Beiträge von Quintus Tullius

    Warnend und flüsternd rauschten die Bäume am Rande des Weges. Der Wind strich durch ihre in der Nacht grauen Blätter, versuchte die Zweige wie eine Laute zum Schwingen zu bringen und die junge Flavierin eindringlich zu warnen, vor dem, was sie sich in ihre Sänfte geholt hatte. Doch die Sprache der Nacht war nur den Ohren offen, die selber ein Teil dieser Schwärze waren. Die finsteren Klauen von Finistere umfing die kleine und scheinbar zerbrechliche Sänfte, die den Reisenden in ihrem Inneren eine schützende Höhle vorgaukelte. Doch ein Wolf eingesperrt mit einer Luxuskatze vertrug sich nicht gut, der raubtierhafte Instinkt in Tullius sträubte sich gegen die sanftmütige Fassade, der er, um Leontia zu täuschen, aufrecht erhielt, selbst als sie nach seiner Hand griff und ihm von ihrem Schönheitsmitteln andrehen wollte. Seine Lippen verzogen sich zu einem falschen Lächeln.
    „Zu freundlich!“
    , fiel seine knappe Antwort aus und in einem Moment, derer Leontia ihre Aufmerksamkeit einer anderen Materie schenkte, wischte sich Tullius schnell die klebrigen Hände an dem Tuch neben sich ab und rümpfte angewidert die Nase.
    „Noch sämtliche Nacht werden wir über die Wege und Pflaster eilen müssen, ehe die Hafenstadt Ostia in Sicht kommen wird. Womöglich magst Du ein wenig ruhen, ich werde über Deinen Schlaf persönlich Sorge tragen, meine liebste Leontia!“
    Und er würde inbrünstig Furrina danken, dass jenes Weibe endlich zum Schweigen gebracht wurde durch den Segen Morpheus und ihn nicht länger mit ihrem aufreibenden Geplapper stören würde in seinen Gedanken, über die er sann, um seine Pläne und sein Streben zu vervollständigen, damit die Ranken um Gracchus sich fester strickten und er simultan seine Freude an dem perfiden, aber doch höchst inspirierenden Spiel finden könne.
    Zügig wie der Wind des Nordens, die Vögel, die sich nach Afrika aufmachten, um den kalten Winter fern ihrer Brutplätze zu verbringen oder wie ein flüchtender Dieb und Räuber kam die Sänfte auf der nächtlichen Straße weiter. Die großen flavischen Wappen an der Seite der Sänfte bahnte ihnen auch den Weg vorbei an den kleinen Stationen einiger Soldaten, die mit kleinen Laternen stumm an ihren winzigen Häusern warteten. Verheißungsvoll kroch die Sonne in ihrem Rücken über den Horizont und schickte die rosagoldenen Strahlen auf die Hafenstadt Ostia, illuminierte die Dächer in eine ätherische Corona, getrübt nur durch die grausilbernen Wolken, die sich im Westen auftürmten und wie ein Ungeheuer gleichend danach suchten sich gegen das Festland zu drücken. Doch in der Stadt war keiner besorgt ob jenes Wetters, das muntere Treiben brach aus als die Sänfte an dem Tor und den wachenden Augen weiterer Soldaten in die Stadt kam und schließlich zu dem Kleineren der beiden großen Häfen von Ostia gelangte. Eiseskalten Ausdrucks musterte Tullius das engelsgleiche Antlitz der jungen Patrizierin in der Sänfte, die sich dem Schlaf irgendwann ergeben hatte. Ihr schlanker Schwanenhals lockte Tullius Finger an, sie darum zu legen und ohne Gnade zuzudrücken, doch statt sich den Mordlüsten zu ergeben, die Tullius nur im Rausche des Kampfes nicht unter Kontrolle hatte, schwang er sich aus der Sänfte, um ein Schiff zu erbeuten, wenn auch nur mit seinen Münzen und lediglich Plätze für eine Überfahrt. Nicht eine Hora und noch rechtzeitig vor dem Auslaufen konnte Tullius die Pegasus als ihr Transportschiff anheuern, ein kleines, aber wendiges Handelsschiff, was seltene Luxuswaren aus Ägypten nach Ostia brachte und Passagiere zurück in die Provinz trug. Für ihn, Manius Flavius Gracchus, und die junge Flavia Leontia fanden sich durchaus noch ein Platz an Bord. Bewusst hatte Tullius die beiden Namen genannt, denn er wollte nicht, dass sein Bruder die Spur verlor. Fortuna meinte es gut mit ihnen und schon kurze Zeit später war das viele Gepäck der jungen Dame verladen, die beiden Flavier an Bord der Schiffes. Ein tiefes Glücksgefühl stieg in Tullius auf als er endlich erneut auf dem Deck eines Schiffes stand und eine Zufriedenheit als auch noch sein Amicus, Dardarshi, getarnt als ein fernöstlicher Händler an Bord kam. Nun waren sie komplett und die Reise ins ferne Ägypten konnte von statten gehen. Dumpf dröhnten die Trommeln von dem Deck mit den Ruderern, die Sklaven ächzten in den Ketten und stemmten sich gegen die Wogen des Wassers nachdem der Anker gelichtet wurde. Und schon entfernte sich der Pegasus aus dem Hafen Ostias und bereitete seine weißen Schwingen auf dem Meer aus, um flink in die blauen Wogen des weiten Ozeans zu tauchen. Ein sardonisches Lächeln trat auf Quintus Tullius Gesicht als er einen letzten Blick auf das Festland warf und das Schiff entschwand über die blaue Weite, bald eingeholt von den silbriggrauen Wolken im Westen.


    Und es verging einige Zeit-
    Schwül drückten die Wolken eines nahenden Sommergewitters auf die Stadt Ostia. Ein dicker, verschwitzter Mann saß über einige Wachstafeln gebeugt und schob an einer Rechentafel die hölzernen Murmeln hin und her, flüsterte leise Zahlen vor sich hin und kratzte sich an seiner Halbglatze. Ein eiliges Klopfen riss ihn aus seiner Konzentration, die an jenem Tage nur suboptimal ihn ereilen wollte.
    „Ja?“
    Ein schlaksiger Mann trat in den Arbeitsraum hinter einer großen Lagerhalle. Die Fensterläden standen weit offen und boten den Blick auf viele Masten, die in den Himmel stachen.
    „Es ist verschollen! Die Pegasus...ein Sturm.“
    Mit offenen Mund starrte der dicke Mann den Jüngeren an.
    „Was? Sicher?“
    Der junge Mann nickte.
    „Sie haben keinen Hafen erreicht und schon gar nicht Alexandria.“
    Mit einem wütenden Laut packte der Besitzer der Pegasus eine Wachstafel und schleuderte sie gegen die Wand. Das Holz zerbrach und fiel in zahlreichen Splittern auf den Boden. Der Schrei einer Möwe erklang, das Lachen einiger Kinder, die das Tier drangsalierten und dann das bitterliche Seufzen des geschädigten Händler. Und niemand wusste, wohin die Pegasus verschollen war und ob einer der Passagiere jenen schlimmen Sturm vor kurzem überlebt hatten. Doch womöglich lüftet sich jenes Geheimnis zu einer anderen Zeit.


    To be continued...

    Die Causa seiner Nichte war für Quintus Tullius jetzig passé, die Fäden gesponnen, das Netz ausgeworfen und die Spinne bereit, die Opfer in die Falle zu locken, wobei die Frage im Raum stand, ob seine Fallgrube sich auswirken würde oder einfach verpuffen. Doch im Grunde war es Tullius indifferent und seine Gedanken, flüchtiger und leichtfertiger als die Taten und Intentionen seines Bruders, schon auf die nächste Begebenheit gerichtet.
    „Wunderbar, meine liebe Nichte. Dann wünsche ich Dir viel Erfolg. Den Segen der Götter hast Du, Arrecina. Vale.“
    Tullius in Gestalt des Gracchus wandte sich von seiner Nichte ab und umrundete den Tisch, um vor der Kiste zu verharren. Seine Fingerspitzen ruhten auf dem warmbraunen Holz, das sorgfältig glatt poliert war. Seine Ohren waren jedoch gespitzt auf die Bewegungen der Frau hinter sich und erst als er meinte, sie hätte den Raum verlassen, wandte er sich um und stolzierte durch den Raum mit einigen federnden Schritten, betrachtete erneut den Anblick des grünlieblichen Gartens und den vielen Kirschblüten, die sich schon auf seinem, mehr den seines Bruders, Tisch heimelig gemacht hatten und deren penetrant süßer Duft ihn in der Nase juckte. Scheinbar hatte Leontia die Blumen im ganzen Haus verteilt. Schweigend wandte er sich um und verließ den Raum, um sich in den Garten zu begeben.



    tbc: Hortus | Unter dem Mandelbaum - Leontia und der Wolf im Schafspelz




    Die Strahlen des Mithra, dergleichen sein Amicus diese genannt hätte, wärmten Tullius Rücken, nicht jedoch sein Gemüt oder seine vom Schatten umhüllte Seele. Wenn Platon recht hatte und es gab zwei Seelenpferde, die das Gespann dieser Essenz zogen, dann hatten Gracchus und Tullius womöglich ein Gemeinsames geerbt und Gracchus das Erhabenere der Beiden. Die Tücke war in Tullius Augen zu erkennen, wenn man unmittelbar vor ihm gestanden hätte, doch so umhüllten die Schatten, geworfen durch den Schein an seinem Rücken jeglichen Ausdruck in seinem Gesicht. Tullius löste sich von der Fensterbank und bewegte sich auf Arrecina zu, seine Hand legte sich flach neben eines der Schriftstücke und seine Lippen kräuselten sich zu einem zufriedenen Lächeln.
    „Dann ist Deine Entscheidung getroffen. Du hast heute Abend eine Stunde Zeit, Rutger aus dem Gefängnis zu befreien. Ich werde dafür sorgen, dass die Wachen zur Stunde der Cena nicht im Gang warten werden. Doch alles andere wird an Dir liegen, Arrecina. Mehr kann ich nicht tun, außer Dir den Segen der Götter zu wünschen und Dir das Geld hier zu überlassen. Und sei gewiss, ich werde um Dein Glück bei den Göttern beten und ihnen ein Opfer zu kommen lassen. Viel Erfolg.“
    Gelogen, Tullius hatte das natürlich nicht vor, selbigen Gedanken hegte er als er sich umwandte und abermals zu der Kiste zurückkehrte. Stumm glitten seine Finger durch die Münzen, in der stillen Frage, ob das das ganze Vermögen im Haus war, könnte es doch durchaus möglich sein, dass es noch ein anderes, weniger offensichtliches Versteck gab. Viele Römer wähnten sich in dem Irrtum, dass Räuber und Diebe sich durch solche offen stehenden Reichtümer blenden ließen und nicht mehr nach dem wahren Schatz suchen würden. Tullius sah über seine Schulter hinweg und seine Augenbraue wölbte sich in die Höhe.
    „Gibt es sonst noch etwas, meine liebe Arrecina?“




