Beiträge von Nikolaos Kerykes

    In einem leichten Reisewagen ließ sich Nikolaos in die Stadt fahren. Das lebhafte Treiben auf den Straßen, die Flüche der Kutscher, die schweren Gerüche und der Gestank von Unrat und Fäkalien war ungewohnt für ihn. Als wäre der Wagen das Reisegefährt einer Frau, so war er mit Vorhängen und Schleiern verhangen. Durch einen schmalen Spalt sah der Insasse hinaus auf die breite Straße. Auf einem weiteren Wagen wurde das Nötigste an den persönlichen Gegenständen transportiert, die Nikolaos brauchte. Freilich war das Haus in der Stadt ebenso reich ausgestattet wie das Landhaus. Jedoch gab es einige Bücher, Schriftstücke, Kleidungsstücke die Nikolaos hier wie dort nicht missen wollte.


    Endlich erreichten sie den Weg zum Königsviertel. Unbehelligt fuhren sie an den Torwachen vorbei, die den Namen Nikolaos noch kannten. In diesem Teil der Stadt waren die Straßen fast unwirklich sauber. Kein Wunder, da eine ganze Abteilung von Sklaven damit beschäftigt war, sie zu reinigen. Auch gab es keine Händler, keine Bettler hier. Das Leben schien ausgesperrt zu sein.


    Groß und leblos empfing das Haus den Herren. Sogleich ging er in den Garten und wartete dort darauf, dass die Diener seine Reisekisten in den Hof trugen. Er sprach mit ihnen kein Wort, sondern hatte nur stumme Anweisungen mit den Händen gegeben.


    Als Nikolaos den Brief sah, brach er sein Schweigen.


    "Warum hast du ihn mir nicht gebracht?", fuhr er den Hausverwalter an.


    "Ich dachte, du bräuchtest ihn nicht-"


    "Ich weiß wohl gut, was ich brauche."


    Mürrisch wandte sich der Hausherr um und betrat die Bibliothek. Obgleich die Diener sich Mühe gegeben hatten, den Geruch langer Unbewohntheit zu vertreiben, nahm ihn Nikolaos sogleich wahr. Er ging umher, betrachtete die Bücher, nahm einige Rollen in die Hand, legte sie zurück.

    Ein blasses, mageres Männchen mit ergrauten Haaren - obgleich der Träger nicht sehr alt zu sein schien - schlich, auf einen Stock gestützt durch die heiligen Hallen und gab mit kränklicher Stimme den Sklaven Anweisungen.


    "Wo sind die Neuerwerbungen? Warum hat man sie noch nicht in die Bestandslisten eingetragen? Wie soll man sie wiederfinden?"


    Trotz seines offensichtlich schlechten Gesundheitszustandes schien der Mann energisch zu sein.


    "Wo ist die Plinius-Ausgabe, die ein gewisser Markellos Kornelianos der Bibliothek stiftete, vor achtundsiebzig Jahren? Sie steht nicht an ihrem Platz. - Bevor du mir widersprichst, wie das deine Art ist, Aristion, hier siehst du, dass es sie gibt."


    Der Bibliothekar tippte auf eine Zeile der Papyrusrolle, die er bei sich trug.


    "Vielleicht ist sie entliehen-"


    "Entliehen? Gibt es denn keine Kopien davon, die man entleihen könnte? Das Papyrus ist brüchig, und diese Ausgabe beinhaltet wertvolle Zeichnungen. Seit achtundsiebzig Jahren bei uns, und es soll keine Kopien geben? Und mit so etwas muss ich mich herumplagen!"


    Er schüttelte den Kopf.


    "Bin ich etwa Bücherabstäuber? Habe ich denn nicht Besseres zu tun, als die Unordnung zu beseitigen, die ihr hinterlasst? Wollt ihr vielleicht den Tempeldienst für mich verrichten? Bin ich euer Latrinenjunge? Aristion, ich hoffe, du nimmst mir diese Annahme nicht übel, dass ich vermute, du wollest mich töten."


    "Heute entlieh ein Rhomäer das Buch-"


    "Die gesamte Ausgabe?"


    "Nur die Naturgeschichte."


