Selbst der seidige Schleier konnte nicht verbergen, wie verblüfft die Claudia plötzlich dreinsah. „Du...ihr habt einen Sohn? Ich meine, Antonia hat...sie ist...ist er hier?“ stammelte sie fassungslos, doch das Glitzern, welches zunächst nur in ihre Augen getreten war, breitete sich nun schnurstracks auf ihrem ganzen Gesicht aus. Ohne dass sie es vermeiden konnte, jauchzte sie himmelhoch und drückte Gracchus – vor der gesamten versammelten Hochzeitsgesellschaft. Sie dachte gar nicht nach. „Oh wie wundervoll! Wie schön! Ach nein, und ich habe gar nichts gewusst davon... Oh Gracchus, meinen aller-, allerherzlichsten Glückwunsch!“ zirpte sie in sein Ohr, ehe sie ihn wieder losließ, um ihn nun weiter anzustrahlen. Man hätte fast meinen können, er sei der Bräutigam an diesem Tage. Und Antonia! Von weitem wirkte sie wie eh und je... Und Epicharis hatte gar nichts gewusst! Ein wenig enttäuscht war sie dann schon, dass Gracchus sie auf den nächsten Morgen vertröstete. „Ich kann es kaum erwarten!“ versicherte sie ihm. Fieberhaft überlegte sie, wie sie so schnell an ein kleines Geschenkchen herankommen könnte. Ach, das war aber auch ärgerlich, dass kein Bote geschickt worden war, oder war gar einer geschickt worden und sie hatte lediglich es nicht mitbekommen? Nicht auszudenken!
Gracchus geleitete sie schließlich auf ihren Zukünftigen zu, bei seinem kleinen Sprachmalheur zogen sich kurz ihre Augenbrauen in mitfühlender Manier zusammen. Der Ärmste. Wenn sie erst einmal in der Villa Flavia wohnte, nahm sie sich vor, dann würde sie so oft mit Gracchus sprechen, wie es ging, damit ihm irgendwann die Bewegungen seiner Zunge und der Lippen wieder flüssiger möglich waren. Natürlich hatten Aristides und sie Gracchus für den Opferritus haben wollen. Epicharis hätte auch darauf bestanden, dass er eine Rolle erhielt, wenn er nur einfacher Priester gewesen wäre. Sie merkte, wie bei der Erwähnung des Haruspex ihr Herz wieder schneller zu klopfen begann und die Aufregung zunahm. Sie war daher froh darüber, dass Fiona ihr etwas zu trinken brachte, und bedankte sich mit einem lieben Nicken in ihre Richtung. Kurz darauf drehten sie und Minna auch schon ab und mischten sich unter die Gäste oder eher die Sklavenschaft. Ein wenig weiter rechts entdeckte Epicharis auch Siv, wie sie bei ihrem Herrn stand, gerade aber wo anders hinsah. Epicharis trank etwas und drückte den Becher dann einem vorübergehenden Sklaven in die Hand.
Sie und der derzeitige Brautführer hatten gute zwei Drittel des kurzen Weges zurückgelegt, als Aristides sich von seinen Kameraden löste und ihr entgegen schritt. Er wirkte glücklich, was sicherlich zu einem nicht geringen Teil am Wiedersehen mit seinen Soldatenfreunden lag, von denen Epicharis bisher nicht einen näher kannte, einige wohl aber vom Sehen, denn damals auf Medeias Hochzeit war auch Epicharis nach Mantua eingeladen worden. Plötzlich blieb Aristides stehen, sah kurz aus, als ob er etwas sagen wollte, doch schloss er den Mund sogleich wieder. Auch Gracchus und sie hatten innegehalten. Als Aristides die Hand seiner Braut ergriff, hatte sie Gracchus kurzzeitig vergessen. Ihr Blick ruhte nun ganz auf dem stattlichen Bräutigam in der Toga, die ihm so gut stand. Seine Worte klangen ergriffen, ganz sicher, und was er sagte, ließ Epicharis’ Herz einfach höher schlagen. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht tief zu seufzen – aber am Abend, ganz gewiss, da würde sie ihm sagen, was er ihr bedeutete und wie diese Worte nun auf sie gewirkt hatten. Für den Moment aber riss sie sich ganz strikt zusammen, drängte das verräterische Glitzern in ihren Augen noch einmal zurück und schöpfte nur zitternd Atem. Ihre andere Hand löste sie von Gracchus und legte sie auf die von Aristides. „Keinen anderen Ort wird es jemals geben, an dem ich lieber sein werde als bei dir“, hauchte sie in Ermangelung anderer Worte und lächelte ihn an.
