Beiträge von Rutger Severus

    "Zu Dominus Flavius Furianus. So. Ja, er beliebt zur Zeit wieder, hier zu verweilen. Nun gut." Mißmutig bedeutete Ajax dem Besucher einzutreten. "Au-roo-raa!"
    Hektisch wuselte das dünne junge Sklavenmädchen heran, und piepste "Jawohl?"
    "Führe diesen Herren hier ins Atrium." befahl Ajax ihr mürrisch. "Und sag Dominus Flavius Furianus, daß sein Klient Marcus Helvetius Cato zur Salutatio erschienen ist. - Wiederhole, was ich dir aufgetragen habe!"
    "Jawohl. Ich führe Dominus Flavius Furianus ins Atrium... äh, nein, also ich meine den Klienten, und sage ihm, daß...äh..."
    "Nichtsnutziges Ding."
    "Jawohl." Aurora betrachtete angelegentlich ihre Zehen.
    "Nun lauf schon."
    "Wenn Du mir bitte folgen möchtest, Herr." leierte sie, ohne Cato anzusehen, und geleitete ihn nervös in das Innere der Villa.

    Auroras Schritte waren ein leises Trippeln auf dem Mamor. Im Atrium angekommen führte sie den Besucher, an herrschaftlichen Statuen vorbei, und über ein kunstvolles Bodenmosaik hinweg, direkt zu einer elegant geschwungenen Mamorbank. Schüchtern wies sie auf die Sitzgelegenheit, und wisperte: "Wenn du vielleicht Platz nehmen möchtest, Herr?"
    Schon war sie wieder unterwegs, um Furianus zu suchen, und ihm zaghaft Bescheid zu geben, daß sein Klient - dessen Name ihr in der Zwischenzeit schon wieder entfallen war - im Atrium auf ihn wartete.

    Kapitel II - Die einsame Villa in den Bergen


    Verbissen kämpfte Rutger sich den Hügel hinauf, ganz plötzlich stand er dann auf einem befestigten Weg, der von hohen und spitzen Zypressen in regelmäßigen Abständen gesäumt wurde. Vor ihm lag die Villa, und sie sah recht 'wirklich' aus: ein herrschaftlicher Bau, die Fenster hell erleuchtet, umgeben von einer Mauer, die an einigen Stellen verfallen war. Er ging weiter, und kam zu einem hohen Torbogen, hölzerne Torflügel füllten ihn aus, sie hingen etwas schief in den Angeln, waren aber mit prachtvollen Metallbeschlägen verziert.
    Rutger trat unter den Bogen - man war da vor dem Regen geschützt - verlagerte vorsichtig Arrecinas Gewicht auf seinen Schultern, und griff beherzt nach dem Türklopfer. Schwer und eisig lag der in seiner Hand, als er fest an das Tor klopfte. Es dröhnte dumpf, dreimal, dann war wieder nur das Strömen des Regens zu hören.


    Und dann öffnete es sich einen Spalt, der Schein einer Laterne drang hindurch, und blendete Rutger. Vor sich sah er undeutlich einen dürren Mann, dessen raubvogelhaftes Gesicht von unten her seltsam angeleuchtet wurde. Er trug die Laterne in der einen Hand, in der anderen ein blankes Gladius. Seine Augen lagen in tiefen Schatten. Ausdruckslos sah er auf Rutger.



    "Ich... wir wurden überfallen..." setzte Rutger an. Er war kein guter Lügner. "Meine... Herrin ist verletzt, und..." -
    Der Wächter schnitt ihm das Wort ab: "Ja, wir haben früher mit euch gerechnet. Nichts ernstes, hoffe ich?"
    Er steckte das Gladius weg, und winkte Rutger hinein. Der folgte verblüfft der Aufforderung, und trat auf den weitläufigen Vorplatz des Haupthauses. Sie wurde beherrscht von der Statue eines athletischen Mannes, der soeben den Bogen spannte, und auf etwas zu zielen schien. Auf was, war schwer zu sagen, da ihm der Kopf fehlte. Da war nur eine scharfe Bruchstelle zwischen den Schultern geblieben.
    "Aber ihr kommt doch noch rechtzeitig. Manch anderer ist von dem Unwetter aufgehalten worden. Die Domina ist sehr ungehalten."
    Der Wächter hatte eine scharfe, metallisch schnarrende Stimme.
    "Ich bin Casca. Gib mir deine Waffe, und wir bringen die junge Antonia gleich hinein. Wie heißt du?"
    Nur zögernd gab Rutger seinen Speer aus der Hand. Es schien ihm doch, als würde hier eine Verwechslung vorliegen, aber er hatte nicht das Bedürfnis, diese aufzuklären. "Remus" log er, trug Arrecina, dem schwankenden Lichtschein folgend, über den Platz, und trat dann hinter Casca in das Hauptgebäude der Villa.


    Die Tür schloss sich hinter ihnen, sperrte Regen und Gewittersturm aus. Rutger hinterließ schlammige Fußabdrücke als sie in das Atrium gelangten, das von unzähligen kleinen Öllämpchen hell erleuchtet war. Sie flackerten, da es beständig zog. Verblichene Fresken zierten die Wände, und in einer silbernen, schon etwas angelaufenen Vase prangte ein riesiger Strauß weißer Asphodelen.
    Eine junge Frau in schlichter Tunika kam ihnen entgegen. Ihr welliges Haar hing unordentlich in ihr rundes Gesicht, und sie duckte sich ein wenig, als Casca ihr herrisch befahl: "Kümmere dich um die Antonia hier! Sie wurde überfallen und ist verletzt." Abschätzig wies er auf die Frau. "Das ist Olivia." Dann auf Rutger. "Und das ist Remus. Der... Sklave? Leibwächter? ... der Antonia."
    "Leibwächter." sagte Rutger hastig. Casca verzog kurz spöttisch das Gesicht, nickte, und verschwand - mit dem Speer.



    "Bitte, folge mir." Olivia führte Rutger in ein großes Gästezimmer hinein. Ein Feuer brannte knisternd in einem großen Kamin, schwere Vorhänge hingen vor den Fenstern, und auf einem breiten Bett mit kunstvoll verzierten Pfosten konnte Rutger Arrecina endlich ablegen. Verstohlen strich er ihr über die Wange, und bettete sie sorgsam, bevor er sich wieder aufrichtete. Angenehm warm war es in dem Zimmer, wenn auch etwas stickig. Die Bettvorhänge waren aus tiefgrünem, silbern durchwirktem Stoff, rochen jedoch staubig und waren an vielen Stellen mottenzerfressen. Doch all dies bemerkte Rutger nur nebenbei. Hilflos sah er auf Arrecina hinunter, bis Olivia ihn sanft am Arm fasste. "Was ist überhaupt passiert?"