    "Und wo ist das Übrige, es sind hundertsiebzehn* Rollen - ?"


    "Siebenunddreißig hat der Rhomäer-"


    "Nicht siebenunddreißig, es sind immer zwei oder drei Bücher auf einer Rolle-"


    "Aber der Rhomäer-"


    "Und das übrige, wo ist das nun?"


    "Ich weiß nicht-"


    Der Bibliothekar fuchtelte wild mit den Händen in der Luft, machte einige furchterregende Gesten und sagte schließlich leise und fast verzweifelt:


    "Dann sucht!"


    "Ich weiß doch, ihr stehlt die Bücher und verkauft sie...", murmelte er anschließend. Er raufte sich die Haare, ging scheinbar ziellos in den Hallen umher. Dabei lief er - kopflos wie er war- gegen einen Tisch, auf dem ein Mann in einer anscheinend sehr unbequemen Offizierskluft arbeitete.


    "Verzeihe, ehrenwerter Herr.", sagte Nikolaos, da durch den Stoß die Schriftrolle ein Stück aufgerollt war und der Leser vielleicht in der Zeile verrutschte. Ein seltsamer Zufall, der Mann las gerade die Naturgeschichte des Plinius. Auch die "Erkundungen" des Herodots lagen dort. Nikolaos musste sich eingestehen, dass er durchaus an diesem von Thukydides geschmähten Werk Gefallen fand, obgleich er keinesfalls einer jener Leser war, die nur den Wohlgefallen suchten. Auf der anderen Seite schienen ihm auch jene Autoren, die Herodot als Vielschreiber schmähten und ihm unterstellten, einen Haufen wundersamer Geschichten zusammenzutragen, die nicht sicher belegt waren, einen Makel zu haben: Den der zu engen Sichtweise. Er hatte freilich vor allem die zahlreichen Geschichten seiner Heimatpolis auswendig lernen müssen, und schnell war ihm aufgefallen, dass einige Sippen demnach so viel geleistet hätten, dass jedes männliche Mitglied ein großer Staatsmann hätte sein müssen. Freilich hatten diese Geschichtsschreiber sich die Erzählungen der Adelsfamilien angehört, sie verglichen und geordnet - sollten denn die Geschichten eines Herodots weniger glaubwürdig sein, der sie vielleicht von Kaufleuten erfahren hatte? Nikolaos zweifelte auch daran, dass man Dichtung und Geschichtsschreibung je würde ganz trennen können-


    "Kann ich dir helfen? Ich möchte behaupten, dass ich diese Bibliothek besser als jeder andere kenne.", sagte er, wie um sich zu entschuldigen. Als Bürger Alexandrias war es außerdem gewohnt, vor purpurbestreiften Soldaten zu kuschen. Glücklicherweise schien die Zeit, in der sich die Rhomäer wie nie zuvor in der Geschichte in die Belange der Stadt einmischten, vorbei zu sein. Allerdings hatte Nikolaos auch nur geringe Kenntnis von dem, was während seiner Krankheit geschehen war.



    *Völlig fiktive Zahl. Auch eigentlich egal, da man ja von unterschiedlich dicken Schriftrollen mit unterschiedlich vielen Büchern darauf ausgehen kann.

    Einige Tage nachdem der Hausherr von seinem Krankenlager aufgestanden war, machten sich Diener daran, das Stadthaus herzurichten. Zwar rieten ihm die Ärzte davon ab, jedoch wollte Nikolaos so bald wie möglich in die Stadt übersiedeln, um seine Geschäfte wieder in Gang zu bringen. Die Handelsgesellschaft, die ihm gehörte, war ziemlich herabgesunken. Wichtiger war es jedoch, rasch wieder den Pflichten seines Amtes als Apollonspriester nachzukommen.


    So wurde im etwas heruntergekommenen Haus in der Königsstadt der Besen geschwungen, wurden die Wände neu getüncht, die Wandgemälde in den Prunkräumen von Malern nachgebessert, das Dach abgedichtet, der Garten von Unkraut, die Steinplatten und Wände von den Spuren der salzigen Seeluft befreit. Die Rollen in der Bibliothek wurden vorsichtig entstaubt. Teppiche ausgeklopft, die hölzernen Läden und Außentüren neu lackiert.