    In zahlreichen Abendschattierungen bot sich die Landschaft um Roma dem Blick der Reisenden dar. Sanft waren die sieben Hügel geschwungen, an deren Busen und Tälern sich die ewige Stadt heran schmiegte. Das Meer aus römischen Dächern, umrahmt von einer respektablen Mauer, zeigte einen anmutenden Reiz, den die stickige Stadt bei näherer Betrachtung nicht mehr offenbaren konnte. Immer mehr Lichter tauchten wie die ersten Sterne am Abendhimmel auf als die letzten Strahlen der Sonne im Westen versanken und nur noch eine schwache Röte über die Stadt ausbreitete. Prunkvolle Tempel ragten aus den zahlreich grau nuancierten Dächern hervor, das flavische Theater, der große Circus Maximus, aber auch Aventinbauten neben denen des Palatin und Kapitol. Umhüllt wurde die Stadt von einigen Wäldern, Landschaften die von Menschenhand geschaffen waren, das silberblaue Band, nun wie der Streifen eines Trauerflors, des Tiber schlängelte sich mitten durch die Urbs Aeternae und der Geruch nach dem sumpfigen Morast, der Rom umgab und durchdrang war auf dem Hügel, auf dem die Sänfte verharrte, kaum zu erahnen. Es schien sogar, dass der Geruch des fernen Meeres schon an die Nase von Quintus Tullius stieg, der, in Toga und flavischer Tunica gekleidet, auf dem weichen Polster der edlen Sänfte lag, deren schwarzes Holz das große flavische Wappen aufwies und noch einen weiteren flavischen Schatz, neben dem Gold, was Tullius in der Villa erbeutet hatte, trug, die junge Flavia Leontia, die Quintus Tullius zu entführen gedachte als Wolf, der sich die Tarnung des Schafes Gracchus zu Eigen gemacht hatte. Noch einen Atemzug hielt Tullius den Vorhang offen, der ihm Rom zeigte und er schien nach der Villa Flavia zu suchen. Zu keinem Zeitpunkt hatte Tullius gezögert, als er die Villa verlassen hatte, eine Nachricht seinem Amicus hatte zukommen lassen, damit jener sich um die Aussetzung von seinem Bruder, Manius Flavius Gracchus, kümmern würde und sich ihnen dann in Ostia anschließen würde. Tullius hoffte darauf, dass in den Händen seiner parthischen Freundes alles gelingen würde und das Spiel weiter seinen Lauf gehen konnte. Es wäre wahrhaft deplorabel gewesen, wenn Gracchus durch einen Berglöwen oder einen Wegelagerer umkam und Tullius somit das Vergnügen genommen wurde, dies selber zu tun oder wenigstens Gracchus in den Abgrund zu führen. Warum Tullius das wollte, dessen war er sich im Augenblick selber nicht im Klaren, doch dass er es so wünschte, war ihm völlig eindeutig im Geiste und Sinne. Seine Hand ließ den Vorhang erneut herab fallen.
    „Wir ziehen weiter.“
    Die Sklaven trabten über die Strasse, ihre Sandalen klapperten auf den Pflastersteinen der Via Appia, die der direkte Weg nach Ostia war und sie an den zahlreichen Grabbauten vorbeiführte. Große Steine prangten am Rande der Straße, auf einigen waren die Namen der verstorbenen Familienangehörigen zu sehen. Wie boshafte Augen starrten ihnen einige Lichter entgegen, die neben den Grabmählern aufgestellt worden waren und von fleißigen Sklavenhänden entzündet waren. Die Grillen zirpten am Wegesrand in den späten Abendstunden, die Bäume warfen ihre im letzten Licht schwindenden Schatten auf die so sorgfälgit gebaute Straße, die vorbeiziehende Sänfte und das Gepäck der beiden Flavier, so es Leontia vorgegauckelt werden sollte. In einer der Kisten ruhte das Geld, was Tullius seinem Bruder geraubt hatte, es jedoch nicht als entwendet, sondern als sein rechtmäßigen Anteil seines Erbes, seines gestohlenen Familienrechtes ansah. In der anderen Kiste ruhten einige Schriftrollen, die Tullius aus der Bibliothek der Villa Flavia mitgenommen hatte, um seinem Amicus, Dardarshi, eine infinitesimale Freude zu bereiten, gleichwohl auch seinen Bruder weiter zu sekkieren. Ansonsten hatte Tullius nur einige Gewänder seines Ebenbildes mitgenommen, um für Leontia weiterhin den Anschein zu wecken, er wäre Gracchus und nicht der, der er wirklich war, der Pirat und nur das zweite Abbild von dem, den sie zu begleiten gedachte. Die Sänfte trabte an einer Weggabelung vorbei, die hinauf zu einer kleinen vornehmen Villa führte und deren Weg von Zypressen und einigen goldenen Weizenfeldern gesäumt wurde. Das Grundstück des vornehmen Nobilitas war mit einer Mauer umsäumt, zu deren Füßen sich weiter die Via Appia entlang streckte. Die Bäume wurden dichter, die Bauten und Häuser spärlicher. Das runde und große Grabmahl der Caecilier Metellus erschien in Sichtweite und auch dieses passierte die Sänfte. Das Schaukeln der Sänfte mutete für Quintus Tullius wie das Wiegen der Wellen an, nur das holprige Traben der Sklaven irritierte ihn immer mal wieder marginal, wobei in ihm die Frage aufkam, ob Gracchus unter der Seekrankheit zu leiden hatte, wenn er den Fuß auf ein Schiff setzte und Tullius somit etwas vorgaukeln musste, was er nicht verspürte, es sei denn Leontia war sich dessen Makel bei Gracchus nicht bewusst. Am Liebsten hätte Tullius schweigend die Reise verbracht, in Gedanken bei seinen Plänen, doch in der kurzen Zeit, der er Gracchus' Gesellschaft hatte teilen dürfen, müssen und können, war ihm bewusst geworden, dass Gracchus gerne und ausgiebig das Wort an sein Gegenüber wandte, und so Tullius nicht schon vor der Ankunft in Ägypten enttarnt werden wollte, musste er wohl die lästige Angewohnheiten seines Bruders übernehmen.
    „Unzweifelhaft werden wir ein zumutbares Gefährt für den weiteren Weg auf hoher See eruieren können. Wenn ich auch bekennen muss, dass ich sehr bewegt bin von der Vorstellung, bald das Land der größten Bibliothek der Welt betreten zu dürfen. Zudem versicherte man mir, dass Aegyptus noch viele weitere Reize offerieren soll. Du bist Dir doch noch sicher, dass wir diesen Schritt auch wagen sollen, Leontia?“

    Filigrane Wolkenfelder zogen über den kristallklaren, blau schimmrigen Himmel und malten als ob einer künstlerischen Feder entsprungen Bilder aus weißen Tupfen in die intensive Bläue. Ein rot schwänziger Vogel zwitscherte munter in den Ästen eines Kirschbaumes, der einige seiner hell leuchtenden Blüten an den saftiggrünen Boden des Gartens verlor und sich wie ein sanfter Schleier auf die Schulter des Piraten legte. Achtlos schüttelte Tullius einige der Blüten von seinem Gewand als er sich zurücklehnte und die Patrizierin vor sich taxierte. Mühevoll lauschte er ihrem Gejammer, die leidende Miene musste immer noch nicht gespielt werden. Ein schweres Seufzen war von ihm zu hören, seine Hand sank von seinem Kinn hinab auf den Tisch, seine Finger glitten über den kühlen Stein, der sich im Lichte Sols Scheibe immer mehr erwärmte.
    Marginal frappiert über den schnellen Zuspruch und das Ende des Wehleides war Tullius dennoch. Eigentlich hatte er bei Leibe nicht damit gerechnet, dass ihm die Patrizierin so sehr in seinem Anliegen entgegenkam. Auch missfiel ihm nicht das Funkeln, was er in den dunkelblauen Augen, die Ton in Ton mit der Himmelsfarbe harmonierte, zu entdecken vermeinte, war es doch nicht der Ausdruck eines willenschwachen Wesens. Bei Weitem würde Tullius nicht derart weit gehen und deswegen der Frau wertschätzende Empfindungen entgegen bringen, gar irgendwelche Sympathiegefühle, war sie doch noch weiterhin ein Wesen des schwachen Geschlechtes und somit für ihn überdies verachtungswürdig. Aber womöglich würde er sich an dem Spiel mehr ergötzen können, wenn sie sich nicht ständig weinerlich verhielt, besonders wenn sie erkennen würde, was für eine Scharade Tullius mit ihr getrieben hatte. Tullius Lippen kräuselten sich zu einem dünnen, leichterhin sardonischen Lächeln und er beugte sich vor, um die Flavia in das Geheimnis, den Plan einzuweihen.
    “Meine liebste Base, den Willen des Vaters zu widersprechen ist nicht immer wider des guten Anstandes und besonders der Pietas und Veritas. Ich möchte sogar postulieren, dass manches Mal ein Aufbegehren notwendig ist, zeigt sich doch, dass der elterliche Weg in eine Richtung schlägt, die der Dignitas, aber auch der Humanitas entgegen gehen.“
    A prima vista, was die wirklichen Pläne der jungen Flavia angingen, verstummte Tullius einen Atemzug, drehte den blauglasigen Pokal zwischen seinen Fingern und dachte über die nächsten Worte nach, die er an Leontia wenden wollte. Kaustisch lächelnd beugte er sich vor und seine Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern, den keiner im Garten außer Leontia wahrnehmen sollte. Kein Lebewesen, ob Vogel oder Sklave, wurde in jene Pläne eingeweiht. Nach einigen Minuten lehnte sich Tullius zufrieden zurück, seine Mundwinkel zuckten marginal.
    “Liebe Base, sic est. Doch wir dürfen nicht säumen…sei heute Abend bereit, ich werde alles vorbereiten lassen.“
    Einige Minuten später verließ Tullius den Garten, obliess es der jungen Frau sich für die kleine Rebellion gegen ihren Vater zu wappnen. Denn schon am Abend wollte er die Villa wieder verlassen haben…um an anderem Ort und zu einer anderen Zeit das Spiel mit Gracchus fortzusetzen…