    "Sie ist vom Pferd gefallen, und..." Rutger wies auf die Platzwunde, die deutlich sichtbar war, da sich der improvisierte Verband schon wieder gelöst hatte.
    "Ich kümmere mich um sie." Olivia verschwand kurz, kam dann mit einem Krug warmen Wassers und sauberen Leinentüchern zurück, und begann mit sicheren Handbewegungen die Wunde auszuwaschen. Sie strich auch ein Wundsalbe darauf, und legte einen frischen festen Kopfverband an. Anfangs sah Rutger ihr noch genau auf die Finger, aber schließlich setzte er sich müde vor den Kamin, und genoß die Wärme. Ganz träge wurde er davon. Überrascht sah er auf, als Olivia auf einmal wieder vor ihm stand.
    "Du bist auch verletzt? Ich kümmere mich später darum, erst mal braucht mich noch deine Herrin. Komm erst mal mit."
    Sie verfrachtete Rutger in ein kleines Nebenzimmer, wo er sich waschen und ausruhen konnte, und sie brachte ihm sogar eine frische Tunika, bevor sie sich wieder Arrecina widmete. Leise summte sie ein kleines Kinderlied vor sich hin, während sie ihr sanft die nassen Sachen auszog, und sie dafür, wie eine Puppe, in eine warme und trockene Schlaf-Tunika kleidete. Olivia klopfte die Kissen zurecht, stopfte die Decke fest um Arrecina, und wandte sich dann dem Kamin zu. Es knackte und prasselte, und der rote Schein beleuchtete hell ihr angespanntes Gesicht, als sie noch ein paar Scheite in die Glut legte, um einen Wärmstein für Arrecinas kalte Füße heiß zu machen.

    Auf seinen Speer gestützt, irrte Rutger, vom Sturm umtost, über das trostlose Ruinenfeld, und suchte nach Arrecina. Stockdunkel war es um ihn, nur die Blitze erleuchteten immer wieder den Himmel, und gaben ihm schnappschußartige Eindrücke der Umgebung: ein vom Regen glänzender Stein, in den riesig das Muster von Widderhörnern eingegraben war - eine von Dorngestrüpp überwucherte Mauer, auf der noch Bruchstücke eines bunten Freskos mit fliegenden Vögeln zu erkennen waren - immer wieder Stellen, an denen die Grasnarbe aufgerissen war - vergilbte Knochen, die verstreut in einer dieser Gruben aus dem Erdreich ragten... Plötzlich stand er einem greulichen Mischwesen gegenüber, halb Mensch, halb Vogel, das gierig die Krallen nach ihm reckte! Ziu hilf! Es war aber zum Glück nur aus Stein, und ein breiter Riss zog sich quer durch die schnabelbewehrte Fratze. Mit klopfendem Herzen schlug Rutger schnell das Zeichen von Donars Hammer. Und da, im Wind lag schon wieder dieser Ton - schrill, bösartig, unirdisch... es lief Rutger eisig über den Rücken, und seine Nackenhaare sträubten sich.


    Angespannt sah er um sich, und erblickte in diesem Moment Arrecina, regungslos auf dem Boden liegend. Schnell lief er zu ihr. Ein Blitz zuckte auf, zeigte ihm ihr bleiches Gesicht, durchzogen von blutigen Rinnsalen, die in diesem Licht ganz schwarz aussahen.
    "Arrecina!" Entsetzt beugte er sich über sie. Sie war doch nicht etwa... er kniete sich in den Schlamm, zog ihren Oberkörper auf seine Knie, und hielt sie vorsichtig. Frowe Hulda sei Dank! Sie atmete.
    "Arrecina! Kleines, hörst du mich? Wach auf!"
    Hastig riss er von seiner schon sehr ramponierten Tunika einen Streifen ab, wischte ihr das Blut aus dem Gesicht, und sah betroffen die große Platzwunde an ihrer Schläfe. Mehr schlecht als recht legte er den Stoff als Verband fest um ihren Kopf herum. Behutsam stützte er ihre Schultern, ihren Kopf, und hielt sie so, während er zögernd in Richtung des Lichtscheins sah. Vielleicht konnte er dort Hilfe für sie finden? Aber was wenn sie aufwachte, und ihn verriet? - Wie auch immer. Entschlossen hob er sie hoch, legte sie vorsichtig über seine Schultern, und erhob sich auf den Speer gestützt. Mühselig war der Weg, den er, im strömenden Regen durch den Schlamm hinkend, mit der Last auf den Schultern zurücklegte, doch Schritt für Schritt näherte er sich den Haus, das er, an diesem so unwahrscheinlichen Ort, vorhin erblickt hatte. Er hoffte nur, daß es nicht ein böser Streich der Geister dieser Berge war - wusste man doch, daß um diese Jahreszeit herum die Schleier zwischen den Reichen dünn waren, und ihre Macht zu schaden sehr groß.

    Das war zu viel für Phaidra. Panisch riss die Stute den Kopf hoch, Schaumfetzen flogen von ihren Lefzen, sie stieß ein schallendes Wiehern aus - und bäumte sich auf. Ihre Mähne flatterte, und ihre Hufe sausten durch die Luft, als sie stieg. Krampfhaft klammerte Rutger sich mit den Knien fest, versuchte die Zügel zu halten, die zappelnde Arrecina, seine Waffe... doch er verlor den Halt, rutschte rücklings über Phaidras Kruppe, und stürzte platschend in eine schlammige Lache.
    Da lag er nun, sah benommen den finsteren Himmel über sich, aus dem der Platzregen auf ihn hinunterprasselte, sah wirbelnde Hufe, Phaidras in Panik weitaufgerissene Augen, und dann entfernte sich das Geräusch ihrer Hufe sehr schnell. Benebelt, etwas ungläubig hob Rutger den Kopf, und sah das Pferd - seine Hoffnung auf Flucht - mit wehendem Schweif davonpreschen, und von der Finsternis verschluckt werden. Verdammt. Das konnte doch nicht wahr sein.