    Die Vorratsräume wurden aufgefüllt, alter Wein in den Abguss geschüttet. Wasserrohre und Abwasserleitungen ausgebessert, wo es notwendig war. Die Zisterne neu abgedichtet. Neue Vorhänge angebracht. Gekehrt und gewischt, der Moder mit Räucherwerk vertrieben.

    Ich glaube, Cannabis wurde wohl eher nicht geraucht. Theodoros der Alexandriner meinte in einem ähnlichen Thread (den ich leider gerade nicht finden kann) vor längerem, die Völker des antiken Mittelmeerraumes werden vermutlich Rauch allgemein als etwas Göttliches angesehen haben und von daher eher zu kultischen Zwecken genutzt haben - wobei Rauschzustände vermutlich häufig vor einem kultischen Hintergrund aufgesucht worden seien.


    Opium hat man vermutlich zu allen möglichen Zwecken gegessen (das Verfahren, den als Dampf zu inhalieren, dürfte in Europa zur damaligen Zeit unbekannt gewesen sein). Prophylaktisch gegen Vergiftungen (als Zutat des Universalheilmittels Theriak), gegen Schmerzen, Schlafstörungen (wobei diese vermutlich vor Erfindung von elektrischem Licht und (Stech-)Uhren weniger verbreitet gewesen sein dürften), und vielleicht auch einfach so.

    Auf einem Pferd kam ein Bursche dahergeritten, offenbar in großer Eile.


    "Mein Herr schickt mich, diesen Brief für den ehrenwerten Kleonymos abzugeben."


    Ich grüße dich, Kleonymos. Es freut mich sehr, dir mitteilen zu können, dass mich der große Hermes, der Meister der Heilkunst, errettete und nicht in die Unterwelt hinabbegleiten musste. In den letzten Tagen bin ich wieder ein wenig zu Kräften gekommen, sodass ich nun aufstehen konnte, um dir zu schreiben. Sehr beunruhigt mich, dass mit meinen Gütern alles in Unordnung ist. Es haben mich, so scheint es, ganze Heere von Verwaltern betrogen, während ich schon auf dem Weg zu Kharon war. Ich konnte, das ist vielleicht die Übertreibung eines Mannes, der im Fieber auch purpurne Elefanten gesehen hat, schon das Wasser des Flusses der Schmerzen, des Flusses der Tränen, der Wehklagen, des Todes und das des Flusses des Vergessens schimmern sehen, diese vier Ströme, die das ferne Land umgeben, wohin Niemand reisen möchte.


    Vom Wasser der Lethe scheint mich wenigstens ein Tröpfchen erreicht zu haben, denn ich weiß nur noch sehr wenig von dem, was vor jenen vielen Wochen geschehen ist - und, leider, nur das Betrübliche. Wurden die Mörder der guten Urgulania bereits gefunden und bestraft? Was ist mit Timotheos, was mit seiner Schwägerin? Ist Iunia Axilla in guten Händen? Ich versprach Urgulania, auf sie acht zu geben - nun, dieses Versprechen einzulösen, ist mir leider verwehrt geblieben.


    Ich hörte, du seist Gymnasiarch, nun, in dieser Prytanie. Dazu möchte ich dir Glück wünschen. Vielleicht könntest du mich unterrichten, wer noch Prytane ist, welche Beschlüsse auf den vielen Volksversammlungen, die abgehalten worden sein müssen*, entschieden worden sind. Wer hat mit wem ein Bündnis geschlossen, wer ist reich geworden, wer bankrott? Ich muss mich - so wenig es meiner Genesung zuträglich ist - auch in das Geschäftsleben wieder einfinden.


    Was machen deine Geschäfte? Du musst sicher noch viel mehr Vermögen angehäuft haben, als zuvor. Einen tüchtigen Mann belohnen oft die Götter, auch wenn man freilich mancher Gottheit nicht entgeht, die eine böse Absicht gegen einen hegt.


    Ich bitte dich, Kleonymos, komme so rasch wie möglich zu mir auf meine Villa und berichte mir. Ich selbst werde noch einige Zeit nicht in die Stadt fahren können, da mein geschwächter Körper eine längere Fahrt bei dieser Hitze wohl nicht überstehen wird.


