Beiträge von Flavia Epicharis

    Es war an der Zeit, dass sie auch dem claudischen Onkel einen Besuch abstattete. Als sie vor der hastigen Reise nach Mantua hier in Rom gewesen war, war keine Zeit für einen solchen Besuch gewesen. Nun aber, da sie aus Mantua zurück war, wollte sie natürlich die Geschichten und Erzählungen ihres liebsten Onkels nicht missen, weshalb sie ihn an diesem Nachmittage in seinem Zimmer aufsuchte. Artig klopfte Epicharis, unter dem Arm ein hölzernes Spielbrett und ein kleines Kästchen haltend, das die Spielsteine für jenes Spiel beherbergte. So lange hatte sie den Onkel nicht gesehen, dass ihr nun ein freudiges, aufgeregtes Kribbeln innewohnte und sie es nicht vermeiden konnte, nur Sekundenbruchteile nach ihrem erstmaligen Klopfen noch ein zweites Mal an die Tür zu pochen. Gerade noch konnte sie den Drang unterdrücken, freudig nach dem Onkel zu rufen. Stattdessen wippte sie mit den Zehen.

    Zum ersten Mal, seitdem sie nun wieder in Italien weilte, hatte Epicharis das Gefühl verspürt, etwas Zeit für sich ganz allein beanspruchen. zu müssenNachdem sie intensive Gespräche mit ihrem Vater und ihren beiden Schwestern geführt hatte, wollte sie über das Gesagte nachdenken. Was eignete sich da besser als ein Spaziergang nahe der Natur? Dieser Park, der weder weit entfernt vom Kaiserpalast noch von der claudischen Villa lag, schien ihr hierfür bestens geeignet zu sein, und so machte sie sich an diesem sonnendurchfluteten Wintermorgen auf den Weg hierher, natürlich begleitet von zwei Sklaven, die ihr folgten und auf sie acht geben sollten.


    Langsam schritt Epicharis einen der zahlreichen Kieswege entlang. Unter ihren Schritten knirschten die kleinen Steinchen, und wenn man die Augen schloss, hätte man nur anhand des Geräusches beinahe denken können, dass man sich nicht mehr in Rom, sondern vielmehr an einem kiesigen Strand bei Ostia befand, wo die salzige Seeluft eine dünne Schicht auf der Haut bildete und man das Gefühl hatte, freier atmen zu können. Einzig die Tatsache, dass man am Meer vielmehr Möwen denn andere Vögel hörte, trübte diesen Eindruck, sodass Epicharis bald des Augenschließens und Träumens müde wurde und nun mit nachdenklicher Miene einherschritt, gelegentlich ihre Palla auf den richtigen Sitz prüfend oder sich die Umgebung zu Gemüte führend.


    Ihr Vater sähe es gern, wenn sie ihm einen Enkel gebar, einen Erben, in dessen Adern claudischen Blut floss. Doch wessen Blut würde es noch sein? Epicharis war viel zu lange in Hispania gewesen, um sich einen Eindruck von der hiesigen patrizischen Männerwelt machen zu können. Darüberhinaus glaubte sie einfach nicht an die plötzliche, unerwartete Liebe. Nein, dazu waren ihr zu viele Geschichten von unglücklichen Frauen erzählt worden, die zu viel Leid ertragen und ihr Leben lang eine Rolle spielen mussten. Dennoch, ihr Vater sorgte sich doch um ihr Wohlergehen. Gewiss würde er niemanden auswählen, der ein Monster war. Das würde er ihr nicht antun, dessen war sie sich ganz sicher. Und diesem Gedanken zum Trotze schlichen sich immer wieder Bilder in ihren Verstand. Bilder von einer schlimmen Sorte, Bilder, in denen Epicharis einem alten, aufgedunsenen und reichen Patrizier das Eheversprechen geben musste, um keine Schande über die Familie zu bringen. Sie würde es tun, wenn man das von ihr verlangte, wenn sie dieses Opfer bringen sollte, wenn die Familie dies von ihr erwartete. Aber ob sie glücklich sein würde, das wussten dann allein die Götter. Vielleicht war es doch besser. in den Kult der Vesta einzutreten, solange ihr Vater noch niemandem gestattet hatte, um sie zu werben. Epicharis tat nichts anderes, als Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Vesuvianus war schon gestraft genug damit, dass er dereinst das Eheweib verloren hatte. Es stand Epicharis einfach nicht zu, ihm nun auch noch den Enkel zu verwehren, den er sich von ihr als erstgeborener Tochter wünschte.


    Epicharis blieb stehen, als sie bemerkte, dass ihre Schritte nun ein anderes Geräusch verursachten. Sie war auf die Wiese hinausgegangen, ohne es zu bemerken. Stumm betrachtete sie ihre Umgebung. Nicht weit von ihr befand sich ein kleiner, kreisrunder Teich, auf dem einige Wasservögel lautstark ihre Runden drehten und an dessen abfallendem Ufer acht Götterstatuen standen. Zu Mars zog es die junge Frau nicht hin, doch fand sich auch eine wunderschöne Statue der Iuno unter den mamornen Gebilden. Mit einer Ziegenfellkappe und einigen Opfergaben stand sie auf einem Sockel und sah auf den Teich hinaus, als ob sie den Enten beim Planschen zusah. Epicharis ging direkt zu der Statue hinüber, wobei der morgendliche Tau ihre Füße benetzte, denn obwohl es später Morgen war, so war die Kraft der Sonne doch nicht stark genug, um die Wassertropfen verdunsten zu lassen.


