Albina hatte am heutigen Mittag von einem Sklaven zwei Briefe gebracht bekommen. Der eine, wie er entschuldigend und mit leicht furchtsamem Blick gestand, war schon vor einigen Tagen eingetroffen, aber wohl liegen geblieben. Der andere war gerade am heutigen Morgen in der Villa Tiberia eingetrudelt.
Mit den zwei Schriftstücken in der Hand hatte sie sich , entschlossen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres , die an diesem Herbsttag ins Peristylium schienen, zu genießen.
Ein Sklave hatte ihr einen Krug Wasser, Obst und Brot auf den kleinen Tisch neben der schönen Bank, auf der sie saß, gestellt und langsam entrollte sie die ältere Schriftrolle.
An
Tiberia Albina
Villa Tiberia
Roma
Liebe Albina,
ich kam gut in Ägypten an udn habe mich hier schon sehr gut eingelebt. Meine Kameraden bei der Legio mögen mich zwar anscheinend nicht, aber das liegt vielleicht daran, dass ich nun ihr vorgesetzter geworden bin.
Auf der Reise hier hin, habe ich kurz unseren Vater besucht, er läßt dich grüßen. Ich war auch bei Vitamalacus, der gerade damit beschäftigt war, die nötigen Dinge ein zu leiten um weiter marschieren zu können.
Ich muss nun den Brief beenden, denn meine Pflicht ruft mich.
Dein Bruder,
Caius Tiberius Rufinus
Die Worte ihres Bruders zauberten der jungen Tiberierin ein leichtes Lächeln aufs Gesicht. Also ging es sowohl ihm, als auch ihrem Vetter gut, dachte sie beruhigt. Jede Nachricht dieser Art, so alt sie auch sein mochte, wenn sie Rom endlich erreichte, löste für einen Moment die stete Anspannung, die einen begleitet, wenn geliebte Menschen in Gefahr sind. Noch immer betete Albina regelmäßig zu den Göttern für einen siegreichen Krieg, doch noch mehr für die unversehrte Rückkehr ihrer Verwandten.
Ohnehin wurde es Zeit mal wieder einen Brief an ihren Vetter zu schicken, dachte sie. Seit sie dessen Nachricht über die geplante Verlobung erhalten hatte, hatte sie noch immer nicht die richtigen Worte gefunden, um ihm zu antworten. Auch wenn diese Nachricht nun schon einige Zeit her war, so hatte sie sich noch immer nicht so recht dran gewöhnen können. Und wenn sie an die Heirat mit dem ihr so wenig bekannten Flavier dachte, begann sie automatisch an nützliche und noch zu erledigende Dinge zu denken. Noch immer hatte sie keine Gefühle diese Heirat betreffend zu gelassen. Jedes Mal, wenn Trauer, Wut oder Verzweiflung aufkeimten wurden sie im Keim erstickt. So auch nun, als sich Albina um der Ablenkung willen dem zweiten Brief zuwandte. Und so begann sie die ihr unbekannte Handschrift zu lesen...
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Tiberia Albina
Villa Tiberia
Rom
Furianus sponsa s.d.
Wie du wohl bereits von deinem Verwandten Tiberius Vitamalacus erfahren haben wirst, habe ich um deine Hand bei ihm angehalten. Er hat sich zu dieser Verbindung positiv ausgesprochen, so dass ich guter Dinge bin eine ebenso kluge Braut in meiner Familie zu wissen.
Du kannst dich wohl noch an mich erinnern, es müssen Monate vergangen sein, und doch, der Eindruck war prägend. Meine Augen erblickten dich und im Laufe unserer Unterhaltung, da bin ich ehrlich, keimte der Gedanke dich an meine Seite zu nehmen und dir ein guter Ehemann wie auch guter Vater deiner Kinder zu werden.
Ich entstamme einer Familie mit großem Namen, meine Tugenden und meine Verdienste muss ich nicht erläutern, du wirst dir wohl zu gut all jener bewusst sein, wenn du deine Entscheidung triffst.
Wie du bereits weißt, wurde ich vom Senat nach Hispania als Proconsul eben jener Provinz entsendet und genau aus diesem Grund kann ich leider nicht zu unserer Verlobung nach Rom reisen. Daher bitte ich dich, meine Braut, dich um die Eintragung in das Register zu kümmern, so, wie es Sitte und Gesetz verlangen. Meine Einverständniserklärung wird dir überreicht werden. Leider musst du im Zuge meiner Gebundenheit schon die erste Entbehrung erfahren, denn die Verlobungsfeier entfällt. Ich bitte dich daher um tiefste Verzeihung, weiß ich doch, dass solche Feiern von jungen Damen stets sehnsüchtigst erwartet werden und einen wichtigen Punkt in der Gesellschaft einnehmen, für mehr oder weniger Gesprächsstoff sorgen, sowie auch für das Ansehen der Brautleute. Dafür verspreche ich dir, reizende Albina, eine Hochzeitsfeier mit all dem Pomp und der nötigen Größe, die den Makel einer fehlenden Verlobungsfeier sofort vergessen lassen.