    Es grüßt dich und wünscht dir Glück
    Nikolaos.

    Der Diener brauchte - aus Sicht des Nikolaos, der von einer plötzlichen, fieberhaften Ungeduld besessen schien - sehr lange, um Papyrus, Tinte, ein Fässchen mit Wasser, Federn, Bimsstein und ein Brett als Schreibunterlage zu holen.


    "Du vergaßest den Stock."


    "Sehr wohl, Herr."


    Nikolaos hatte sich auf eine steinerne Bank gesetzt und sank nun zurück. Sein Hinterkopf schlug unsanft gegen die Lehne. Er sah sich um. Den Garten erkannte er kaum wieder. Während seiner Krankheit war er nur selten hier gewesen, obgleich sein Bett kaum zehn Schritt entfernt war. Die Luft im Schatten der Zedern und der Dattelpalmen war angenehm kühl. Kühl auch, da hier ein kleines Wasserbecken beinahe direkt vor seinen Füßen in die Erde gegraben und mit Marmorplatten umgeben war.


    Der Diener und der Stock kamen. Nikolaos schwindelte. Der Himmel, die kleinen Stücke davon, die er durch das dichte Blätterdach sehen konnten, schimmerte unwirklich blau. Der Herr musste sich an die Farben gewöhnen. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er sein Gesichtsfeld kleiner geworden war, als früher, vor den qualvollen Monaten. Er hustete trocken. Wenigstens hustete er jetzt kein Blut mehr.


    "Wo ist der Arzt?"


    "Der Arzt-"


    Der Diener schluckte.


    "Du schicktest ihn fort. Peisistratos schickte jedoch heute Morgen nach einem Neuen."


    "Wo ist das Opium?"


    "Der Arzt nahm es mit sich."


    "Der alte Arzt?"


    "Ja, der alte Arzt."


    "Was beim Hades-"


    Nikolaos stockte. Diesem Gott wollte er nicht fluchen, hatte er ihn doch offensichtlich gnädig ziehen lassen. Er beschloss in diesem Augenblick, so bald wie möglich in die Stadt zu fahren und dem Hermes ein Dankesopfer zu bringen.


    "Was grinst du?", fuhr er den Diener an, der - so schien es- gelächelt hatte. Vermutlich erfreute ihn, dass der Herr in seine alten Gewohnheiten zurückfiel, demnach wenigstens zum Teil wieder in ursprünglicher Verfassung war.


    "Verzeih, Herr."


    Der Diener hatte sich im Schneidersitz vor die Füße des Herren gehockt. Er begann, das Papyrus zu glätten. Danach löste er Tinte auf. Danach spitzte er eine Feder an. Er sah zum Herren auf.


    Ich grüße dich, Kleonymos. Es freut mich sehr, dir mitteilen zu können, dass mich der große Hermes, der Meister der Heilkunst, errettete und nicht in die Unterwelt hinabbegleiten musste. In den letzten Tagen bin ich wieder ein wenig zu Kräften gekommen, sodass ich nun aufstehen konnte, um dir zu schreiben. Sehr beunruhigt mich, dass mit meinen Gütern alles in Unordnung ist. Es haben mich, so scheint es, ganze Heere von Verwaltern betrogen, während ich schon auf dem Weg zu Kharon war. Ich konnte, das ist vielleicht die Übertreibung eines Mannes, der im Fieber auch purpurne Elefanten gesehen hat, schon das Wasser des Flusses der Schmerzen, des Flusses der Tränen, der Wehklagen, des Todes und das des Flusses des Vergessens schimmern sehen, diese vier Ströme, die das ferne Land umgeben, wohin Niemand reisen möchte.


    Vom Wasser der Lethe scheint mich wenigstens ein Tröpfchen erreicht zu haben, denn ich weiß nur noch sehr wenig von dem, was vor jenen vielen Wochen geschehen ist - und, leider, nur das Betrübliche. Wurden die Mörder der guten Urgulania bereits gefunden und bestraft? Was ist mit Timotheos, was mit seiner Schwägerin? Ist Iunia Axilla in guten Händen? Ich versprach Urgulania, auf sie acht zu geben - nun, dieses Versprechen einzulösen, ist mir leider verwehrt geblieben.