    Ehrfürchtig strich sie über den Sockel der Iunostatue, die an einigen Stellen etwas Moos angesetzt hatte, was ihre Schönheit allerdings nicht minderte.


    "Ach, währte die Schönheit der Menschen doch auch so lang wie jene in den Marmor gemeißelten Nuancen", sagte sie laut vor sich hin, ohne sich vorher zu vergewissern, dass auch niemand in der Nähe die Laute vernehmen konnte.



    Sim-Off:

    Wer auch immer mitschreiben möchte, sei herzlich eingeladen!

    Weißer Marmor warf die Geräusche gebrochen zurück, die Epicharis' Schritte verursachten, während sie dem flavischen Sklaven folgte. Ihr eigener Sklave schritt hinter ihr drein, so leise, dass Epicharis ihn wohl nicht bemerkt hätte, wenn sie ihn nicht selbst mitgenommen hätte. Der Sklave führte sie zu einigen Sitzgelegenheiten, und wie es die patrizische Etikette verlangte, nahm sie als Frau nicht auf einer Kline, sondern in einem Korbsessel Platz. Ihr Sklave bezog etwas abseits neben einer der prächtigen Säulen Stellung, stumm auf seinen Einsatz wartend.


    "Etwas frisches Wasser wäre schön", sagte sie dem Sklaven, der sich nun anstatt des Ianitors um den Besuch kümmern sollte. Aufmerksam betrachtete sie die verschiedenen Büsten und Statuen vergangener Flavier. Dieses Atrium war so anders als das claudische und ihm zugleich doch so ähnlich. Rasch tastete sie sich über die modisch-kunstvolle Hochsteckfrisur und zog einige Falten ihrer hellen Tunika glatt, um der Großcousine angemessen gegenüber zu treten.

    "Hab Dank", sagte sie, wie es sich für eine Dame aus wohlerzogenem Hause gehörte, und trat hinter dem Hünen durch die Tür ins Vestibulum. Auch der Sklave trat ein, behutsam das eingeschlagene Geschenk tragend. Er nahm Epicharis' Palla ab und legte sie sich geschickt mit einer Hand über den Arm, während er mit der anderen das Kästchen balancierte und dann hastig seiner Herrin und dem flavischen Sklaven folgte.

    Epicharis machte große Augen und sah Dolabella entsetzt an. Sie konnte weder dieses Verhalten verstehen noch das Grinsen, was sie im Gesicht der Claudia sah. Langsam wandelte sich ihr Entsetzen in einen bestürzten Ausdruck, und schließlich sah sie nur noch nachdenklich drein und hob unwissend die Schultern.


    "Oh Dolabella, eine Patriziern flieht nicht einfach aus dem Haus ihrer Tante*! Ganz gewiss sorgt sie sich schrecklich um deinen Verbleib und ist schon ganz krank vor Sorge! Und was dir alles hätte passieren können! Man hört die schrecklichsten Geschichten, von versklavten Edelleuten und selbst von Kriegstribunen, die sich nun als Gladiatoren durchschlagen müssen. Ihr Götter habt Dank, dass dir nichts passiert ist!"


    Epicharis legte sich in Erregung die hand auf die Brust und sah Dolabella nach wie vor bestürzt und gleichwie tadelnd an.


    "Was wird dein Vater nur sagen...ich vermag es nicht zu erahnen... Wir werden auf der Stelle Mercurinus opfern gehen, Dolabella. Wir müssen ihm dafür danken, dass er dich sicher auf deiner überstürzten Flucht hierher geleitet hat. Keine Widerrede, das Packen wird eben warten müssen."


    Epicharis erhob sich und streckte ihre Hand nach Dolabella aus.
    "Komm", sprach sie fordernd und sah ihre Großcousine drängend an, um mit ihr zum Tempel des Mercurinus zu marschieren.




    Sim-Off:

    * Ich wusste nicht recht, wer in diesem Haus lebte. Verrätst du es mir, dann werde ich es nachträglich anpassen. :)

    Wieder einmal verband er die Erinnerung an etwas mit dem Militär. Epicharis musste an ihren Vater denken. Vermutlich war die bestimmung beider Männer, dereinst zwischen ihren Kollegen in einem Krieg gegen die Barbaren zu fallen. Eine traurige Zukunft, doch sie wusste, das der Tod für einen wahren Soldaten nur in dieser Weise akzeptiert werden würde. Vermutlich würden solch treue Männer noch mit einem Lächeln auf den Lippen ihr Leben aushauchen, doch den Tod auf dem Schlachtfeld würden sie ganz bestimmt einem langsamen Dahinsiechen auf dem Krankenbett vorziehen. Epicharis behielt ihre trüben Gedanken für sich, doch das Lächeln wich einen Moment von ihren Gesichtszügen und machte angestrengter Trübsal Platz, die sich jedoch schnell wieder fortschob, als Vitamalacus das Malheur mit der Sänfte ansprach.


