Beiträge von Nikolaos Kerykes

    Nikolaos bemerkte, dass Penelope sich ihm bereits abgewandt und ihrem Beschäler zugewandt hatte. Auch ihr Lächeln blieb ihm nicht verborgen. Kaum merklich biss er sich kurz auf die Lippe, ehe sein Gesicht die Form einer lächelnden Maske annahm. Ihre Verabschiedung hatte, auch das wusste Nikolaos, den Charakter eines höflichen Hinauswurfes.


    "Werte Penelope, ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen.", sagte er süßlich, erhob sich und blieb einen Moment in der Tür stehen, ehe er den Raum verließ. Was danach in diesem Zimmer im Heiligtum der Musen und des Apollons geschehen würde, meinte er sich gut vorstellen zu können.

    Nikolaos bereute, dass ihm das Wort Fest herausgerutscht war und er nicht bei Gastmahl geblieben war. Doch auf den, in seinen Augen sehr spitzfindigen und gemeinen, Kommentar des Markus Achilleos schüttelte er bloß lächelnd den Kopf.


    "Das ist natürlich noch besser, werte Iunia Urgulania.", antwortete er der, wie er hoffte, baldigen Inhaberin des Exegeten-Amtes. Da er Leonidas nichts versprochen hatte, wollte er sich um die Vergabe des Strategen-Amtes nicht mit seiner Verbündeten streiten.
    Außerdem kam ihm der Name bekannt vor. War das nicht einer seiner Schüler im Gymnasion? Nun gut, früh übt sich der, der später groß sein will, und Nikolaos war schließlich selbst in einem beinahe noch jugendlichen Alter in die herrschenden Kreise Alexandrias aufgestiegen.
    "Ich kenne ihn aus dem Gymnasion. Dort hat er sich zumindest als sehr klug gezeigt. Sofern er zuverlässig ist, und das wirst du am besten wissen, werte Iunia Urgulania, spricht nichts gegen ihn."
    Nikolaos fuhr sich mit den Fingern durch das sorgfältig frisierte Haupthaar.
    "Leonidas Kleomenes könnten wir, wenn er dies will, zum Beispiel auch in das Amt des Eutheniarchen bringen-" Er legte eine Pause ein. "Oder in das des Agoranomos. Je nachdem, was ihm eher liegt."
    Wieder eine Pause.
    "Ich bitte euch alle übrigens, auch wenn ich dies wahrscheinlich umsonst tue, da ihr um es ohnehin tun würdet, Stillschweigen über alles zu bewahren, was heute in diesem Raum besprochen wird." Dabei sah er Markus Achilleos direkt an.

    Lange sah der Gymnasiarchos das Mädchen an.


    "Werte Penelope, behalte das Geld. Natürlich kannst du an einem anderem Tag dem Hermes ein Opfer bringen, das du selbst erbracht hast. Wobei man dazu sagen muss: Das Aufwenden von Vermögen für ein Opfer ist nur ein Teil. Das sorgfältige Auswählen von Geschenken, die gut sind, der andere. Und genau das sollt ihr mit dieser kleinen Übung lernen."


    Eine Pause entstand.


    "Ich weiß natürlich dein Ehrgefühl hoch zu schätzen. Doch es ist nichts Unrechtes, wenn du jetzt diese paar Drachmen nimmst. Schließlich bist du in diesen Mauern nicht die Gelehrte, die aus der Stiftung der Ptholomäer ein Einkommen bezieht, sondern die angehende Ephebin, für deren Ausbildung ich genauso Sorge zu tragen habe, wie für die jedes anderen Epheben."


    Er lächelte zart. Doch in dieses Lächeln mischte sich ein bitterer Zug.

    "Schön, dass du bei uns bleibst, werter Markos Achilleos.", meinte Nikolaos höflich.
    "Cleonymus, mir ist jemand zugelaufen, der gerne bei dir gewissermaßen in die Lehre gehen würde. Allerdings weiß ich nicht, ob er gut und zuverlässig ist, das wirst du selbst herausfinden müssen. Sein Name ist Leonidas Kleomenes. Gerne würde er mit dir sprechen."
    Er wandte sich kurz an Markos.
    "Entschuldige, doch diese Angelegenheit möchte ich rasch noch angesprochen wissen, ehe das eigentliche Fest beginnen kann."
    Dann sah er wieder Cleonymus an.
    "Wärst du bereit, diesen Leonidas Kleomenes zu empfangen?"

    Von seinem Arbeitszimmer aus hatte der Gymnasiarchos den Vorfall bemerkt. Sofort war er aufgesprungen und auf die Paelestra hinaus geeilt. Im Näherkommen sah er, dass ein Junge am Boden lag, ein Mann über ihn gebeugt, in der Nähe ein Mädchen.