    Ich hörte, du seist Gymnasiarch, nun, in dieser Prytanie. Dazu möchte ich dir Glück wünschen. Vielleicht könntest du mich unterrichten, wer noch Prytane ist, welche Beschlüsse auf den vielen Volksversammlungen, die abgehalten worden sein müssen*, entschieden worden sind. Wer hat mit wem ein Bündnis geschlossen, wer ist reich geworden, wer bankrott? Ich muss mich - so wenig es meiner Genesung zuträglich ist - auch in das Geschäftsleben wieder einfinden.


    Was machen deine Geschäfte? Du musst sicher noch viel mehr Vermögen angehäuft haben, als zuvor. Einen tüchtigen Mann belohnen oft die Götter, auch wenn man freilich mancher Gottheit nicht entgeht, die eine böse Absicht gegen einen hegt.


    Ich bitte dich, Kleonymos, komme so rasch wie möglich zu mir auf meine Villa und berichte mir. Ich selbst werde noch einige Zeit nicht in die Stadt fahren können, da mein geschwächter Körper eine längere Fahrt bei dieser Hitze wohl nicht überstehen wird.


    Es grüßt dich und wünscht dir Glück
    Nikolaos.

    Nikolaos hörte sich den Bericht mit scheinbarem Gleichmut an.


    "Ich brauche einen Stock. Dann hole einen Schreiber. Ich werde an Kleionymos schreiben. Ist er zurückgekehrt? - ach, er ist doch nun Gymnasiarch..."


    Nikolaos fasste sich an den Kopf.


    "Los jetzt. Kannst du schreiben?"


    "Wusstest du nicht, Herr, dass ich das kann?"


    "Aber du bist nicht mein Schreiber."


    "Der ist an einem Schlangenbiss gestorben, schon vor den Überschwemmungen."


    "Los jetzt. Hole das Nötige."


    "Sehr wohl, Herr."


    Der Diener verneigte sich und ging in das Studierzimmer. Dort hatte sich Staub abgesetzt. Da die Läden lange verschlossen gewesen waren, war die Luft modrig.

    Nikolaos hatte mehr als einmal den Mund zusammengekniffen, damit die Seele nicht entwiche. Nach dem Tod Urgulanias war das Fieber wieder gekommen und hatte ihn seitdem nur tageweise verlassen. Viele Ärzte hatten sich an ihm versucht. Viele Ärzte hatte er davongejagt. Irgendwann war er überzeugt davon, sie hätten es lediglich auf sein Vermögen abgesehen, womit er nicht zu sehr Unrecht hatte. Sein Vermögen war mit jedem entlassenen Arzt ein Stückchen dahingeschmolzen. Hinzu kam, dass er sich nicht mehr selbst um seine Geschäfte kümmern konnte. Bald hatte er den Verwaltern seiner Geschäfte im Delirium alle Vollmachten ausgestellt, die sie brauchten, um ihn zu betrügen und mehr Vollmachten, als notwendig, bald misstraute er selbst alten Hausdienern.


    "Es ist die Schwindsucht", hatte ein Arzt gesagt. "Die Leber ist schlecht", ein anderer. "Zu viel gelber Gallensaft.", der nächste. "Immer noch zu viel gelber Gallensaft." nach zahlreichen Behandlungen. Der einstige Gymnasiarchos Alexandrias, dem man nachsagte, ein Tyrann gewesen zu sein, wurde mit jedem Aderlass blasser und schwächer. Das Fieber kam, ging und kehrte zurück. In manchen Wochen konnte er sogar aufrecht sitzen und seine Korrespondenz zum Teil erledigen - es hatte sich viel im Archiv gestapelt - in anderen Wochen fieberte er dahin. In diesen Wochen aß er nichts, hatte starken Durst, konnte aber wenig trinken. Nach einiger Zeit wuchsen ihm vom Liegen Geschwüre, die sich in stinkende Wunden verwandelten. Dann ließ die Sehkraft am rechten Auge nach.


