Beiträge von Nikolaos Kerykes

    "Ich glaube, dass ich den Anforderungen gewachsen sein werden, sollte dies nicht der Fall sein, werde ich die Arbeit als Archont aufgeben.", antwortete Nikolaos und kratzte sich an der Stirn. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich bei der nächsten Wahl in ein Amt gewählt werde, in diesem Fall war es einfach, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, die Gunst der Stunde. Ich bin ein Wahlbündnis mit Leonidas Philotantos und dem bereits erwähnten Timokrates eingegangen, weiß aber nicht, wielange die beiden meiner noch bedürfen. Sollten sie meiner nicht mehr bedürfen, da bin ich mir sicher, werden sie sich beeilen, mich aus dem Pyrtaneion zu drängen, da ich ihnen vermutlich in einigen Angelegenheiten zu widerspenstig bin." Er legte eine Pause ein und sah nachdenklich drein. "Es ist gewiss gut, dass nun die Hegemonie der Krateiden und der Nearchäer gestürzt ist, doch wielange dieser Zustand anhält, ist fraglich. Außerdem wird, so glaube ich, auf gestürzte Hegemonie der einen meist die Hegemonie von anderen folgen." Er lächelte. "Doch wir werden sehen, wie sich die Verhältnissse entwickeln werden."

    Kurz wandte sich Nikolaos von den Umstehenden ab und begutachtete die Leiche. Er suchte nach Verletzungen oder anderen Spuren von Gewalt am Körper des Epistates. "Zwei Männer müssen den Körper aus dem Brunnen heben.", sagte Nikolaos und blickte sich streng um. "Aber seid vorsichtig." Nikolaos empfand, was ihn ein wenig erschreckte, keinerlei Mitleid mit dem Epistates, der jetzt tot im Brunnen lag.

    Nach dem ersten Schrecken erkannte Nikolaos, dass er selbst sich in einer äußerst zwiespältigen Situation befand. Einerseits war er Schüler dieser Einrichtung, und stand so im Rang weit unter den meisten anderen, die hier versammelt waren. Andererseits aber war er der Strategos, und damit war eine Aufgabe verbunden, die er nun gewissenhaft wahrnahm. Zuerst näherte er sich mit einer Hand der Leiche, um sich zu vergewissern, dass es wirklich eine Leiche war, berührte er sie und spürte Kälte. Mit einem Gefühl des Ekels zog er die Hand rasch zurück.
    "Ich bitte um Ruhe!", sagte er laut, ohne zu schreien. "Ruhe bitte! Ich kann verstehen, dass euch alle die Tatsache, dass unser verehrter Epistates nun tot ist, sehr erschrocken hat. Dennoch ist mit Panik und Hysterie niemanden geholfen. Nun, da ein Verbrechen geschehen ist, bin ich hier nicht mehr in meiner Funktion als Schüler, sondern in meinem Amt als Strategos Alexandrinos. Deshalb bitte ich euch, verehrte Herren, und Damen, in dieser Angelegenheit zu tun, was ich sage . Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass niemand dieses Gelände verlässt. Gibt es hier irgendjemanden, der über die Zahl der Schüler und Gelehrten bescheid weiß und darüber, wer jetzt bereits hier ist und wer nicht?" Er blickte einige Männer und zu seinem Erstaunen auch Frauen an, die offenbar Schreiber des Museions waren. Dann wandte er sich an das Paar, das etwas abseits stand. "Darf ich fragen, wer ihr seid und was ihr hier macht? Warst du es, verehrte Dame, die geschrien hat?"

    Nikolaos hatte große Mühe gehabt, einzuschlafen in dieser Nacht. Die ungewohnte Umgebung, die Feindseligkeit, die ihm vonseiten der meisten seiner Schlafraumgenossen entgegenschlug, die Tatsache, dass er sich mit vielen anderen einen Schlafraum teilen musste, das alles hatte dazu beigetragen, dass er lange schlaflos wachgelegen hatte und den Umstand verflucht, dass er die Nacht nicht außerhalb des Museions verbrachte. Nun schlief er, doch sein Schlaf war unruhig, ihn plagten düstere Träume. Gerade kam ein dürres Weib mit blauer Haut auf ihn zu, es trug Schädel um ihre Hüfte, es lachte, es kreischte, es streckte seine Krallen nach ihm aus, es beugte sich über ihn, Nikolaos wollte schreien... . Ein Schrei zerriss die Stille der Nacht. Nikolaos fuhr hoch, das blaue Weib war verschwunden. War er es gewesen, der geschrien hatte? Es war ein hoher Schrei gewesen, es musste sich dabei um ein Mädchen oder eine Frau gehandelt haben (Nikolaos fragte sich, ob es hier im Museion Frauen überhaupt gab), oder es war der Schrei eines Knabens gewesen, dessen Stimme sich noch nicht gewandelt hatte. Auf jeden Fall nicht Nikolaos eigener Schrei.