    "Was ist geschehen?", fragte er rasch.


    War das nicht der Beschäler der schönen Penelope, der da leblos auf dem Boden lag?


    "Mädchen, laufe rasch zum Museion und frage nach- " Nikolaos suchte rasch den Namen eines Iatros, da ihm kein anderer einfiel in der Aufregung: "-Doros. Er soll sofort herkommen."
    Schon beachtete Nikolaos das Mädchen nicht mehr, sondern beugte sich zum Verletzten hinab. Offenbar hatte dieser einen heftigen Schlag ins Gesicht bekommen. Geschieht ihm nur recht, dachte der Gymnasiarchos in einem Augenblick aufflammender Bitterkeit. Doch dieser Junge war immerhin sein Schützling! Er hatte seine heilige Pflicht den Göttern und der Polis gegenüber!
    Etwas unbeholfen schlug er dem Jungen gegen die Wangen und lauschte, ob dieser noch atmete.
    "Was stehst du herum?", fuhr er den Mann an, der offenbar zuvor mit dem Jungen gerungen hatte. "Geh und hol den Kosmetes oder irgendwen, der sich auf soetwas versteht! Und bring feuchte Tücher und Wasser mit!"

    Da war jemand ziemlich beleidigt! Fühlte sich Markus Achilleos nun etwa übergangen? Wollte er gar doch ein Amt besetzen und hatte er darauf gewartet, dass er inständig dazu überredet würde? Wollte er gar, mit den bereits gewonnenen Erkenntnissen ins ferne Morgenland verschwinden oder gar zu Mithridates Castor?
    Nikolaos hätte beinahe den Kopf geschüttelt, doch seine Selbstbeherrschung war stark genug, ihm davon abzuhalten.


    "Aber lieber Markos! Bitte lasse dich von unserem kurzen Gespräch über die Politik nicht stören. Gleich wird das Essen aufgetragen, bis dahin, hoffe ich, haben wir dieses Thema erledigt und können uns angenehmeren Dingen widmen.", sagte Nikolaos beschwichtigend. "Der Abend ist doch gerade erst angebrochen."

    "Dazu muss ich selbst einmal im Katalog suchen. Wenn du magst, können wir sofort gemeinsam zum Katalog gehen. Strabons Geografiká müsste bei den Werken verzeichnet sein, die in den letzten hundert Jahren erschienen sind, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht. In welchem Regal es steht, weiß jedoch nur der Katalog allein und allerhöchstens ein oder zwei ältere Geographen. Ich vermute, das Buch wird sogar mehrfach vorhanden sein, da müsstest du dich entscheiden, welche Abschriften du dir ansehen möchtest."

    Nikolaos kratzte sich am Hinterkopf. Gewagt waren diese Gedanken in der Tat. Ein wenig Furcht flößte ihn der Mann ein. Natürlich würden solche Vorschläge, in der Volksversammlung geäußert, auf regen Zuspruch stoßen. Daher musste Nikolaos wohl oder übel verhindern, dass sie geäußert wurden. Diesen Mann in seine eigene Klüngelwirtschaft einzubinden, redete Nikolaos sich ein, würde vielleicht derart populäre wie aufrührerische und gefährliche Vorstöße verhindern.


    "Ich fürchte, deine Vorschläge gehen zu weit und das in eine Richtung, die uns in diesen Tagen gar nicht hilfreich ist.", meinte Nikolaos rasch. "Gerade den letzten Punkt solltest du so rasch wie möglich dir aus dem Kopf schlagen." Er sah den Mann nachdenklich an, doch nicht einmal streng, wie es sonst des Gymnasiarchens Art oft war.
    "Nichtsdestotrotz sehe ich sehr wohl, dass du um das Wohl der Polis bemüht bist, wenn auch Erfahrung noch keine Zeit dazu hatte, bei dir gewisse Ecken und Kanten zu schleifen. Ich will dich daher, wenn dir das Recht ist, unter meinen Schutz nehmen und dich an meiner Erfahrung teilhaben lassen.", sagte der Gymnasiarch leutselig. "Ich bin mir sicher, auch meine Freunde werden dir Unterstützung nicht versagen. Wenn du magst, kann ich den derzeitigen Strategos Alexandrinos, Cleonymus, bitten, mit dir zu sprechen. Vielleicht ist er bereit, dir im Bereich der Stadtwache, die du als Strategos anführen würdest, seine Erfahrungen mitzuteilen."
    Er ließ seine Worte auf Leonidas wirken.
    "Wenn er sieht, dass du des Lernens willig und fähig bist, ist er vielleicht bereit, deinen Einstieg in die Angelegenheiten der Polis zu unterstützen."
    Wieder eine kurze Pause.
    "Zuvor jedoch muss ich, ehrlich, von dir wissen, ob du bereit bist, uneingeschränkt mit mir zusammenzuarbeiten und auch bereit bist darin einzuwilligen, dein politisches Handeln mit mir und meinen Freunden abzustimmen."

