Nikolaos hatte dem alten Mann aufmerksam zugehört, dieser schien sich in eine gewisse religiöse Ekstase oder einen Ansatz davon gesteigert zu haben, trotz der reichlich unreinen Umgebung und Atmosphäre eines zwanglosen Empfangs. Kassandros schien, ähnlich wie Iodaier und jene iodaische Sekte, die ähnlich dem Dionysos-Kult das Zerreißen und Zerstückeln ihres Gottes als notwendigen Teil der Wiedergeburt desselben ansahen (Nikolaos wusste nicht so viel um diese Sekte, um sie differenzierter quarakterisieren zu können), einen Gott in den Vordergrund zu stellen, doch anders als die Iodaier nicht diesen einen Gott als einzelnes Wesen zu verehren, sondern alle anderen Götter als Teile dieses Gottes anzusehen. Isis oder das göttliche weibliche Prinzip war nicht vorgekommen in dem Gebet.
Nikolaos hatte einiges verstanden, wenn auch nur lückenhaft. Insbesondere die aigyptiscvhe Art der Götterverehrung war ihm fremd.
"Was bedeuten die fremdartigen Namen, die du aufzähltest?", fragte Nikolaos. Er meinte damit diese nicht griechisch klingenden Namen, die als Begleiter des Sarapis im Gebet erwähnt worden waren.
Beiträge von Nikolaos Kerykes
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Die Tatsache, dass in diesen beiden Göttern alle Götter vereint sein sollten, sie gewissermaßen gegensätzliche Prinzipien darstellten, war Nikolaos indes neu und erregte seine Aufmerksamkeit. In diesem Kultverein sollten also in zwei Göttern alle anderen aufgenommen werden, gewissermaßen wie selbst etwas scheinbar Unteilbares wie ein Sandkorn auch nur aus vielen Atomen bestand. Warum eigentlich Atome? Bildeten sich sterbliche Gelehrte ein, alles, was ein einfacher Mensch nicht mit einem Mörser zerbröseln kann, ist unteilbar? Nikolaos kam ein Einfall für eine Kritik an der Atomlehre. Diese würde er an seine Abhandlung über die Aufführung des Theaters anschließen. Doch nun wandte er seine Gedanken wieder Sarapis und Isis zu und dem eigenartigen Gast.
"Ich bitte dich darum.", sagte Nikolaos freundlich und ehrlich interessiert. "Ich glaube, über die Gesänge zur Verehrung der Götter kann man über einen Gott sehr viel herausfinden, und mehr noch, über die Menschen, die die Verehrung betreiben."Sim-Off: Nikolaos sieht das insgeheim natürlich ähnlich. Nur ist er darauf angewiesen, öffentlich etwas anderes zu behaupten, da er sich das Wohlwollen der Rhomäer nicht verscherzen möchte als Exegetes. Wirklich schlimm ist das, was du da sagst, natürlich nicht, wohl auch nicht für den Eparchos. Es gab in der Ekklesia schließlich schon ganz andere Reden
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Menander, streng: "Fahre fort, fahre fort, quäle mich nicht mit Ungewissheit."
Aristides: "Verzeihe mir, der der du mir Vater warst und bist und sein wirst-"
Menander, noch strenger, fast ungeduldig, ängstlich: "Was ist es, das mich fragen willst, was dir so schwer auf der Zunge und auf dem Gewissen lastet?"
Aristides: "Es ist ein Zeichen der väterlichen Liebe, dass er den erwählt, in dessen Haus er seine Tochter geben möchte und es nicht Wille der Götter, dass dies der Schwiegersohn erwählt oder gar die Tochter-"
Menander, fast zornig, zitternd: "Sprich es doch endlich aus! Foltere meine alte, geschwächte Seele nicht!"
Aristides: "Doch ausgerechnet ich möchte nun ausgerechnet dich, den Vater mit der größten Liebe aller Väter des Erdkreises, darum bitten, zu erwählen für Hesperis - "
Menander, beinahe kleinlaut: "Ich weiß es doch nun schon, sprich zu Ende!"