    To be continued…



    Schweigsam trat Tullius auf den hellen Marmortisch zu und nahm in dem ihn beinahe verschlingenden Korbstuhl Platz, befand den Stuhl als recht dekadent und dazu noch unbequem, bewegte sich ein wenig hin und her und ließ das Meer an Worten aus dem Munde der schönen und doch etwas, wie er befand, wehleidigen Patrizierin an sich vorbei rauschen. Es gab wohl immer dieselben Themen, die Frauen beschäftigte: Kleider, Schmuck und die zukünftigen Ehemänner. Und scheinbar war Leontia mit der Wahl ihres Vaters nicht ganz einverstanden, aber das 'Überhaupt' überraschte Tullius durchaus. Wollte nicht jede Frau irgendwann den Schutz eines Mannes um sich wissen, die leitende Hand ihres Gatten, der sie vor Ungemach und den schlimmen Dingen des Lebens bewahrte, war doch die Frau von Natur aus schwach und hilflos, immer auf einen Mann angewiesen, sei es der Vater, der Bruder oder der Ehegatte.
    Mühevoll rang sich Tullius einen Ausdruck ab, den man als mitleidig erahnen könnte, doch Tullius hatte niemals in seinem Leben für einen Menschen diese Empfindung gehegt und konnte sich schwerlich in diese hinein versetzen. Derart unbeeindruckt nickte Tullius, der doch den Gracchus spielen wollte und zum ersten Mal am Tag in eine Situation manövriert wurde, die ihm derart unliebsam war, dass er sich wünschte, Gracchus wäre doch an seiner Stelle. Sic schweifte sein Blick ab, Langweile überkam ihm und er winkte einen Sklaven heran, der ihm einen gläsernen Pokal gefüllt mit leichtem Wein reichte. Tullius trank einige tiefe Schlücke davon und war erst dann wieder in der Lage, sich um das larmoyante Gejammer der Patrizierin zu kümmern. Eine leidende Miene offenbarte er und womöglich würde seine Base das auch als Mitleid interpretieren könnten, so denn hoffte es Tullius.
    „Gräulich, abscheulich ist das in der Tat, oh meine liebe und so kluge Leontia. Ich bin indigniert, nein gar zutiefst schockiert über diese Neuigkeit.“
    Tullius stellte den Pokal auf den Tisch und verschränkte seine Hände ineinander, schien gar mit ihnen zu ringen und rang sich hinzu einen tiefen Seufzer ab. Womöglich war es ein wenig zu pretiös, aber Tullius hoffte auch diesbezüglich, dass Leontia es nicht merken würde.
    „Wunderbare und weise Leontia, für so einen degoutanten Mann bist Du viel zu wertvoll als an diesen verschwendet zu werden. Zudem...“
    Tullius stockte, atmete tief ein und aus. Tullius entschied sich aber dagegen, symbolisch ein Taschentuch zu suchen. Das wäre wahrlich zu dick aufgetragen.
    „...wäre es auch für mich eine schwere Bürde, Dich an einen solches Scheusal zu verlieren. Nein, nur der edelste und reinste Mann, so es ihn je geben wird, wäre für Dich gerade zu ertragen.“
    Tullius nahm schnell den Pokal und trank einen Schluck, um ein lautes Lachen zu unterdrücken, wenigstens sein höhnisches Lächeln zu verbergen. Denn im Grunde war ihm auch egal, ob Leontia einen fetten, alten Senator heiratete oder gar einen Libertus. Genauso wie bei seiner Nichte wollte er nur ein wenig das Leben in der Villa umwerfen. Nachdenklich betrachtete Tullius Leontia und sann darüber nach, was er bei ihr tun konnte, um es Gracchus schwer zu machen. Um in seinem Bruder den Haß zu schüren, der für das kleine Spiel, was er sich ersonnen hatte, notwendig war. Die Villa würde Tullius noch am heutigen Tage verlassen und er wollte einiges zurück lassen, was seinem Bruder sehr schmerzen würde. Oder gar sogar rauben, wie einen großen Teil des Familienvermögens. Entschlossen stellte Tullius den Pokal zur Seite und taxierte Leontia ehe ihm bewusst wurde, dass sie das möglicherweise als verdächtig empfinden könnte. So entlockte er seiner Kehle lieber schnell ein kummervolles Seufzen.
    „Meine scharfsinnige und stilvolle Base, die Götter können kein solches Schicksal, kein so grausames Los für Dich ersonnen haben. Ich möchte nicht dem Willen Deines Vaters widersprechen, aber ich bin mir sicher, dass er das Wollen der Unsterblichen falsch zu deuten vermag.“
    Tullius hob die Hand und fing mit der Linken an, seine Unterlippe zu kneten.
    „Doch womöglich...allfällig, liebe Leontia, muss es nicht derart kommen...“
    Tullius verstummte, machte eine theatralische Pause, damit Leontia ein wenig gespannter wurde und sie gar das Gefühl erhielt, es ihm zu entlocken.


    Ein wenig Potential vermochte Quintus Tullius in dem Bengel zu erkennen. In zehn oder fünfzehn Jahren würde das möglicherweise zum Tragen kommen, wenn der Junge die Zeit bis dahin überlebte und er nicht nach patrizischer Manier vorher schon vergiftet, erdolcht oder erdrosselt wurde. Man wusste nie bei diesen Menschen, zu welchen Taten sie fähig waren, angeblich vermochten das schon die Kinder, wenn ihnen Macht entgegen winkte. Das war ein Zug, den Tullius als einzigen an den Patriziern zu schätzen vermochte. Ein ergötztes Kräuseln offenbarte ein unwesentliches Schmunzeln auf seinen Lippen.
    „Ein Pirat in der Familie wäre allerdings ein Unikat, aber wohl kaum erstrebenswert. Aber gut, dann versenke die Flotte des Kaisers, Serenus, und wir sehen uns beim Essen.“
    Oder auch nicht, wie Tullius inständig hoffte. Möglicherweise würde er sich noch rechtzeitig davon entschuldigen können, einige Pflichten oder religiöse Belange vorschieben und sich um die interessanten Dinge von Gracchus Leben kümmern, wenn er denn welche fand. So drehte sich Quintus Tullius zu Leontia um. Womöglich konnte er sie auch noch los werden, so betrachtete er das Spiel bis ihm ein glänzender Einfall kam.
    „Leonita, erlaube mir den Vorschlag, ob wir uns nicht am frühen Nachmittag im Garten zu einer Partie jenes vortrefflichen Spieles treffen und zudem noch die Gelegenheit für ein erbauliches Gespräch führen.“
    Abermals rang sich Tullius ein Lächeln ab, was man als freundlich empfinden könnte.
    „Aber wenn Du mich bis dahin exkulpieren würdest, meine Pflichten rufen mich noch.“
    Schnell ergriff Tullius einige leere Papyrusseiten, klemmte sie sich unter dem Arm, schenkte Leontia ein weiteres Lächeln ehe er den jungen Serenus imitierte und eilends, nicht zu schnell jedoch, das Zimmer verließ.


    tbc:
    1. Ein böser Onkel und seine Nichte
    2. Der Wolf im Schafspelz und die unschuldige Base


    Eine einzelne Fliege verirrte sich durch die Lücken in den Fensterläden. Tief brummend flog sie durch den Raum und landete schwer auf dem im wenigen Sonnenschein glänzenden Holztisch. Quintus Tullius betrachtete das Insekt interessierter als in der Beachtung von Arrecinas Worten. Ihm war gänzlich egal, welche Konsequenzen die verbotene Liebschaft von Arrecina zu dem Germanen barg. Auch, ob ihr Vater sie zu den heiligen Jungfrauen geben oder sie an einen alten Senator verheiraten würde.
    „Dir droht das Schicksal in den Hallen der heiligen Vesta zu dienen nur, wenn Du eine Jungfrau bist, meine liebe Arrecina.“
    Ob sie das noch war, konnte Tullius natürlich nicht wissen. Aber auch das war ihm einerlei und gleichgültig. Tullius verschränkte die Arme vor seiner Brust, wölbte seine Augenbraue in die Höhe und konnte nur schwerlich ein Schmunzeln unterdrücken. Ihre Überraschung und Verwunderung ergötzte ihn einen marginalen Atemzug lang, denn Tullius war sich durchaus bewusst, dass er sich nicht lange an dieser Situation erfreuen konnte. Tullius überwand die wenigen Schritte zwischen der kostbaren Kiste und Arrecina und legte ihr den Beutel mit den Aurei auf den Schoß.
    „Nein, das ist kein Versuch Dich zu täuschen, meine kleine Nichte, noch Dich zu prüfen. Lediglich ist das ein Anliegen von mir, Dir Dein Glück zu ermöglichen, wenn es schon hier in der Villa nicht erdenklich sein wird und Du mit jedem Schritt hier weiter in Dein Leid hinein stürzt. Und das kann ich mir nicht länger ansehen.“
    Tullius schätzte seinen Bruder tatsächlich als ein wenig wehleidig ein, so dass dieser das womöglich nicht 'ertragen' hätte. Aber im Grunde wusste Tullius, dass sein Bruder niemals der kleinen Tochter von seinem Vetter dieses Angebot gemacht hätte. Die Beine der Fliege strichen sorgfältig über die Flügel, um diese von einem Staubkorn zu befreien. Tullius ließ seine Hand hinter die Fliege gleiten und hatte das kleine Geschöpf im nächsten Augenblick in seiner hohlen Hand gefangen. Wild summend suchte sich die Fliege einen Weg aus seinem Käfig.
    „Wie dieses kleine Wesen hier in meiner Hand bist Du gefangen in dieser Villa. Meinst Du ich kann das länger mit ansehen? Nein!“
    Tullius ging zu dem Fenster und öffnete einen Fensterladen. Das goldene Licht tauchte ihn in eine strahlende Corona, in seiner Hand hielt er die Fliege und sah hinaus auf einige Frühlingsblumen. Mit seiner Faust, den Rücken dabei Arrecina zugewandt, zerquetschte er die Fliege und tat so als ob er sie scheinbar in die Freiheit entließ. Dann schloss er abermals den Holzladen und wandte sich erneut seiner Nichte, war sie es doch und nicht nur die von Gracchus, zu.
    „Es ist Deine Wahl, Arrecina. Nimm das Geld und fliehe mit Deinem Germanen. Oder lass es bleiben, doch dann kannst Du gewiss sein: Liebe war es nie bei Dir.“
    So oder so, Tullius würde ein wenig Bewegung in die Villa bringen. Aber langsam wurde er allen überdrüssig, auch dieses Spiel mit dem Mädchen vor sich.
    „Was von Nöten sein wird, damit Du mit Rutger aus dem Carcer fliehen kannst, werde ich veranlassen. Alles andere wird Dir überlassen sein. Nun, Arrecina, wie entscheidest Du Dich?“


