so gut es ging, und strich mit den Fingern behutsam die wirren Strähnen zurecht.


    "Du solltest das... ausziehen." Verlegen zupfte er an ihrer nassen Tunika. Mit aufmunterndem Lächeln fügte er hinzu: "Dann reibst du dich trocken, ziehst das Ding da an, und wir laufen ein Stück - nein, wir hinken, alle beide, ich mache dir einen Umschlag um den Knöchel, und such uns ein Paar Wanderstöcke - damit uns wieder warm wird. Siehst du, die Sonne kommt schon raus. Es wird sicher bald wärmer."
    Ein kalter Windstoß ließ ihn frösteln, und diese optimistischen Worte mit einem Zähneklappern untermalen. Wenn er nur nicht wieder Fieber bekam.
    Seine Hände lagen an Arrecinas Schultern, hielten die Decke, und rieben leicht damit, um sie ein wenig zu erwärmen. Er sah sie direkt an, fragend, und zugleich schwang da wieder diese seltsame, sehr 'gefühlvolle' Note von vorhin mit.

    Zitat

    Original von Artoria Medeia
    .... „Mein Name ist Olympia.“ Ihr Lächeln verschwand schlagartig als Rutger sie plötzlich um die Taille ergriff. Sie sah auf seine Hand herunter und dann zu Rutger. Etwas pikiert hob sie ihr Kinn ein wenig und sah Rutger direkt an. „Gehen alle Germanen so direkt ans Werk?“ fragte sie ihn leise.


    Direkt? Rutger fand sich nicht direkt. Aber so schöne Frauen waren eben häufiger mal etwas zickig.
    Er antwortete lächelnd: "Ja." , ließ den Arm wieder sinken, und griff statt dessen mit beiden Händen nach einem Teller, belud ihn voll, und stellte ihn zwischen Olympia und sich auf die Kline. Auch einen kleinen Brotlaib nahm er, brach ihn entzwei, und reichte eine Hälfte an sie weiter.
    Rutger aß für sein Leben gern Fisch, und dieser hier duftete besonders köstlich, wenn es sich auch - wie hätte es anders sein können - um äußerst fremdartige Sorten zu handeln schien. Vor allem dieser ganz platte da... Rutger betrachtete sinnierend die Scholle, und griff dann herzhaft zu, versuchte die verschiedenen Sorten von Fisch, in Kombination mit den verschiedenen Saucen, kaute, schluckte, seufzte versonnen, und spülte mit Wein nach.


    Vorzüglich. Ungeniert leckte er sich die Finger ab, und meinte dann wieder neugierig zu Olympia:
    "Du hast mir ja immer noch nicht verraten woher du stammst. Doch nicht aus dieser Stadt, oder?"
    Es erschien ihm ganz unvorstellbar, daß so eine Schönheit aus diesem stinkenden Moloch kommen könnte.
    "Arbeitest du schon lange hier? Und sag, 'Olympia', das ist doch bestimmt nicht dein richtiger Name, oder? Du siehst mehr aus wie... wie eine 'Schwanhild' zum Beispiel..."
    Den Namen sprach Rutger sehr andächtig aus, denn er fand ihn schön und war auch vor Jahren mal in eine Schwanhild verliebt gewesen, schwärmerisch und ohne erhört zu werden. Ähnlich hingerissen sah er jetzt in Olympias schöne blaue Augen, streckte dabei verträumt die Hand nach dem nächsten Bissen aus, und erwischte ein Stück Zitrone, das er geistesabwesend zum Mund führte. Scheußlich! Rutger verzog das Gesicht, und spuckte den Zitronenschnitz angewidert zu den Gräten. Anscheinend war bei diesem Mahl doch mehr Vorsicht geboten.

    Ein Rüssel zauste Rutgers Haare, er starrte etwas beklommen auf das Riesentier, das ihn da begutachtete, und lachte, als der Elefantenatem ihn kitzelte.
    "Skilfings Bart!" Was war das nur für ein wundersames Wesen? Fasziniert hob er die Hand und berührte vorsichtig den Rüssel - rauh außen, ganz weich an der Spitze. Und was für riesige Ohren!
    Als Pumillus ihn ansprach, erkannte er den 'Alben' wieder, und freute sich, denn der würde ihm sicher Auskunft geben können. Wußte man doch, dass dieses Volk so mancherlei geheime Kunde hütete, und über alles, was in Midgard, Asgard und Utgard geschah, bestens Bescheid wusste.
    "Heil Dir, weiser Albe!" entbot er ihm darum ehrerbietig den Gruß. "Kannst Du mir sagen...."