    Er öffnete langsam und vorsichtig die Augen. Sie brannten. Selbst das schwache Licht der Öllampen und das Mondlicht, das durch die Tür fiel, schmerzten. Seine Augen waren wie von einem dunklen, körnigen Schleier belegt, der ihn unklar sehen ließ. Ihm frohr. Er blickte sich um. Anscheinend war er der einzige in diesem Schlafraum, den der Schrei geweckt hatte. Jetzt war es still. Er hätte sich wieder in seine dünne Decke hüllen können und versuchen können, die letzten Stunden bis zum Morgengrauen zu nutzen. Doch die Frage, warum da jemand geschrien hatte, ließ ihn nicht los.
    Er erhob sich. Seine Glieder schmerzten, ebenso sein Kopf. Wieder dieses eigenartige Frösteln. Leise stieg er von seiner Liege und nahm einen dünnen, weißen Chiton von einem Haken in der Nähe seines Bettes. Er schlüpfte in das Kleidungsstück. Er nahm sich keine Zeit, Sandalen und seine Chlamys anzulegen. Barfuß und nur mit jenem weißen Chiton bekleidet trat er aus dem Gebäude in den Garten. Woher war der Schrei gekommen? Im fahlen Licht des Mondes lief er umher. Er spürte dabei den Tau feucht und kalt an seinen Füßen. Zikadenzirpen, die Stimmen einiger Vögel, Rascheln von kleinen Tieren in den Büschen, der Klang von Blättern, durch die der Wind zog, mehr war nicht zu hören. Er betrat den Hain. Hier war es dunkel, das Licht des Mondes drang nur in einzelnen Strahlen durch das Blätterdach. Nikolaos ging langsamer, er konnte nicht sehen, wohin er seine ungeschützten Füße setzte.
    Auf einmal hörte Nikolaos aufgeregte Stimmen. Er folgte ihnen. Er merkte, dass es in die Richtung des Brunnens ging, zu dem ihn an seinem ersten Tag der Epistates geführt hatte. Angestrengt versuchte Nikolaos, zu verstehen, was dies Stimmen sagten, doch er war noch zu weit entfernt. Er beeilte sich.
    Um den Brunnen hatten sich bereits einige Bewohner des Museions versammelt. Eine fast hysterische Aufregung lag in der Luft. Mittendrin standen, wie angewurzelt, so schien es Nikolaos, ein Mann und eine Frau. Hatte sie geschrien? Zielstrebig ging Nikolaos zum Brunnen. "Was ist hier los?", fragte er mehrere, doch er erhielt keine Antwort. Seine Fragen waren im allgemeinen Gerede untergegangen. Er stand nun am Rand des Brunnens. Wie ein Schlag durchfuhr es ihn, als er sah, was darin schwomm.