    Reserviert ließ Quintus Tullius einer der Falten seiner Toga marginal höher rutschen und wandte nicht seine Augenmerk von dem Tier und seinem Besitzer ab. Einer griechischen Statue, wohl doch mehr einer Büste aus dem Garten oder dem Atrium mutete Quintus Tullius an, als ob ein Bildhauer sich seiner Gestalt schon vor seinem Tod angenommen hätte. Ähnlich war der Ausdruck auf dem Gesicht des ehemaligen Piraten, im Gewand des eigenen Bruder gekleidet, zu deuten, kalt, abweisend und versteinert, denn Widerworte von einem Jungen hatte auch Tullius nicht erwartet. Hernach kräuselten sich Tullius Lippen und er trat einen Schritt auf Serenus zu, eine Hand, die auf seinem Rücken lag, nahe seines Dolches. Sanft, wohl denn ein kalter Unterton diese Tonlage seiner Stimme begleitete, sprach er zu dem Jungen.
    „Serenus, Du schickst das Tier nach draußen. Es genügte mir bereits, heute eine Katze auf meinen Schriftstücken vorgefunden zu haben, die mich dann auch noch angesprungen hat als ob ich ihre Kätzchen angreifen wollte. Wenn mir das bei Deinem Hund nun denn gleichermaßen ergehen würde, könnte mich das sehr alterieren.“
    Tullius war innerlich wie ein strammer Faden eines Spinnennetz, welches im Morgengrauen geknüpft wurde, eine unvorsichtige Bewegung, eine falsche Handlung des Jungen vor sich und er würde sich vergessen und dem Tier sicherlich ein Ende bereiten. Indes hoffte Tullius oberflächlich weiterhin eine vollendete gelassene Haltung zu bewahren.
    Eine Augenbraue wölbte sich in die Höhe, wie es wohl nur einem Patrizier zu Eigen war, womöglich lag es nur an der similaren Erscheinung, die Tullius mit seinem Bruder aufwies. Seine Hand griff nach der Piratenklappe und zog sie von Serenus Kopf. Interessiert musterte er das Prachtstück.
    „Verkleiden sich die jungen Römer heutzutage mit solchem Tant? Aber, Serenus, weißt Du denn nicht, dass Piraten keine Augenklappen tragen, genauso wenig haben sie Hunde oder Frauen als Gefolgsleute.“
    Marginal schmunzelnd, auf gewisse Weise erheiterte es Tullius durchaus, reichte er die Klappe wieder an Serenus zurück.
    „Rauhes und wildes Pack sind ihre Handlanger und das Zeichen eines Piraten ist sein Schiff und sein blutiges Schwert, ebenso die Reichtümer in seiner Kajüte. Morden und Rauben ist seine Profession, dennoch steht es einem Patrizier wie Dir selbst im Spiel nicht an, solches Pack zu imitieren.“
    Tullius beugte sich ein wenig vor und sah Serenus direkt in die Augen.
    „Oder meinst Du gar, es wäre möglich, wir hätten einen Piraten in unserer Familie? Spiel doch lieber Gladiator und Raubtier mit Deinem Hund. Im Innenhof.“
    Nur mit Mühe konnte Tullius ein boshaftes Lachen unterdrücken, richtete seine Gestalt wieder zu der erzwungenen Linie auf. Mehr lustlos als interessiert taxierte Tullius das Brettspiel, er hatte solche Kinderspiele noch nie geschätzt, war doch bei dem Spiel nicht viel zu gewinnen, noch zu verlieren, womit er keinen großen Reiz darin entdecken konnte. Abermals rang er sich ein freundliches Lächeln ab.
    „Exzeptionell. Ein superbes Spielbrett und so unvergleichlich gearbeitet, liebe Leontia. Ich danke auch Dir, Serenus. Womit komme ich zu der Ehre, dieses Geschenk zu erhalten?“
    Hoffentlich hatte Gracchus nicht einen wichtigen Tag in jener Zeit, was die Familie noch zelebrieren wollte, denn weder den Tag seiner Geburt kannte Tullius, noch hatte er das Fest einer Bullaablegung je erlebt.




    Erheitert vernahm Quintus Tullius die Worte der jungen Frau, bedachte sie durchaus mit Interesse, denn gleichwohl es mehr eine Vermutung war, hatte sich sein Verdacht doch durchaus erhärtet. Tullius Lippen kräuselten sich marginal und er richtete sich von der Tischkante auf und trat abermals um den Tisch herum. Seine Finger strichen über das glatt polierte Holz eines elegant geschwungenen Regals, auf dem sorgfältig archiviert einige Schriftrollen noch ihrer Bearbeitung harrten, an manchen prangte das städtische Siegel der Archive, an anderen wiederum ein Flavisches. Schweigend und ohne auf Arrecinas Flehen einzugehen, brach er eines der städtischen Siegel, lass die Angaben zu einem verstorbenen Individuum. Die Schriftrolle trat den Rückweg zu seinem ursprünglichen Platz ein, befand Tullius derartige Belange doch als sehr fatigierend. Weiterhin seine Beschäftigung auf die Dinge, die er in Gracchus Officium vor fand, lenkend, erwiderte er beiläufig, fast sogar embetiert:
    „Meine liebe Nichte, Du musst Dich doch nicht Deiner Liebe schämen. Es ist doch imitativ für eine junge Frau wie Dich, dass sie sich verliebt. Und Amor war schon immer sehr launisch mit seinem Segen.“
    Spöttisch verzogen sich Tullius Mundwinkel nach unten, denn an die Liebe glaubte er so wenig wie an das Recht der Schwachen überleben zu dürfen. Noch nachfolgend dem Atemzug seiner zuletzt gesprochenen Worte, erblickte Tullius ein Objekt, welches seine Aufmerksamkeit erregte. Vorsichtig fuhren seine Finger über das Holz und an dem Schloss einer Truhe entlang. Nun wandte er sich doch temporär Arrecina zu, wollte er doch, dass sie nicht unbedingt gleich sein Tun erkannte. Mit einer Hand holte er seinen Dolch hervor, offenbarte Arrecina erneut seinen Rücken und konzentrierte sich auf das Öffnen des Schlosses. Metall schabte auf Metall, dann ein leises Knirschen und schon was die Truhe geöffnet. Tullius seufzte leise, steckte den Dolch unauffällig unter seine Toga und hob den Deckel an. Seine Augen weiteten sich marginal und seine Mundwinkel hoben sich, denn was ihm dort entgegenblitzte, war evident sehr erfreulich. Tullius drehte sich um und taxierte Arrecina.
    „Lange, meine liebe Nichte, habe ich mit mir gerungen. Denn zum einen plagte mich das schlechte Gewissen, ob Deines Geheimnisses. Sollte ich es nicht lieber Deinem Vater anvertrauen, damit er die notwenigen Maßnahmen ergreifen könnte? Ich habe mich dagegen entschlossen. Darum, und verzeih es mir noch einmal, war ich vorhin so hart zu Dir.“
    Unter großer Mühe rang sich Tullius ein Lächeln ab, was man durchaus als freundlich interpretieren konnte.
    „Es war nur eine Visitation, um zu erkennen, welche Kraft in Dir ruht, kleine Arrecina. Und ich bin sehr zufrieden mit Dir.“
    Was für eine Aneinanderreihung von Lügen, gesprochen in scheinbarer Absicht, Arrecinas zu einem guten Ausgang ihrer Sorgen zu führen, dabei suchte Tullius nur unsichtbare Fäden um sie zu spinnen und sie, genauso wie ihre Familie, ins Unglück zu stürzen. Tullius ergötzte sich derart daran, daß er ein wenig zu selbstgefällig wurde und ein Flackern in seine Augen trat.
    „Darum, liebe Arrecina, habe ich mich entschlossen, Dir einen gar ungewöhnlichen Rat zu geben. Suche Dir Dein Glück selber, lass es nicht zu, dass jemand Deiner Liebe im Weg stehen wird. Obzwar Du eine Patrizierin bist, so muss es Dich nicht daran hindern, Fortunas und Amors Gaben anzunehmen.“
    Mit einer Hand langte Tullius nach einem Beutel aus der Kiste, in der es klimperte, waren doch viele Goldstücke darin enthalten. Ein Teil des flavischen Vermögens, wie Tullius spekulierte.
    „Gehe mit Rutger fort von hier, verlasse Rom und suche mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Ich werde Dir helfen, von hier zu entfleuchen, ebenso werdet ihr beide genug Geld von mir bekommen, um in der Fremde einen Neuanfang zu beginnen. Ich denke, fünfzig bis hundert Aurei müssten dafür genügen.“
    Sicherlich würde sich jetzt beweisen, ob Arrecina diesen Germanen wahrhaftig liebte, oder es sich nur um eine kindische Schwärmerei handelte, die Tullius nicht nützlich sein würde.
    „Bist Du bereit, Deine Schuld wieder gut zu machen und Deinem Herzen zu folgen?“
    Niemals hätte Tullius gedacht, derart abscheuliche Worte in den Mund nehmen zu müssen, solche, die große Verachtung in ihm wecken würden, wenn ein anderer sie gesprochen hätte.