    Er stockte, als Plautius' leise Bemerkung bis zu ihm drang, und sah völlig verwirrt zu dem Centurio rüber.
    Was waren denn das für kryptische Worte? Er überlegte, was damit gemeint sein könnte. Wollte der Mann damit vielleicht andeuten, er, Rutger, sei so dreckig, daß er sich sofort verzweifelt auf ein Stück Seife stürzen würde, sobald jemand eins fallenließe? Also, das konnte er getrost an sich abprallen lassen, denn man hatte ihn gerade vorhin in der Villa noch zum Baden genötigt. Um den Stallgeruch loszuwerden, bevor er den Flavier begleitete.
    Nun ja, es blieb eine mysteriöse Bemerkung. Plautius' eisigen Blick erwiderte Rutger automatisch mit angemessener Feindseligkeit - seine Miene verdüsterte sich, die Augen wurden schmal, und funkelten den Römer finster an, die Lippen presste er fest aufeinander - aber auch mit einem Hauch Verwirrung.


    Dann zuckte er die Schultern, und wandte sich wieder an Pumillus.
    "Ehrwürdiger Albe, wohlbekannt ist Dein Volk für seine Weisheit, darum frage ich Dich, und bitte mir Kunde zu geben, wenn es Dir beliebt: Was sind dies für erhabene Geschöpfe?"

    "So." Müde sah Rutger den Flavier an, und folgte mit den Augen dem Weg des Lichtreflexes über dessen Klinge. Wie er doch diesen herablassenden Tonfall hasste. Wie er es doch überhaupt hasste, dass sein Leben in der Hand dieses unberechenbaren Mannes lag, der da vor ihm stand, sich seiner Kälte rühmte, sich mit der Macht brüstete, die er über ihn hatte... und der ihn tatsächlich jederzeit, unverzüglich - nur aus einer Laune heraus - auslöschen lassen konnte.
    "Verspotte mich nicht." bat er resigniert, traurig, und des Trotzes für heute überdrüssig.
    "Ich sagte dir doch, meinetwegen lerne ich das lesen, oder versuche es zumindest..."
    Es war ja wohl ziemlich schwer. Wahrscheinlich war er sowieso schon zu alt dafür.


    "Im übrigen, auch wenn du nur gegen die leere Luft antrittst, solltest du deine linke Schulter etwas zurücknehmen, und bedeckter halten." konnte Rutger sich nicht verkneifen zu bemerken.
    "Vor der Luft hast du zwar nichts zu befürchten, aber ein aufmerksamer Gegner würde da eine Blöße finden, denke ich." fügte er unschuldig hinzu.

    "Danke." Rutger nahm die Schüssel hungrig entgegen, und grub den Löffel tief in die Körner hinein. Als hätte er Angst, jemand könne ihm das Essen gleich wieder entreissen, führte er die Bissen schnell zum Mund, und schlang sie hastig hinunter. Es schmeckte einfach nur herrlich - warm, genug, nahrhaft. Dazwischen trank er große Schlucke Wasser. Eine wohlige Wärme und Mattigkeit erfüllte ihn nun, Dankbarkeit verdrängte den Zorn, und lächelnd hörte er Nefertiri zu. Auch wenn er nicht alles verstand was sie sagte - es klang spannend und exotisch.


    "Das hört sich aufregend an. Dann kämpft ihr wohl auch gegen die Römer?" wollte er wissen, und kratzte mit dem Löffel sorgsam den letzten Rest aus der Schale.
    "Sie scheint immer? Wirklich?"
    Er runzelte ungläubig die Stirn, und konnte sich das nicht so ganz vorstellen.
    "Ja gibt es denn keine Nacht bei euch? Und du hast noch nie von Muspelheim gehört... seltsam. Wie soll ich aussehen - wie ein Sehds? Was ist denn das, es klingt irgendwie unangenehm...hoffentlich ist es kein Ungeheuer?"
    Er grinste und unterdrückte dann ein heftiges Gähnen, reckte und streckte sich. Den Becher trank er noch leer, schob ihn zur Seite und gähnte schon wieder.
    "Kann ich mich irgendwo hinlegen, Ne-fahr-thyrri?"

    Schritt für Schritt ging es vorwärts, mühsam mußten sie gegen den Strom ankämpfen, und sich vorsichtig von Stein zu Stein hangeln, aber endlich erreichten die beiden doch festen Grund, durchnässt und frierend.
    Ohne Arrecinas Hand loszulassen, ging Rutger mit ihr am Ufer entlang, klaubte im Vorübergehen seine Sandalen auf, und machte nur kurz bei der nervös hin und her trippelnden Stute halt, um auch sie mitzunehmen, ein Stück in den Wald hinein, wo die Luft weniger feucht war, und das Rauschen des Wasserfalls nicht mehr alles übertönte.