    Nikolaos hatte gespannt auf Medeias Entgegnung gewartet. Nun nickte er dezent und strich sich mit einer grazilen Handbewegung eine Haarsträne aus seinem bleichen Gesicht. Was war nur heute mit seinen Nerven los? Sie schienen besonders schwach zu sein. Doch er besaß genug Selbstbeherrschung, um diese Schwäche wenigstens eingermaßen zu verbergen.
    "Ich freue mich über deine Zusage.", sagte er ruhig und leise und lächelte dabei zart. "Natürlich kannst du die Mysterien verlassen, wann du möchtest, oder sobald dich deine Konstitution dazu veranlasst. Auch ich muss zugeben, dass ich etwas labil veranlagt bin und diese Veranlagung in letzter Zeit durch das ungewohnte Klima verstärkt wird." Er legte eine Pause ein und holte Luft. Sein Atem ging sehr flach. Diese Hitze tat ihm wirklich nicht gut. Zudem hatte er es in letzter Zeit mit seinem Opiumkonsum übertrieben, es schien, als nähmen die Dosen, die er benötigte, um seine schwachen Nerven zu besänftigen, in letzter Zeit stark zuzunehmen, und eine Abkehr von dieser Tendenz war nicht zu spüren. Manchmal fragte Nikolaos sich, wo das hinführen sollte.
    "Ich selbst weiß nicht, wie genau die Mysterien ablaufen werden, auch ich werde an diesem Tag erst eingeweiht. Sollte es für dich unerträglich werden, wäre es ein Leichtes, wieder nach Alexandria zurückzukehren, denn die Mysterien werden beinahe unmittelbar vor den Toren dieser Stadt stattfinden." Er blickte ihr tief in die Augen und lächelte. Fast war dieses Lächeln warm.
    "Ja, lasst uns ihm folgen. Ich freue mich sehr darauf, das Heiligtum der Isis zu betreten."

    Nikolaos riss sich zusammen, um einen klaren Kopf zu behalten, da der Wein diesen schon etwas vernebelt hatte. "Oh, mir geht es sehr gut, ich danke dir. Es ist interessant, was hier alles los ist, wer sich hier alles herumtreibt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich von Pferden und Rennen und Reitern keine Ahnung habe, so habe ich auf niemanden gesetzt." Der Wein hatte ihm wirklich nicht gut getan. Doch das würde er Timokrates nicht merken lassen. "Die Ermittlungen gehen weiter, doch leider haben die Fortschritte dabei das noch nicht in großem Maße getan. Die Elenden, die in den Ruinen hausen, sind nicht wirklich zutraulich, meine Leute haben große Mühe damit, ihnen etwas zu entlocken. Auch im Falle des gesuchten Trickbetrügers Canis gab es leider noch keine Fortschritte." Er hatte sich für diese Worte zu Timokrates hinübergebeugt und leise gesprochen.

    "Es ist gut, dass deine Reise ohne Schwierigkeiten verlaufen ist, meine ist es ebenso. Das Eingewöhnen war leichter, als ich mir gedacht hatte, ich bin erstaunlich einfach Bürger dieser Stadt geworden und ich bin durch die Vermittlung eines gewissen Timokrates an ein niederes Pyrtanenamt gekommen, und durch die Tatsache, dass die beiden großen Familien dieser Stadt sich nicht einig werden konnten und dabei ziemlich gleichauf waren, sicher hast du schon davon gehört. Jedoch bezweifle ich, dass ich bei der nächsten Wahl der Pyrtanen das gleiche Glück, falls ich es so nennen möchte, haben werde, falls ich es haben sollte, würde ich sicher mit Freuden weiter Verantwortung für die Geschicke der Stadt tragen, falls nicht, werde ich noch mehr Zeit haben, um mich dem Studium zu widmen. Sicher wirkt es etwas eigenartig, dass ein junger Niemand wie ich so schnell zum Archonten gewählt wird, für mich war es auch etwas überraschend." Nikolaos blickte Theodoros etwas schüchtern an. Auch an seinem schnellen Erzähltempo konnte man eine gewisse Unsicherheit erkennen. Er wusste nicht, was Theodoros von seinem Ausflug in die Politik halten würde. So war sein Blick zugleich fragend. "Natürlich wird meine Arbeit für die Stadt mein Studium nicht beeinträchtigen... .", schob er vorsichtig nach.

    Mit grazilen Handbewegungen schenkte sich Nikolaos Wein ein und vermischte ihn mit Wasser. Schließlich wollte er vor seinem ehrwürdigen Mentor nicht als Barbar darstehen ;), der unverdünnten Wein trank. Er nahm einen Schluck und blickte Theodoros tief in die Augen.
    "Demut, natürlich.", antwortete Nikolaos, schüchtern lächelnd. "Verzeih, wenn ich das zu vergessen haben schien. Doch mir ist diese Tatsache durchaus bewusst. Wenn ich einen bequemen Weg wollte, sollte ich lieber ein lustiger Bauer oder Gastwirt werden." (Letzteres war er indirekt ja irgendwie... .) "Aber das ist nicht, was ich erstrebe. So werde ich den unbequemen Weg nehmen und selbst an den größten Unannehmlichkeiten Freude finden, Freude darüber, dass es mir vergönnt ist, diesen Weg zu nehmen." Er nahm einen weiteren Schluck Wein. "Ich sollte dankbar sein. Doch leider ist manchmal ein Unterschied zwischen dem Wollen und Denken und dem Fühlen. Ich hoffe aber, auch mein Gefühl wird bald die Freude verinnerlichen."