    "Wenn Schnee wirklich so kalt und nass ist, dann will ich froh sein, dass es hier nicht schneit", sagte sie verschmitzt und blickte zum wolkenverhangenen Himmel. In Germanien schneite es in diesem Moment.


    Wenige Schritte später, Vitamalacus sprach gerade von seinem Freund Titus, gelangten sie am Laden des gut betuchten Schneiders an und Epicharis blieb stehen. Eine der zu weit auf die Straße ragenden Ständer pries eine Tunika an, die sie sogleich in Bann geschlagen hatte, und das so sehr, dass sie die weiteren Worte über Titus schlichtweg überhörte. Die Tunika war lindgrün und wurde unter den Brüsten mit einer kleinen Schließe gerafft, die man nicht sah, wenn man das Kleidungsstück richtig trug. Auf den Schultern lagen zwei filigrane, goldene Spangen in Form von Blättern, die hervorragend mit dem Lindgrün des Stoffes harmonierten. Ehrfürchtig fuhr Epicharis mit den Fingern über den hauchzarten Stoff, der vermutlich mehr entblößte, als er verdeckte. Der Tiberier sprach von seiner Frau und Epicharis nahm sich zusammen und sah ihn leicht zerstreut lächelnd an.


    "Zwanzig Jahre...das ist in der Tat eine lange Zeit. Dennoch wirst du sie stets in deinem Herzen tragen und niemals vergessen, auch wenn du nun dein Glück in der Liebe zu einer anderen Frau gefunden hast."


    Sie meinte durchaus ernst, was sie da sagte. Epicharis hatte selbst weder jemanden lieben verloren, noch sich jemals verliebt, sah man von der Schwärmerei für einen Patrizierjungen aus Hispania einmal ab. Vermutlich war das auch gut so, denn sonst hätten vermutlich die Pläne ihres Vaters sich mit ihren eigenen gekreuzt und somit böses Blut erzeugt.


    "Iulia Helena also", stellte sie fest und strengte ihren Kopf an.
    "Lebt sie nicht in Ostia? Mir war, als verbände ich diesen Namen mit der Hafenstadt, aber ich kann mich auch irren... Nun ja, dann wünsche ich euch, dass die Götter und auch ihr Vater ihren Segen für eure Bindung geben mögen. Vielleicht habe ich ja die Gelegenheit, persönlich zu gratulieren, sollte es soweit sein."


    Epicharis lächelte herzlich und war sich durchaus bewusst, dass sie sich damit beinahe selbst zu einer Feier einlud, zumindest dann, wenn man ihre Worte so auslegen wollte. Wieder strich sie über die Tunika und sah sich verstohlen nach dem Händler um, der jedoch weit und breit nicht zu erblicken war.


    "Ist es nicht leichtsinnig, ein solches Kunstwerk mitten auf der Straße zur Schau zu stellen, wo es jeder einfach einstecken und forttragen kann?" fragte sie Vitamalacus verwundert.

    Ein bärtiger Mann öffnete die Tür, doch war er gekleidet, wie ein patrizischer Sklave gekleidet sein sollte: So, dass man ihn als solchen erkannte. Dies und die rasche Veränderung, die mit dem Sklaven von statten ging, fielen Epicharis sogleich auf, als sie ihn musterte. Zwar prallte sie nicht erschrocken zurück, als er dann sprach, doch musste sie sich schon eine gewisse Vorsicht einstehen. Dieser Sklave war mit Bedacht ausgewählt worden, und Epicharis zweifelte nicht daran, dass er unliebsame Besucher sehr schnell davon überzeugen konnte, besser nicht hier um Einlass zu bitten.


    "Mein Name ist Claudia Epicharis", sagte sie und deutete ein dezentes Kopfneigen an.
    "Ich möchte Claudia Antonia besuchen."


    Das sollte als Erklärung genügen, schließlich ging es den Sklaven in keinster Weise an, was sie mit Antonia zu besprechen hatte. In diesem Moment trat ein Sklave hinter Epicharis. Er hielt den Kopf respektvoll gesenkt und trug ein in rotes Seidenpapier eingeschlagenes, eckiges Etwas. Epicharis lächelte kurz und wartete darauf, dass man sie nicht länger in der Kühle stehen ließ, sondern herein bat.

    Die claudische Sänfte erklomm langsam die Steigung, die zum Anwesen der Flavier führte. Nachdem das Tor passiert war, wurde Epicharis schon leicht unruhig. Aufgeregt wartete sie, bis die vier Träger die Sänfte vor den Stufen absetzten, die zur Porta führten, und stieg dann zuers aus dem Gefährt und dann die Stufen hinauf. Oben angelangt, klopfte einer der Träger, verbeugte sich und ging zurück zu der Sänfte, um sie beiseite zu schaffen, Die Träger würden warten, auch wenn das angesichts des kühlen Wetters an diesen frühen Nachmittagsstunden an den Nonen des Ianuars keine besonders angenehme Aufgabe war.