    Er lies den Kopf wieder sinken, und lag einen Moment lang so im Schlamm, die Augen geschlossen, ohne sich zu rühren. Der Regen rann über sein Gesicht. Die Seite, auf der aufgeprallt war, schmerzte. Seine Wunden sowieso. Das war wohl der Tiefpunkt - und einen Moment lang haderte Rutger erbittet mit seinem Schicksal, das ihm stets neue Widrigkeiten in den Weg legte, ach was, heimtückisch Knüppel zwischen die Beine warf! Welchen Gott hatte er verärgert, daß der solch einen Groll gegen ihn hegte? Warum nur knüpften die Nornen seinen Lebensfaden zu solch einem wirren Knoten? Und wie es aussah, würden sie ihn bald ganz abschneiden - war das etwa fair?!
    Nein. Aber, nachdem er sich einen Augenblick - wirklich nur einen ganz kurzen - des Selbstmitleides erlaubt hatte, gedachte Rutger wieder des kühnen Wahlspruches seiner Ahnen:
    "Wenn etwas ist, gewaltger als das Schicksal /
    So ists der Mut, ders unerschüttert trägt."


    Er erhob sich, ein Ächzen unterdrückend, aus dem Schlamm. Nicht viel konnte er um sich herum erkennen: düstere Ruinen, trübe Pfützen, dann war da noch eine Grube, auch schon mit Wasser vollgelaufen, an deren Rand Schaufel und Spitzhacke lagen - seltsam. Und von der Hügelkuppe, wo er eben, während des Blitzes, die Umrisse der Villa gesehen hatte, ging, vom Regen gedämpft, ein leichtes Schimmern aus, ein warmes Licht wie von hell erleuchteten Fenstern.
    "Arrecina?" Rutger wischte sich den Regen aus dem Gesicht, und sah sich suchend um. Da lag seine Waffe im Schlamm. Er bückte sich, hob sie auf, und lies seinen Blick weiter durch das Ruinenfeld schweifen.
    "Arrecina!" rief er gegen das Heulen des Windes. Wo war die kleine Römerin?

    Ajax


    Ein schwerer Türflügel schwang langsam auf, und kritisch begutachtete der schwarzbärtige Thraker den Besucher. Bedenklich wiegte er dabei den Kopf hin und her, wobei die Kette, die ihn an die Porta fesselte, leise rasselte. Schon wieder eine Uniform. Wohin waren nur die Zeiten entschwunden, als es undenkbar gewesen wäre, seinen Herren die Aufwartung zu machen, ohne sich dafür in eine Toga von vollendetem Faltenwurf zu hüllen? Ajax hatte da hohe Ansprüche. Allerdings... dieser Mann sah aus wie ein Denker. Vielleicht konnte er Ajax bei der schwierigen Frage behilflich sein, die ihn schon den ganzen Tag umtrieb?
    Nicht sehr einladend grollte er: "Salve. Was ist dein Begehr?"

    Ajax


    "Die Hausherren. So."
    Ajax' kritischer Blick schweifte über die beiden Soldaten, musterte sie von oben bis unten, und verharrte dann - mißbilligend - auf dem unrasierten Kinn des Centurios. Und dann - resigniert - auf seinen Rangabzeichen.
    "Hmpf. Die Hausherren sind gerade sehr beschäftigt. Ihr werdet wohl etwas warten müssen."
    Er drehte sich, und rief barsch ins Haus hinein: "Aurora! Komm her! Und Diomedes!"
    Während er auf deren Erscheinen wartete, verschränkte er abweisend die baumstarken Arme, und behielt die Soldaten finster im Auge - nur aus Prinzip.


    Trippelnden Schrittes erschien ein schmales junges Mädchen mit fest zurückgeflochtenen schwarzen Haaren. "Ja?" piepste sie eingeschüchtert
    "Lauf, und sag Dominus Flavius Gracchus Bescheid, daß ein Centurio der Cohortes Urbanes ihm seine Aufwartung zu machen wünscht. Oder Dominus Flavius Furianus. Oder vielleicht sogar...Nein."
    Nein, Flavius Felix belästigte man besser nicht einfach so, das konnte arg ins Auge gehen. Weilte er überhaupt noch im Hause? Ajax hatte keine Ahnung.
    "Jawohl." wisperte das Mädchen leise.


    Diomedes, ein glatzköpfiger Schrank, trat ebenfalls heran, und besah sich kalt die beiden Besucher.
    "Und du," wandte Ajax sich an ihn, "begleitest die beiden Herren ins Atrium." Er dämpfte die Stimme, um ihn vertraulich anzuweisen: "Und sieh ihnen auf die Finger. Nicht daß sie was einstecken. Man weiß ja nie."
    Diomedes nickte. Der Thraker trat zur Seite, und bedeutete den beiden Soldaten gnädig, dem anderen Sklaven zu folgen.


    Sim-Off:

    Danke.

    Diomedes


    "Hier entlang." Bestimmt wies der grobschlächtige Sklave den Besuchern den Weg, und führte sie, von der Porta, über hallende Mamorböden, direkt in die kühle Pracht des Atriums hinein. Licht flutete von oben herein, glänzte auf der glatten Wasseroberfläche des Impluviums, und leuchtete die imposanten Mamorstatuen, die sich dort befanden, auf das vorteilhafteste an. Mit kühler Majestät sahen die flavischen Kaiser Vespasianus, Titus und Domitianus erhaben auf die Besucher herab.
    "Wartet hier."
    Diomedes tat einen Schritt zur Seite, stand still, und schien selber schon zur Statue zu werden. Nur seine Augen waren weiterhin wachsam auf die Besucher gerichtet. Man wußte ja nie.


    Währenddessen war Aurora schon eilends auf den Weg, um die Besagten, Gracchus oder Furianus, oder wen auch immer sie finden konnte, von dem Besuch der beiden Soldaten zu unterrichten - schüchtern, mit fast versagender Stimme, und immer nur auf ihre Zehen starrend.

    Ajax


    An diesen Tag konnte Ajax sich einfach nicht konzentrieren. Wieder und wieder ging er die Szene durch, in der Glorias wilde Horde das feindliche Schiff enterte, aber irgend etwas stimmte daran noch nicht. So war er ganz froh, als es mal wieder an der Türe klopfte, und reagierte recht prompt.