    Als äußerst drollig empfand Quintus Tullius das Bemühen der Flavierin vor seinen Augen nicht mehr als schwach und weinerlich zu wirken. Sogar seinem Blick wich sie zu keiner Zeit aus. Zugegeben, das vermochten noch nicht mal alle Männer, geschweige denn Frauen oder gar noch Mädchen, aber indes, Tullius war nicht sonderlich beeindruckt von ihrem Verhalten, wenn er es auch aufgeben würde, seine, aus seinem Leben gesammelten, Erfahrungen an das Mädchen vor sich weiter zu geben. Es war der Mühe nicht wert, wenn er es auch mehr als ergötzlich gefunden hätte, wäre die junge Arrecina im Willen stärker und somit einem potentiellen Ehegatten etwas lästiger. Einer ebenbürtigen Frau war Tullius noch niemals in seinem Leben begegnet, hier war das auch nicht anders. Soden rang er sich ein Lächeln ab, es sah nicht sonderlich ernsthaft aus, Tullius hatte auch nicht die Absicht. Wiewohl er nicht auf ihre Ängste und Sorgen eingehen wollte, behauptete er doch anderes.
    „Aber nicht doch, meine liebe Nichte, nichts läge mir ferner als Dich von mir zu weisen. Und Deine Sorgen und Ängste langweilen oder belästigen mich doch in keiner Weise, möchte ich Dir doch nur das Licht am Horizont offenbaren und einen Weg offerieren, das Leben stärker und mit mehr Lebensmut zu beschreiten. Verzeih mir meine harschen Worte.“
    Höchst zufrieden über die Wortwahl lehnte sich Tullius marginal zurück, betrachtete ob die Worte und die Entschuldigung womöglich Früchte trugen und freute sich daran, derart schamlos das junge Mädchen anlügen zu können. Tullius war sich durchaus bewusst, dass dies womöglich keine Meisterleistung von ihm war, aber die Langeweile des Tages, der Ärger über den Hausdrachen, den Bruder des Mädchens, steckte ihm noch tief in den Knochen. Den Vater dieser beiden Kinder beneidete Tullius nicht und verstand vollauf, warum dieser lieber die Stadt Mantua und die Legion gewählt hatte. Die beiden Kinder waren schier nicht zum aushalten. Im Grunde befand Tullius das bei allen Kindern, die er für schwach, nervig und unnütz erachtete.
    Tullius verschränkte die Arme vor der Brust und taxierte ohne Unterlass das junge Mädchen, lächelte amüsiert und meinte, ein verräterisches Glitzern bei ihr wahr zu nehmen. Derart sie sprach und seine Frage negierte, desto sicherer wurde sich Tullius in seiner Vermutung. Sicherlich ging es ihm nicht darum, das Innerste des Mädchens zu erkunden, gar ihr dann auch noch helfen zu wollen. Er wollte schlicht die nötigen Informationen haben, um genug Chaos und Leid, Trauer und Bitterkeit in die Villa Flavia sähen zu können. Und vielleicht lag auch hier ein Schlüssel darin.
    „Süße Arrecina, ich sehe es Dir an Deiner kleinen Stupsnase an…“
    Abermals beugte sich Tullius vor, umgriff ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen.
    „Du liebst diesen Mann! Du brauchst es nicht zu verbergen, meine Liebe, ich weiß es doch schon lange. Rutger hat mir alles gestanden.“
    Eine Lüge, aber dessen schämen tat sich Tullius freilich nicht, womöglich lehnte er sich damit weit aus dem Fenster, doch selbst wenn das Mädchen misstrauisch werden würde, es machte ihm nicht viel aus.




    Der Wagen polterte ruckelnd über einen groben Feldweg. Die Sonne brannte heiß auf die Männer hernieder, die auf dem Wagen saßen. Es war Dardarshi, der schweigsam seine Hände gefaltet hielt und starr auf die schroffe und bergige Landschaft sah, dann ein einfacher Landarbeiter, dem egal war, was für eine Fracht er dieses Mal kutschierte und ein Gracchus, der einen Sack über den Kopf gezogen trug. Gefesselt und ohne Sicht war Gracchus aus dem Weingut heraus geführt worden, damit er das Haus nicht sehen und den Besitzer gar wieder erkennen würde. Das hatte Tullius seinem ehemaligen Piratenfreund versprechen müssen, der lange Zeit auf seinem Schiff gedient hatte. Die Grillen zirpten idyllisch und verstummten kurzweilig, wenn der Wagen an ihren trockenen Grashalmen vorbei fuhr und Steine in das Gebüsch schleuderte. Obwohl es noch am Vormittag war, zeigte sich der Tag doch schon mit der italischen Hitze, die vielleicht auch für diese Gegend untypisch war, dennoch lastend auf den Männern und den beiden Ochsen, die das Gefährt zogen, hernieder drückte.
    Ein Greifvogel zog geschmeidig seine Bahnen am zartblauen Himmel, der von keiner einzigen Wolke getrübt wurde, ebenso wenig vermochte dies dem Land Schatten darzubieten. Auf den Hängen wuchsen über und über Olivenbäume, die die Bauern dort in Anbetracht der Lukrativität in Abwechslung mit den Traubenhängen angepflanzt haben. Silbriggrün schillerten die Blätter in dem Spiel mit dem Wind, der mal die hellere Unterseite, dann die Dunklere offenbarte und dem kargen und ockerfarbenen Land den Hauch von lieblicher Lebendigkeit und spartanischer Schönheit verlieh.
    Einige Grashalme wehten im Zusammenspiel mit den Olivenbäumen hin und her. Der Wagen fuhr beständig weiter. Stunde um Stunde, bis die Sonne den Zenit überschritten hatte und noch gnadenloser herunter strahlte.
    Dann blieb der Wagen stehen und Dardarshi kletterte auf den Wagen zu Gracchus und fing an seine Fesseln zu lösen, zog dann schließlich auch die Kapuze herunter. Immer noch mitten im Gebirge befand sich der Wagen. Karge Felsen ragten zur Rechten auf, eine schwarz glänzende Ziege starrte auf die Männer hinab, ehe sie ungerührt einige trockene Halm ergriff und mit ihren robusten Lippen an einem dornigen Busch kaute. Zur Linken erstreckte sich ein großes Feld aus roten, strahlenden Mohnblumen, die gemischt mit leuchtend blauen Kornblumen sich einem Ozean gleichend aus Rot und Blau im Wind hin und her neigten.
    Dardarshi warf Strick und Sack zur Seite und holte einige Münzen hervor, die er auf der flachen Hand Gracchus hinreichte, ob er sie nun nahm oder nicht.
    „Quintus meint, Du sollst Dich selber nach Rom durch schlagen. Dein Sklave wurde woanders frei gelassen, Du musst Dir also bezüglich seines Weiterlebens keine Sorge machen.“
    Stur hatte Tullius darauf beharrt, dass alles nach seinem Willen geschah. Gracchus sollte es selber schaffen, wieder nach Rom zu kommen und das ohne Hilfe von Sciurus. So wurden Beide in gänzlich anderer Richtung ausgesetzt und auch so, dass sie sich nicht auf halber Strecke begegnen könnten. Zudem wurde Gracchus nur die einfachen Sandalen und Tunica eines Landsklaven, die er am Leib trug, überlassen, die wenigen Asse waren ein Zugeständnis, was Tullius auf Dardarshis Drängen hin bewilligt hatte. Aber so würde Gracchus immer noch einen sehr beschwerlichen Weg zurück haben.
    Darshi wartete bis Gracchus vom Wagen gestiegen war und kletterte wieder auf den Kutschbock hoch und nickte Gracchus zu.
    „Viel Glück. Und denkt an meine Worte, werter Flavius. Möge Mithra Dich schützen.“
    Schon rumpelte der Wagen davon, war kurze Zeit später hinter der nächsten Felsnase verschwunden und einen Augenblick danach war das Geräusch der Wagenräder nicht mehr zu hören. Nur der Schrei des Adlers tönte vom Himmel und das Zirpen der Grillen ertönte wieder, vielleicht auch das Grollen eines wilden Tieres?