    Am Fuße einer bemoosten Kiefer blieb er stehen. Auch hier drangen nun ein paar schüchterne Sonnenstrahlen durch die dichten Zeige, und malten kleine helle Flecken auf den dunklen Waldboden.
    Er ließ Arrecinas Hand jetzt los, und sah sie mit gemischten Gefühlen an. Was für ein heilloses Durcheinander. Er suchte nach Worten, sammelte seinen Atem, setzte zum Sprechen an - und sagte dann doch ganz was anderes:
    "Du brauchst erst mal was trockenes zum Anziehen."
    Seine Kehle war rauh. Er wischte sich die Nässe aus dem Gesicht, und begann, in dem Bündel auf Phaidras Rücken herumzuwühlen.
    "Hier die Decke."
    Er legte die verbliebene, trockene Decke neben Arrecina über einen Ast.
    "Und das hier."
    Er kramte noch eine grobwollene Tunika hervor, die er dem Hirten entwendet hatte, und plazierte sie daneben. Besorgt sah er dann die roten Tropfen an ihrem Schienbein hinunter rinnen.
    "Ist es schlimm? Und dein Fuß, hast du ihn dir vertreten, im Wasser?"


    Rutger wrang die nasse Decke aus, und packte sie auf das Pferd. Als es plötzlich ganz in der Nähe laut im Unterholz knackte, wirbelte er gehetzt herum, die Hand um den Griff des Dolches geschlossen - er sah aber nur ein Reh davonspringen.
    Wieviel Zeit hatte er schon verloren? Er mußte dringend weiter. Hoffentlich machte Phaidra das ganze noch eine Weile mit.

    Kräftig fasste Rutger Arrecina unter den Achseln, und zog sie mit einem Ruck zu sich hinauf. Einen Augenblick lang hielt er sie einfach nur fest, und war ungeheuer erleichtert. Kurz hatte er geglaubt, sie würde loslassen, und sich lieber in den Abgrund stürzen, als von ihm helfen zu lassen.
    Als er sicher war, daß sie sich selbst auf den Felsen halten konnte, ließ er die Hände langsam sinken, legte seine verbundene Rechte auf ihre, die seinen linken Arm umgriffen hatte, und sah Arrecina mit einem seltsamen, keineswegs bedrohlichen, sondern irgendwie... ja, man konnte schon sagen 'innigen', Ausdruck im Gesicht an.


    Das Wasser rauschte um den Felsen herum, Gischtfetzen flogen durch die Luft, und auch Rutger war schon völlig durchnässt. Er bemerkte die Nässe und die Kälte aber gerade ebensowenig wie seine mannigfaltigen Blessuren - nein, Rutger sah nur Arrecinas dunke Augen, gesäumt von ihren fein geschwungenen Wimpern, in denen die Wassertröpfchen wie kleine Perlen standen. Mit den nassen Haaren, den bläulich angelaufenen Lippen, und dazu so umwogt von Nebelschleiern, erschien sie ihm wie ein geheimnisvoller und wunderschöner Wassergeist...
    Zu allem Unglück kam in diesem Moment zum ersten Mal am Tag die Sonne hinter den Wolken hervor. Sie sandte ein paar blasse Strahlen durch den Nebel, und ließ eben jene Wassertröpfchen auf Arrecinas Wimpern hell aufschimmern - es sah ganz zauberhaft aus, unsagbar schön... Rutger wurde sehr seltsam zumute...


    Er erschrak, und sah schnell woanders hin. Aber zu spät. Leicht schüttelte er den Kopf, so als ob er damit auch dieses höchst unpassende... Gefühl... abschütteln könnte. Mit festem Griff fasste er dann Arrecinas Hand, deutete energisch zum Ufer zurück, und nahm ihr noch die schwere vollgesogene Decke ab. Vorsichtig ließ er sich dann als erster ins Wasser heruntergleiten, grub die Zehen in den Boden, und stemmte sich gegen die Strömung, um sich mit Arrecina zusammen den Rückweg zu erkämpfen.