Aristides: "Wenn du es doch weißt..."
Menander: "Ich ertrage die letzte Ungewissheit nicht."
Aristides: "-zu erwählen mich, der dir wie ein Sohn war und ist und sein wird, auf dass ich nehme Hesperis in das Haus, das mir wie väterlich ist, in dein Haus. Du wirst sie nicht verlieren, keinen Kummer wirst du haben."
Menander, hart: "Ich werde keinen Kummer haben. Hesperis wird nicht in das Haus einziehen, unter dessen Dach sie schon lange lebt. Beeile dich. Mein Bruder Lysias wird bald im Hause sein und ich kann nicht mehr eilen in meinem Alter. Ich werde nachkommen, empfange ihn wie deinen Onkel und als wärst du selbst der Sohn dieses Hauses, der du mir auch warst, bis zu jenem Augenblick."
Menander wendet sich ab.
Aristides: "Vater!"
Menander: "Der bin ich nicht. Verschone nun meinen schwachen Greisenleib vor deinen Angriffen. Die Hitze ist schon unerträglich genug. Geh, und geh rasch hinaus in die Welt, sie ist ein besserer Ort für dich als mein Haus."
Aristides bleibt stehen.
Menander: "Nun geh!"
(Fortsetzung folgt)
Edit: Signatur entfernt.
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Nikolaos beobachtete das Stück. Es gefiel ihm gar nicht. Zwar hatte er es, heimlich, selbst geschrieben, die Aufführung jedoch einem Mann mit dem fremdartigen Namen Kyros überlassen. Dieser jedoch hatte aus der Tragödie einen großen Teil der Schärfe genommen und sie zu einem gefälligen Liebesstück gemacht. Nun gut, den Zuschauern, zumindest einem großen Teil der weiblichen Zuschauer, würde dieses süßliche Geplänkel gefallen. Dem einfachen Volk genügte meist die niederste Ebene des Sinnes einer drama.
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Irgendwie kam der Gast Nikolaos bekannt vor. Handelte es sich dabei gar um einen Schreiber des Eparchos, der ihn einmal zum Eparchos geführt hatte? Er betrachtete den Mann genau. Ein alter Mann war es, etwas jünger als Nikodemos vielleicht. Er hatte ein würdevolles Aussehen, das etwas im Widerspruch zum Ungeschick des Mannes in der Unterhaltung stand. Wohlwollend beobachtete Nikolaos, dass dieser würdevolle alte Mann offenbar sehr ausgehungert war und die Erfrischungen mit Freuden annahm. Nikolaos selbst nahm aus einer Silberschale eine eingelegte Pfeige, betrachtete sie eine Weile, bevor er sie verspeiste.
Dass der Alte ihn wie einen Schuljungen behandelte, verzieh Nikolaos ihm. Eher etwas wie Belustigung als etwas wie Ärger löste dieses Verhalten in ihm aus. Was sollte er darauf antworten? Er hatte keine Lust, alles über Sarapis nachzubeten, was er wusste. Was meinte der Mann überhaupt mit Wissen? Wissen um den Gott selbst? Das verstand sich doch von selbst. Um die Art der Verehrung? Auf diesem Gebiet war Nikolaos nur als gelegentlicher Besucher des Sarapeions bewandert. Und Isis? Sollte er dem Alten erzählen, dass dieses Weib ihn regelmäßig heimsuchte?
"Nun, mir sind Sarapis und Isis sehr wohl bekannt. Schon als ich ein Kind war, hat mich mein Vater in der Verehrung der Athene belehrt." Das gehörte sich schließlich für einen anständigen hellenischen Vater. "Auch mit dem Zerissenden bin ich vertraut." Er erinnerte sich an die letzten Dionysien... "Hier in Alexandria erschienen mir beide zudem in der Gestalt von Isis beziehungsweise von Sarapis. Jedoch ist mein Wissen um die Verehrung dieser Götter unbedeutend wie ein Haufen Staub, im Gegensatz zu dem, was ich noch alles zu lernen erhoffe. Bitte erzähle mir alles darüber, was du weißt."Sim-Off: Nun ja, (auch sehr vorsichtig) rhomäerfeindliche Reden sind nicht ganz ungefährlich...
