Auf die Antwort des Markus hätte Nikolaos fast ungläubig den Kopf geschüttelt. Wozu um alles in der Welt ist er dann hier? Nikolaos war innerlich beinahe persönlich gekränkt. Er hatte fest damit gerechnet, dass sich Markus für ein Amt zur Verfügung stellen würde, vielleicht für das des Strategos, um Cleonymus die Abgabe der Stadtwache leichter zu machen und ihm den Weg nach oben zu -
Nikolaos behielt die Fassung. Was will er von seinem basileus, wenn er doch ein Verbannter ist? Warum fühlt er sich einem König verpflichtet, wenn er doch ein freier Bürger sein kann? Das typisch hellenische Weltbild des Nikolaos erhielt einen tiefen Riss. Er glaubte, Markus nicht mehr trauen zu können. Womöglich war er nur dazu in Alexandria, um die Stadt und die Provinz der Rhomäer auszuspähen, auf dass sein Herrscher mit seinen Truppen in der Stadt mordend und brandschatzend einfallen würde, bald, vielleicht in wenigen Wochen... .
Daher war Markus Achilleos derart geizig mit seiner Erfahrung! Deshalb drückte er sich darum, seine ominösen Schriften zu übersetzen. Und selbst wenn er sie übersetzte, wäre sein Übersetzung sicher nur ein Vorwand, in Wirklichkeit hatte er lediglich im Sinn gehabt, einen ganzen Stapel von detaillierten Anwesungen und Merkblättern ins Land zu schmuggeln... .
Nikolaos Säuerlichkeit wich blankem Entsetzen. Oder gab es gar keinen Herrscher von Chin und keine Schriften und Markus war nur ein gewöhnlicher Wahnsinniger?
Hätte Nikolaos einen Weg gewusst, den Mann höflich aus dem Haus zu jagen, wäre er ihn ohne zu zögern gegangen. Unhöflichkeit Markus gegenüber scheute er hingegen. Wenn dieser wahnsinnig war, würde er sicher nicht davor zurückschrecken, im Zorn ein Messer zu ziehen - wenn er ein Spion war, würde er sicher den Truppen seines Herrschers zuerst den Weg zu Nikolaos Haus zeigen... In allen anderen Fällen würde er vielleicht zu Mithridates Castor laufen... Kannte er Mithridates Castor? Konnte er überhaupt um die Gegnerschaft wissen?
Nikolaos beschloss, auf jeden Fall vorsichtig zu sein und den Mann im Auge zu behalten. Daher ließ er sich äußerlich von seiner Bestürzung nichts anmerken. Vielleicht konnte er Markus, auch wenn dieser kein Amt im Sinne des Nikolaos ausführen wollte, dazu bringen, wenigstens in der nächsten Volksversammlung im Sinne Nikolaos' seine Hand zu heben.
"Eine Akademie?" Jetzt erst, als der anfängliche Schrecken abgeklungen war, witterte Nikolaos die Konkurrenz, die dieser Gelehrte damit sowohl dem Museion als auch dem Gymnasion machte. "Darf ich fragen, um was für eine Art von Akademie es sich handelt?", fragte Nikolaos freundlich und unverbindlich.
Schade bloß, dass Cleonymus mit diesem Mann gutfreund zu sein schien, sonst hätte Nikolaos ihn und seine Stadtwache auf Markus angesetzt. Er ist mir von Anfang an eigenartig vorgekommen... Er lächelte Markus zu und sein Lächeln gelang ihm erstaunlich echt.
"Ich fürchte, werter Cleonymus, das ist nicht möglich. Auch wenn es sich zum Beispiel in deinem Fall anbieten würde, ich dachte da an das Amt des Strategos und an das des Kosmetes, beides Ämter, glaube ich, die bei dir in guten Händen wären."
Dass die Vereinigung zweier höchster Staatsämter auf eine Person einen groben Verstoß gegen die Grundsätze der Polis, vor allem gegen den der Isonomie, bedeuten würde, verschwieg Nikolaos. Auch, dass ein solcher Vorschlag, in der Volksversammlung geäußert, unweigerlich lauten Protest und die Forderung nach Verbannung oder ähnlichem hervorgerufen hätte.
"Es ist bedauerlich, dass du, werter Markos, kein Staatsamt auf dich nehmen möchtest. Ansonsten hätte ich vorgeschlagen, dass Cleonymus bei der nächsten Ekklesia Kosmetes wird, Markus das Amt des Strategos übernimmt, damit die Stadtwache nach wie vor in guten Händen ist."
Dass sie das bei Markus wäre, bezweifelte Nikolaos natürlich nun. Und daran, dass es wenig klug wäre, einen Spion eines Barbarenfürsten in einem dunklen Reich irgendwo in fernen Gefilden eine Stadtmiliz anzuvertrauen, wollte Nikolaos gar nicht denken. Wobei Alexandria entweder ohnehin verloren wäre, oder aber die Rhomäer sich ohnehin als die Stärkeren erweisen würden.
"Sehr bedauerlich. Zumal es mir eine Freude wäre, dich, lieber Cleonymus als Kosmetes zu sehen. Oder welches Amt meintest du mit dem zweiten? Ich gehe doch davon aus, dass eines des Strategos gewesen wäre?"