Als sei diese erste Begegnung von Bräutigam und Braut nun ein Startzeichen für die Gäste gewesen, fanden sich Epicharis und Aristides nun plötzlich zwischen ihren Familien, Freunden und Bekannten wieder. Die erste, die gratulierte, war Epicharis zugleich auch unbekannt. Flavia Celerina hieß sie wohl. Das bedeutete, dass Epicharis zukünftig mehr mit ihr zu tun haben würde, wenn sie denn erst umgezogen war. „Salve, schön dich kennenzulernen“, erwiderte sie freundlich und sah bereits Antonia nahen, ihre Pronuba. Schnell wandte sie sich noch einmal an Celerina. „Wir müssen uns unbedingt unterhalten, später“, versicherte sie der baldigen angeheirateten Verwandten. Dann waren Antonia und ihr Begleiter auch schon heran, Claudia und Claudia umarmten sich kurz, aber herzlich, und Epicharis strahlte erneut. „Liebe Antonia…danke, vielen Dank“, brachte sie nur zustande, dafür aber von Herzen. Nicht schlecht staunte sie dann, als Antonia Tucca vorstellte. Es war Ewigkeiten her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte. Und nun war er in Rom, lebte womöglich sogar in der Villa Claudia, und sie war ihm nicht begegnet – was allerdings auch kein Wunder war, verbrachte sie doch so viel Zeit wie nur irgend möglich außerhalb dieses Hauses, das für sie nicht mehr das Heim war, das es einmal gewesen war. Sie erinnerte sich daran, dass der arme Tucca nicht sehen konnte. Wie lange war es her, ihr letztes Treffen? Jahre mussten vergangen sein! Und damals, beim Auslaufen der Kriegsschiffe aus dem Hafen von Ravenna, hatte sie nicht daran gedacht, ihn zu besuchen. Das schlechte Gewissen regte sich etwas in ihr. „Tucca, das ist aber schön, dass du hier bist!“ Ob er eigens wegen der Hochzeit angereist war? Dann hatte er mehr Schneid als die restliche claudische Meschpoke. „Vielen Dank. Aber noch ist es ja nicht soweit, eigentlich“, fuhr sie dann fort und sah zu Aristides hin, in dessen Hand sie die ihre nach Antonias Umarmung erneut gelegt hatte. „Marcus, Tucca ist ein Großcousin meines Vaters, sozusagen“, erklärte sie ihm, damit er den mit Sicherheit für ihn fremden Besucher etwas besser einordnen konnte. Die Verwandtschaftsverhältnisse in großen Familien waren bisweilen etwas kompliziert, aber Aristides hätte wohl auch ohne die Erklärung der sehr entfernten Beziehung zu Tucca einzig an Epicharis’ förmlichen Verhalten erraten, dass seine Braut und er sich nicht sehr nahestanden. Die Claudia, die nun bald eine Flavia sein würde, bekam nun allmählich kalte Hände. Sie sah sich nach Gracchus um, musterte dann Arisitdes’ Profil. Ganz gewiss würde es nun bald losgehen. Der Gedanke daran ließ sie sich nur noch aufgeregter fühlen.