    Die Porta schwang auf. Grimmig baute sich der bullige Ex-Raubtierwärter im Türrahmen auf, die Kette um seinen Hals klirrte leise, und unheilvoll starrte er den Sklaven, der geklopft hatte, an - ein guter Ianitor durfte nie zu freundlich sein, hatte er mal gelernt.
    "Salve, was willst du..." grollte er automatisch, und erkannte im selben Moment überrascht dahinter Flavius Furianus.
    "Oh, Herr! Willkommen zurück, Herr." Ajax neigte sein zottiges Haupt vor dem Flavier, trat beiseite, und hielt ihm dienstbeflissen die Türflügel auf.

    Ajax


    Armer Ajax! Seit dem üblen Malheur mit der jungen Herrin und dem germanischen Wilden war der bullige Thraker seines Lebens nicht mehr froh geworden. Zwar waren die Strafen bisher zu verschmerzen gewesen, aber er befürchtete sehr, daß er in der Ruhe vor dem Sturm lebte, daß das dicke Ende noch kommen würde. Und das würde dann um so schrecklicher sein...


    Zur Zeit mußte er den Ianitor vertreten, und zu diesem Zweck hatte man ihn, dem altertümlichen Brauch entsprechend, und auch zur Strafe, am Türrahmen festgekettet. So wartete Ajax nun also auf Besucher, flocht dabei seinen krausen schwarzen Bart, und versuchte, sich von dem schlimmen Schicksal, das ihm noch blühen mochte, abzulenken, indem er sich neue Geschichten von Gloria, der verwegenen Amazone, ausdachte. Gloria war unter die Piraten gegangen, und stand soeben am Bug ihres Schiffes, die Segel blähten sich, und kühn hielt sie auf die Flotte weihrauchbeladener alexandrinischer Galeeren zu. Reiche Beute winkte, als... -


    Es klopfte. Und dann schon wieder. Widerstrebend riss Ajax sich aus seiner Traumwelt los, straffte sich, und öffnete ohne Hast einen der schweren Türflügel. Finster sah der breitschultrige Thraker auf die beiden Gardisten. Auch das noch. Na wenigstens keine Prätorianer.
    "Salve die Herren. Was wünscht ihr?" knurrte er, und erinnerte ihn diesem Moment mit seiner mißmutigen Miene, und der Kette um den Hals, mehr denn je an einen bissigen Wachhund.

    Kapitel I : Das Unwetter


    Gewaltige Sturmböen jagten durch das Tal. Laut aufheulend bogen sie die Bäume, und wirbelten Laub und Kiefernnadeln hoch auf. Schwarze Gewitterwolken verdunkelten den Himmel, an dem noch vor kurzer Zeit hell die Sonne geschienen hatte. Jetzt war mit einem mal die Dämmerung hereingebrochen. Ein düsteres Zwielicht erfüllte das Tal, nur von Zeit zu Zeit zuckte, noch entfernt, ein Blitz auf, und beleuchtete mit seinem kalten Schein die bedrohlichen Wolkentürme am Himmel, die schroffen Felswände des Tals, und die angespannten Gesichter von Arrecina und Rutger. Unvermittelt waren sie in diesen Aufruhr der Elemente hineingeraten, und nun suchten sie dringend nach einem Unterschlupf....


    Phaidra wieherte aufgepeitscht, und riß den Kopf in die Höhe. Fest umklammerte Rutger die Zügel, doch sie rutschten ein Stück durch die steifen Finger seiner verletzten Hand, bevor er sie wieder im Griff hatte. Fast hätte er seinen Speer fallen lassen. Ein Hagel von losen Rindenstückchen, Erde und Kiefernzapfen flog ihnen um die Ohren, und als er Arrecina knapp antwortete "Wir finden schon was. Beruhige dich." klang das eher gereizt. Wieder legte er fest den Arm um ihre Taille. Die steile Wand des Tales kam nun vor ihnen in Sicht, Rutger ritt schnell darauf zu, dann daran entlang, und hielt im Halbdunkel angespannt Ausschau nach einer Stelle, wo die Felsen vielleicht Schutz bieten würden. Nichts dergleichen war da zu sehen, nur glatte Wände und Geröll.
    Wieder brach ein Ast, und prallte direkt hinter ihnen auf den Boden - die Stute tat einige nervöse Sprünge nach vorne, und schüttelte ihre Reiter dabei ordentlich durch.


    Der Sturm toste. Sie mußten unbedingt aus dem Wald heraus. Auch zu den Felswänden hinauf warf Rutger einen bedenklichen Blick. Wenn da jetzt nur nicht herunterpolterte. Entnervt trieb er die Stute weiter, da plötzlich wichen vor ihnen die schroffen Felsen zurück, und im Dämmerlicht zeigte sich statt dessen ein grasiger Hang, der, nicht allzu steil, da vor ihnen anstieg. Sofort trieb Rutger Phaidra dorthin, und mit großen Sprüngen galoppierte sie auf die Schräge zu. Schon war der Wald hinter ihnen nicht mehr sichtbar, sie flogen förmlich den Abhang hinauf, der Sturm brandete um sie herum, und dann klatschten ihnen die ersten Regentropfen ins Gesicht. Nur wenige Augenblicke später öffnete der Himmel vollends seine Schleusen, und ein Platzregen fiel, mit lautem Prasseln, ein Trommelfeuer dicker Tropfen, die hart auf die Reiter herunterpeitschten.
    Bis Phaidra den Hang überwunden hatte, und das Tal hinter ihnen lag, waren sie bis auf die Haut durchnässt. Rutger kniff die Augen zusammen, um überhaupt noch etwas zu erkennen. Bäche von Regenwasser liefen ihm übers Gesicht, und sein Haar klebte klatschnass in der Stirn. Immer noch hielt er Arrecina fest mit einem Arm umschlungen, und seine Sorge um sie wuchs.