Darüber hinaus sind noch einige Dinge vorab zu besprechen. Und zwar weiß ich nicht, ob ich nach unserer Vermählung in Hispania verweilen werde oder bereits in Rom bin, daher wäre ich dir verbunden, wenn du mir, im Falle einer Abwesenheit in Rom, nach Hispania folgst, um den Haushalt im Palast des Proconsuls zu führen und an der Seite deines Gemahls zu stehen. Sollte ich in Rom sein, so wirst du selbstverständlich herzlichst in der Villa Flavia begrüßt werden. An Gesellschaft dürfte es dir auch dort nicht mangeln.
Dies wären vorerst alle Worte, die ich an dich zu richten hätte, Zukünftige.
Ich hoffe dich stets bei bester Gesundheit zu wissen und mögen die Götter dich immer behüten, ich werde dafür beten.
Dein zukünftiger Gemahl,
L. Flavius Furianus
Dein zukünftiger Gemahl... immer wieder hallten diese Worte in Albina fort. Er nannte sie reizend, er nannte sie sein Braut. Und jedes dieser Worte erschien ihr falsch und deplaziert. Lange hatte sie zu verdrängen versucht, was ihr bevorstand und was sie wirklich verloren hatte, doch nun, in diesem Moment erkannte sie erst die Bitterkeit die darin lagen, dass ein anderer Mann als Verres solche Worte verwandte.
In ihren Gedanken befand sie sich erneut im Tablinium ihres Vetters. Sie sah , wie sie und Verres sich gegenüberstanden und hörte erneut ihre eigenen Worte: "Ich liebe dich. Und ich werde dich immer lieben, wie weit du auch weg sein wirst."
Sie sah die grünen Augen des Sklaven vor sich, der ihr mehr bedeutet hatte, als je ein anderer. Sie erinnerte sich an seine Worte, seinen Gesichtsausdruck und den unsäglichen Schmerz, den beide empfanden und nur schwer ertragen konnten. Sie hatte das Bild vor Augen, wie er dort, schön wie er war und dennoch leidend vor ihr stand. Es war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte. Und obwohl sie ihn hatte wiedersehen sollen, hatte die Nachricht seines Todes die erst langsam heilenden Wunden wieder mit aller Wucht aufgerissen.
Tränen kullerten ihr über das Gesicht und Albina schluchzte leise vor sich hin. Am liebsten hätte sie geschrien, endlich einmal all den Schmerz, der sich tiefer und tiefer in sie hineinfraß hinausgeschrien, doch dafür war kein Platz. Für solche Emotionen gab es in ihrer Welt keinen Ort.
Es vergingen noch einige Minuten in denen sie sich , das Gesicht in ihre Hände gestützt , weinend ihren Erinnerungen hingab, bevor ihr Puls langsam wieder ruhiger wurde und die Tränen erneut versiegten.
Sie wischte sich mit den Ärmeln ihrer Tunika die Feuchte von den Wangen und atmete ein paar mal tief ein.
Sie musste weiterhin stark sein, etwas andere Wahl blieb ihr nicht . Langsam versuchte sie sich aufs wesentliche zu konzentrieren. So, wie es schien, war der Flavier ein durchaus netter Mann, der, wie er auch schrieb, ihre ein guter Ehemann würde sein können. Diese Verbindung, daran bestand kein Zweifel, war für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend. Albina, von Grund auf gut wie sie war, hoffte für Furianus, dass sie es schaffen würde ihm eine ebenso gute Ehefrau zu sein und das ihm die Sympathie seiner Frau genügen würde. Alles andere, so dachte sie zumindest noch in der jetzigen Situation, war undenkbar. So, wie es sich derzeit anfühlte, würde sie nie wieder lieben können.
Doch auch als Zeichen ihrer Sympathie, entschied sie ihrem zukünftigen Ehemann sogleich zu antworten. Vielleicht vermochte ja immerhin sie ihn glücklich zu machen, auch wenn sie selbst ihre Chance auf Glück vertan hatte.
Sie nahm die beiden Schriftrollen in die Hände und machte sich auf den Weg zurück in ihre Cubiculum, um drei Briefe zu schreiben...