    Die Hitze war zurückgekehrt. Am Ende der Nilschwemme ging das Fieber und es blieb fort. Nikolaos konnte sich vorsichtig von seinem Lager erheben. In seinem Schlafraum stank es nach Tod, obgleich die Diener ständig Räucherwerk abbrannten. Vorsichtig ging er hinaus. Die Luft im Garten war angenehm frisch. Zwar waren seine Beine es nicht mehr gewohnt, sein Gewicht zu tragen, dennoch wagte er es, einige Zeit umherzugehen. Er hatte Schwierigkeiten damit, Entfernungen und Abstände abzuschätzen, denn das rechte Auge war nun beinahe erblindet.


    Sofort war ein Diener zur Stelle, an dessen Namen sich Nikolaos nicht mehr erinnern konnte. "Khaire, Kyrie-", sagte dieser und schickte sich an, den Herren zu stützen, denn dieser wankte bedrohlich. "Was ist geschehen, in dieser Zeit-", fragte Nikolaos mit brüchiger Stimme. "Wer ist Gymnasiarchos, sind noch alle Schiffe dar, ist der Mörder der Urgulania gefunden, wie steht es um die Äcker, ist die Nilschwemme ausreichend, gab es Tote dabei? Sind Dörfer zerstört? Was sagen die Orakel?"


    Der Diener setzte ihn über alles in Kenntnis. Zögerlich auch darüber, dass viel Pacht ausgeblieben war, dass einige Bewässerungsgräben nicht mehr zu gebrauchen waren, dass einige Äcker versalzen waren, weil die Entwässerungsgräben verstopft waren, dass die Ausgaben die Einnahmen übertroffen hatten, dass die Haushaltsführung das Vermögen aufgezerrt hatte, dass Vieh verkauft werden musste, dass die Lager leer seien und dass vier Schiffe gesunken seien, und nur noch eines übrig sei.

    "Du bist hier, um die richtigen Worte für deine Gedanken zu finden.", sagte Nikolaos sanft. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass Schülerköpfe voller Flausen waren und ein Schülermundwerk oft sehr unvorsichtig und dabei ungenau.


    "Sehr bedauerlich."


    Das war alles, was er auf die Beteuerung des Anwärters sagte, es bestünde keine Verbindung mehr zu Kassander, so dieser überhaupt noch lebe.


    "Ähm... gut... ich werde dir jetzt die Räumlichkeiten zeigen, so weit du sie betreten darfst. Ich nehme an, du bist mit der Benutzung der Bibliothek noch nicht vertraut?"

    Zufrieden nickte Nikolaos. Er hatte alle Angaben, die er benötigte. Doch dass der Iunier offenbar näher mit den Iuniern in Alexandreia verwandt war, hatte sein Interesse geweckt.


    "Vielen Dank, ich werde sogleich eine Urkunde für das Archiv des Staates anfertigen. Wir sind übrigens beinahe Nachbarn. Bist du mit der ehrenwerten Iunia Urgulania näher verwandt*?"



    Sim-Off:

    *Zu diesem Zeitpunkt lebt die Gute noch ;).

    "Es freut mich, einen Verwandten der ehrenwerten Iunia Axilla kennenzulernen. Herzlich willkommen in Alexandreia - ich vermute, du bist vor einiger Zeit erst eingetroffen?"


    Nikolaos deutete mit einer galanten Geste auf einen freien Platz. Der Iunier schien, obgleich er etwas verwegen und ungepflegt aussah, eine anständige Erziehung genossen zu haben.


    "Ich nehme an, du bist römischer Bürger. In diesem Fall ist es mir eine Freude, in Anbetracht der Freundschaft zwischen Alexandreia und dem römischen Volk die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Nur muss ich dazu deinen Geburtsort, deinen Wohnort in Alexandreia und den Namen deines Vaters wissen und ob du noch unter seiner Gewalt stehst oder schon mündig bist."