    Was war das? Schemenhaft zeichneten sich vor ihnen, vom Regen ganz verwischt, Mauerreste ab. Als sie näher kamen, konnten sie eine Reihe verwitterter Ruinen erkennen - niedrige, gedrungene Bauten mit gerundeten Wänden, die Steine von Efeu überwuchert, und von der Zeit geschwärzt, die Dächer längst weggesackt. Vielleicht könnten sie da ein wenig Schutz finden? Rutger ritt auf das nächstliegende Gemäuer zu. Die niedrige Türöffnung war ganz schwarz, und erschien ihm wie das geöffnete Maul eines geduckt lauernden großen Tieres. Er schauderte unwillkürlich. Über der Türe sah er ein verwittertes Relief in den Stein gemeißelt, erkannte vage die verknäuelten Formen von Schlangen und von großen Greifvögeln mit spitzen Schnäbeln.
    Wieder brüllte der Sturm, und peitschte den Regen beinahe senkrecht gegen die beiden. Aber war da nicht noch etwas anderes?
    Da! Ein schrilles Wehklagen wehte mit dem Wind, ein dissonanter falscher Ton, bei dem es Rutger kalt den Rücken hinunterlief. Erschrocken sah er auf, faste Arrecina fester, und auch seinen Speer.


    In diesem Moment fuhr gleißend ein Blitz vom Himmel, und tauchte alles in sein kränklich bleiches Licht. Jenseits der Ruinen, auf einer nahen Hügelkuppe zeichnete sich, nur einen Wimpernschlag lang, ganz deutlich, scharf die Silhouette einer herrschaftlichen Villa ab... Fast im selben Moment grollte ohrenbetäubend der Donner.

    Als Aquilius' Schritte sich näherten, wandte Rutger sich ihm zu, mit auf einmal gar nicht mehr so gelöster Miene. Die Stäbe stützte er leicht auf den Boden, und ließ seine Hände darauf ruhen, während der Römer herantrat.
    "Sie ist sehr schön." gab er zu.
    "Und so besonnen. - Ist das nicht..." - seine Stirn legte sich in Falten, als er angestrengt versuchte, sich an etwas zu erinnern, das lange her war - "...mit der Eule, das ist doch... A-thy-naia, nicht? Die diese arme Weberin in eine Spinne verwandelt hat, und einen verkrüppelten Schmied zum Mann hat, den sie ständig betrügt. Oder?"
    Fragend sah er Aquilius an.


    "Ich habe mal ein Bildnis von ihr gesehen, in Colonia." fügte er dann, etwas zögernd, hinzu. "War aber kleiner. Und nicht so weiß."
    Er tat einen Schritt an den Rand des Teiches, neben ein akkurat abgezirkeltes kleines Röhricht mit Schilf und braunen Rohkolben, in dem es leise knisterte. Bunte Fische stiegen bis an die Wasseroberfläche auf, und einige, gewöhnt daran stets gefüttert zu werden, sperrten weit ihre dicklippigen Mäuler auf.
    "Ist das hier für euch ein Heiliger Hain?"

    Beruhigt schloß Rutger wieder die Augen, zog die Decke um sich, und vergrub sein Gesicht in dem Laken. Ein kurzes Lächeln zog über sein Gesicht hinweg, als er noch mal die Hand hob, und seine Schulter berührte, da wo Nefertiri ihn vorhin gestreift hatte. Was für ein seltsamer Tag... er war in der größten Stadt der Welt... am Morgen noch in der stinkenden Massenunterkunft für die "Ware" des Keltenhändlers... jetzt hier in dieser kalten und pompösen Villa... er hatte Syagrius umgebracht... das hatte ihm wirklich gutgetan... sein neuer "Besitzer" hatte ihm auch noch dabei geholfen... verwirrend... endlich war er die Fesseln los... und dann war er dieser einfach nur unwiderstehlichen Frau begegnet... die sich ihm leidenschaftlich hingegeben hatte... warum auch immer... ja, ein ganz seltsamer Tag...
    Rutgers Atem ging ruhiger, und seine Züge entspannten sich. Schon bald schlief er tief und fest.

    Zitat

    Original von Artoria Medeia
    Hochmütig kletterte Pumilus auf eine Kiste hinauf, um etwas näher der Augenhöhe von Rutger zu sein. Dort verschränkte er die Arme und tat so als ob er eine ganz wichtige Person sei. Das gefiel dem kleinen Pumilus durchaus. „Das ist ein Eee---leee--- faaaant! Elefant! Diese Tiere entstammen dem wilden Land, was man auch Africa nennt. Dort leben schwarze Männer, es gibt dort Schlösser aus Gold und Bäche aus purem Silber. Und aus den Zähnen dieser Tiere macht man den schönsten Schmuck. Es ist weißes Gold. Und es gibt dort Ungeheuer, Katzen mit Menschenköpfen und Vögel, so groß wie Menschen, die jedoch nicht fliegen können. Und natürlich Löwen. Hast Du schon mal einen Löwen gesehen...ähm...wie heißt Du eigentlich?“ Dabei fiel ihm wieder Olympia ein. Er trat auf Rutger einen Schritt näher. „Und dass wir uns recht verstehen, Olympia gehört mir. Rühr sie ja nicht an, sonst trifft Dich mein Alben...äh...fähigkeiten...jawohl.. meine Albenfähigkeiten!“


    Staunend lauschte Rutger Pumillus' kleinem Vortrag. Sonst war es still in dem Elefantenstall, nur das Stroh raschelte, und von Zeit zu Zeit klirrte eines der Fußeisen auf. Ein Geräusch, das höchst unangenehm in Rutgers Ohren tönte. Mitfühlend sah er auf die gefesselten Fabelwesen. Mußten die Römer denn alles in Ketten legen und in ihre Hauptstadt schleifen?
    "Weißes Gold?"
    Er kniff die Augen zusammen, um im dämmrigen Stall die Stoßzähne zu erkennen. Gedämpft drangen die Laute des Tumultes, der draußen losgebrochen war, heran. Ob er mal nach dem Flavier sehen sollte? Ach nein. Rutger hatte keine Lust dazu. Außerdem würde der bestimmt nicht zögern, laut nach ihm zu brüllen, wenn er ihn brauchte - 'wie nach einem Hund', dachte sich Rutger verschnupft, und hörte lieber noch weiter dem Alben zu.
    "Nein, einen Löwen habe ich noch nie gesehen."
    Und darüber war er eigentlich ganz froh. Hatte ihm doch Syagrius immer wieder genüßlich und farbig ein Ende als Löwenfutter ausgemalt.
    "Rutger Thidriksohn bin ich, von der Sippe der Hallvardungen, der vierte Sohn des Drichten vom Lodfyrgau." stellte er sich höflich vor. "Und wie wirst Du genannt?"