Aber lasse dir mal davon keine Angst machen, Nikolaos wird dich deswegen nicht gleich beim Eparchos anschwärzen
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edit: SimOff.
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Allmählich wurde Nikolaos das Warten etwas zu lang. Mit wachsendem Ärger hatte er beobachtet, dass unter den Abwesenden auch sein vormaliger Günstling Cleonymos war. Dieser schien seine Pflichten als Befehlshaber über die Stadtwache vielleicht ernst zu nehmen, nicht jedoch die als Pyrtane. Er würde dem einfachen Aigypter gerade biegen müssen, sonst schadete er womöglich noch seinem einstigen Fürsprecher durch solcherlei Pflichtversäumnisse. Nikolaos Miene verfinsterte sich zunehmend.
"Schließe die Tür", sagte er schließlich zu einem Staatssklaven. Dieser führte das ihm Aufgetragene augeblicklich aus. Nun waren nur noch Pyrtanen im Saal. Nikolaos wartete, bis sich das Gemurmel der Männer legte. Dann ließ er die nun eingetretene gespenstische Stille einige Zeit lang wirken. Schließlich blickte er ernst in die Runde.
"Was ich euch heute mitzuteilen habe, Pyrtanen, ist eine äußerst traurige und erschreckende Nachricht. Als ich es vor einer Stunde vom Eparchos der Rhomäer erfuhr, der mich beauftragte, es nun euch zu erzählen, konnte ich es anfangs nicht glauben. Doch leider - leider ist es wahr. Der göttliche Basileus, Beschützer dieser Polis, ist im Kampf gegen die Feinde des rhomäischen Volkes und somit auch gegen unsere Feinde, die Parther, gefallen und hat uns Sterbliche verlassen und ist in den Kreis der Unsterblichen zurückgekehrt."
Er legte eine lange, bedeutungsvolle Pause ein. Als er merkte, dass die Spannung ihren Höhepunkt erreicht hatte, fuhr er, immer noch mit betroffener Miene, fort mit seiner Ansprache.
"Wir werden ihm in einigen Tagen im Kaisareion opfern, auf dass er der Polis gnädig bleibt, auch wenn er den Erdkreis der Sterblichen verlassen hat. Ich möchte dich bitten, werter Agoranomos-" Er blickte Mithridates an. "-dass du ein makelloses Opfertier besorgst, koste es, was es wolle." Die Tatsache, dass überhaupt geopfert würde, sah der Exegetes anscheinend als beschlossen an. Widerspruch würde er wohl kaum dulden, er würde augenblicklich Gotteslästerung schreien und mit dem Finger auf den Widersprechenden deuten.
"Bei all der Trauer, die diese Nachricht verbreitet, gibt es eine weitere Nachricht, die zwar die Trauer nicht nimmt, jedoch die Sorge um den Fortbestand des Friedens. Es gibt einen neuen Basileus, der sich für das Wohl der Rhomäer sowie unserer Stadt einsetzen wird. Er heißt Ilpios Ailianos Valerianos. Der göttliche Basileus, der uns nun verlassen hat, hat diesen Mann dazu bestimmt, die Geschicke des rhomäischen Volkes in Zukunft zu leiten. Sobald er unsere Polis besucht, werden wir ihm einen gebührenen Empfang bereiten." Er blickte erneut in der Runde umher. Auch hierbei schien er Widerspruch im Voraus ausgeschlossen zu haben. Er legte eine längere Pause ein.
"Hiermit möchte ich diese betrübliche Sitzung beenden und euch Zeit zur Trauer geben, wenn es keine weiteren Bemerkungen oder Fragen gibt."
