Beiträge von Nikolaos Kerykes

    Nikophileaus suchte noch einmal, ein letztes Mal, die verfallene Wohnung in der verfallenen Insula auf. Als er die Tür öffnen wollte, wäre er beinahe zusammen mit ihr in den Raum gefallen. Die Angeln waren zu Staub zerfallen, die Tür lehnte nur noch gegen den Rahmen. Ein widerwärtiger Gestank empfing ihn beim Betreten der Wohnung. Es roch nach verwesenden Fleisch. Wobei es in der sauerstoffarmen Luft eher verfaulen als verwesen dürfte. Nikophileaus sah sich im Halbdunkel um und entdeckte gleich im Vorraum vier tote Ratten. Ihm schauderte. Er betrat nacheinander alle Räume. Die wenigen Möbeln waren zerstört oder lagen ohne Ordnung herum und übereinander. An den Wänden klebte Dreck. Das Bett in der kleinen Kammer, die eher ein Loch war, war in der Mitte durchgebrochen. In der kleinen Kammer lagen zerfetzte Kleider. Vielleicht hatten sie einmal der jungen Hure gehört, die hier gehaust hatte. Nikophileaus hielt es nicht länger in diesem finsteren Loch aus. Er stürzte zur Tür. Er vertrieb die Gedanken aus dem Kopf, die ihn beschlichen. Das Grausame war: Was auch immer dem Mädchen geschehen war, es würde außer ihm niemanden kümmern. Niemand außer er wusste überhaupt, dass es sie gab, denn ihre Freier hatten sie sicher nicht als Person wahrgenommen. Mochte sie tot in einer Gasse liegen, an einer Krankheit der Venus verreckt, erfroren, verhungert oder grausam getötet, es würde keinen Praetor kümmern. Vielleicht trieb ihr Körper irgendwo leblos im Tiber, viellleicht kauerte sie zitternd in einem Hauseingang. Und niemanden ging es etwas an. Nikophileaus würde nun abreisen und sie vergessen. Der Mensch vergaß doch erstaunlich schnell... .

    Nachdem er den Brief beendet hatte, verstaute er seine Schreibgeräte in seinem Lederbeutel, suchte den Raum nach weiteren Dingen ab, die ihm gehörten, fand dergleichen keine, nahm die Wachstafel und verließ das Cubiculum.

    Nikophileaus hinterlegte beim Verlassen der Casa Pompeia eine Wachstafel.


    An Sextus Pompeius Antipater
    Lieber Sextus Pompeius,
    es tut mir Leid, dass ich Dir folgendes über eine kalte Wachstafel und nicht persönlich mitteilen kann, da ich Dich leider in letzter Zeit nicht in der Casa Pompeia angetroffen habe. Ich möchte schnell zur Sache kommen. Ich habe beschlossen, nach Alexandria zu ziehen, um dort Studien am Museion zu betreiben und um sowohl der hellenischen Kultur wieder näher zu kommen, die ich in Rom vermisste, als auch der östlichen Kultur, die kennenzulernen ich begehre. Ich brauchte einige Zeit, um mich zu diesem Schritt durchzuringen, jedoch half mir bei meiner Entscheidung, dass ich in Rom zugegeben unterfordert war, gerade in letzter Zeit. Ich hoffe, Du kannst dafür Verständnis aufbringen und wirst eine andere geeignete Person finden, um sie mit Iulia Livilla auf die Reise zu schicken. Über den Verbleib Iuliae Livillae kann ich Dir leider keine Auskunft geben. Ihr Verschwinden und die damit zusammenhängende Verzögerung oder gar der Abbruch der Reise nach Achaeia war im übrigen unter anderem auschlaggebend für meine Entscheidung. Da ich in Alexandria meinen Pflichten als Dein Untergebener nicht mehr nachkommen können werde, bitte ich Dich, mich aus Deinen Diensten zu entlassen.
    Auf bald!
    Nik. Grc.