    Nikolaos nickte zufrieden. Es war ihm sehr recht, dass er Iunia gar nicht erst in dieses Amt drängen musste.


    "Mich freut, werte Iunia Urgulania, dass du diese Bürde auf dich nehmen möchtest."


    Nun wandte er sich an Cleonymus.


    "Werter Cleonymus, könntest du dir vorstellen, zugunsten des Kosmeten-Amtes auf den Vorstand der Stadtwache zu verzichten, wenn du sicher wüsstest, dass sich auf unserer Seite jemand für das Amt des Strategos bewirbt, den du zuvor geprüft und für zuverlässig befunden hast?"


    Draußen warteten bereits die Diener mit dem ersten Gang des Essens, doch bevor er zum angenehmeren Teil des Abends überginge, wollte der Hausherr einige Dinge gewissermaßen ins Trockene bringen.

    "Deine Bereitschaft, etwas zum Wohl der Polis zu tun, ehrt dich, werte Penelope.", sagte Nikolaos sanft. Dann sah er sie lange an. Schließlich zog er einen gefalteten, schmalen Papyrusstreifen, um den ein schwarzer Faden gewickelt war, aus einer verborgenen Tasche in seinem Chiton hervor und schob ihn über die Tischplatte in Richtung Penelopes.
    Fallls sie ihn öffnete, sähe sie in kleinen Buchstaben folgendes darauf geschrieben:


    Komme eine Woche vor Ende des Mechir in den Rosengarten, wenn die Sonne bald untergeht. Ein Meister wird sprechen. Komme allein, deine wahren Freunde werden dort sein.

    Ábydos ist der Name zweier Städte. Zum einen trägt ihn Ábydos, an der engsten Stelle des Hellesponts in der Landschaft Troas gelegen. Es wurde von den Meletiern vor etwa achthundert Jahren als Tochterstadt gegründet. Mehrfach griffen die Perser nach der damals bedeutenden Handelsstadt, ehe sie vor etwa vierhundert Jahren ganz dem persesischen Königreich zufiel. Vor dreihundert Jahren schließlich wurde Ábydos Teil des Reiches der Seleukiden, von Philippos dem fünften zerstört, später Besitzung Pergamons. In unserer Zeit gehört Ábydos zur rhomäischen Provinz Asia.
    Ferner bezeichnet Ábydos einen Ort, in dem ein einst bedeutendes Heiligtum des Osiris ansässig ist. Er liegt viele Stadien nilaufwärts von Alexandria. Viele Herrscher aus früheren Zeiten vor dem Siegeszug des Göttlichen Alexanders durch die Welt haben in Ábydos am Nil-Fluss ihre Gräber. Mit der Kultivierung des ägyptischen Landes begann der Niedergang der Stadt, die heute eine Einheit des rhomäischen Stratos beherbergt.

    Typisch für einen Römer, dass dieser stur auf das Latein beharrte! Nikolaos runzelte kurz die Stirn, dann aber wurde seine Miene wieder freundlich.
    "Nun, es gibt in diesen Hallen eine Vielzahl an Werken, in denen die Welt beschrieben wird und auch abgebildet ist. Im siebzehnten Buch von Strabons Geografiká findest du eine Beschreibung Afrikas, ferner steht am Anfang des Buches mindestens eine Karte der ganzen Welt. Wenn du Glück hast, stößt du auf eine Ausgabe, der von späteren Herausgebern auch kleinteiligere Karten angefügt sind, allerdings kann der Wahrheitsgehalt durchaus zweifelhaft sein. Auch Erastothenes Kyrenaikos, übrigens ein Mann, der in diesen heiligen Hallen gewirkt hat, hat der Nachwelt Kartenmaterial und Entfernungstafeln hinterlassen.
    Daneben gibt es noch dutzende weniger bekannter Autoren, die der Bibliothek Kartenzeichnungen und Landesbeschreibungen hinterlassen haben. Doch über deren Werke habe ich keinen Überblick. Vielleicht solltest du Markos Achilleos aufsuchen. Dieser ist seit kurzem erst Priester der Musen und des Apollons, verfügt jedoch über, wie ich meine, hervorragende Kenntnisse der Geographie. Wobei sein Fachgebiet weniger die Mitte der uns bekannten Welt als vielmehr ferne Gegenden im Osten sind."
    Er sah den Soldaten an. Er hoffte, den, wie er meinte, schlichten Geist des Mannes nicht übermäßig strapaziert zu haben.