    Was der Bursche mit der Rolle der Götter in der Welt meinte, verstand Nikolaos nicht. Auf den Spuren eines Platons versuchte er nicht deshalb den logos der Welt zu durchdringen, um den Göttern konstruierte Rollen zuzuweisen. Die Götter waren entweder stofflich wie die Menschen oder aber ebensolche Ab- und Trugbilder, wie die Dinge. Ebenso selten kam Nikolaos auf die Idee, Gesetze in den logos einzuordnen. Sie waren von Menschen Menschen gegeben worden, göttlicher Wille von Göttern den Menschen. Sie galt es zu beachten.


    "Unter religio verstehen wirklich auch die meisten Römer etwas völlig anderes.", versetzte er, streng und etwas lehrerhaft. Wie kam der Junge nur auf den Gedanken, die Erforschung der Ordnung der Welt mit diesem Begriff zu betiteln?


    "Aber lassen wir das zunächst einmal gut sein. Kassandros-"


    Jetzt hellte sich sein Gesicht wieder auf.


    "-kenne ich durchaus. Er lehrte einst in diesen heiligen Hallen. In den letzten Tagen meines Schülerdaseins - natürlich bleibt ein jeder immer Schüler, denn die Wissbegier ist unersättlich - brachte er mir einige seiner Lehren nahe. Später waren wir Kollegen."


    Sein Gesicht verdüsterte sich. Seine Stimme nahm eine ernste Färbung an.


    "Ich hörte, er sei gestorben? Weißt du Näheres über ihn?"

    Der junge Mann - wenn er die Wahrheit sagte - hatte also eine umfassende Ausbildung genossen. Diese genügte als Grundlage für genauere Studien. Dass des Römers Griechisch einige hässliche lateinische Flecken aufwies, nahm Nikolaos zur Kenntnis, fand es aber noch erträglich im Gegensatz zu vielen Römern, die nach Alexandreia kamen, ohne auch nur einen Satz in der schäbigsten Fuhrmannkoiné von sich geben zu können. Barbaren.


    "Schriften deines Vaters? Dein Vater hat solche verfasst?"


    Nikolaos verstand jetzt auch, was der Junge mit >religio< meinte: Nicht etwa Frömmigkeit und die Technik, wie ein Opfertier am besten zu schlachten sei, sondern das Thema, das in des Andronikos' Ausgabe der Schriften des Aristoteles nach der Physik behandelt wurde, womit sich Platon beschäftigt hatte und viele mehr. Was da die Mythen zu suchen haben sollten, konnte sich Nikolaos nicht erklären. Aber der Junge schien ein besonderes Interesse zu haben, dem auch Nikolaos nicht abgeneigt war. Wie auch viele Lehrer am Mouseion.


    "Ich glaube, mit >religio< meinst du weniger das, was ihr Römer darunter versteht, sondern etwas, das sich in der Kosmologie wiederfindet, in der Lehre von den Ideen und in vielen anderen Lehren, da es so umfassend ist, dass man es nicht nur von einer Seite betrachten kannst. Aber man muss an einer Stelle beginnen."


    Aufmerksam betrachtete Nikolaos die Miene des Anwärters.


    "Wenn du mich nicht belogen hast, verfügst du bereits über einige Kenntnisse. Wir müssen also nicht von vorne beginnen. Ich suche gerade einen Gehilfen. Wenn du möchtest, kannst ich dich zur Probe als solchen aufnehmen. Aber bitte enttäusche mich nicht. "


    Er lächelte, doch man konnte ihm ansehen, dass er dies ernst meinte.


    "Die Sprache von euch Römern gehört auch zu meinem bescheidenen Gebiet im Land der Künste. Mit den ganzen Römern kommen gelegentlich auch lateinische Bücher an diesen Ort. Diese müssen geordnet werden."


    Etwas zerstreut fasste sich Nikolaos an die Stirn.


    "Ich vergaß zu fragen, wer dein Hauslehrer war. Vielleicht kenne ich ihn."

    Der junge Mann schien etwas verwirrt zu sein. Er hatte doch gesagt, er wolle Schüler werden? Nikolaos zweifelte an seinem Gedächtnis. Er musste unbedingt den Genuss des Schlafbringers verringern. >Auch Heilmittel können Gifte werden, wenn man zu viel von ihnen nimmt <, hatte sein Arzt ihm schon häufig mit strenger Miene erklärt.