    Er packte seinen Beutel. Lange dauerte es nicht, denn seine Habseligkeiten beschränkten sich auf wenige Kleinigkeiten. Er wusch sich an einer Schüssel aus Bronze und legte die zweitbeste seiner vier Tuniken an. Dann band er seine Schuhe. Mit einem einfachen Holzkamm fuhr er sich einige Male durchs Haar. Es behagte ihm nicht, die Casa Pompeia verlassen zu müssen. Doch er musste fort. Pompeius Antipater, sein Dienstherr, schien verschwunden. So hatte Nikophileaus die letzte Zeit als Parasit mit trägen Nichtstun verbracht. Sicher würde er die Annehmlichkeiten der Casa Pompeia vermissen und es tat ihm auch ein wenig Leid, Sextus Pompeius zu verlassen, da er diesen und seine dekadente Art schätzen gelernt hatte. Aber er musste fort, um nicht an Langeweile zu sterben. Bevor er also auch seine Schreibgeräte einpackte, ritzte er einige Zeilen in eine Wachstafel.


    An Sextus Pompeius Antipater
    Lieber Sextus Pompeius,
    es tut mir Leid, dass ich Dir folgendes über eine kalte Wachstafel und nicht persönlich mitteilen kann, da ich Dich leider in letzter Zeit nicht in der Casa Pompeia angetroffen habe. Ich möchte schnell zur Sache kommen. Ich habe beschlossen, nach Alexandria zu ziehen, um dort Studien am Museion zu betreiben und um sowohl der hellenischen Kultur wieder näher zu kommen, die ich in Rom vermisste, als auch der östlichen Kultur, die kennenzulernen ich begehre. Ich brauchte einige Zeit, um mich zu diesem Schritt durchzuringen, jedoch half mir bei meiner Entscheidung, dass ich in Rom zugegeben unterfordert war, gerade in letzter Zeit. Ich hoffe, Du kannst dafür Verständnis aufbringen und wirst eine andere geeignete Person finden, um sie mit Iulia Livilla auf die Reise zu schicken. Über den Verbleib Iuliae Livillae kann ich Dir leider keine Auskunft geben. Ihr Verschwinden und die damit zusammenhängende Verzögerung oder gar der Abbruch der Reise nach Achaeia war im übrigen unter anderem auschlaggebend für meine Entscheidung. Da ich in Alexandria meinen Pflichten als Dein Untergebener nicht mehr nachkommen können werde, bitte ich Dich, mich aus Deinen Diensten zu entlassen.
    Auf bald!
    Nik. Grc.

    "Das wäre sehr großzügig von dir.", antwortete Nikophileaus und überreichte Theodorus die Schriftrolle, in der der Westafrikanische Riesenkäfer behandelt wurde. Der Gelehrte schien geradezu vernarrt in das Tier oder in das Buch zu sein, aus welchem Grund auch immer. Er wusste nicht warum, jedoch kam Nikophileaus eine Geschichte in den Sinn, die er in Athen gehört hatte. Wertvolle Handschriften von Sophokles, Aischylos und Euripides, die sich im Besitz der Polis befanden, waren angeblich nach Alexandria ausgeliehen worden und von dort nicht mehr zurückgekehrt... . Da Nikophileaus selbst möglicherweise bald das Vergnügen haben würde, die immer noch großartige Bibliothek des Museions zu benutzen, hielt er jedoch solche Formen der Bestandserweiterung für durchaus annehmbar. Auf die eindeutige Forderung Theodorus hin musste er seine Erheiterung unterdrücken. Schließlich würde Theodorus in nächster Zeit sein Lehrmeister sein und seinem Lehrmeister musste er Achtung entgegenbringen.

    "Dessen bin ich mir bewusst.", antwortete Nikophileaus. "Ich glaube jedoch, dass ich es schaffen werde. Ich halte meinen Kopf für belastbar und duldsam. Ich hege den Wunsch, ihn zu formen und formen zu lassen, da ich eingesehen habe, dass er im Laufe einiger Monate der Unordnung verstraucht ist. Nach wie vor hege ich den Wunsch, eines Tages frei zu sein, doch ich glaube, dass wer wirklich frei sein möchte, eine lange Zeit in freiwilliger demütiger Gefangenschaft verbringen sollte, um sich von aus der Knechtschaft seines Hochmuts zu befreien." Nikophileaus zwang sich, seine Aufregung nicht nach außen dringen zu lassen. Seine Stimme war ruhig und bescheiden.