    Nikolaos verließ seinen Platz, an dem natürlich einige Diener dafür sorgten, dass er nicht von jemand anderem vereinnahmt wurde (und vor allem, dass das Kissen für Nikolaos empfindliches Hinterteil nicht gestohlen wurde) und ging in Begleitung einiger Epheben und drei Stadtwachen vor das Hippodrom, um sich unter das Volk zu mischen. Ein wenig angesäuert war er, als er merkte, dass er als Strategos Alexandrinos gar nicht so bekannt beim den vielen Menschen hier war. Viele grüßten ihn, doch ebensoviele schienen ihn nicht zu kennen oder nicht zu achten. An den Tischen schlug Nikolaos ordentlich zu. Der Eparchos war Gastgeber und natürlich wollte Nikolaos seine Gastfreundschaft nicht beleidigen :) . Außerdem war er ja noch im Wachstum, redete er sich ein. So leerte er einige Becher Wein, sprach mit einigen Bürgern, erklärte einigen sein Vorhaben für die Stadtwache, erntete sowohl deutliche und begeisterte als auch verhaltene Zustimmung sowie im schlimmsten Fall Enthaltung, bediente sich beim Obst, schlenderte durch die Menschenmenge und kehrte zum Weinausschank zurück. Für ihn selbst spürbar aber für andere kaum sichtlich angeheitert kehrte er an seinen Platz zurück. Dort erblickte er Timokrates. "Chaire, Timokrates!", rief er über die Plätze hinweg, die zwischen ihnen lagen. "Du auch hier? Das freut mich außerordentlich."

    "Deine Idee mit dem Wettbewerb ist außerordentlich gut.", sagte Nikolaos. Vielleicht sollte er sich selbst einmal wieder mit dem Schreiben von Poetik beschäftigen... . Er hatte als junger Schüler in Athen einige Gedichte bei seinen Lehrern schreiben müssen, um die Formen der Lyrik zu lernen, anschließend im Stillen sehr persönliche Gedichte, allerdings stilistisch kaum von irgendeinem Wert. Nun erschien ihm die Idee, ein dramá zu entwerfen, sehr verlockend. Nur die Handlung musste er noch irgendwie finden... . Das Verssetzen dürfte für ihn kaum ein Problem darstellen, nach einigen Jahren Poetik bei verschiedenen Lehrern, die anscheinend lieber Dichter geworden wären, doch dafür wohl zu schlecht gewesen waren. "Wenn wir Spenden von reichen und einflussreichen Menschen zusammenbekommen, könnten wir sogar einen Preis für das beste Stück ausschreiben." (Das sich Nikolaos gerne in der Jury sähe, verschwieg er, aber im Grunde war es natürlich klar.) Auf altbackene Aufführungen hatte Nikolaos auch wenig Lust, er hatte alle wichtigen Werke der griechischen Klassiker bereits mehrfach gesehen, auch ein Teil des Bildungsprogrammes, das ihm seine Lehrer in Athen auferlegt hatten. "Auch Dramatiker und Schauspieler, die bisher unbekannt sind, hätten so die Gelegenheit, bekannt zu werden. Natürlich wäre es aber auch gut, ein paar Berühmtheiten hier zu haben, das würde viele Leute anlocken." Er nahm noch ein Stück Brot und hörte sich Timokrates Ausführungen über den Kräutersud und das Nomadentum und die Hitze an. Schließlich meinte er: "Wäre es dir möglich, an einige Packen der Kräuter, die für den Sud nötig sind, heranzukommen und sie zuzubereiten? Ich würde diesen Sud wirklich gerne einmal ausprobieren. Schließlich macht mir, als einer, der aus dem Norden kommt, die Hitze hier besonders zu schaffen. Zwar ist Archaia auch warm, doch gegen diese Hitze ist das natürlich nichts."