Dass die Trauer sich in Grenzen halten würde, wusste Nikolaos, genauso wie er wusste, dass die Sorge um den Frieden im Volk der Rhomäer trotz der Nachricht von dem neuen Basileus bei nahezu allen Pyrtanen überwiegen würde. Doch es wäre wohl kaum einer so tollkühn, etwas Gegenteiliges zu dem zu behaupten, was Nikolaos da an Trauer vorgespielt hatte. -
Hesperis verschwand nun an einem Ende der scené, vom anderen tauchten Menander und Aristides auf, wie lustwandelnd, beide in ein leises Gespräch vertieft. Die Kithara-Klänge verstummten und wurden von leisen Aulos-Melodien ersetzt, die den Geräuschen eines leichten Windes ähnelten.
Menander: "Du wolltest mich etwas fragen. Nun hat Helios seinen Thron erklommen und du fragtest noch nicht."
Aristides: "Es ist eine Angelegenheit, die sowohl dich als auch mich als auch Hesperis betrifft. Ich weiß sehr wohl, dass die eitlen und vergänglichen Gefühle von Liebenden nichts wert sind gegen die Liebe des Vaters, der mit Klugheit den richtigen Mann erwählt..."
Menander sah Aristides entgeistert an.
(Fortsetzung folgt)
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"Ich werde dich melden.", sagte Myos unterwürfig und verschwandt im Hof, der hinter dem Tor lag. Er ging durch die Säulenhalle am anderen Ende des Hofes und verschwand in einem Raum hinter dieser Pastas. Nach einiger Zeit kehrte er zurück. "Bitte folge mir, kirrie." Myos sperrte nun auch den zweiten Torflügel auf, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre, ein Flügel war so breit, dass zwei Männer auf einmal durch ihn hätten gehen könnten und ging rasch über den quadratischen Innenhof. Er führte den Gast in den mittleren der drei großen quadratischen Räume hinter der Pastas, in das Dionysos-Andron, wie er im Sprachgebrauch der drei Haussklaven des Nikolaos genannt wurde. Zwar war dieses Andron eher spärlich möbeliert, doch die vorhandenen Möbel waren mit großer Kunstfertigkeit gezimmert. Die Klinen waren aus dunklem Holz und wiesen aufwändige und sehr filigrane Verzierungen auf. Die Füße der Klinen waren in Bronzebeschläge gefasst, die die Form von Löwenpranken hatten. Sie standen auf kunstvoll geknüpften Teppichen, die durch fremdartige Blumenmuster beinahe selbst wie plattgetretene Blumenbeete aussahen. Auf einer der Klinen lag der junge Hausherr. Er trug einen dunkelblauen Seidenchiton, der farblich beinahe im Konflikt stand zu der überwiegend rötlichen Einrichtung und Wandbemalung des Androns. Die Haare des Exegetes waren länger als bei den Rhomäern üblich und aufwendig geflochten. Sie glänzten vor Balsam. Nikolaos erhob sich, ohne jedoch in die Sandalen zu schlüpfen, die vor seiner Kline standen.
"Chaire", begrüßte er den Gast. "Du bist sicher Kassandros. Mich freut sehr, dich hier begrüßen zu dürfen. Nimm doch bitte Platz." Er wies auf eine Kline, die orthogonal zu jener stand, die er selbst zuvor besetzt hatte. In der Mitte der Klinengruppe stand ein Wurzelholztisch, die Platte glänzte wie frisch gewachst, auf dem ein Glaskrug mit Wein, zwei Becher, sowie Silberschalen mit verschiedenen Süßigkeiten standen, unter anderem eine mit einigen Krümeln Opium. "Du bist sicher erschöpft von der Reise. Ich bitte dich, erfrische dich zunächst etwas. Dann jedoch bin ich begierig, von deiner geplanten Kultgemeinschaft zu erfahren." Nikolaos nahm wieder auf seiner Kline Platz.Sim-Off: In der WiSim müsste bald ein Angebot für dich sein. Die Szene spielt übrigens vor deiner Rede auf der Agora, sonst hätte Nikolaos dich sicher nicht ganz so nett empfangen
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Bei dem Bediensteten handelte es sich um Memmos. Die Ohrfeige vom Wirt schmerzte noch. Und auch sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hatte der Junge noch nicht zurückgewonnen. Fast ängstlich sah er den Fremden an. Er benötigte eine Weile, eher er verstand, was der Mann von ihm wollte. Wortlos deutete er auf den fetten Griechen hinter dem Schanktisch, der dort eifrig Becher mit Wein füllte, scheinbar ununterbrochen mit Gästen schwatzend und aus seinem gewaltigen Leib heraus lachend. Doch der Wirt hatte die Neuankömmligne schon bemerkt. Lächelnd empfahl er sich einem der Gäste an dem Schanktisch, der schon etwas angeheitert zu sein schien und kam auf die neuen Gäste zu.