    Verblüfft hoben sich seine Augenbrauen, als Pumillus Anspruch auf Olympia erhob, und dann machte sich doch etwas Skepsis in ihm breit, denn die Drohung wirkte nicht sehr überzeugend auf ihn. Allerdings konnte man bei solchen Dingen nicht vorsichtig genug sein. All zu schnell hatte man sich einen Fluch eingefangen, unter dem noch die Kindeskinder leiden mußten. Zu dumm, daß er dem Alben gerade einfach so seinen Namen verraten hatte!
    "Sie gehört Dir? Ist sie Deine Frau - oder besitzt du ihr Seehundfell? Ähm, also woher hätte ich das wissen sollen... Und es ist ja auch gar nicht passiert..." versuchte er Pumillus zu beschwichtigen, runzelte aber dann misstrauisch die Stirn. Wie konnte er nur herausfinden, ob der Zwerg nicht vielleicht doch ein Schwindler war, ohne - falls sein Verdacht sich nicht bestätigte - sich ein mächtiges Wesen zum Feind zu machen?
    "Du - als Albe - kannst mir sicher noch eine Frage beantworten," versuchte er ihn listig zu überführen, "sag mir, wer alleine fällt nicht dem Spott des Lästerers anheim, und wer wird herrschen in den Hallen der Götter, mit dem Rächer Baldurs, wenn Surts Lohen erlöschen?"

    Zitat

    Original von Artoria Medeia
    An anderer Stelle nahm die Sklavin Olympia mit etwas Erstaunen das Stück Brot entgegen, was ihr Rutger reichte. Da er sich dem Essen widmete und sie daran teilhaben ließ, lächelte sie gut gelaunt. So musste sie immerhin nicht mitbedienen. Schließlich sollte sie sich um das Wohl der Gäste kümmern, was sie auch hier tat. Sie nahm sich ebenfalls etwas von der Scholle und aß ein Stück Brot. Ihre Augen waren fest auf Rutger gehaftet. Kauend schüttelte sie leicht den Kopf und schluckte sorgsam herunter ehe sie antwortete. „Nein, ich komme wirklich nicht aus Rom, eigentlich komme ich aus Ostia. Das ist ein wenig im Westen von hier und am Meer. Hast Du schon mal Delphin gekostet? Das dort...“ Sie beugte sich nach vorne und griff nach der Platte mit dem Delphinfleisch. Ihre Tunika rutschte dabei an ihrem Schenkel etwas nach oben und entblößte das untere Drittel ihres Oberschenkels. Sie schien es jedoch nicht zu bemerken. Sie gab einen großen Fischbrocken auf den Teller und deutete aufmunternd darauf. „Swwan..Scrranhild? Ich weiß nicht wer das ist, aber ich heiße wirklich Olympia. Der Name wurde mir von dem Sklavenhändler gegeben damals...als ich ein Kind war.“ Etwas erstaunt beobachtete Olympia wie Rutger die Zitrone nahm, aber ehe sie was sagen konnte, biss er schon hinein. Um ihre Mundwinkel zuckte es und dann lachte sie leise als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Sie versuchte zwar das Lachen zu unterdrücken, aber immer wieder gluckste sie leise. „Verzeih...“ murmelte sie schließlich, halb lächelnd, halb zerknirscht.


    "Wie kann man nur sowas essen!?"
    Mit hochgezogenen Brauen musterte Rutger einen Moment lang "tadelnd" die lachende Olympia, und lachte dann ausgelassen mit.
    "Da probiere ich doch lieber von dem Del-fyn."
    Das tat er dann auch. Exotisch.
    "Du kommst also von der See... " Er lächelte versonnen. Vielleicht war sie ein Seehund-Mädchen aus der Tiefe, so schön wie sie war. Vielleicht hatte ihre Herrin ihre Seehund-Haut in ihrem Besitz, und Olympia mußte ihr deswegen dienen? Neugierig begann er sie über das südliche Meer hier auszufragen, und erzählte seinerseits dafür abenteuerliche Geschichten über das Nordmeer - die er alle früher von seinem ältesten Bruder gehört hatte - von den tosenden Stürmen, den schwimmenden Inseln aus Eis, und von dem riesigen Seeungetüm, das mit dem Horn auf seiner Stirn einen Schiffsrumpf mühelos durchbohren konnte...


    Mit Entdeckerfreude aß er von allen aufgetragenen Speisen, staunte über die Vorführungen, und war besonders von dem Feuerspucker ganz begeistert. Gutgelaunt, und ziemlich angetrunken beugte er sich schließlich näher an Olympia heran, sah wieder tief in diese so vergissmeinichtblauen Augen, und meinte, mit einem Funkeln in den Augen, aber sehr liebenswürdig:
    "Wollen wir nicht ein bißchen in den Garten gehen, ... und uns, ähm, vielleicht ein wenig die Sterne ansehen..."
    Wie hypnotisiert griff er wieder sanft nach einer ihrer goldenen Strähnen, spielte damit, und lächelte bezaubert, als der rote Widerschein einer Fackel schimmernd darüber hinwegwanderte.

    "Du mußt keine Angst haben."
    Rutger wischte sich eine von Arrecinas kastanienbraunen Strähne aus dem Gesicht, und fuhr ihr beruhigend übers Haar.
    "Wenn es so schnell aufzieht, ist es sicher auch schnell wieder vorbei. Wir finden schon was, wo wir uns unterstellen können."
    Er spähte suchend durch das Tal.
    "Vielleicht da hinten bei der Felswand, irgendwo."
    Mit einem schiefen Lächeln drückte er Arrecina noch mal fest.
    "Jetzt muß ich dich aber doch mal loslassen...nur kurz." murmelte er, und löste sich von ihr, um mal wieder hastig alles zusammenzupacken.
    Das Feuer trat er flüchtig aus, den mühsam gekochten Tee füllte er in den Wasserschlauch, eine der inzwischen getrockneten Decken warf er Arrecina zu, und mit viel gutem Zureden gelang es ihm dann auch, die nervöse Phaidra wieder zu satteln, zu zäumen und zu bepacken. Der Wind heulte, und ließ ihre Mähne und ihren Schweif flattern. Die fransigen Ausläufer der Wolkenfront waren schon fast über dem Tal angekommen. Es wurde, dafür daß doch erst Nachmittag war, sehr düster, und eine seltsame Spannung schien jetzt in der Luft zu liegen, so ein Knistern, daß nur darauf wartete, sich zu entladen.