    Nikolaos lächelte warm und setzte sich. "Etwas kühles zu trinken wäre wirklich sehr freundlich von dir. Der Nachmittag in Alexandria ist doch für einen Nicht-Alexandriner wie mich sehr warm." Er strich seinen Chiton glatt und sah Theodoros an. "Wie war deine Reise hierher? Gab es Probleme auf dem Meer wegen des Krieges?" Nikolaos Gesichtsausdruck wurde kurz sehr ernst, dann lächelte er wieder. "Ich freue mich, dass du hier bist. So ist mir ein Philologos wenigstens bekannt. Ich habe zwar bereits Bekanntschaft mit einigen anderen Schülern und mit dem Epistates gemacht, muss mich aber natürlich an diese Menschen ersteinmal gewöhnen." Das war jetzt sehr vorsichtig und diplomatisch ausgedrückt!

    Nikolaos Kerykes hatte sich in seiner angemieteten Sänfte zum Hippodrom tragen lassen und betrat nun die Anlage. Seltsamerweise war es leer auf der Rennbahn und um die Rennbahn. War er zu früh zu den Ludi Alexandriae gekommen, die der Eparchos persönlich ausrichtete? Eigentlich hatte er gar keine Lust, seine Zeit mit Pferderennen zu verschwenden, er konnte solchen Veranstaltungen nur wenig abgewinnen, doch schließlich wollte er den Eparchos nicht durch seine Abwesenheit beleidigen. So nahm er auf einem Rang unweit der Loge des Eparchos Platz, ließ sich von einem seiner Diener ein Kissen unter den Hintern schieben und von einem anderen einen Palmwedel als Sonnenschutz über seinen Kopf halten. So wartete er den Beginn der Spiele ab.

    Der Gehilfe des Verwalters musste einen Moment überlegen. Dann tippte er mit dem Finger auf den entsprechenden Posten auf dem Papyrus. "Hast du nicht gelesen, dass dort vermerkt ist, dass er von der Imkerei des Theodoros Alexandreus kommt?", fragte der Gehilfe, etwas verärgert. Wobei die Bemerkung hinter dem Posten wirklich kaum zu lesen da sehr klein geschrieben war. Der Gehilfe hatte offenbar selbst suchen müssen.

    "Der Schlafbringer wird auch noch östlich des östlichen Parthiens angebaut, doch um an die Handelsstätten dort zu gelangen, muss man leider durch das Land der Parther hindurch, oder man nimmt aber große Umwege in Kauf. Ich habe allerdings gehört, dass es auch hier Anbauflächen geben soll, doch die Mengen sind zu gering und die Qualität ist schlecht, da kann man genausogut Scheiße kauen.", meinte Seth, während er auf dem Hühnerfleisch geräuschvoll herumkaute. "Ich jedenfalls möchte dir nicht raten, es woanders zu versuchen. Die Gefahr ist zwar groß, doch dafür kann man aus parthischen Mohnsaft sicher größere Gewinne ziehen, nicht, mein Freund, das ist es doch, was wir wollen?" Er lachte. Dabei fielen ihm Fetzen von Hühnerfleisch aus dem Mund. "Man kann sicher sowohl mit Rhomäern als auch mit Parthern Vereinbarungen treffen, die die Reise für die Karawane sicherer gestalten. Vielleicht sollte ich den Eparchos der Rhomäer fragen, ob er jemanden kennt, an den ich mich wenden könnte. Mit den Parthern aber- " Nikolaos räusperte sich. "- wird es schwieriger werden. Ich wüsste nicht, wie man bei den Parthern an höhere Männer gelangen sollte." "Das wird gar nicht nötig sein. Man muss in diesem Fall nicht wenige Männer hoch bestechen, sondern viele mit geringen Beträgen oder aber mit Teilen der Ware." "Das wiederum würde natürlich den Preis weiter in die Höhe treiben." "Gewiss."