    Das kleine Patrizierkätzchen konnte also Krallen zeigen und entblößte ihre kleinen Zähnchen. Darüber ergötzt verzogen sich Tullius Lippen zu einem kalten Lächeln und langsam stand er auf, denn außer dem kleinen Exorzismus, den das Papyrus beschrieb, interessierten ihn im Augenblick die Schriften von Gracchus Amtsgeschäfte wenig. Doch noch mehr tat es Arrecina, die ihm womöglich mehr über die Entfluchung, die Gracchus geplant und womöglich schon ausgeführt hatte, verraten konnte. Langsam und mit einem geschmeidigen Gang trat er um den Tisch herum und vor die flavische junge Frau, lehnte sich gegen die Kante des massiven Schreibtisches und taxierte unverwandt Arrecina. Die kleine Anspielung auf seine Person war ihm mitunter nicht entgangen, doch Arrecina erntete dabei nur weiterhin das kühle Lächeln, was ihren Zorn ungerührt von sich abprallen ließ.
    „Den Tod, Arrecina, solltest Du nicht fürchten, weder von denen, die Dich umgeben, noch Deinen Eigenen. Erst dann, meine Liebe, wirst Du wahrhaftig anfangen zu leben und Deine Geschicke selber in die Hand nehmen können.“
    Tullius beugte sich vor und sah der jungen Frau prüfend in die Augen, als ob er nach etwas in ihr zu suchen schien, gar schon in ihr entdeckt hatte. In Wirklichkeit prüfte Tullius lediglich, ob eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und Gracchus, somit auch ihm, war er doch seinem Bruder similar, zu erkennen war. Die braunen Augen waren in gewisser Weise denen von Gracchus ähnlich, auch der Ausdruck darin ähnelte seinem Bruder, wenn er ihm derart forschend in die Augen gesehen hatte, was nicht lange gewährt hatte. Aber er hatte einen tiefen Eindruck von seinem Bruder in sich und versuchte sich einen von der restlichen Familie der Flavier zu verschaffen.
    Vielleicht war das Eruieren in ihren Augen auch der Grund, warum ihm ein marginales Flackern, eine Unbehaglichkeit auffiel, die nicht von Angst oder Grauen herzurühren schien. Dennoch wusste Tullius zu wenig, um genaueres zu sagen. Aber die Leidenschaft, mit der Arrecina über ihn sprach, öffnete die Tür Erkenntnis einen Daumen weit zu dieser verborgenen und er suchte hinein zu spähen, diesem kleinen Geheimnis, mochte es womöglich dennoch unbedeutend sein, auf die Spur zu kommen. Schließlich hatte sich Tullius genug schon in der Villa gelangweilt und suchte wieder ein interessanteres Spiel.
    „Meine Liebe, Du lässt den Brief verfassen und schreibst ihn mit eigener Hand ab, wenn es Dir so viel bedeutet, kleine, süße Arrecina.“
    Tullius beugte sich noch weiter vor und legte seinen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn abermals anzuschauen.
    „Was bring Dich dazu zu vermuten, dass er Dich nicht verflucht hat, Arrecina?“
    , fragte Tullius durchaus wissbegierig, lastete auf ihn doch selber ein Fluch und es war auch an der Zeit sich damit zu befassen.
    „Dein Leben hat der Germane also gerettet? Meine Liebe, dann ist Dir doch sicherlich bewusst, was das in der Konsequenz bedeutet?“
    Mit dem Daumen strich Tullius an Arrecinas Kinnlinie entlang und betrachtete sie im höchsten Maße amüsiert. Wenn Gracchus ihm nicht gesagt hätte, dass Arrecina zu den Flaviern gehörte, die ihn nicht gut kannten und kaum Verdacht hegen würde, hätte er sich sicherlich nicht zu dieser Art hinreissen lassen, mit ihr zu sprechen, doch die Langeweile machte ihn geringfügig unvorsichtig, dennoch war er sich seines Äußeren genug bewusst, was jeglichen Verdacht hemmen sollte. Wer vermutete schon hinter dem Gesicht eines Onkels oder Vetters einen Zwilling dessen?
    „Wenn er Dein Leben vor Plutos Macht geschützt hat, meine Liebe, dann stehst Du tiefer in seiner Schuld als bei deinem Vater, der Dich nur mit seinen Lenden gezeugt hat. Es ist eine Verbindung, die weit über das Leben hinausgeht, weit über eine normale Bindung. Gedenkst Du, das wieder gut zu machen, kleine Arrecina?“
    Ein wenig Chaos in den Frieden der Villa zu bringen, würde Tullius sicherlich genauso belustigen. Und so sah er Arrecina unverwandt in die Augen.
    „Aber sag, meine Liebe, warum sprichst Du so leidenschaftlich über diesen Rutger?“




    Ein Papyrus fiel langsam vom Tisch und glitt über den steinernen Boden, welcher in strahlendem Sonnenlicht getaucht wurde und somit die Grenzen von Licht und Schatten noch viel klarer zu zeichnen vermochte. Und Quintus Tullius stand halb im Schatten, seine eine Gesichtshälfte blieb durch die Schwärze verborgen, die Andere offenbarte eine belustigte Miene. Schweigend wandte sich Tullius um und nahm hinter dem Tisch Platz, deutete scheinbar freundlich auf einen Stuhl und griff nach einigen der Aufzeichnungen, die sein Bruder in einer minutiösen Art sortiert dort hinterlassen hatte. Einige Schriften über verblichene Römer und ein Testament durchwanderten Tullius Hand, was er alles desinteressiert zur Seite legte und das Schweigen über Arrecina lasten ließ, nur unterbrochen von dem Rascheln des Papyrus. Die wenigen Worte des Mädchens hatten Tullius offenbart, es war nicht die Ehegattin seines Bruders, sondern seine Nichte, die er vor sich hatte, die Tochter des soldatischen Flaviers in Mantua.
    „Arrecina, Krieg ist nun mal notwendig in unserer Welt.“
    Tullius fixierte Arrecina, lehnte sich in dem Stuhl zurück.
    „Der Reichtum und die Macht des Imperiums beruhen einzig und alleine auf den Schlachten und die Kriege, die unsere Vorfahren ausgefochten haben. Auch Deine Sicherheit, Arrecina, würde nicht lange währen, wenn niemand die Grenzen des Imperiums verteidigen würde. Und nicht nur verteidigen, sondern auch Angriffskriege führen, zeigt sich doch darin erst die Stärke eines Reiches. Angezogen wie die Motten vom Licht würden sie kommen, um uns den Reichtum zu nehmen, die Kinder in die Sklaverei zu verschleppen und solche hübschen Mädchen wie Dich zu schänden. Also sei froh darum, dass Dein Vater in den Krieg zieht. Und wenn er stirbt, die Wahrscheinlichkeit ist noch nicht mal sonderlich gering, dann kannst Du Dir sicher sein: Er ist immerhin für den Machtzuwachs des Kaisers gestorben, womöglich hatte es sogar einen Sinn. Und sicherlich wird es das Ansehen der Familie, einen toten Kriegshelden zu haben, ein wenig steigern.“
    Ungerührt ob irgendwelchen sentimentalen Ausbrüchen seitens des Mädchens vor sich, wandte Tullius seine Augen einem Papyrus zu und las interessiert die Zeilen darauf. Exorzismus und das Vertreiben eines Fluches wurden dort mit einer äußerst eleganten Handschrift beschrieben. Tullius Augen weiteten sich marginal, denn in jenem Augenblick hielt er ein Schriftstück in der Hand, was ihm vielleicht von dem elenden Fluch des Weibes befreien konnte, was ihn vor vielen Wochen mit einigen üblen Verwünschungen bedacht hatte. Vielleicht war sein Bruder doch zu etwas nutze und dessen Leben nicht von völliger Tristes gezeichnet. Arrecinas Name und das eines Fremden fiel ihm auf, Tullius Augenbraue wölbte sich in die Höhe.
    „Es ist in der Pflicht eines Patriziers, Arrecina, zu lernen, wie einer zu leben. Auch eine Frau muss dies tun und ganz besonders Du, meine Liebe!“
    Tullius hegte eine tiefe Abneigung gegen Frauchen und Weibsbilder, die sich als Klette an den Mann hängten und stets davon abhängig waren, dass sich ein Mann um sie kümmerte. Darum entsprachen die Worte seiner innersten Überzeugung, wenn er auch glaubte, sie an dem Mädchen vor sich zu verschwenden. Aber scheinbar hatte Gracchus in der Vergangenheit versäumt, dem Mädchen die kalte Welt vor Augen zu führen, in der sie nun mal lebte.
    „Niemand kann Dir die Ängste nehmen, außer Dir selber. Also höre auf, Dich wie ein weinerisches Mädchen zu benehmen und andere Deine Sorgen aufzubürden. Lerne damit umzugehen, kämpfe und zeige, dass Du mehr bist als eine kriecherische Sklavin. Schließlich bist Du eine Patrizierin. Und wenn Dir nichts einfällt für einen Brief, dann lass es einen Sklaven verfassen. Dein Vater wird es sicherlich nicht bemerken.“
    Sorgfältig rollte Tullius das so kostbare Papyrus zusammen, was sich mit dem Fluch auseinander setzte, lächelte sadonisch und taxierte Arrecina.
    „Rutger, fürchtest Du Dich vor ihm? Des Fluches wegen?“




    Rastlos war Quintus Tullius durch die langen Korridore der Villa Flavia geirrt, auf der Suche nach dem Arbeitszimmer seines Bruders. Schließlich hatte er sich doch herab gelassen einen Sklaven mit einigen subtilen Bemerkungen und Fragen dazu zu bringen, ihm den Weg zum Arbeitszimmer zu zeigen. Wenn er sich nicht beobachtete fühlte, lief Tullius mit dem geschmeidigen, leicht rollenden Gang, den er sich in den Jahren auf den Planken seines Schiffes angeeignet hatte, stets im Bewusstsein die Macht auf der Triere zu besitzen, weswegen auch jetzt sein Gang noch von dem Gefühl beherrscht wurde. Selbst wohl es ein herrlicher Sonnentag war, die Vögel gar lieblich im Garten zwitscherten und die Bäume mit zahlreichen Blumen sprossen und ihre Blüten gen blauen Himmel streckten, so war der Gang hier von den düsteren Wänden umschattet, die Ombrage schlich Quintus Tullius, nein, Manius Flavius Gracchus, hinter her und schienen mit dem Windzug den er mit sich trug, nach Flavia Arrecina zu greifen und sie zu umschlingen. Doch es war dann nur der Bruder, der dem Manius Flavius Gracchus so sehr similar war, der an Arrecina heran trat und sie nicht verschlang, wenngleich seine Augen sie mit einem solchen Blick maßen. Denn mit dem Blick wollte Tullius erkennen, ob er vor sich die Frau des Gracchus hatte. Zwar war sie nur eine junge Frau, gerade noch ein Mädchen, mit dem Ausdruck in den Augen, den Tullius bei zahlreichen seiner unschuldigen Opfern gesehen hatte, dennoch im heiratsfähigen Alter. Wenn das die Frau von Gracchus war, dann konnte er die Kühle verstehen, denn wer mochte schon eine Frau haben, die kaum dem Kindesalter entwachsen war. Tullius trat nahe an Arrecina heran und legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn und zwang sie, so den Kopf anzuheben und ihm in die Augen zu blicken.
    „Suchst Du mich? Liegt Dir gar etwas auf dem Herzen?“
    Sardonisch lächelnd griff Tullius an Arrecina vorbei und öffnete die Tür. Tullius trat an Arrecina vorbei und in den Arbeitsraum hinein, sah auf die zahlreichen Schrifttafeln und nickte zufrieden, denn womöglich würde er hier fündig werden. Mit einigen Schritten ging er zu dem Schreibtisch und wandte sich um, sah abermals zu Arrecina.
    „Nun? Was gibt es, meine Liebe?“