    Epicharis' Lächeln verschwand und machte augenblicklich eine besorgten Ausdruck Platz.
    "Ausgerissen?" fragte sie verwundert und blickte die Großcousine überrascht an.
    "Wie meinst du denn das?"


    Ein prüfender Blick traf Dolabella und Epicharis hoffte, dass sie damit die plötzliche Abreise von mantua nach Rom meinen würde, aber sicher war sie sich nicht. Immerhin war Dolabella jünger als Epicharis, und hatte demnach vermutlich auch mehr Schabernack im Sinn als sie selbst. Epicharis' Vater würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn Epicharis so wäre wie Dolabella, dachte sie sich schmunzelnd. Wobei sie es auf eine gewisse Art und Weise ja noch war, aber nicht öffentlich zeigte....

    "Ganz recht so", bestätigte Epicharis nickend und mit einem Lächeln auf den Zügen, als Deandra sagte, dass ihre Brüder stets ihre Brüder bleiben würden. Der letzte Satz allerdings ließ sie erstaunen, was sie einigermaßen gut verbarg. Sie nahm sich vor, nicht jetzt danach zu fragen, sondern noch etwas zu warten damit, bis ihre neue Schwester sich einigermaßen eingelebt hatte und Vertrauen aufbauen konnte. Wäre sie an Deandras Stelle gewesen, so hätte sie ihrer neuen Schwester auch nicht verraten, um wen es sich handelte. Dass dieser Jemand allerdings der Grund für die Adoption war, war nun wirklich nicht schwer zu erraten.


    Als Deandra weiter sprach, machte Epicharis ein mitfühlendes Gesicht.
    "Ich könnte mir nicht vorstellen, meine liebe kleine Schwester Prisca zu Grade zu tragen. Mir würde das Herz brechen. Du musst eine starke Frau sein, Deandra! Du hast Prisca noch nicht kennen gelern, aber sie wird sich ganz bestimmt freuen, nun nicht mehr nur unter mir leiden zu müssen", sagte Epicharis und zwinkerte ihr zu.


    "Deinen Bruder musst du mir unbedingt einmal vorstellen. Mache dir keine Gedanken, du wirst die Claudier auch alle kennen und schätzen lernen. Jeder hat eine besondere Art. Vater ist sehr engagiert in der Legio Prima, Prisca ist derzeit etwas unschlüssig, was ihre Zukunft anbelangt, Dolabella ist ein Wirbelwind, Marcellus ein sehr charismatischer Mensch - und ich selbst rede zu viel, wie mir gerade eben wieder auffällt..."


    Epicharis lächelte breit und musterte Deandra mit schräg gelegtem Kopf. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht besagte, dass sie das alles nur halb so ernst meinte, wie sie es sagte - und dass sie sich durchaus darüber freute, eine neue Schwester bekommen zu haben.


    "Du leitest das Gestüt, dass die Pferde der Aurata hervorbringt, nicht? Ich würde es gern einmal besuchen. Pferde sind wunderbare Wesen. ich verrate dir ein Geheimnis, aber du musst versprechen, es nicht Vater zu sagen..." begann Epicharis normal und endete in verschwörerischem Flüsterton, wobei auch die umschauenden Blicke und das Näherrücken an Deandra nicht fehlten, um dem Geheimnis die nötige Umgebung zu verschaffen.

    Das ergab natürlich einen Sinn, dachte Epicharis bei sich und aß den Rest ihres gefüllten Weinblattes. Nachdenklich drehte sie anschließend den Becher in ihrer Hand und sah auf die schimmernde Flüssigkeit darin hinab. Aufgrund der Erwähnung ihres vaters nahm sich Epicharis vor, in den Unterlagen zu schauen, wer derzeit eigentlich die Klienten der Familie waren, denn in ihrer Abwesenheit hatte sich ganz bestimmt einiges verändert. Dass Vesuvianus der Factio Aurata beitretenwürde, nahm sie ebenfalls mit Überraschung zur Kenntnis. Sie hatte ihren Vater als jemanden in Erinnerung, der jeglichen unnötigen Kontakt mit großen Menschenmassen vermied, die Anwesenheit bei Reden auf dem Forum Romanum einmal ausgenommen. Doch vielleicht hatte er über die Jahre hinweg eine andere Sicht der Dinge eingenommen, oder aber er würde sich zwar Sodalis der Factio nennen, doch aber eher im Hintergrund wirken. Etwas anderes würde seine Stellung beim Militär vermutlich auch nicht zulassen.


    Weil beide einen Moment ihren Gedanken nachhingen, entstand eine kleine Pause, in der nur die Sklaven behende hin und her huschten, um Hühnerknochen fortzuräumen oder Platten aufzufüllen, auf denen nurmehr ein oder zwei Bissen fehlten. Die verschwenderische Lebensart war - zumindest für Epicharis - zu etwas ganz Normalen geworden, sodass sie sich eher gewundert hätte, wenn man den Platz eines aufgegessenen Weinblattes nicht sogleich mit einem neuen besetzt hätte. Die Worte des Vesuvianus verwirrten seine Tochter mehr, als dass sie Aufschluss über seine Gedanken gaben, doch da er einer Frage gleich mit einer ablehnenden Antwort vorbeugte, zog Epicharis es vor, lediglich die Stirn fraglich zu runzeln, sonst aber nichts weiter zu fragen. Es schien so, als sei dies ihrem Vater auch recht, da er sogleich das Thema wechselte und auf Epicharis zu sprechen kam.