    "Ich hoffe, ich kann ich demnächst beim Empfang des Bakhos in die Mysterien einführen?", fragte Nikodemos leise an Nikolaos gewandt. "Ich erhoffe mir viel für mich davon. Ich erhoffe mir neue Kraft, Kraft , die ich brauche. Doch jetzt schon zweifle ich." Nikodemos schwieg. Seine Haltung wurde starr, sein Gesicht nahm einen sehr nachdenklichen Ausdruck an.
    Die kurze Stille wurde plötzlich von Seths schriller Stimme durchbrochen. "Gibt es hier in der Nähe ein gutes Freudenhaus?"
    Nikolaos und Nikodemos warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Sie brauchten Seth zwar für ihre Zwecke, doch langsam fühlten sie sich von ihm gestört. Also würden sie die Sache von jetzt an etwas schneller betreiben und stärker auf das Thema hinführen, das das Geschäft betraf.
    "Ich weiß es nicht.", entgegnete Nikolaos, bemüht, freundlich zu klingen. "Doch nun sage mir, woher könntest du den Saft des Morpheus noch beziehen außer aus dem östlichen Parthien?"

    Nikolaos hatte von den Erzählungen Seths nur die Hälfte verstanden, da Seth ein sehr eigenartiges Koiné sprach, in das hin und wieder persische Wörter einflossen. "Hattest du auch Probleme, an den Saft des Morpheus zu kommen?" "Ohja, die hatte ich in gewaltiger Menge!", antwortete Seth. "Und teuer ist das geworden, teuer, meine Kinder!" Nikodemos sah Seth irritiert an. "Kannst du den Mohnsaft nicht aus einem anderen Gebiet beziehen, das weniger gefährlich ist?" "Der parthische Mohn, das sage ich euch, der Mohn des östlichen Parthiens, der ist einfach der beste. Ihr könnt euch selbst davon überzeugen, unter Lebensgefahr habe ich etwas hierhergebracht, unter Lebensgefahr, nur um meine Freunde zu erfreuen." Er holte beiläufig einen Lederbeutel aus seinem Gewand, öffnete ihn und holte einige schwarze Klumpen hervor, die er an Nikodemos und Nikolaos weiterreichte. Die beiden Männer drehten die Brocken in ihren Händen, begutachteten sie. Nikolaos zerrieb einen und roch daran. Nikodemos kratzte mit seinem Fingernagel einige winzige Krümel ab und kostete sie. "Was sagst du dazu, Nikodemos?", fragte Nikolaos. "Du solltest es mit diesem Gift nicht übertreiben... .", murmelte Nikodemos. "Es ist gut für den Rausch und es ist wohl auch gut für das Geschäft, doch es sollte nicht zum Brot gemacht werden, mein Freund." Nikodemos sah den jungen Mann streng an. "Dieses Gift, das unser Freund Seth uns brachte, scheint ein sehr starkes zu sein. Die Beschaffenheit ist außerordentlich." Nikolaos probierte selbst, nahm natürlich etwas mehr als nur einige winzige Krümel und nickte zustimmend. "Der Krieg ist etwas sehr schädliches.", meinte Nikolaos. "Es wäre besser, wenn die Rhomäer sich aus dem Osten heraushalten würden. Vor allem befürchte ich, dass sie, sobald sie den megas basilieus der Parther geschlagen haben werden, ihren Einfluss nach Osten hin ausdehnen. In diesem Fall müssten wir uns das Geschäft mit rhomäischen Händlern teilen." "Das wäre in der Tat nicht gut.", stimmte ihm Nikodemos zu. "Doch wir werden das nicht verhindern können. Vor allem ich werde es nicht verhindern können. Ich bin alt und ich habe genug vom Handel. Ich werde mich jetzt nur noch auf die Suche nach dem Guten in mir konzentrieren, nach meinem inneren Kern. Ich bin alt und ich möchte nach meinem Tod nicht in den Hades, ich möchte in eine bessere Welt als diese. Dafür werde ich nun arbeiten müssen, nicht mehr für das Vermögen." Nikodemos nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher. Nikolaos schenkte Wein aus einer grünen Glaskaraffe nach.