    Der Windstoss offenbarte für einen marginalen Moment das Antlitz von Quintus Tullius, der brütend und in seine eigenen Gedanken vertieft, hinter einem alten Olivenbaum stand, dessen Blätter im Sonnenlicht silbrig grün glitzerten und leise ächzend von der Last des Alters und des herrischen Windes sich unmerklich zur Seite neigte. Von dem Zornesausbruch der Flavierin war selbst im hinteren Teil einiges noch zu verstehen, wenn auch Tullius nicht die blutige Tat der Flavierin erblickte, mehr die wütenden Worte vernahm. Ein süffisantes Lächeln drang bis zu seinen Lippen, die Augen erreichte das Lächeln nicht, blieb der Ausdruck darin doch noch mehr düster und nachdenklich, denn er fragte sich seit einigen Stunden, was er hier in der Villa Flavia erwartet hatte. Ein sonderlich spannendes Spiel hatte sich noch nicht entwickelt, die Belange von seinem Bruder erschienen ihm mehr eintönig und ennuyant zu sein. Ein solches fatigante Leben konnte Manius Flavius Gracchus doch nicht wahrhaftig führen. Vielleicht war der Reiz mehr in den subtilen Belangen der Politik zu finden, in dem Ringen im Strudels von Intrigen und Machtergreifung bestehen zu können. Wenn Tullius dann jedoch die konkrete Arbeit von seinem Bruder betrachtete, er hatte einige Zeit benötigt um das Arbeitszimmer ausfindig zu machen, dann beschlich Tullius das unsägliche Gefühl: Es war fade, was Gracchus zu tun hatte, zudem schien sein Leben ein steter Fluss zu sein, breit und mächtig, aber träge und ohne große Wendungen und Unerwartetes.
    Gedanken verloren knetete Tullius mit der linken Hand seine Unterlippe und ließ seine Hand erneut sinken, ihm kam es in den Sinn, dass Tullius womöglich zu den größten Überraschungen in Gracchus Leben gehörte. Mit einer fließenden Bewegung löste sich Tullius aus dem Schatten des Baumes, trat auf den weißen Kiesweg und schritt, die Linke vor seinen Bauch haltend und mit hocherhobenen Hauptes, auf seine Base zu, seine Base und nicht nur die des Gracchus', denn das war sie, wie Gracchus sein Bruder war und er somit auch Leontias Vetter.
    Seine Augenbraue wölbte sich in die Höhe als er auf den Boden einige dunkle Tropfen erkannte und zwei umgeworfene Figuren.
    “Mein liebe Base Leontia, mir scheint, hier ist ein kleines Malheur passiert. Oder gibt es etwas, was Dich derart alteriert hat, dass Du Deine Contenance verloren hast?“
    Ein sadonisches Lächeln schlich sich auf Tullius Lippen und er betrachtete Leontia aufmerksam, um zu eruieren ob sie ein zartes Püppchen war, was er sofort mit gänzlicher Verachtung bestrafen würde, oder gar eine Rose mit zarten Dornen, die er genauso verachten, aber sich noch mehr vor ihr in Acht nehmen würde.


    Während in Rom der Wolf unter der friedlichen und kultivierten Maske von Manius Flavius Gracchus seine Untriebe beging, bis jetzt zeigten sie sich noch nicht all zu schlimm, war davon auf dem Gutshof in den Bergen fern von Rom kaum zu spüren. Idyllisch und warm liebkoste die Sonne das Land, die Kinder tollten weiter hin vergnügt auf der Oberfläche. Nur in den tiefen Kellerlöchern, in denen zwei gefangene Männer, einer ein Sklave und ein anderer ein edler Patrizier, der langsam den Gipfel seiner Macht erklimmen wollte und dem Senat entgegen strebte, wussten und ahnte um das, was in der Villa Flavia wohl vor sich gehen konnte.


    Wie ein Beichtvater seinem Schützling, ein Priester seinem verlorenen Schaft, lauschte Darshi den Worten des Flaviers, des edlen Patriziers, der so unpassend zu seiner Herkunft gefangen gehalten wurde und nun die raue Tunika eines Landsklaven trug. Darshi, der Gracchus aufmerksam musterte, durchfuhr den Gedanken, dass ein Patrizier und ein Sklave wenig zu trennen vermochte, wenn man den äußeren Schein entfernte. Natürlich blieb immer noch das Verhalten übrig, selbst wenn ein Patrizier nackt war, welches ihn noch von dem Unfreien abhob, doch der erste Blick würde Gracchus nicht mehr als das offenbaren was er war, ein reicher Flavier.


    „Nein, er war kein Trierarchus oder ein Tribun, bei weitem nicht. Er hat das Schiff der Classis entrissen und wir sind als Piraten über das Meer gesegelt. Er hat Sklaven, Räuber und Diebe kommandiert, er hat gemordet, gebrandschatzt, gestohlen und die Classis immer wieder an der Nase herum geführt, bis es eines Tages nicht mehr gut ging. Und so führte das Schicksal uns nach Rom und zu Dir. Oder Dich zu ihm?“
    Darshi seufzte leise und dachte noch mal über Gracchus viele Worte nach, worin er seinem Bruder doch gänzlich unähnlich war, denn dieser hatte selten die Angewohnheit etwas aus seinem Inneren preis zu geben. Und Gracchus schien sich, sein Leben, seine Art vor ihm rechtfertigen zu wollen. Dennoch hob sich das Ansehen des Flaviers in Darshis Augen, denn die Schweigsamkeit und die Verschlossenheit war kein Zug, den er an Tullius sonderlich zu schätzen wusste.
    „Mir scheint, Du warst vor kurzem das erste Mal in einer Insula in der Subura oder überhaupt in jenem Viertel. Selbst wenn Du und Tullius in Rom zur selben Zeit aufgewachsen wäret, hätte ihr euch vielleicht niemals begegnen können. Doch er ist schon seit gut zehn Jahren Rom fern geblieben und war die letzten Jahre nur auf den Meeren als Pirat zu finden. Ich glaube kaum, werter Flavius, dass die Diebe des Meeres der Kreis Deiner Bekannten sind.“


    Nachdenklich drehte Darshi den Becher in seiner Hand und stellte ihn auf das Holzbrett zurück.
    „Tullius wird es noch vermögen Dich vielleicht zu überraschen, sind die Dinge doch nicht immer so, wie sie sich zeigen. Wie Du! Meinst Du wirklich, es wäre gut einen Mann wie Tullius an der Macht zu wissen. Sicherlich ist er entschlossen und skrupellos genug, um dies, als Flavier mit Sicherheit, zu erreichen, dennoch wäre es eine Katastrophe. Ihm fehlt die Weitsicht, die Du besitzt. Und auch die Weisheit gefunden in dem Schatz der Bildung. Nicht ohne Grund spricht Platon davon, dass die Philosophen die Geschicke des Staates lenken sollen. Nicht die Krieger. Und ein solcher Philosoph bist Du, Flavius Gracchus. Und deswegen musst Du dafür sorgen, dass die Verantwortung in Deiner Hand liegt und Du darfst sie nicht Quintus Tullius überlassen. So ungern ich das sage, schließlich ist er mein Freund, aber er würde Deiner Familie sehr schaden und die Scherben würden nicht mehr zu kitten sein, wenn Du ihn nicht aufzuhalten vermagst. Ich kann es nicht, da mein Versprechen und meine Freundschaft mich binden, aber den Rat will ich Dir geben. Zudem: Unterschätze ihn und seine Grausamkeit nicht, er schreckt vor keinem Mord zurück!“
    Darshi stand auf und neigte höflich den Kopf.
    „Wenn Du mich nun entschuldigst, werter Flavius. Und verzeih mir noch mal die Unannehmlichkeiten, die Du hast. Es wird sicherlich nur ein paar Tage währen, so gut kenne ich meinen Freund durchaus.“
    Das Bein nachziehend verließ Darshi wieder den Raum und ließ Gracchus zurück.


    Stille herrschte die nächste Zeit, kein Kinderlachen, kein Tollen war zu hören, welche nur unterbrochen wurde von dem Herbeischaffen des Essens, was Gracchus von einem schweigsamen Darshi in den Carcer getragen wurde, der sich nicht noch mal zu einem längeren Gespräch hinreißen ließ. So vergingen die Stunden, die Nacht brach herein und auch die nächsten Tage strichen ins Land. Am vierten Tag nach der ersten Nacht im Carcer öffnete sich die Tür abermals quietschend und Darshi trat hinein. Sein Gesicht war noch verschlossener als sonst, dennoch schien er sehr unglücklich zu sein. In seinen Händen trug er einen groben Sack und ein Seil.
    „Werter Flavius, ich muss euch bitten, eure Hände auf den Rücken zu legen, zudem werde ich euch den Sack über den Kopf ziehen müssen, damit ihr nichts mehr sehen könnt. Es wird nur von kurzer Dauer sein, das verspreche ich euch!“