    Während er sprach, musste sie zu Boden blicken. Sie glaubte, einen Hauch von Stolz (oder war es Wehmut?) in seiner Stimme mitklingen zu hören. Als er geendet hatte, sah sie ihn nachdenklich an, nickte aber erst Momente später.
    "Dann werde ich mir deinen Rat zu Gemüte führen und darüber nachdenken, Vater", versprach sie.


    "Aber jetzt erzähle mir von den Dingen, die sich in meiner Abwesenheit ereignet haben. Wie geht es Onkel Vitulus? Und was machen Cunctator und Marcellus? Ich habe ihn leider nicht gesehen, obwohl er doch in Rom wohnt. die Zeit war vermutlich zu knapp. Und Antonia ist doch jetzt die Gemahlin von Flavius Gracchus! Ich hatte einen Brief zur Hochzeit geschickt, weil ich ja nicht fort konnte. Ich würde sie gern besuchen, wenn ich wieder in Rom bin, und fragen, wie es ihr so ergeht."

    "Natürlich, Vater", sagte Epicharis und nickte gemächlich.
    "Ich fragte nur, weil auch Deandra einige Betriebe in die Familie mitbringt. Soweit ich weiß, leitet sie das Gestüt, das die Pferde für die Factio Aurata hervorbringt, und besitzt einen Töpfer. Deswegen dachte ich, dass auch die Claudia inzwischen Angestellte und Betriebe jener Art besitzen. In Spanien war das an der Tagesordnung."


    Sie warf ihm einen leicht zerknirschten Blick zu, denn sie wollte nicht, dass er ihre Frage als die einer Unwissenden abstempelte. Natürlich schickte es sich keinesfalls für Partritzier, selbst hinter der Ladentheke eines Bäckers zu stehen und...nein, der Gedanke war einfach zu absurd. Epicharis trank erneut einen Schluck Falerner und nahm sich etwas von dem gefüllten Weinblatt.


    "Du stellst es mir also frei, den Dienst im Vestatempel einer angemessenen Ehe vorzuziehen?" fragte sie überrascht. Sie hätte erwartet, dass ihr Vater zumindest eine Andeutung machen würde, was ihm persönlich besser gefiele. Natürlich war es eine Ehre und ein privileg für eine Patrizierin, das heilige Feuer der Vesta hüten zu dürfen, doch Epicharis war sich selbst nicht sicher, ob dies denn ihre Bestimmung war oder ob sie nicht besser ein angemessenes Ehebündnis einging. An die Liebe glaubte sie nicht, einmal zu oft hatte man ihr Geschichten von unglücklichen Frauen erzählt, die den Erwählten heiraten und ihr ganzes Leben lang eine Rolle spielen mussten, die nicht ihrem Genius entsprach. Epicharis schob die finsteren Gedanken fort und sah wieder zu Vesuvianus.


    "Vater, ich schätze dich sehr und würde gern deine Meinung dazu hören, ungeachtet dessen, was ich mir wünsche oder erträume", bat sie ihn und aß von dem gefüllten Weinblatt, das außerordentlich gut schmeckte. Den Ausführungen, Deandra betreffend, hörte Epicharis gespannt zu. Nun ergaben die Worte der Patrizierin einen Sinn, sprach sie doch selbst von 'besonderen' Gefühlen für Teile ihrer Familie.


    "Dann können wir in Bälde mit einem erneuten Umzug Deandras rechnen, wenn besagter Aurelier ihr den Hof macht, nicht? Denn ich nehme an, dass diese Beziehung deinen Segen haben wird. Ach wie schön!" freute sich Epicharis ehrlich. Es schien doch etwas wie Liebe zu geben, auch wenn Venus sie dabei übergangen zu haben schien. Vielleicht würde sie in wenigen Monaten als eine Schülerin im Vestatempel leben...

    "Hm. Aus Vaters Abwesenheit resultiert, dass ich demnächst nach Mantua aufbrechen werde. Ich habe ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und außerdem muss ich ihm einige dringende Fragen stellen. Das sind bisher die einzigen Pläne, die ich habe."


    Epicharis überlegte, ob sie Prisca nicht gleich fragte, ob Vesuvianus eventuell schon Pläne für sie selbst getroffen hatte, verwarf diese Frage dann aber angesichts der Anwesenheit des Mannes und verschob sie auf später. Vielleicht wusste Prisca auch nichts, was vermutlich wahrscheinlich war, wenn Vesuvianus nie in Rom verweilte.