    Nikophileaus war für einen Moment sprachlos. Ein freudiges Schaudern durchzog ihn. Er musste sich selbst stark disziplinieren, um nicht seine Freude und Aufregung aus dem Impuls heraus unangemessen zu äußern. "Das wäre mir - eine außerordentliche Freude.", sagte er, leise und etwas demütig und hielt den Kopf gesenkt. Auch wenn seine Tätigkeiten an der Akademie sich wohl auf Hilfsdienste beschränken würden, wessen er sich bewusst war, hatte das Wort Alexandria einen verlockenden Klang. Er musste sich zusammenreißen, um nicht vor Aufregung zu zittern. Er zwang seine Gesichtsmuskeln zu einem freudigen aber noch gemäßigten Ausdruck.

    "Verzeih mir meinen Ausbruch, ich war unangemessen ungeduldig.", sagte Nikophileaus und senkte etwas den Blick. Offenbar hatte er den Alexandriner durchaus etwas überfallen, auch wenn er ein leichtes kurzes Lächeln in dessen Gesicht bemerkt hatte. Er sah Theodorus an, in der Erwartung, dieser würde fortfahren.

    Ein freudiges Leuchten flackerte in Nikophileaus Augen auf. Theodorus schien gerade dabei zu sein, Nikophileaus ein Entkommen aus seinem derzeitig eher untätigen Leben anzubieten. "Ich könnte es mir gut vorstellen.", antwortete er langsam und betont und sah Theodorus an. Auch, wennauch weniger als die Möglichkeit, in naher Zukunft einer produktiven und hoffentlich anregenden Beschäftigung nachzugehen, reizte ihn die Option auf die Benutzung einer Bibliothek, die vielleicht größer und besser sortiert war, als dieser Lagerraum für Bücher im feuchten Dunst der Thermen, der den Papyri eher weniger gut tat. "Doch sag, was wäre die Essenz meiner Existenz an einer solchen Akademie, was wären meine Aufgaben?" Er hoffte, diese Frage nicht zu früh gestellt zu haben. Er wollte den offenbar feinsinnigen Menschen nicht überfallen.

    "Danke, falls es nicht zuviel kosten sollte, werde ich mich bei Gelegenheit dorthin zurückziehen.", antwortete Nikophileaus, erfreut, dass sich Theodorus offenbar hier auskannte und hilfsbereit war. "Ich habe zwar nie eine Ausbildung an einer Akademie erfahren, bin jedoch in Literatur einigermaßen bewandert, ich hatte bereits das Vergnügen, auch wenn es das nur in einigen der Fälle war, mich mit einigen berühmten griechischen und lateinischen Büchern zu beschäftigen."

    "Ich interessiere mich ehrlich gestanden nicht besonders für Insektenkunde, doch dieses Buch ist schön gestaltet. Bei den Zeichnungen war offenbar jemand am Werke, der sich darauf versteht. Auch das Schriftbild ist klar und sauber." Nikophileaus legte das Buch auf einem Tisch ab. "Nun, ich denke, ich habe jetzt genug davon gesehen, ich werde mich wieder den Dichtern zuwenden. Ist übrigens der Aufenthalt in der Bibliothek durchgehend gestattet oder gibt es Zeiten, in denen sie geschlossen ist, zum Beispiel in der Nacht? Ich würde mich ansonsten gerne für einige Zeit hier einschließen und fleißig Kopierarbeit leisten, da ich gedenke, eine eigene Bibliothek aufzubauen und mir aber den Kauf von Büchern oder die Bezahlung eines Kopisten nicht leisten kann."

    Nikophileaus hinterlegte eine Wachstafel.


    An Sextus Pompeius Antipater


    Lieber Pompeius Antipater,


    ich habe den Auftrag, den Du Iulia Livilla und mir gabst, abgebrochen, da Iulia Livilla verschwunden ist und ich nicht ohne sie, die die Führung inne hatte, weitervorgehen wollte. Es wäre gut, wenn Du nach ihr Ausschau halten könntest. Ich werde in nächster Zeit selten in der Casa Pompeia sein, hinterlege mir doch bitte eine Nachricht, falls du etwas über ihren Verbleib erfahren solltest.