    "Wie war deine Reise? Gab es Probleme wegen des Krieges?" "Ohja. Ich war teilweise nur einige Stadien von den Rhomäern oder den parthische Soldaten weit entfernt, obwohl ich schon einen großen Umweg gemacht habe. Als ich des nachts in einer Herberge irgendwo am Rande der Wüste schlief, waren am nächsten Morgen einige meiner Sklaven verschwunden, obwohl ich sie angekettet hatte. Das kann also nur bedeuten, dass sie geklaut wurden.... . Oh, ich armer alter Mann!" Er rülpste und verschlang ein großes Stück Hühnerfleisch. Kauend erzählte er weiter. "Und einmal, da habe ich sogar eine Rotte parthischer Reiter gesehen! Sie waren auf einem Weg, klugerweise zuvor verlassen hatte. Sie waren nur wenige Fuß von mir entfernt! Wer weiß, auf welche komischen Ideen sie gekommen wären, wenn ihnen ein armer alter hilfloser kleiner Mann in die Hände gefallen wäre! In diesem Fall hätte ich ihnen das ganze Zeug vor die Füße geworfen und wäre weggelaufen, so schnell wie meine Beine das eben können!" Während er erzählte, gestikulierte er wild, seine Augen glänzten, offenbar bereitete es ihm Freude, wilde Geschichten zu verbreiten. "Und einmal, da habe ich Menschen laufen sehen, die kamen aus einem Dorf, sie liefen in meine Richtung und riefen >die Rhomäer kommen, die Rhomäer kommen!!!<, da bin ich schnell umgekehrt und in eine andere Richtung gelaufen, als ich vorhatte, ich wäre ansonsten den Rhomäer in die Arme gelaufen, stellt euch das mal vor! Und die Armee der Rhomäer ist vielleicht riesig! Aber auch die Parther sind nicht übel, die kann man an dem Gestampfe der Elephanten stadienweit hören, man kann sie im ganzen Osten hören, und der Staub steigt dort auf, bis zu zu den Gestirnen, sage ich euch, bis zu den Gestirnen." Seth fuchelte mit den Armen, was die Aussage seines letzten Satzes wohl unterstreichen sollte.

    In einem abgelegenen und ruhigen Hinterzimmer hatten sich drei Männer versammelt. Einer davon war jung und hieß Nikolaos Kerykes. Der zweite Mann war ein etwas schmutziger alter Händler mit Namen Seth, wobei dies sicher nicht sein richtiger Name war.Seth
    Der dritte Mann war ein würdevoller Greis, der Sohn des Besitzers des Hauses, in dem das kapeleion des Nikolaos war. Nikodemos, der Sohn des Vermieters


    Diese drei Männer saßen nun auf den drei Klinen, die es in diesem Raum gab, wobei Nikodemos einen ganzen Berg an Kissen, mit Verweis auf sein Alter, für sich beansprucht hatte, tranken stark gewürzten Wein und aßen Gerichte, die ein Diener aufgetragen hatte. Man hatte vor Beginn dieses kleinen Symposions, wobei es im Grunde gar kein Symposion war, sondern vielmehr eine Verhandlung über so schnöde und langweilige Dinge wie Geschäfte, sowohl die Tür zum Portikus als auch das kleine Fenster zu einem kleinen Garten hinter dem Haus verschlossen. Licht im Raum gab es nur noch von Öllampen. Den Begriff der geschäftlichen Verhandlungen muss man hier natürlich nicht rhomäisch auslegen (schnell zum Ziel ohne Zeit dafür, sein Gegenüber kennenzulernen, ohne Rücksicht auf die Kultur des Plauderns), auch nicht hellenisch (über Umwege und Geplauder zum Ziel), sondern vielmehr östlich (erste Erwähnung des Geschäfts erst nach einigen Bechern Wein und nachdem sich die Teilnehmer gegenseitig einen Teil ihrer Lebensgeschichte erzählt haben). Diese drei Männer befanden sich nun gerade in der Endphase der ersten Stufe des Gesprächs.