"Chaire", sagte er. "Ich freue mich, euch willkommen heißen zu dürfen. Was kann ich für euch tun?" Der Wirt lachte mit einer sehr deftigen Art von Freundlichkeit. Memmos indessen zog sich vorsichtig zurück und machte sich hinter dem Schanktisch nützlich. Eine weitere Ohrfeige wollte er nicht riskieren. -
Isis strich sanft ihre Schwingen über Nikolaos Gesicht. Sie lächelte wie durch einen Nebelschleier hindurch. Dann wurde es wieder schwarz. Das erste Mal, dass Nikolaos wirklich schwarz war, denn alles andere war bisher nur dunkelgrau gewesen. Wärme stieg seine Arme und Beine hinauf, um Kälte zu hinterlassen. Das Blut floß aus den Gliedmaßen in den Leib, Nikolaos war nur noch ein Torso, armlos, beinlos, kopflos, wie aus Marmor. Isis Lächeln verzog sich zu einer ernsten Miene.
Du hast den Göttern gespottet! Hah! Hah! Hah!
Das wr nicht Isis Stimme gewesen. Wer spottete Nikolaos? Wer lachte ihm? Wieder Schwärze. Isis war verschwunden. Nur noch ein immer leiser werdendes Echo der fremden Stimme war zu hören. Beim siebten Echo war es schließlich kaum noch zu hören, dann verstummte es ganz. Schwärze, Kälte.
Plötzlich hob sich der Schleier. Etwas brannte in Nikolaos Augen und in seiner Nase. Ein brennender Schmerz zog von der Nase über die Schläfen. Der schwarze Vorhang wurde zu einem durchscheinenden Schleier. Nikolaos spürte ein Kitzeln in der Nase. Er konnte nicht an sich halten, denn sein Körper gehorchte ihm noch nicht. Seine Nase so Luft ein, um sie im nächsten Augenblick zusammen mit Schleim und kurzen schwarzen Haaren hinauszuschleudern, auf seinen Chiton zu schleudern. Er nieste noch zwei weitere Male. Endlich wurde sein Blick klar. Er erkannte den Iatros, der über ihn gebeugt war. Aus trüben Augen sah er ihn an, unfähig etwas zu sagen. Nun erst kehrte langsam die Erinnerung zurück. Nikolaos wäre am liebsten vor Scham versunken oder erneut in die Bewusstlosigkeit gefallen. Oder auf Isis Schwingen davongetragen. -
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Die Prozession, die vom Landhaus des Nikodemos kam, näherte sich langsam dem Gewölbe in den Dünen. Die Frauen in ihren dunkelblauen, fast schwarzen, wallenden Gewändern (dies waren die bereits eingeweihten) und die Männer und uneingeweihten Frauen in ihren weißen Gewändern begannen, Beschimpfungen zu schreien, schon beinahe in einer Art Rausch, und sie schrien diese Schimpfworte mit einer Würde, die keine Lächerlichkeit aufkommen ließ. Einige zerrissen sich ihre Gewänder und schlugen sich die Fingernägel in die Haut. Schreie waren zu hören, doch über allen Geräuschen lag der monotone Klang des Tympanions. Der Stier ließ sich bereitwillig zum Eingang des Gewölbes führen, an dessen beiden Seiten Frauen mit Fackeln standen. Der Stier kannte das Gewölbe, hier hatten ihn die Eingeweihten vorbereitet für die Prozession und das Opfer. Die Spitze des Zuges schob sich in den Schlund, als der der Eingang erschien.