    Es grüßt Dich
    Nikophileaus

    Etwas müde und durchnässt vom Regen verließ Nikophileaus seinen Posten an der Porta der Casa Sergia. Er mochte schon wie ein Bettler gewirkt haben, wie er da auf der Steinstufe gesessen und gewartet hatte. Nun verschwand er wieder. Er fragte sich, wo Iulia Livilla sein mochte. Ob ihr etwas zugestoßen war?

    "Ich danke dir." Nikophileaus vertiefte sich in die Rolle. Ein verzücktes Grinsen ging über sein Gesicht, als er die hübschen Illustrationen sah. Ihn interessierte dieses Insektenzeug eher wenig, doch er mochte schöne Bücher.


    "Verzeih, ich werde versuchen, im Lateinischen zu bleiben. Erzähl mir, welche Bräuche hält deine Familie noch hoch? Ehrt ihr noch die griechischen Götter?", fragte Nikophileaus. Als Theodorus fragte, worum es gerade ginge, antwortete Nikophileaus: "Du hast nicht viel verpasst, Theodorus, der ehrenwerte Mann sagte mir nur, dass sein Wortschatz in Koine sehr begrenzt sei." Nikophileaus sah sich um. "Ich würde auch gerne die Schrift sehen, die Caius Ferrius Minor gefunden hatte. Worum geht es denn darin? Hast du sie noch hier irgendwo liegen oder hast du sie schon wieder einsortiert?"

    "Die Freude ist auch auf meiner Seite. Hast du auch eine zeitlang in Athen gelebt?", antwortete Nikophileaus in Koine, davon ausgehend, dass Caius Ferrius diese Sprache verstehen würde. Nikophileaus blickte Caius Ferrius Minor an.

    Sim-Off:

    Ich vermisse Iulia Livilla. Ich habe schon seit Monaten vor dem Tor der Casa Sergia campiert :). Sie müsste allmählich mal auftauchen. Oder der gute Sextus Pompeius müsste den armen Nikophileaus aus seiner peinlichen Situation erlösen.

    Zitat

    Original von Caius Ferrius Minor
    Ich sah zu dem Jüngling, der noch offenbar in einer Schriftrolle las und sah dann wieder zu dem Juden.


    "Ah, kennt Ihr euch ? Wie ist Dein Name, ehrenwerter Fremder ?"


    "Mein Name ist Nikophileaus, wobei dies der Name ist, den mir ein unfähiger römischer Provinzschreiber gegeben hat. Mein eigentlicher Name ist Nikolaus, doch was sind schon Namen?", sagte Nikophileaus und sah von seiner Schriftrolle auf. "Wie heißt du?" Nikophileaus runzelte lächelnd die Stirn.

    Nikophileaus hatte nichts von Catullus gefunden, offenbar war der Mensch, der diese Bibliothek bestückt hatte, sehr prüder Natur. Dagegen war ein Gedichtband von Sappho in griechischer Sprache vorhanden, in den er sich nun vertiefte.

    Nikophileaus kam mit Theodorus in die Bibliothek. Er war positiv überrascht. Zwar schienen die vielen Schriftrollen fern jedes Systems hier in Schränke gelegt, doch zumindest schien der Bestand an Büchern größer zu sein, als er von einer Bibliothek in einer römischen Therme erwartet hätte, wenngleich selbst die Privatbibliothek seines Vaters in Athen reicher ausgestattet war. Doch er wollte nutzen, was er bekommen konnte. "Kannst du mir den Weg zu einigen Schätzen in diesem unüberschaubaren Wald von Büchern zeigen? Ich würde gerne etwas von Homer lesen oder auch für den Gebrauch außerhalb dieser Räume kopieren. Außerdem würde ich mich über die Liebeskunst von Ovid und über Gedichte von Catullus freuen, auch wenn diese wohl nicht deinen Erwartungen an gute Literatur erfüllen dürften." Er sah sich um und dann Theodorus in die Augen.