    Mit dem Wort religio konnte Nikolaos etwas anfangen, da er Latein konnte, wusste aber nicht, was der Junge in diesem Zusammenhang damit meinte.


    "An Kulten wirst du freilich hier vor allem die Verehrung des Apollons und der Musen finden. Alte Schriften - die gibt es hier in der Tat in großer Zahl."


    Darauf war Nikolaos stolz, was man ihm deutlich ansah.


    "Hast du bereits Unterricht genossen?"

    "Khaire, Appios Pomeios.", erwiderte der Epistates höflich, aber dabei beinahe gleichmütig. Wohlwollend betrachtete er den Jüngling. Er war sehr erfreut über diesen Schüler, denn dem Mouseion wehten förmlich die Geister davon. In den Bibliotheken verstaubten mancherorts die wertvollen Bücher, da nur noch wenige Gelehrte und Schüler hier waren, sie zu studieren. Nikolaos hatte sich vorgenommen, an diesem Zustand etwas zu ändern. Immerhin war dies die bedeutendste Einrichtung dieser Art auf der ganzen Welt - oder so weit Nikolaos' Horizont reichte. Seine Freude aber kehrte er nicht deutlich heraus.


    "Du möchtest Schüler der Priesterschaft werden? Was möchtest du bevorzugt lernen?"

    Endlich öffnete der Gymnasiarchos selbst. Er sah etwas zerstreut auf. Seine Schreiber hatten an diesem Tag frei. Auf sich allein gestellt hatte der hohe Beamte Schwierigkeiten, die alltäglichen Geschäfte in der Amtsstube abzuwickeln.


    "Guten Tag, äh... entschuldige bitte, ich hörte das Klopfen nicht... tritt ein...äh... herzlich willkommen, womit kann ich dir helfen?"




    Sim-Off:

    Entschuldige bitte, ich war in diesem Monat dauerabwesend. Klausurphase... Ich hoffe, du möchtest immer noch die Sympolitie, oder was du von Nikolaos willst.

    Sim-Off:

    Ich bitte meinerseits um Entschuldigung :) Achja, du bekommst gleich ne Pn



    "Genau das ist es, was einer Gattin zu geben ich als meine heilige Pflicht betrachten würde.", sagte Nikolaos, erfreut, dass sein Vorschlag nicht auf taube Ohren gestoßen war. Auch schien Thimótheos selbstbewusst. Offenbar hatte er die Machtfrage in der Familie zu seinen Gunsten geklärt und sich gegen den jüngeren Bruder durchgesetzt.


    "Zumal Emilia eine Frau aus einem in Alexandreia überaus angesehenen Haus wäre. Mich freut sehr, dass dir dieser Vorschlag zusagt, und ich bin dir zu Dankbarkeit verpflichtet."


    Natürlich beruhte das Geschäft ohnehin auf Gegenseitigkeit, aber Nikolaos hielt es für angebracht, seine Schuld aus Höflichkeit künstlich zu erhöhen. Er hob ebenfalls sein Glas und trank dem Gast zu. Jetzt musste Nikolaos freilich den letzten Rest an einer väterlich-wohlwollenden Haltung gegenüber Timótheos fahren lassen. Immerhin war dieser der Vormund von Nikolaos' möglicher zukünftiger Ehefrau.


    "Hat die ehrenwerte Emilia in der Ferne einen anderen Vormund, als dich in Alexandreia? Hat sie noch einen Vater, dessen Einverständnis es zu einzuholen gilt?"


    Da begann er schon, der konkrete Plan. Wie vielen Griechen ging auch Nikolaos ein etwas kaltblütiger Sinn für das Geschäft nicht ab. Selbst aus der Ferne konnte ein gegen den Stellvertreter in der Ausübung väterlichen Rechts und gegen den Schwiegersohn gerichteter Groll eines verbitterten alten Vaters gefährlich werden. Nikolaos wusste, dass man in dieser Hinsicht damit rechnen musste, der Alte könnte alles aufwenden, Haus und Hof verkaufen und sein letztes Hemd, nur um einen Sohn für eine Reise in Sachen Rache auszustatten. Derlei Geschichten hatte er als Knabe zu Genüge gehört.