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Also ein Neubürger, der gute. Für das Ablegen einer Ephebie schien er jedoch etwas zu alt zu sein. Ephebes war er sicher nicht mehr, vielmehr andros mit dem leisen Zusatz nestor.
"Vielen Dank, werter Herr", antwortete der Wirt in einem falschbescheidenen Tonfall auf das Lob. "Darf ich fragen, warum der Umstand gut ist, dass Bryndision weit weg ist von hier?", fragte der Wirt gleich im Anschluss, denn er war neugierig geworden. "Ach, wenn es für ein Amt Vorraussetzungen gäbe außer der Politie dürfte wohl kaum einer der Beamten Beamter sein", sagte der Wirt und lachte laut. Dabei bebte sein gewaltiger Leib behaglich. "Ach ja, was du mir schuldest ist eine Drachme.", fügte er noch an und hielt schon einmal diskret die Hand auf. Hoffentlich war der Mann großzügig mit Trinkgeld. -
Als die beiden Männer gegangen waren und nur noch Hesperis vor der scené stand, veränderte sich die Musik. Statt Auloi wurden nun einige Kitharae angeschlagen. Der Darsteller der Hesperis bemerkte zwar den Windstoß, der Sand aufwirbelte, der sich dann in seinem Haar und seiner Kleidung verfing und in seine Kothurn rieselte, was sehr unangenehm war, doch er blieb in seiner Rolle und ließ sich nichts anmerken.
Hesperis: "Ich hoffe er hat den Mut und fragt. Was fürchtet er sich vor einer Sache, die noch nicht einmal ausgesprochen ist? Er ist wie ein Grashalm im Wind zuweilen. Doch bin ich das nicht auch?"
Chor, streng, hart: "Sie ist unwissend. Doch lassen wir sie in ihrem Rausch, der von der Freude kommt, solange die Freude währt, denn trügerisch ist die Freude wie das Blau des Himmels. Ein Grashalm ist das Leben im Wind."
Hesperis, sanft: "Vater liebt ihn wie seinen Sohn, wie könnte er ihm es verwehren mich über die Schwelle des Hauses zu tragen, das sein wird, wenn Vater nicht mehr ist*, auch da ich meine Haare opfere auf dem Altar, der da steht im gleichen Haus?"
Chor, streng, hart:"In jenem Haus, über dem wie eine schwarze Gewitterwolke das Unheil schwer liegt, das Dach belastet, bald, bald, wird es zusammenbrechen, denn auch Balken sind nur von Holz, und wären sie von Eisen, sie würden nicht alles tragen, was die tyche auf sie legt. Doch im Dach sind keine Fenster, so sieht diese Last niemand, bis er von ihr erschlagen wird und Blut die Säulenhallen entlangströmt und die Pflanzen im Garten nährt, auf dass sie jene erfreuen, die noch verschont sind, die noch sich nicht hingaben der hybris."
*Das Braut-über-die-Schwelle-des-Hauses-des-Mannes-Tragen ist wirklich ein Brauch, der aus dem klassischen Zeitaler Griechenlands stammt.
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Als Antwort an Kassandros.
Chaire Kassandre
Ich erfuhr von deinem Anliegen und entschloss mich, nicht gleich eine Entscheidung darüber zu fällen, wobei ich im Grunde jeder Art von Verehrung der Götter zustimmen kann, wenn sie gegen kein Gesetz der Polis oder der Rhomäer verstößt. Da der Eparchos bereits davon in Kenntnis gesetzt zu sein scheint und nichts Ablehnendes dazu geäußert hat, gehe ich davon aus, dass dies nicht der Fall ist. Dennoch würde ich gerne mehr über diese Kultgemeinschaft erfahren. Bitte suche mich doch selbst auf und erzähle mir Genaueres über Deine Pläne. Du findest mich an den meisten Tagen morgens in meiner Arché, ansonsten erlaube ich dir auch, mich in meinem Privathaus aufzusuchen. Dieses liegt dreizehn Stadien von Alexandria entfernt an der Straße nach Nikopolis.