    Kühl und nüchtern stellte sich die Atmosphäre des gracchischen Raumes der ganzen Lieblichkeit entgegen, die Quintus Tullius entgegenschlug, und wie eine aufdringliche Welle zu überschwappen gedachte, war doch der betörend süße Duft der Kirschblüten schon beim ersten Eintritt von der Patrizierin, Flavia Leontia, deutlich zu eruieren. Langsam erhob sich Quintus Tullius von seinem Sitz, strich mit seinen Fingerspitzen über das kühle Holz des Tisches und trat einen Schritt näher, taxierte die junge Frau mit einem opaken Ausdruck in den Augen, die doch denen von Manius Gracchus so similar waren, mal von dem seltsamen Funkeln abgesehen, mit dem er Leontia bedachte, in dem Versuch Leontia einzuschätzen. Gracchus Frau schien das zu sein, wunderte sich Tullius indes, warum Gracchus mit Kälte über sie sprach, wenn sie ihm so viel Wärme entgegen brachte. Es ergötzte Tullius jedoch schon, dass sie ihn bei Arbeit zu stören wähnte, war er doch eigentlich über einigen unbedeutenden Schriften hängen geblieben. Gleichsam kräuselten sich Tullius Lippen zu einem diffizilen Lächeln.
    „Aber nicht doch, ist mir doch diese kleine Behelligung meines tristen Arbeitstages mehr als genehm.“
    Tullius glaubte schon zu wissen, dass es sich um Gracchus Eheweib handeln musste. Ein wenig mager erschien sie ihm, indes sie anmutiger und lieblicher Erscheinung war, außergewöhnliche Augen besaß und gar schon sinnlich vor gewölbten Lippen.
    „Aber wenn Du sie persönlich zur Morgenstunde geschnitten hast, muss mir ein derart berückendes Sträußchen doch meinen düsteren Tag mit einem Leuchten der Lenzzeit erhellen.“
    Nur mit Mühe konnte Tullius die angewiderten Empfindungen verbergen, die ihm beim Anblick der Blumen überkam und noch mehr von der Süßlichkeit, die Leontia verströmte. Vielleicht war deswegen Gracchus Kälte zu erklären, wenn dieser ihm in dieser Hinsicht glich. Erneut einen Schritt auf Leontia zugemacht, schließlich wollte Tullius alle Aspekte von Gracchus Leben auskosten, und somit auch dessen Frau, derer er vor sich wähnte.
    „Auf dem Schreibtisch würden sie sich gar prächtig machen!“
    Schon streckten sich seine Finger nach Leontia aus als Serenus den Schauplatz betrat. Tullius Hand zog sich schnell zurück, er legte sie auf seinen Rücken und wandte sich dem jungen Mann zu und dessen Hund. Der Junge hatte augenblicklich Tullius unbeabsichtigt einen Gefallen getan, er hatte ein böses Missverständnis ausgeräumt, und Tullius vor der eigenen Enttarnung bewahrt. Zwar despektierte Tullius Kinder noch mehr als das weibliche Geschlecht, wenn auch aus einem gänzlich anderen Grund als sein Bruder, sah er doch in Frauen nur das schwache Geschlecht, doch Kinder waren noch mehr unnütz als Frauen in Tullius Augen. Sie waren keine Sklaven, aber auch keine vollwertigen Menschen.
    Prüfend musterte Tullius den Bengel vor sich und verkniff seine Lippen zu einem schmalen Strich als sich der Hund nach vorne drängte, ihn derart provozierte. Denn seine Hand am Rücken lag nicht weit vom Dolch, den er in einer schnellen Bewegung in den Hals des Hundes stechen vermochte. Sicherlich hatte sein Bruder das schon des Öfteren mit Tieren getan, doch gewiss im Rahmen eines Opfers und Tullius konnte sich derzeit die perplexen Mienen der Beiden bei einem solchen Tun in dem Cubiculum vorstellen. Tullius hob sein Kinn marginal an und sah zu Serenus. Da Gracchus so täuschend ehrlich war, dass Tullius nicht glaubte, er hätte ihn belogen, wenn Tullius sich auch dessen bewusst war, dass Gracchus ihn genau damit ins Messer laufen lassen konnte, nahm Tullius jede Information erst mal als Wahrheit an.
    „Lucius Serenus, schicke Deinen Hund nach draußen. Ich schätze ihn ganz und gar nicht in meinem Raum.“




    Wie ein Verhängnis näherte sich der Tür des gracchischen Cubiculum eine Erscheinung, die Tullius nicht mehr zuwider sein konnte, in ihrer ganzen süßlichen Pracht jedoch ihn zu überraschen gedachte, hätte er von dieser gar entzückenden Gestalt geahnt, wäre es ihm eventuell noch möglich gewesen reiß aus zu nehmen, er hätte sich einen anderen Ort in der Villa gesucht, um den Geheimnissen seines Bruders auf die Spur zu kommen, doch da Tullius weder sibyllische Fähigkeiten, noch die Augen eines griechischen Sehers hatte, ahnte er nichts von dem, was auf ihn zukam.
    In einer Hand hielt er den Brief der Minervina, die Schwester von Gracchus, derer wegen er sich auch keine Sorgen machen brauchte, sie weilte weit genug weg, um in ihm nicht ihren Bruder, den sie womöglich von früher her kannte, zu erkennen. Doch mit einem amüsierten Flackern in den Augen las er die Zeilen um ihren Retter, der flavische Name schien alle möglichen Männer zu blenden, wie die Elstern vom Gold angezogen wurden, so wohl auch jene Männer, die sich als heldenhafte Retter bestimmt gut in dieser Rolle gefielen. Von Rettern hatte Tullius noch nie sonderlich viel gehalten. Nicht unpassend empfand er dieses Korrelat der Elster, bezüglich eines Plebejers, der danach zu streben schien, ein wenig vom Glanz einer patrizischen Familie zu erfahren. Das Einzige, was ihn an dem Brief interessierte, war die Aussage über die „Elefanten“, verspürte er schon eine fast solidarische Verbindung zu den Entführern. Doch Lösegeld war noch nie seine Methode gewesen, viel zu riskant, viel zu unbequem.
    Gelangweilt ließ Tullius das Pergament auf den Tisch fallen, beobachtete, wie es sanft über den polierten Tisch glitt und dann auf den Boden rauschte. Tullius seufzte leise, es war nichts bei den Briefen, was ihm sonderlich Aufschluss gewährte. Stille lastete über dem Raum, nur sein Atem unterbrach diese seltsame Ruhe, und dann ein kaum wahrnehmbares Pochen. Tullius Augenbraue wölbte sich in piratischer Art nach oben, vielleicht war es auch genauso wie bei seinem Bruder, und er lehnte sich in dem Stuhl zurück.
    „Herein!“

    Eine kleine Nuss kullerte in eine erdiges Loch, der Wind strich über die dunkelbraune bis gräuliche Erde, wehte eine kleine Staubfahne in die Höhe, wirbelte umeinander und bildete aus einigen alten und trockenen Blättern eine kleine Windrose, zu klein, um sogar einem einzelnen Strauch zu schaden und zu sanft, um nicht schon von der nächsten Windböe, die über die Berge strich, zerstoben zu werden. Ein kleines Mädchen in einer braunen, kurzen Tunica erhob sich, rannte zu dem Loch und griff mit ihren zierlichen Händen nach einer Reihe von Haselnüssen, die ihr als Murmeln dienten. „Gewonnen!“ krakelte das kleine Mädchen und lief zu ihrem Bruder zurück. Kinderlachen mischte sich in den Wind, der dies bis hinab in den Keller trug.


    Im Dämmerlicht, dem ewige Zwielicht, was in dem Keller herrschte, verriet nichts von dem strahlenden Frühlingstag, der mit voller Pracht sich über die atemberaubenden Täler um das Weingut herum ergoss.
    Ein einzelner hölzerner Stuhl kratzte über den steinigen Boden und Dardarshi nahm vorsichtig, hinsichtlich seiner alten Verletzungen immer noch sehr gehemmt, Platz. Keine Unfreundlichkeit war auf seinem Gesicht abzulesen, jedoch eine gewisse Vorsicht, aber auch Respekt gegenüber Gracchus, denn Dardarshi hatte schnell gemerkt, dass er gegenüber Gracchus, dessen Genius durchaus sehr ausgeprägt war, eine gewisse Sorgsamkeit in seiner Wortwahl angebracht war, um ihn weder zu kränken, noch die Situation im Allgemeinen mit Quintus Tullius zu verschlimmern. So kamen ihm die Fragen von Gracchus nicht sonderlich recht, er schwieg einige Atemzüge und dachte über die Formulierungen nach. Kein Honigbrei am nächsten Morgen, das war noch eine geistige Randnotiz, die sich Dardarshi machte ehe er zu einer Antwort ansetzte.
    „Mein Herr, ich diene nicht Quintus Tullius und habe das auch nie getan. Es sind freundschaftliche Bande, die mich dazu bewegen, seinen Allüren Unterstützung zu gewähren. Außerdem auch die Verpflichtung, dass mein Leben vor dem Tod durch seine Hand entronnen ist. Eine Pflicht, die tausend Mal schwerer wiegt, als jede Sklavenkette es vermag.“


    Außerdem war Dardarshi, nebst seinem Ehrgefühl als Parther, auch noch ein Anhänger des orientalischen Sonnengottes und somit einem Schwur und einem Versprechen noch sehr viel mehr unterworfen und verpflichtet. Doch bis auf einem sanften Lächeln, was sein narbiges und verunstaltete Wangen bewegten und seine mehr dicklichen Lippen aufwölbten, zeigte er nichts von seinen wahren Gedanken dazu.


    „Seine Tage verbrachte er auf einem Schiff. Ich habe Deinen Bruder an den Ruderbänken der Classis kennen gelernt. Das ist schon viele Jahre her, was er vorher getan hat, kenne ich nur aus Erzählungen. Aber seit seinem ersten Tag bei der Classis saßen wir Seite an Seite, ich damals Gefangen von den Männern Deines Volkes und er als Freier genauso angekettet, wie alle Soldaten der Classis auf jenem unsäglichen Schiff. Später hat er dann ein eigenes Schiff befehligt, bis es vor einigen Wochen leider im Sturm versunken ist. Wir sind Beide knapp mit dem Leben davon gekommen.“


    Natürlich verschwieg Dardarshi bei den ersten Sätzen über Tullius die wahre Natur seines Kommandos auf dem Schiff und warum sie gesunken waren, aber Dardarshi wollte Gracchus die Zeit geben, Stück für Stück zu begreifen und die Vergangenheit zu erahnen. Außerdem durchzuckte ihn abermals eine seelische Pein als er an die Nacht des Sturmes sich entsann.


    „Seine Spielernatur hatte er schon vom ersten Tag an, wo ich ihn kennen gelernt habe, doch mit den Jahren ist sie immer ausgeprägter geworden. Doch ich kenne ihn als einen sehr entschlossenen Mann, mir gegenüber hat er stets sein Wort gehalten, wenn er es gibt, dann bricht er es nicht. Es sei denn, er sieht es als Kriegslist an. Er ist es gewöhnt zu befehligen und zu führen.“


    Ein wenig von der Erde über dem Kellerloch rieselte hinab als sich eine kleine Gestalt an das Fenster beugte, Schatten tanzten auf dem Boden und schnell verschwand die kleine Person von der schmalen Fensterlücke hoch oben im Keller.


    „Er ist stets zu allem entschlossen gewesen, vielleicht mag er das eine oder andere Mal schon gezaudert haben, doch wenn er sich zu einem Entschluss durchgerungen hat, dann hat er diesen stets bis zum Ende verfolgt. Er kann sehr grausam und kalt sein, womöglich will er jedoch nur so wirken, doch davon solltest Du Dir besser selber ein Bild machen. Nur solltest Du ihn nicht unterschätzen. Und auch nicht, was sein Tun für ein Schatten auf Dich werfen könnte.“