    Der Gymnasiarchos war, wie immer prachtvoll gewandet und von einem Kranz aus Epheben, Dienern und Leibwächtern umgeben, der Einladung des Agoraonmos gefolgt. Nun saß er da, auf seinem Platz in der ersten Reihe, und folgte mit eisiger Miene dem Schauspiel.
    Die plumben Anspielungen auf gewisse Personen des öffentlichen Lebens bemerkte Nikolaos sehr wohl, doch, wohl ganz entgegen der Absicht des Agoranomos, wurde er weder rot noch blass, noch machten sich Anzeichen des Ärgers an ihm bemerkbar.
    Seine Miene blieb starr, als die erste Szene geendet hatte.

    "Das freut mich sehr, werte Iunia Urgulania.", sagte der Hausherr freundlich und wies mit der Hand in Richtung einer noch freien Kline. "Du kommst im Gegenteil gerade rechtzeitig. Der erste Gang des Mahles dürfte in Kürze bereitet sein." Er lächelte, wie nur er, Nikolaos Kerykes, lächeln konnte. "Wir sprachen gerade über mögliche Zusammensetzungen der Pyrtanenschaft in der nächsten Pyrtanie. Vielleicht könntest du sagen, ob du weiterhin der Polis zur Verfügung stehen wirst, und, wenn dies zutreffen sollte, welches Amt du am liebsten auf dich nehmen würdest."
    Nikolaos hatte schon eine zwar gewagte, doch wie er meinte gut durchdachte Idee. Diese würde er aber nur dann äußern, wenn die Iunierin nicht selbst darauf käme. Zugegeben, was ihm vorschwebte wäre etwas völlig Neues in der ganzen, langen Geschichte der Stadt. Doch immerhin änderten sich die Zeiten.

    Im Andron:
    "Werter Markos", meinte Nikolaos. "Die Möglichkeit der Sympolitie ist ausdrücklich in den Gesetzen der Stadt festgeschrieben. Schließlich trägt sie zur Freundschaft unter den Poleis bei und zur gegenseitigen Hilfe."


    Am Tor:
    Der Mietsklave empfing den neuen Gast und führte ihn, an eleganten Gesten nicht sparend, in das Andron.


    Im Andron:
    Dort lächelte der Hausherr ob der entzückenden Schmeichelei des Cleonymus.
    "Aber werter Cleonymus, sieh mich doch an: Ohne meine Zunge wäre ich verloren. Ohne meine Zunge bin ich nur ein blasses, dürres Männlein.", sagte er, lachte und griff zum Becher. Gerade wollte er einen weiteren Scherz auf seine eigene Person machen, da kündigte ihm der Mietsklave eine ältere Dame an.
    "Chaire, Iunia. Ich hoffe, deine Reise hierher war nicht allzu beschwerlich?"

    "Werte Penelope, Menschen, die sich den Musen widmen, kann jede Polis gut gebrauchen, denn ist die Polis den Geweihten der Musen gütig, so sind vielleicht auch die Musen der Polis gütig.", säuselte Nikolaos.
    "Doch bei deinem hervorragendem Verstand, den zu erkennen ich ja bereits die Freude, ja die Ehre, hatte, wirst du sicher noch viele Fertigkeiten mehr haben.
    Aber nicht ich möchte mir anmaßen, über deine Fähigkeiten zu urteilen, werte Penelope. Ich dachte nur daran, es könnte vielleicht etwas im Dienste der Polis geben, wozu du dich berufen fühlst."

    Nikolaos Kerykes war ebenso in der Bibliothek zugegen. Er hatte einige Schüler angewiesen, für ihn Kopien gewisser Werke von Platon und von Aristoteles anzufertigen. Während nun die jungen Männer (darunter aber auch einige junge Frauen) abschrieben, bemerkte Nikolaos beim Sichumblicken einen römischen Soldaten, der etwas verloren inmitten der Regale und Schränke voller Schriftrollen und Armaria stand und sich umblickte.


    "Chaire, werter Mann. Kann ich dir helfen?", fragte er den Fremden.

    Geduldig hörte sich Nikolaos die Antworten der Schüler an.


    "Mir scheint, ihr wisst viel über diese beiden Götter. Das ist sehr gut, denn nur wenn man den Charakter eines Gottes kennt, weiß man, wie man ihn gütig stimmen kann. Nun aber haben wir zunächst genug gesprochen. Ihr sollt hinausgehen und Gaben besorgen."


    Nikolaos holte einen Geldbeutel hervor und gab jedem Schüler die gleiche Anzahl an Drachmen.


    "Ihr sollt nur dies Geld verwenden. Es ziemt sich nicht für junge Menschen, die noch keine Bürger sind, mit dem Reichtum, den ihre Väter und nicht sie selbst erarbeitet haben, vor den Göttern zu prahlen."




    Sim-Off:

    In kürze entsprechende Wisim-Transaktionen.