    Rutger führte die Stute zu Arrecina, half ihr hoch, nahm dann seine improvisierte Frame auf, und stieg nun doch wieder hinter ihr auf. Den Schaft der Waffe stützte er auf dem Steigbügel ab, legte einen Arm um Arrecina, um ihr Halt und Trost zu geben - wenn sie den wirklich von ihm wollte - und nahm auch die Zügel auf. Die Stute setzte sich ruckartig in Bewegung, und er lenkte sie ungefähr in Richtung der Felsen. Es war ein bisschen viel auf einmal, die Zügel waren mit der verletzten Hand schwer zu führen, noch dazu meldete sich sein Bein gerade wieder mit einem scharfen Schmerz.
    Am Horizont zuckten die ersten Blitze auf, zu hören war nur das Wüten des Sturmes, und dann ein lautes Bersten, als ein großer abgestorbener Ast dem Rütteln des Windes nicht mehr standhielt, brach, und krachend in den Fluß fiel.

    "Ein Unwetter zieht auf."
    Fest hielt Rutger die Arme um Arrecina geschlungen, und wollte sie gewiss nicht so bald wieder loslassen.
    Und hätte sie es wirklich darauf angelegt, ihn um den Finger zu wickeln, so hätte sie keine bessere Methode finden können. Mit schon fast schmerzhafter Intensität wallte das Gefühl, das er nicht zu benennen wagte, in ihm auf, als sie sich so verzweifelt, so vertrauensvoll, an ihn drängte.
    Er schluckte trocken. Sie war krank, sie hatte Fieber, sie war ihm ausgeliefert, sie war ganz und gar nicht sie selbst. Dies alles war... einfach nur absurd. Er mußte einen kühlen Kopf bewahren. Aber wie von selbst zog er sie noch enger in seine Arme, streichelten seine Hände tröstend ihren Rücken, legte er seine Wange sacht auf ihren Scheitel.


    Und zum ersten Mal erwog er wirklich, umzukehren, um sie nach Hause zurückzubringen. Wenn sie richtig krank wurde, dann konnte das hier in den Bergen übel für sie ausgehen - sie war so zart, und keine Entbehrungen gewöhnt... aber nach Rom zurückzukehren wäre höchstwahrscheinlich sein Tod... das Kreuz... nein. Es mußte doch einen anderen Weg geben.
    Liebevoll legte Rutger seine rauhe Hand auf ihre glühende Stirn, um sie zu kühlen.
    "Ach Kleines..." flüsterte er zärtlich, "ich halte dich doch... solange du willst... nur zu gerne..."
    War das gerade wirklich er, der solche rührseeligen Dinge zu einer Römerin sagte? Er, Rutger Thidriksohn? Was war da bloß schiefgelaufen? Wahrscheinlich hatte er auch wieder Fieber... ja, das mußte es sein, sie waren alle beide im Fieberwahn...


    Wieder brauste ein Windstoß durch das Tal, ließ Arrecinas Haare wehen, und bog knarzend die Wipfel der Kiefern. Die bleierne Wolkenfront hatte eine schweflig gelbe Färbung angenommen, und näherte sich rasch.
    Rutger versuchte, zur Sachlichkeit zurückzukehren. Er räusperte sich, und sagte mit belegter Stimme:
    "Also, zwei Schalen von dem Zeug solltest du schon trinken. Damit es hilft. Und dann sollten wir uns nach einem Unterschlupf umsehen."

    Ganz so leicht ließen sich die beiden Römer dann doch nicht ausblenden. Die Hufe ihres monströsen Reitieres dröhnten förmlich in Rutgers Ohren, als sie aufholten, und dann trottete Lapsus schon wieder neben Canus. Rutger warf einen Blick zur Seite auf die beiden, sah wie inbrünstig sich Corvinus festklammerte, und daß er nicht gerade den Eindruck machte, den Ritt zu genießen.
    'Eben ein typisch dekadenter Römer', dachte sich Rutger und schmunzelte überheblich, als er seine Vorurteile so bestätigt sah, 'Ein wenig frische Luft, und sie kippen schon halb aus den Sandalen... Wie nur ist es ihnen gelungen all diese Länder zu erobern? List und Tücke, denke ich...'


    Er spornte den Grauen, der streckte sich, fiel in einen rasanten Trab, und zog wieder an Lapsus vorbei. Die freie Straße vor ihm brachte Rutger unweigerlich auf den Gedanken, wie das wäre, jetzt seinen "Herrn" abzuhängen, einfach davon zu galoppieren, und für immer zu verschwinden... grinsend stellte er sich dessen Gesicht vor, aber gleichzeitig war ihm klar, daß das vielleicht ein effektvoller, aber kein erfolgversprechender Abgang wäre - bestimmt würde man ihn schnell wieder einfangen, und dann der Knochenmühle überlassen... warum dachte er denn jetzt bloß wieder daran? Er schüttelte den Gedanken ab, der nicht zu diesem schönen Tag passte, ließ sich den Wind um die Nase wehen, und genoß das kraftvolle Vorwärtsstreben seines Pferdes.


    Über die Schulter hinweg sah er auf Aquilius. Holte der gerade etwa schon wieder auf? Rutger warf ihm ein herausforderndes Grinsen zu, richtete den Blick wieder nach vorne, und trieb den Grauen in den Galopp. Leicht hob er sich in den Steigbügeln, als die Muskeln des Tieres unter ihm sich strafften, die Hufe auf den Boden donnerten, und Bäume und Passanten rasend schnell an ihm vorbeiflogen.
    Herrlich, berauschend! Noch ein Blick zurück geworfen, und - Hoppla! Der Graue, der schon wieder viel zu lange brav gewesen war, warf, vielleicht aus Lebensfreude, vielleicht um seinen Reiter loszuwerden, in vollem Galopp die Hinterbeine hoch in die Luft.
    "Angrbrodas Brut!"
    Rutger krallte erschrocken eine Hand in den Sattelknauf, klammerte sich mit den Knien fest, und verlagerte hastig sein Gewicht nach hinten, um nicht im Sturzflug auf der Straße zu landen.
    "Hoh, ruhig, du Bestie!"
    Der eigensinnige Wallach dachte gar nicht daran. Er setzte lieber über den Straßengraben, senkte den Kopf zwischen die Vorderbeine und bockte wild. Ein schmuddeliger Wandersmann, an dem Rutger eben ziemlich knapp vorbeigeprescht war, lachte schon schadenfroh, in Erwartung eines spektakulären Sturzes, aber nein - gerade noch gelang es Rutger sich im Sattel zu halten, und dann tatsächlich auch, die wilde Bestie wieder zu zügeln. Etwas blass um die Nase war er geworden, aber nichtsdestotrotz, sobald er Canus wieder im Griff hatte, lachte er unbekümmert, fasste die Zügel fester, und ließ ihn - um sich keine Blöße zu geben - über den Graben zurückspringen, um sich wieder zu den anderen zu gesellen.