    "Arrecina! Nicht!" Das Lärmen des Wasserfalls verschluckte Rutgers Stimme. Kalt lief es ihm über den Rücken, als er sah, wie haarstäubend sie über dem Abgrund entlang balancierte. Nur ein Fehltritt, und sie würde in die Tiefe stürzen, ihr zarter Körper von den spitzen Felsen zerschmettert werden...
    Phaidra sank mit den Vorderhufen schon tief im schlammigen Boden ein, und unwillig wich sie zurück. Schnell rutschte Rutger von ihrem Rücken herunter, warf die Zügel über einen Ast, und eilte zum Rand des Wasserlaufes. Er streifte hastig die Sandalen ab - sie waren viel zu rutschig wenn sie naß wurden - und stieg durch die derben Binsen am Ufer zum Wasser hinab. Schlamm quoll zwischen seinen Zehen empor, dann erreichte er das felsige Bachbett, und stieg ohne Zögern hinein. Sofort spürte er den Sog des eisigen Wassers, die starke Strömung, die ihn nach rechts hin zu reißen versuchte, da wo das Wasser sich tosend in die Tiefe stürzte.


    Vorsichtig tastete er mit dem bloßen Fuß nach festem Grund, tat einige Schritte bis zum nächsten großen Felsen - das Wasser umströmte den Steinklotz wie einen Wellenbrecher - und erklomm ihn gewandt. Arrecinas Gestalt zeichnete sich undeutlich durch den Nebel und die Schleier von Wasserspritzern ab. Rutger schirmte die Augen gegen die Tropfen ab, sah sie waten, klettern, und - bestürzt weiteten sich seine Augen - abrutschen und fallen!
    Hamingja hilf! Doch sie hielt sich, fest an einen Felsvorsprung geklammert, während die Strömung ihren Mantel schon unerbittlich gepackt hatte, und ihn über den Rand des Abgrundes hinweg zerrte.


    Rutger überlegte nicht lange. Er maß den Abstand zwischen seinem Standpunkt und dem Felsen, an dem sich Arrecina festhielt, mit den Augen, atmete tief ein, und stieß sich mit aller Kraft ab, zu einem riskanten Sprung über das turbulente Wasser hinweg. Es brauste und schäumte weiß unter ihm, dann kam er etwas über Arrecina auf dem Felsen auf. Wild ruderte er mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu finden, aber sein verletztes Bein ließ ihn wieder im Stich, und er rutschte auf dem nassen Stein ab, und schlug mit den Knien auf. Den Schmerz spürte er aber gerade kaum, und sofort griff er mit beiden Händen nach der kleinen Römerin, wollte sie an den Schultern packen, um sie hoch auf den Felsen hinauf zu ziehen.

    Nebelschwaden trieben über den Boden hinweg. Dunkler Efeu rankte sich an knorrigen Stämmen empor, und graue Flechten hingen wie Bärte von den Zweigen herunter, unter denen Rutger langsam hinwegritt. Er fragte sich, welche wilden Tiere wohl in diesem fremden Wald hausten, und hielt den Dolch gezückt, als er sich der Gruppe alter Bäume näherte... legte den Kopf schief... da war doch ein Rascheln...


    Da! Wie ein Hase sprang die kleine Römerin plötzlich auf und floh. Mit erwachtem Jagdinstinkt steckte Rutger schnell den Dolch weg, ergriff die Zügel wieder mit beiden Händen und ließ Phaidra rasch antraben, um sich an Arrecinas Fersen zu heften. Knapp lenkte er die Stute zwischen den dichtstehenden Bäumen hindurch. Die Hufe schlugen dumpf auf den Waldboden, Zweige peitschten ihm ins Gesicht, und krachend brach die Stute durch das Unterholz. Um ein dorniges Dickicht herum schlug er einen Bogen, verlor Arrecina kurz aus den Augen, und sah dann wieder ihren flatternden Mantel. Das Rauschen war lauter geworden, und schien jetzt ganz aus der Nähe zu kommen.
    Mit einem gewagten Sprung ließ er Phaidra über einen Graben hinweg setzen, an dessen Grund trübes Wasser stand. Hier war der Wald etwas lichter, und er holte schnell auf.


    Schon war das Mädchen fast in Reichweite, und er spornte Phaidra an, um ihr den Weg abzuschneiden, als unvermutet die Bäume zurückwichen, und sich vor Jäger und Gejagter eine neblige Lichtung auftat. Ein malerischer Wasserfall stürzte sich prasselnd von hoch aufgetürmten Felsen, und erfüllte die Luft mit vielen kleinen Wassertröpchen.



    Das Wasser sammelte sich in einem breiten Bassin, und floss dann in vielen kleinen Bächen über den abschüssigen Boden bergab, zwischen runden Steinen und struppigen Büscheln von dicken dunklen Binsen hindurch.