    "Wer ist denn noch hier? Marcellus? Der Ianitor sagte mir, dass Dolabelle derzeit in Mantua ist, ich werde sie vermutlich dort treffen. Ich werde Vater schöne Grüße von dir ausrichten. Vielleicht lässt es sich ja einrichten, dass er nach einer der Sitzungen hier vorbeischaut", sagte Epicharis und zwinkerte Prisca zu.


    Iulianus war recht schweigsam, fand sie. Vielleicht fühlte er sich nicht wohl?
    "Ist alles in Ordnung? Langweilen wir dich?" fragte sie höflich und ohne Häme in der Stimme, denn sie wollte lediglich in Erfahrung bringen, warum der Verwandte nichts sagte und ich voll und ganz dem Essen widmete.

    Epicharis hörte ihrem Vater interessiert zu. Normalerweise interessierte sie Politik nicht sonderlich, aber hier ging es nicht um irgendjemanden, sondern um die Familie und noch dazu um ihren Vater. Sie wusste, dass er bereits einmal Rom als Magistrat gedient und seine Sache gut gemacht hatte, und wie er selbst sagte, würde eine erneute Amtszeit im Cursus Honorum sowohl seine Möglichkeiten in der Legion als auch das Ansehen der Familie mehren, dessen war sich Epicharis vollkommen sicher. Es war als seine Tochter natürlich auch ihre Pflicht, ihn zu Unterstützen, aber sie tat das nicht nur wegen der engen Blutsverwandschaft, sondern auch, weil selbst sie als Nicht-Politik-Interessierte den Sinn hinter diesen Aktivitäten erkannte. Als er ihrer Meinung nach mit leichtem Unwillen von der möglichen Versetzung in eine andere Provinz sprach, lächelte sie und knüpfte an seine Worte an:


    "...oder aber in der Prima bleiben oder nach Rom versetzt werden. Ich bin mir sicher, dass nicht nur Prisca sich sehr freuen würde. Ich bin mir sicher, dass du jeden Posten, den dir der Imperator zuteilt, mit bestem Wissen und Gewissen bekleiden wirst. Du bist ein Claudier", sagte sie, als erklärte das schon alles, dabei war sie keineswegs arrogant oder hochmütig, sondern lediglich stolz auf das, was ihr Vater und andere nenneswerte claudische Vorfahren bereits für die Gens geleistet hatten. Einen Großteil hatte sie natürlich nicht selbst erlebt, sondern aus Schriften oder durch Erzählungen erfahren. Epicharis erinnerte sich noch gut daran, wie die Tante aus Hispania immer am Kaminfeuer gesessen und erzählt hatte, wenn sie zu Besuch gekommen war. Kurz schlich sich das Bild von der erkrankten Tante in ihren Kopf, und wie sie schließlich an ihrer Krankheit gestorben war, dann wandte sie sich wieder der Unterhaltung zu. Es verwunderte sie schon etwas, dass ihr Vater ihr damit quasi gleich zwei Haushalte so gut wie überlies, denn so interpretierte sie seine Worte.


    "Ich bin mir sicher, dass Marcellus und auch Iulianus ein Auge auf das römische Anwesen haben werden, aber ich werde gern helfen, so gut ich kann. Was genau meinst du mit der Vermögensverwaltung? Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, welche Betriebe und Geschäfte die Claudia alle besitzt...", sagte Epicharis und trank einen Schluck Falerner.
    "Ja, Vater. Ich hatte überlegt, vielleicht Vestalin zu werden. Was sagst du dazu, würdest du das gestatten? Immerhin würde mir nicht mehr möglich sein, Nachkommen claudischen Blutes großzuziehen."


    Ein aufmerksamer Blick streifte Vesuvianus bei dieser Frage. Epicharis war sich selbst noch nicht sicher, ob sie das überhaupt wollte. Als kleines Mädchen hatte sie bereits alles daran gesetzt, den Jungen die Köpfe zu verdrehen und vielleicht tat sie das heute noch, auch wenn sie es nicht mehr provozierte. Aber Vestalin zu sein, bedeutete auch, sich nicht zu binden und jungfräulich zu bleiben. In ihre Gedanken hinein sprach Vesuvianus Deandra an.


    "Ich war...naja, um ehrlich zu sein, habe ich mich etwas überrumpelt gefühlt, als ich in Mantua ankam, ihre Sklavin mir die Tür geöffnet hat und etwas von ihrer Herrin erzählte, die adoptiert worden sei... Das kam etwas überraschend für mich, zumal ich es von einer Sklavin erfahren habe. Ich habe mich frisch gemacht und sie dann getroffen. Sie ist nett und ich denke, wir werden viel zusammen unternehmen können. Aber...eine Frage brennt mir auf der Zunge, Vater. Warum hast du sie adoptiert?" fragte sie ihn ohne Vorwurf in der Stimme, sondern lediglich aus Neugier, was ihrem Gesichtsausdruck auch durchaus zu entnehmen war.


    "Ich hielt es für unpassend, Deandra selbst diese Frage zu stellen."

    Epicharis bemerkte nichts davon, dass die Stände zu weit auf der Straße standen, aber das war vermutlich auch nicht verwunderlich, denn sie war niemals Aedil gewesen und würde es auch niemals sein, also richtete sie ihr Augenmerk auf andere Dinge.


