Beiträge von Aelia Paulina

    “So genau weiß man es nie.“
    Paulina glaubte nicht, dass sich ihr Cousin mit Schwangerschaften so besonders gut aus kannte, obwohl ihm seine Frau vor ein paar Jahren einen Sohn geboren hatte.
    “Aber im kommenden Monat, wenn alles normal verläuft.“

    Paulina fischte die erste Kugel heraus und gab sie einem der Helfer.
    Wie fast alle Helfer, trug er eine lustige Tunika in dunkelblau. Das war zwar schrecklich aus der Mode, aber Paulina fand, sie sahen damit sehr ulkig aus.

    Paulina hörte ihrem Cousin nur mit halben Ohr zu. Die Details interessierten sie nicht übermäßig.
    Sie machte sich in Wahrheit auch nicht besonders viel aus Wagenrennen allgemein. Aber den öffentlichen Auftritt vor großem Publikum, den genoss sie.


    “Ja, ja, ich bin bereit. Von mir aus können wir anfangen.“

    “Führen wir?“, fragte Paulina.
    Sie kannte sich zwar mit Ducetius et Glaucides, Versacius oder Castracampus aus, hatte aber so überhaupt keine Ahnung von Wagenrennen.

    Paulina trat an die Urne und griff hinein. Denn das war die Aufgabe, ihr 'Amt'.


    Mit feierlicher Geste zog sie die erste Kugel heraus, hielt sie hoch und reichte sie dann einem der Helfer.

    Paulina betrat die Rennbahn. Ihr Ehemann und ihr Cousin hatten sie in ihre Mitte genommen.
    Zu diesem Anlass trug sie ein züchtiges Gewand in lichtem Blau. Sie spürte die Blicke der Massen, glaubte im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit zu stehen und ihr Herz war voller Stolz und Genugtuung.
    Ihr Bauch, der von der weit fortgeschrittenen Schwangerschaft geschwollen war, zeichnete sich unter dem Stoff deutlich ab. Sie schob ihn noch ein wenig vor, denn alle sollten sehen, dass sie guter Hoffnung war.
    Sie lauschte der kurzen Rede ihres Cousins, während sie von der eigenen Bedeutung erfüllt und beseelt war. Sie strahlte und genoss diesen Auftritt.

    Mit ihrem Mann kehrte auch Aelia Paulina nach Rom zurück.


    Sie war froh, endlich der germanischen Provinz entronnen zu sein und wieder in die Stadt zu kommen, die in ihren Augen das Zentrum gesellschaftlichen Lebens darstellte. Das war der Ort, wo sie leben wollte. Darum hatte ihr die lange Reise auch gar nicht so viel ausgemacht, obwohl es beschwerlich gewesen und sie hochschwanger war.


    “Hier werden wir also leben?“, fragte sie ihren Ehemann, als sie die Villa Vinicia vor sich sah. Sie kannte das Anwesen noch nicht, denn sie hatten in Germania Superior geheiratet.

    Das Chaos nahm seinen Lauf. Doch so unwahrscheinlich es auch war: irgendwann war doch alles gepackt und verstaut.


    Dann kam der Tag des Abschieds von Mogontiacum und Germania. Für Paulina war es kein schmerzlicher. Sie hatte die Stadt und das ganze Land nie gemocht. Die Provinz war ihr immer fremd geblieben, fast zuwider. Sie fand die Einwohner rückständig und das galt nicht nur für die hier lebenden Germanen und wenigen Kelten, sondern auch für die Römer, die sich hier niedergelassen hatten. Nein, Germanien war nie zu ihrer Heimat geworden. Deshalb war sie froh, dass es jetzt endlich zurück nach Rom ging, wo, wenn man sie fragte, in jeder Hinsicht der Puls der Welt schlug. Dort gehörte sie hin, davon war sie fest überzeugt.


    Glücklich ging sie am Abend vor der Abreise zu Bett. Sie war so aufgeregt, dass sie kaum ein Auge zu tat.


    Am nächsten Morgen würde guten Mutes all das hinter sich lassen, ihre Gemächer, den Statthalterpalast, die kleine, schmutzige Stadt, dass wilde, unzivilisierte Land, alles. Sie würde keine Träne verdrücken, sich nicht einmal mehr umdrehen, den Reisewagen besteigen und die lange Reise antreten. Es würde strapaziös werden. Aber das kümmerte sie wenig. Rom, dass Ziel ihrer Reise, war es wert.