Chaire
Nikolaos Kerykes Exegetes Alexandrinos. -
"Gut, dass du so schnell erscheinen konntest.", sagte Nikolaos. Pesistratos war der einzige Sklave, dessen Intellekt Nikolaos so schätzte, dass er ihn zuweilen wie einen Menschen behandelte. "Schreibe: Als Antwort an Kassandros. Chaire Kassandros. Ich erfuhr von deinem Anliegen und entschloss mich, nicht gleich eine Entscheidung darüber zu fällen, wobei ich im Grunde jeder Art von Verehrung der Götter zustimmen kann, wenn sie gegen kein Gesetz der Polis oder der Rhomäer verstößt. Da der Eparchos bereits davon in Kenntnis gesetzt zu sein scheint und nichts Ablehnendes dazu geäußert hat, gehe ich davon aus, dass dies nicht der Fall ist. Dennoch würde ich gerne mehr über diese Kultgemeinschaft erfahren. Bitte suche mich doch selbst auf und erzähle mir Genaueres über Deine Pläne. Du findest mich an den meisten Tagen morgens in meiner Arché, ansonsten erlaube ich dir auch, mich in meinem Privathaus aufzusuchen. Dieses liegt dreizehn Stadien von Alexandria entfernt an der Straße nach Nikopolis. Chaire. Nikolaos Kerykes Exegetes Alexandrinos." Pesistratos machte einen letzten Buchstaben und reichte dann das Papyrus seinem Herrn. "Alles in Ordnung", sagte dieser. Gebe es dem Grammateos als Antwort mit, wenn er fort ist, so schicke Myos." Auch Myos war ein Phantasiename, allerdings hatte Nikolaos ihn selbst vergeben. Gemeint war der Sklave, der schon den Grammateos empfangen hatten, und der Name spielte auf seine Verschlossenheit und Schüchternheit an. Pesistratos nickte und nahm den Brief an sich. "Willst du ihn siegeln?" Nikolaos nickte. Pesistratos bereitete das Siegelwachs vor. Nikolaos musste nur noch die Außenseite seines Siegelringes darauf drücken. Dann wurde der Brief auf seine kurze Reise geschickt.
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Wenig später erhielt Nikolaos die Notiz. Er hatte unter dem Dach und im Schatten der Säulenhalle um das Haus vor der Tür der Bibliothek auf einer kathedra aus edlem, schwarzen Holz gesessen und sich der Lektüre von Platons "symposion" gewidmet. Als der Sklave ihm das Papryurs brachte, nickte er bloß, ohne von der Schriftrolle aufzusehen, die auf einem Brett, das über die Lehnen der kathedra gelegt war, vor ihm lag. "Bringe mir etwas gewürzten Wein.", sagte er zum Sklaven. Erst nachdem der Sklave zum zweiten Mal zu ihm gekommen war, wandte er den Blick von seiner Lektüre und nahm das Papryrus in die Hand. "Pesistratos soll kommen", sagte er, nachdem er die Zeilen überflogen hatte.