    "Wie geht es deinem Vater eigentlich?", fragte Nikolaos. Nikodemos sah nachdenklich drein. "Noch hält seine Haut seine Knochen und Innereien gut zusammen. Und bevor sie es nicht mehr tut, wird sich der alte Mann eine Lederhülle für seinen Leib gebaut haben.", antwortete Nikodemos in einem Tonfall, der völlig trocken war. Dann hustete er, ungeschickterweise auf den Teller mit Fleisch, der auf dem Tisch in der Mitte der drei Klinen stand. "Jedenfalls hat der alte Mann es noch nicht übers Herz gebracht, seine Geschäfte ganz an seinen Sohn abzutreten. Du wirst wohl noch einige Jahre deine Miete an den alten Mann schicken müssen." Nikodemos machte eine Pause, die er dazu nutzte, sich erstaunlich agil in eine andere Liegehaltung zu bewegen. "Und man selbst wird auch nicht jünger. Freue dich, mein Freund, der Jugend, solange sie dir noch gegönnt ist."
    Seth rülpste und stürzte einen weiteren Becher Wein in seinen Rachen. Nikodemos sah Nikolaos ernst an. "Wie geht es deiner Frau und deinen Söhnen, Seth?", fragte Nikodemos, wohl um Seth, der neben den beiden anderen Männern mit der Silbe Niko- im Namen etwas alleine gewesen war, ins Gespräch einzubinden. "Ich kann nicht klagen.", antwortete Seth mit einem heiseren, rabenartigen Gekrächsze. "Meine Söhne entwickeln sich prächtig und zeugen mir viele Enkel. Mein Zweitältester ist außerordentlich klug, ich denke, ich werde ihm wenn es soweit ist mein Geschäft überlassen. Doch leider ist er diesem Gedanken noch etwas abgeneigt, er würde gerne nach Alexandria kommen, um Gelehrter zu werden." Seth lachte heiser. "Gelehrter will er werden, nun gut, soll er das tun, aber es ist schon etwas traurig um seine Intelligenz, wenn er sie in eurer Bibliothek verschwendet, anstatt sie gewinnbringend zu investieren. Und ein Junge ist er auch nicht mehr.Wie soll er sein Weib und seine Kinder ernähren, wenn er irgendwo in einer staubigen Bibliothek zwischen Büchern hockt?" Seth lachte erneut, es war wie das Meckern einer Ziege. Und Nikolaos dachte sich seinen Teil.

    Einige Teile der Stadtwache durchkämmten seit einigen Tagen diskret die Stadt nach einem gewissen "Canis", von dem der Strategos Alexandrinos behauptet hatte, er sei ein Verbrecher, womit er natürlich recht hatte, auch wenn der Zweck dieser Fahndung vielleicht nicht der war, den die Stadtwachenmänner annahmen. So fragten sie, meist in ohne offensichtliche Bewaffnung in Herbergen, Läden und auf verschiedenen Marktplätzen herum, natürlich immer beiläufig und unauffällig, wie es sie ihr Vorgesetzter gelehrt hatte.
    Bis jetzt jedoch waren zu keinem Ergebnis gekommen. Es hatte einige Fehlinformationen gegeben, die zwar zur Ergreifung armer Schlucker geführt hatte, die mit kleinen Betrügereien ihren Lebensunterhalt verdienten, doch der Canis, der gesucht wurde, war nicht darunter.

    "So folge mir in die Arché des Verwalters.", meinte der Gehilfe des Verwalters kühl und herablassend. Er war, auch wenn er nur ein armer Schreiber war, immerhin ein Hellene, und er bildete sich auf diesen Umstand viel ein. Ihm passte es gar nicht, dass er irgendetwas für einen fetten Ägypter tun musste. Euch sollte man gar nicht erst so hoch kommen lassen, dachte der Verwalter, sprach es aber natürlich nicht aus.
    In der Arché angekommen, dachte der Gehilfe des Verwalters gar nicht daran, dem Grammateos einen Sitzplatz anzubieten. Auch die Kanne mit Honigwein auf dem Schreibtisch des Verwalters blieb unangetastet. Der Gehilfe ging zu einem Schrank und öffnete ihn. Er holte eine Pakete aus Leder heraus, die er auf den Tisch legte. Dann öffnete er vorsichtig die Verschnürung. Unter den Lederhüllen kamen Papyri zum Vorschein. "Bitte", sagte der Gehilfe des Verwalters. "Das ist, was du suchst." Offenbar war hier ein sehr gewissenhafter Mensch am Werk gewesen, in den Büchern waren alle Einnahmen und Ausgaben säuberlich notiert. Am Ende würde Imhotep feststellen müssen, dass hier alles mit rechten Dingen vor sich gegangen war.
    "Falls du die Bücher brauchst, solltest du Abschriften davon machen, ich kann dir leider nicht erlauben, sie mitzunehmen.", sagte der Gehilfe des Verwalters und schloss den Schrank wieder. Er ließ sich auf den Sessel des Verwalters fallen. Offenbar gefiel dem Gehilfen des Verwalters, dass er für einige Zeit die Gelegenheit hatte, Herr zu spielen.


    Sim-Off:

    Leonidas, du bekommst gleich eine PN.