    Und Paulina begann schon einmal mit dem Packen.


    Das bedeutete nichts weniger, als dass sie das Haus – es war ein großen, ein sehr großes Haus – komplett auf den Kopf stellen ließ, alle Sklave umher scheuchte und in den Wahnsinn trieb, alle möglichen Dinge einpacken, wieder auspacken, neu sortieren, erneut verstauen und dorthin bringen ließ, wo sie auf jeden Fall im Wege standen. Kurz: im ganzen Statthalterpalast brach ein großes Chaos aus. Aber Paulina fand das ganz normal. Wenn ein großer Haushalt umzog, dann waren ihrer Meinung nach ein paar Unbequemlichkeiten unumgänglich. Wichtig war nur, so ihr Credo, dass jemand die Übersicht behielt. Dumm nur, dass sie diese bereits binnen kürzester Frist verlor.

    “Ja!“, erwiderte sie freudestrahlend.


    Aber dann erinnerte sie sich nicht nur an den Abend, als ihr Mann seinen Samen in sie gepflanzt hatte, sondern auch an das Versprechen, dass sie der Göttin Iuno gegeben hatte.


    “Ich bekomme ein Kind von dir.“, sagte sie, nun sehr ernst. “Ein Sohn, es wird ein Sohn sein, ich weiß es!“


    Erneut strich sie sich über den bereits geschwollenen Bauch. Das Lucianus ihn noch nicht bemerkt hatte lag gewiss nicht nur daran, dass Paulina eine üppige Frau war, sondern zeigte auch, wie wenig die Eheleute miteinander anzufangen wussten und wie fern sie einander waren, obwohl sie doch unter einem Dach wohnten.


    “Ich muss schon im sechsten Monat sein. Im Augustus wird das Kind kommen.“

    Sie nickte und ließ die Sache damit auf sich bewenden.


    “Dann sollten wir bald abreisen.“, sagte sie, nun wieder in einem sanfteren Tonfall.
    Dabei strich sie ihr blaues Gewand über dem Bauch glatt, so dass dessen Rundung deutlich hervor trat.


    “Damit unser Kind in Rom zur Welt kommen kann.“


    Sie lächelte und dieses Lächeln schien tatsächlich einmal von Herzen zu kommen, wirkte aber auch fast wie das einer Schülerin, die Lob für eine brav auswendig gelernte Ekloge von Vergil erwartete.

    Sie löste sich wieder von ihm und sah ihn lächelnd an.


    Dann aber verschwand das Lächeln plötzlich, als ob eine böse Ahnung in ihr aufkeimte. So war es auch.


    “Du bist in Rom doch wohl nicht in Ungnade gefallen? Hast du den Kaiser verärgert?“

    “Oh!“, rief sie aus und tatsächlich hatte ihr diese ganz besonders erfreuliche und so unerwartete Neuigkeit einmal die Sprache verschlagen.
    Aber nicht für lange...
    Denn im nächsten Augenblick fiel sie ihrem Mann um den Hals und gurrte:
    “Oh Marcus, dass ist ja wundervoll! So ein Glück! Wann, wann brechen wir denn auf?“

    Entweder verstand Paulina nicht, was ihr Ehemann ihr da gerade zu sagen versuchte, oder sie gab sich bewusst begriffsstutzig.


    “MEINE geliebte Stadt? Was soll das heißen?“


    Die einzige Stadt, die ihr lebenswert erschien, dass war Rom. Aber es lag nicht daran, dass sie die Hauptstadt besonders ins Herz geschlossen hätte. Nein, es lag einfach nur daran, dass dort das Zentrum der Welt lag und zwar nicht nur im politischen, sondern auch im gesellschaftlichen Sinne. Eine Dame von Welt, und für eine solche hielt Paulina sich, musste in Rom Leben, um innerhalb der gehobenen römischen Gesellschaft bedeutsam zu erscheinen und, nicht zuletzt, um über den neuesten Klatsch immer auf dem aktuellsten Stand zu sein.


    “Wir verlassen diesen Ort?“, riet sie dann doch gar nicht mehr so ganz falsch.

    Paulina, gekleidet in ein kornblumenblaues, leicht fließendes Gewand, unter dem sich ihre Rundungen zart abzeichneten, stemmte die Hände in die Seiten.


    “Eine freudige Nachricht?“, wiederholte sie skeptisch.