Der Sklave nickte. Wenig später kam ein weiterer Sklave, besagter Peistratos. Dieser hatte auf seinen eigenartigen Namen bestanden, und immer wenn Nikolaos ihm drohte, ihm einfach einen anderen Namen zu geben, wennnötig den eines Tieres ("tauros" hätte bei der schmalen Statur des ältlichen Männchens, das der Sklave war, vielleicht einen ironisch-humorvollen Effekt), sollte dieser weiter darauf bestehen, so wie der Athenische Tyrann genannt zu werden, lächelte Pesistratos und meinte, Aristoteles hätte denjenigen Träger dieses Namens vor der Blütezeit Athens gelobt und gutgeheißen, und Aristoteles sei doch glaubwürdig. Nikolaos, dessen Familie zum alten Adel Athens gehörte, also der Schicht, die Pesistratos entmachtet hatte vor Jahrhunderten, murmelte daraufhin oft etwas in der Art "auch Aristoteles kann irren und er irrte so oft schon" und beließ es vorerst dabei. Dieser Pesistratos, nicht jener Tyrann, der den Areopag entmachtet hatte und Land verteilt an arme Bauern, sondern der Sklave Pesistratos, hatte ohne einer Aufforderung zu bedürfen ein Papyrus, eine Feder und eine Tintenschale mitgenommen. Er kniete sich neben den Beinen der Kathedra auf den Boden und begann, Tinte zu zerreiben und sie mit Wasser zu verflüssigen. -
"Verehrter Bürger und verehrte Bürger, die ihr dieser Rede zugehört habt. Durchaus liegt mir die Katastis sehr am Herzen, ich könnte nichts gutheißen, was sie angreift. So kann ich die Sorge dieses Bürgers um die Einhaltung dieses Gesetzes, die unsere Autonomia und Autarkia schützen, verstehen. Doch mir scheint es sehr fragwürdig, wie du, verehrter Bürger, in der Anwesenheit des rhomäischen Stratos einen Verstoß gegen die Katastis siehst. Deiner Sicht auf die Anwesenheit des rhomäischen Stratos als Schutz vor Feinden unserer Autonomia und Autarkia und als Notwendigkeit kann ich mich anschließen. Jedoch scheinst du mir sehr unwissend, was die Lage um die Ordnung in unserer Polis zur Zeit betrifft. Erst vor kurzem gab es einen gemeinen und hinterhältigen Aufstand, der nur mit Hilfe des stratos des göttlichen Basileus niedergeschlagen werden konnte. Wieder einmal haben unsere Freunde, die Rhomäer, uns aus der Bedrängnis geholfen. Damit dies auch zukünftig so sein wird, ist die Anwesenheit des rhomäischen Stratos eine Notwendigkeit. Zwar haben wir eine Stadtwache, die seit meiner Amtszeit als Strategos Alexandrinos im Begriff ist, eine Erneuerung und Verbesserung zu erfahren, doch allein die Stadtwache kann unsere Ordnung nicht vor ihren Feinden schützen. Außerdem ist Gastfreundschaft, mit der wir die Rhomäer und auch die Rhomäer im Stratos aufnehmen, für die Freundschaft mit den Rhomäern insgesamt unerlässlich. Natürlich steht es dir frei, Bürger, diesen Antrag in der Ekklesia einzubringen, doch vergiß nicht, dass die Autarkia und Autonomia uns nicht geschenkt werden, wir müssen sie verteidigen, und dazu brauchen wir Freunde wie das rhomäische Volk."
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Nikolaos kam gerade in seiner Sänfte über die Agora geschwebt gewissermaßen. Seinen Wagen hatte er in einem Lagerhaus, dass er am westlichen Ende der Stadt besaß, abgestellt, denn durch den morgentlichen Verkehr auf den Straßen kam man mit einer Sänfte besser voran. Er sah, dass sich jemand auf die Agora gestellt hatte und eine Rede hielt. Dieser Mensch war, soweit Nikolaos es erkennen konnte, kein Archont. Also ein Bürger, der seine Pflicht als Polites wirklich ernst nimmt. "Haltet an", rief er den Trägern zu. "Setzt ab." Als die Sänfte auf festen Boden stand, erhob sich Nikolaos aus ihr und bahnte sich einen Weg durch die kleine Menschenmenge, die sich um den Redner gebildet hatte. Er hörte, was dieser zu sagen hatte. Es kam ihm zwar verständlich, doch angesichts der Lage ungeheuerlich vor. So bahnte er seinen Weg weiter und stand nun neben dem Mann. Wenn dieser geendet hatte, würde Nikolaos das Wort ergreifen.
(folgt)