    "Schnee....ich habe noch nie welchen gesehen, aber er mein Vater hat mir erzählt, dass er weiß und kalt ist, dass er wie Regen vom Himmel fällt und dass man ihn geschmolzen als Wasser verwenden kann", sagte sie.
    "Eigentlich bedauerlich, dass es hier niemals schneit, ich hätte das gern einmal mit eigenen Augen gesehen."


    Das war für Epicharis eine Art Eingeständnis, denn es klang nicht nur naiv, sondern sie sprach auch von einem ihrer geheimen Wünsche. Nach Germanien hätte Vesuvianus sie niemals allein reisen lassen, immerhin war das die Provinz, die am nächsten am Land der Barbaren lag.


    "Oh ja, das kann ich nur zu gut nachvollziehen. Ich muss mich auch erst wieder zurechtfinden, und um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wie genau ich von hier wieder nach Hause finden werde. Aber ich habe ja Begleitung", sagte sie und lächelte amüsiert über diese Zweideutigkeit, denn dem aufmerksamen Tiberier waren sicherlich die zwei claudischen Sklaven nicht entgangen, die hinter ihnen einherschritten. So war es ihm überlassen, ob er sich selbst oder die Sklaven als ihre Heimwegbegleitung ansah, obwohl natürlich beides der Fall hätte sein können.


    "Dann wünsche ich dir viel Glück, dass du deinen Freund bald finden magst und er noch in der Lage ist, auf eigenen Beinen sein Heim zu erreichen..."


    Epicharis schmunzelte und vermied es, Vitamalacus bei diesen Worten anzusehen. Einzig die zwei Grübchen rechts und links auf ihrem Gesicht kündeten davon, dass sie diese Worte natürlich nicht so meinte, wie sie sie ausgesprochen hatte. Im nächsten Moment aber waren die Grübchen verschwunden und Epicharis sah den Tiberier bestürzt an.


    "Oh, das tut mir leid. Verzeih mir meine Frage. Ich hätte dich das gar nicht fragen dürfen..."
    Epicharis schwieg eine ganze Weile betreten und schritt so mit gesenktem Kopf und über ihre große Klappe nachdenkend neben dem Soldaten einher. Sie überlegte, wie sie da nun am besten das Thema wechselte, aber dann fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht die letzten Worte des Mannes bedacht hatte. So sah sie ihn erneut an.


    "Du wirst dich verloben? Deine Braut wird sicher glücklich sein mit dir. Allein nach dieser kurzen zeit bist du auch mir sympathisch geworden. Ich wünsche ihr und dir alles Gute. Darf ich fragen, wer sie ist? Wenn nicht, übergehe diese Frage einfach."

    "Das weiß ich, Dolabella. Nur vielleicht weiß es dieser Plebejer nicht", entgegnete Epicharis ernst, wenngleich sie trotzdem lächelte. Dolabella würde sicherlich verstehen, was Epicharis damit meinte. Nun gut, sie wusste ja nicht, was in den Briefen stand, und so hütete sie sich, allzu absurde Mutmaßungen anzustellen, aber die Möglichkeit bestand immerhin. Da dieser Pompeius allerdings ein Plebejer war, und noch dazu einer, dessen Name nicht bekannt war, war allein der Gedanke daran aber schon etwas, das ihrem Vater ganz gewiss schadete. Also räumte man besser gleich jeglichen Verdacht aus dem Wege. Epicharis sagte jedoch nichts weiter dazu, denn Dolabella war alt genug, um sich selbst darüber Gedanken zu machen und entsprechend zu handeln.


    "Meine Pläne... Ich weiß noch nicht genau, was ich in absehbarer Zeit tun werde. Vielleicht werde ich Vestalin und gehe nach Rom, vielleicht bleibe ich auch hier, ich weiß nicht. Ich vermisse meinen Vater, aber ich würde auch gern Zeit mit Prisca verbringen.... Mal sehen, welche Lösung sich ergibt. Und was ist mit dir? Was wirst du tun, wenn du in Rom angelangt bist?"

    Epicharis schmunzelte und musterte ihren Vater erneut. Natürlich, da waren die ein oder anderen zusätzlichen Falten und auch hier und da eine neue kleinere Narbe zu sehen, aber im Großen und Ganzen sah Vesuvianus doch aus, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte: groß, kräftig, nicht dick und nicht mager, eben wie ihr Vater so aussah. Da er allerdings anderer Auffassung zu sein schien, zuckte sie nur grinsend mit den Schultern und sagte nichts mehr dazu, was auch gar nicht nötig war, da nun die Speisen aufgetragen wurden.


    Vesuvianus wirkte einen Moment nachdenklich und fragte dann nach Prisca, von der ihm Epicharis gern Bericht erstattete.
    "Ihr geht es gut. Sie hat sich den Göttern verschrieben, doch ist sich nicht sicher, ob dies der ihr vorbestimmte Weg ist oder ob die Götter nicht etwas anderes für sie vorgesehen haben. So wie ich es gesehen habe, scheint sie gut zurecht zu kommen. Marcellus und Dolabella stehen ihr auch zur Seite."