    ...betrat Rutger mit zwei langen Rundhölzern in der Hand den Hof, und sah sich suchend um. Der Grund war noch feucht von einem Regenschauer, der des Nachts niedergegangen war, und ein ganz leichter Bodennebel lag darüber wie ein feines Linnen. Es zerfaserte, als Rutger mit langen Schritten des Hof überquerte, und auf den Garten zusteuerte. Vielleicht war der Flavier ja dort?
    Seit den frühen Morgenstunden war Rutger schon auf den Beinen, und hatte seinen Teil der Stallarbeit erledigt. Etwas unangenehmes hatte er wohl in der Nacht geträumt, irgendetwas um diese verfluchte Knochenmühle, aber die Bilder waren während der Arbeit bei den edlen, ruhigen Tieren verflogen, und jetzt erinnerte er sich nur noch ganz vage daran, und ärgerte sich lediglich ein bisschen, dass diese Drohung ihn so... nun ja... beschäftigte.


    Über eine akkurat gestutzte Grasfläche betrat er den Garten, duckte sich unter den tropfenden Zweigen eines Zitronenbaumes hinweg, und folgte einem schmalen Pfad, der sich zwischen üppigen Rosenstäuchern spielerisch dahinschlängelte. Einige späte Blüten bildeten purpurrote Farbflecke zwischen den fahlen und verwischten Tönen, in denen dieser trübe Morgen gezeichnet war. Ihr Duft, schwer und betörend, mischte sich mit dem Geruch von nasser Erde, von gefallenem Laub, und mit dem allgegenwärtigen Dunst der ungeheuren Stadt.
    Weißer Kies knirschte unter Rutgers Schritten, ein Vogel sang unverdrossen in einem minutiös beschnittenen Busch, und das Fallen der Wassertropfen von den Bäumen bildete ein beständiges Rieseln im Hintergrund.


    Leise vor sich hinsummend, ging Rutger weiter, schwang im Gehen die Stäbe in der Hand auf und nieder, und bog in einen anderen Pfad ein. Der wand sich um einen kleinen Teich herum, und endete vor einer imposanten Mamorstatue. Den Flavier konnte Rutger da zwar auch nicht entdecken, aber die Statue mußte er sich genauer ansehen.
    Es war eine erhabene Frowe mit einem Helm auf dem Kopf und einem Gewand mit unzählig vielen Falten. Einen Arm reckte sie hoch gen Himmel, auf dem anderen trug sie eine Eule. Ihre reinweiße Gestalt spiegelte sich unscharf im grau erscheinenden Wasser des Teiches. Sie sah sehr echt aus, und es schien Rutger, als könne sie jeden Moment von ihrem Sockel hinunter steigen. Oder vielleicht würde die Eule plötzlich ihre Flügel spreizen, und sich in Lüfte schwingen? Er trat näher heran, und betrachtete sich das Tier genau. Da war jede einzelne Feder im Stein abgebildet! Neugierig hob er die Hand, berührte die kalte glatte Oberfläche, und fuhr fasziniert an den elegant gemeißelten Konturen des steinernen Gefieders entlang. Schön.

    Der Sud war jetzt dunkel genug. Rutger machte noch einen liebevollen Knoten in die Umschnürung an seiner Waffe, legte sie dann beiseite und kostete vorsichtig - bitter genug war er auch. Zeit, den Tee zu servieren.
    Er griff nach dem hölzernen Behältnis mit dem Schafskäse, steckte sich das letzte Stück mit etwas Brot in den Mund, und wusch die flache Schale im Fluß aus. Wieder nahm er eine Handvoll groben Sand vom Grunde des Gewässers auf, und scheuerte das Behältnis ganz sauber.
    Die Sonne stach auf ihn hinunter, die Schwalben flogen immer tiefer, und die Luft war ziemlich schwül geworden. Kaum ein Luftzug regte sich noch. Rutger sah skeptisch zum Himmel auf. Strahlende Bläue, nur im Südwesten zeigten sich ein paar dunkle Wolken.


    Arrecina schrie! Er fuhr zusammen, sah sich gehetzt um, trat dann rasch zu ihr, und kniete sich neben sie ins Gras.
    "Kleines, was ist?"
    Impulsiv legte er schnell die Arme um sie, hielt sie als ob er - er! - sie vor allem Bösen beschützen wollte. Wie heiß ihre Stirn war.
    "Hier ist nichts, keiner tut dir was, keine Angst, Kleines..." murmelte er, und wiegte sie ganz leicht in seinem Arm, strich ihr beruhigend und eher brüderlich übers Haar.
    "Beruhige dich, es ist alles in Ordnung, dir passiert nichts, ich pass auf dich auf..." flüsterte er, doch obwohl er das ernst meinte, klangen die Worte abgeschmackt in seinen Ohren.
    "Schau mal, es ist fertig."
    Er steckte die Hand aus, und schöpfte mit der Schale etwas Tee.
    "Aber Vorsicht, es ist noch heiß."
    Er bot ihr die Schale an. Feine Dampfschwaden stiegen davon auf, und erhoben sich kerzengerade in die stehende Luft.
    "Und bitter. Es muß bitter sein, weißt du, damit es auch hilft."


    Ein Rauschen erhob sich, und mit einem Mal fuhr eine Bö durch den Wald, zeriss den zarten Dampfschleier über dem Getränk, und erschuf kleine Schaumkronen auf der glatten Oberfläche des Flusses. Staub brachte sie mit sich, und ein Schwung rotgoldener Blätter wirbelte wild um Arrecina und Rutger herum. Phaidra, die den aufziehenden Sturm witterte, tänzelte aufgeregt, und ließ ein schmetterndes Wiehern ertönen.