    Epicharis griff sich etwas Brot und brach es in kleine, mundgerechte Stücke, die sie mit etwas Käse zu sich nahm. Der hispanische Käse war sehr viel würziger als der italische, weshalb sie die angenehme Milde so sehr genoss, dass sie sogar einen Moment genießerisch die Augen schloss. Erst die Absicht ihres Vaters, erneut den Cursus Honorum zu beschreiten, ließ sie ihn wieder anblicken, zuerst überrascht, doch im nächsten Moment schon nickte sie.
    "Ich gllaube, das ist der richtige Weg für dich, Vater. Nicht nur, weil du mehr Zeit für uns haben würdest, sondern auch, weil es dich weiterbringen würde. Der Dienst bei der Legion erfüllt dein Herz, das hat er schon immer getan, aber nur mit dem Cursus Honorum kommst du weiter. Außerdem ist der doch die Option auf einen Platz im Senat, nicht?"


    Sie lächelte und nickte noch einmal unterstützend, denn sie meinte ernst, was sie da sagte. Die Frage nach ihren eigenen Absichten kam früher als erwartet, und so war es nicht verwunderlich, dass Epicharis zuerst einen Moment nachsinnen musste, ehe sie sich dazu äußerte.
    "Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Ich würde gern bei dir bleiben, doch fürchte ich, dass du ohnehin wenig zeit für mich haben wirst. Und dann ist ja noch Deandra... Andererseits wäre ich gern bei Prisca. Vielleicht werde ich eine Zeit hier verbringen und eine Weile in Rom. Ich möchte mich noch nicht festlegen. Was sagst du dazu? Meinst du, dass Deandra mit nach Rom kommen würde? Soweit ich weiß, haben sich sie und Prisca noch nicht kennen gelernt."


    Aufmerksam betrachtete sie das Gesicht ihres Vaters, als sie Deandras Namen erwähnte. Immerhin hatte sie ihre neue Schwester selbst kennen gelernt, ohne dass ihr Vater etwas dazu gesagt oder sie darauf vorbereitet hatte. So fragte sie sich nun, was er wohl dazu sagen würde, außer acht lassend, dass sie damit seine Frage nach ihren weiteren Absichten ebenso wie die Äußerung über iulianus überging, aber das war nun wichtiger.

    Epicharis schmunzelte und meinte gehört zu haben, dass Deandra doch auch in der Aurelia Geschwister gehabt hatte. Doch ehe sie etwas entsprechendes erwidern konnte, sprach Deandra schon von ihren Brüdern. Sie konnte es nicht nachvollziehen, aber verstehen, dass ihre neue Schwester etwas wehmütig an ihre Brüder dachte. An die Brüder, die sie durch die Adoption nun verloren hatte. Die Trauer darüber, diese brüder nun verloren zu haben, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, sodass Epicharis gar nicht anders konnte, als ihrer großen Schwester nun Trost zu spenden, indem sie ihr sachte eine Hand auf den Unterarm legte.


    "Liebe Schwester, ich kann nicht davon sprechen, dass ich wissen würde, wie es ist, aber ich kann dein Empfinden verstehen. Deine Brüder werden auch jetzt noch deine Brüder bleiben. Immerhin haben sie dich durch all deine Lebensjahre hindurch begleitet. So etwas geht nicht spurlos an einem vorüber. Ich bin mir sicher, dass sie das genauso sehen werden. Pass auf, sie kommen dich ganz sicher oft besuchen. Wie viele Brüder hast du denn? Ich habe nur eine...nein halt, wir haben nur noch eine kleine Schwester, Prisca."

    Epicharis erwiderte die Umarmung ihrer Großcousine und nickte verstehend.
    "Ja, das kann ich gut nachempfinden. Ich hoffe, dass es mein Vater heute Abend zum Essen hierher schaffen wird, ich vermisse ihn auch sehr. Auch was die Reiserei angeht, kann ich deine Worte nur vollstens nachempfinden. Mir geht es nicht anders. Vor allem, wenn ich mit dem Schiff reisen muss...ich werde schnell seekrank."


    Epicharis lächelte leicht beschämt und zuckte mit den Schultern.
    "Jedem sein Manko", meinte sie.
    "Fabelhaft? Ach naja...man tut was man kann. Diese Tunika steht dir übrigens ausgezeichnet, Dolabella."


    Sie deutete auf die gut sitzende Tunika und nickte, während sie schon Platz genommen hatte und nun auf die Sklavin wartete, die eben jedem der zwei Claudier einen gefüllten Becher reichte. Epicharis nippte an ihrem Getränk und sah dann auf den Brief in ihrer Hand herunter.


    "Weshalb ich überhaupt Anlass hatte, dich zu stören, ist dieser Brief. Er ist von einem Pompeius Antipater, und der Ianitor sagte mir, dass es schon der zweite Brief von diesem Herrn sei. Dolabella, du wirst doch nichts Dummes tun?" sprach Epicharis und sah ihre Großcousine an, als sei sie ihre jüngere Schwester, um die sie sich Sogen machte.